Die Natur ist jener Zustand, jene Wirklichkeit, die anscheinend Leben und Tod, oder mit anderen Worten Zusammensetzung und Auflösung aller Dinge, umfaßt.
Diese Natur ist einem vollendeten Gefüge, bestimmten Gesetzen, einer vollständigen Ordnung und einem vollkommenen Plan unterworfen, von denen sie niemals abweicht; und zwar in so hohem Maße unterworfen, daß man in ihr bei sorgfältiger Betrachtung und geistiger Wahrnehmung vom kleinsten unsichtbaren Atom bis zu solch großen Dingen der Welt des Daseins, wie der Sonne oder den anderen großen Sternen und leuchtenden Himmelskörpern, sei es in ihrer Anordnung und Zusammensetzung, sei es in ihrer Form und Bewegung, den höchsten Grad der Ordnung findet und erkennt, daß alles unter einem unausweichlichen, vollkommenen Gesetz steht.
Wenn man aber die Natur selbst betrachtet, sieht man, daß sie weder Verstand noch Willen besitzt. So liegt es zum Beispiel in der Natur des Feuers, daß es brennt, und es tut dies ohne Willen und Verstand; die Natur des Wassers ist, daß es fließt, und es tut dies ohne Willen und Verstand; die Natur der Sonne ist, daß sie leuchtet, auch sie leuchtet ohne Willen und Verstand; die Natur des Dampfes ist, aufzusteigen, und er steigt ebenso ohne Willen und Verstand auf. Damit ist klar erwiesen, daß alle natürlichen Bewegungen der erschaffenen Dinge zwangsläufige Vorgänge sind und sich nichts nach eigenem Willen bewegt, mit Ausnahme des Tieres und vor allem des Menschen. Der Mensch vermag sich der Natur zu widersetzen und von ihren Wegen abzuweichen, weil er die Struktur der Dinge entdeckt hat und damit den Kräften der Natur gebietet. Alle Erfindungen, die er gemacht hat, beruhen auf der Entdeckung der Struktur der Dinge. So hat er zum Beispiel die Telegraphie erfunden, die Ost und West verbindet. Darum sehen wir deutlich, daß der Mensch die Natur beherrscht.
Kann nun, bei dieser systematischen Ordnung und Gesetzmäßigkeit, die man im ganzen Dasein erkennt, gesagt werden, dies alles sei aus dem Wirken der Natur heraus entstanden, obwohl sie selbst weder Verstand noch Wahrnehmungsvermögen besitzt? Dies zeigt uns deutlich, daß diese Natur, die weder Verstand noch Einsicht hat, in der Hand des Allmächtigen ruht und daß Er das Reich der Natur regiert und in ihr alles, was Er will, erscheinen läßt.
Eines der Dinge, welches in der Welt des Daseins erschienen ist und eine Naturnotwendigkeit darstellt, ist das menschliche Leben. So betrachtet, wird die Natur zur Wurzel und der Mensch zum Zweige. Ist es wohl möglich, daß Wille, Verstand und Vollkommenheit nur im Zweig, nicht aber in der Wurzel wären?
Daraus geht klar hervor, daß die Natur in ihrem innersten Wesen in der machtvollen Hand Gottes ruht. Der ewig Allmächtige und Eine ist es, Der die Natur in ihren ehernen Bahnen und Gesetzen hält und ihr Herrscher ist.¹
¹ Zur Idee Gottes cf. Kap.37: "Gott kann nur durch die göttlichen Offenbarer erkannt werden", p.146-215, und Kap. 59: "Menschliche Gotteserkenntnis", p.213. Der Bahá'í-Glaube vertritt keine anthropomorphe Gottesauffassung. Wenn in dieser Abhandlung die übliche Terminologie angewendet wird, erfolgt eine sorgfältige Erklärung der symbolischen Bedeutung.
Ein umwiderlegbarer Beweis für das Dasein Gottes ist die Tatsache, daß sich der Mensch nicht selbst erschaffen hat. Sein Schöpfer und Bildner ist ein anderer als er selber.
Es ist gewiß und außer Zweifel, daß der Schöpfer des Menschen anders als der Mensch ist; denn ein schwaches Geschöpf kann nicht der Schöpfer eines anderen Wesens sein. Im Schöpfer müssen alle Vollkommenheiten vereint sein, damit er erschaffen kann.
Wäre es möglich, daß die Schöpfung vollkommen ist und der Schöpfer unvollkommen? Ist es denkbar, daß ein Bild ein Meisterwerk ist, und der Maler nicht in seiner Kunst vollkommen? Das Bild ist doch seine Kunst und seine Schöpfung. Nein, das Bild kann nicht einmal dem Maler gleichkommen, denn wäre es wie er, dann könnte es sich ja selber malen. Wie vollkommen das Bild auch sein mag, so bleibt es doch im Vergleich zum Maler völlig unvollkommen.
Bedingtsein ist die Quelle der Unvollkommenheit, während Gott die Quelle der Vollkommenheit ist. Die Unvollkommenheit der bedingten Welt ist an sich ein Beweis für die Vollkommenheit Gottes.
Wenn du zum Beispiel den Menschen betrachtest, so siehst du, daß er schwach ist. Diese Schwachheit des Geschöpfes ist ein Beweis für die Stärke des ewig Allmächtigen und Einen, denn wenn es keine Stärke gäbe, wäre Schwäche unvorstellbar. Daher erweist die Schwäche des Geschöpfes die Stärke des Schöpfers, denn wenn es keine Stärke gäbe, könnte auch keine Schwäche sein. Die Schwäche selbst beweist uns, daß es in der Welt Stärke geben muß. Ein anderes Beispiel ist die Armut in dieser bedingten Welt. Zweifellos muß es auch Reichtum geben, da Armut auf der Erde offensichtlich ist. Ferner gibt es in dieser bedingten Welt Unwissenheit. Deshalb muß es auch Wissen geben, denn gäbe es kein Wissen, so könnten wir auch keine Unwissenheit feststellen. Unwissenheit ist das Nichtsein von Wissen, und wenn es kein Sein gäbe, wäre auch ein Nichtsein nicht vorstellbar.
Es ist gewiß, daß diese ganze bedingte Welt unter einer Ordnung und unter Gesetzen steht, denen sie sich nicht zu entziehen vermag. Sogar der Mensch ist dem Tode, dem Schlaf und anderen Naturgesetzen unterworfen. Er wird in mancherlei Hinsicht beherrscht, und zweifellos muß dieser Beherrschte einen Herrscher haben. Weil Abhängigkeit ein Kennzeichen für bedingte Wesen und eine wesentliche Notwendigkeit ist, muß auch ein unabhängiges Wesen existieren, zu dessen Wesen Unabhängigkeit gehört.
So erkennen wir zum Beispiel an einem Kranken, daß es Gesundheit geben muß, denn gäbe es keine Gesundheit, könnte auch keine Krankheit erwiesen werden.
Daraus geht hervor, daß es einen ewig Allmächtigen und Einen gibt, Der alle Vollkommenheiten in Sich vereint, denn besäße Er sie nicht, wäre Er Seinen Geschöpfen gleich.
So beweist auch das kleinste erschaffene Ding in dieser Welt des Daseins, daß es einen Schöpfer gibt. Zum Beispiel beweist dieses Stück Brot, daß jemand es hergestellt hat.
Gelobt sei Gott! Die geringste Veränderung in der Form des unscheinbarsten Dinges weist darauf hin, daß sie einen Urheber haben muß. Und dieses gewaltige und unendliche Weltall sollte sich selber erschaffen haben und durch die Tätigkeit der Elemente und Stoffe aus sich Selbst entstanden sein? Welch ein wunderlicher Irrtum ist eine solche Annahme. Diese handgreiflichen Beweise werden für schwache Seelen angeführt, denn wo sich das innere Auge auftut, sieht es hunderttausendfach klare Beweise. Damit soll gesagt sein, daß der Mensch, der den Geist in seinem Inneren fühlt, keines weiteren Beweises für das Vorhandensein des Geistes bedarf. Aber für jene Menschen, die der Segnungen des Geistes nicht teilhaftig sind, muß man Beweise aus der gegenständlichen Welt erbringen.
Betrachten wir die Welt des Daseins, so sehen wir, daß das Mineral, die Pflanze, das Tier und der Mensch einen Erzieher brauchen.
Bleibt die Erde unbebaut, so wird sie zur Wildnis, in der Unkraut wächst. Wenn aber der Bauer kommt und sie beackert, bringt sie Ernten hervor, die als Nahrung für Lebewesen dienen. Daraus ergibt sich klar, daß die Bearbeitung der Erde durch den Bauer notwendig ist. Betrachte die Bäume: Ohne die Pflege des Gärtners würden sie keine Früchte tragen, und ohne Früchte wären sie nutzlos. Durch die Pflege des Gärtners aber werden diese ertraglosen Bäume Früchte hervorbringen, und durch Pflege, Veredelung und Pfropfung geben Bäume, die bittere Früchte trugen, süße her. Dies sind verstandesmäßige Beweise, denn heute benötigen die Menschen logische Beweisgründe.
Betrachte in gleicher Weise die Tierwelt: Wird ein Tier vom Menschen gepflegt und erzogen, so wird es zum Haustier. Wenn dagegen ein Mensch ohne Erziehung aufwächst, so wird er zum Tier, ja, wenn er der Natur allein überlassen bleibt, sinkt er sogar unter das Tier herab; wenn er aber richtig erzogen wird, kann er zum Engel werden. Tatsächlich fressen die meisten Tiere nicht ihre Artgenossen auf, während manche Menschen im Inneren Afrikas noch ihresgleichen töten und fressen.
Bedenke nun, daß es die Erziehung ist, die den Osten und den Westen unter die Herrschaft des Menschen bringt. Die Erziehung bringt wunderbare Gewerbe zur Vollkommenheit und unterhält herrliche Wissenschaften und Künste. Sie ist es, die neue Entdeckungen und Gesetze offenbar macht. Gäbe es keinen Erzieher, wären solche Dinge, die das Leben bequem und leichter machen, oder zum Beispiel Kultur und Menschlichkeit nicht da. Wenn man einen Menschen in der Wildnis sich selbst überläßt, und er seinesgleichen nicht sieht, wird er zweifellos wie ein Tier werden. Damit haben wir klar die Notwendigkeit eines Erziehers bewiesen.
Es gibt drei Arten der Erziehung: die körperliche, die menschliche und die geistige Erziehung.
Die körperliche Erziehung befaßt sich mit Fortschritt und Entwicklung des Körpers, indem sie materielle Erleichterungen, Behaglichkeit und Entspannung für ihn sicherstellt. Sie gilt in gleicher Weise für Menschen und Tiere.
Die menschliche Erziehung bedeutet Kultur und Fortschritt, nämlich Regierung, Verwaltung, Wohlfahrtseinrichtungen, Verkehr, Handel und Gewerbe, Künste, Natur- und Geisteswissenschaften, große Erfindungen und Entdeckungen physikalischer Gesetze. Diese Äußerungen des Menschengeistes machen den Unterschied zur Tierwelt deutlich.
Die geistige, göttliche Erziehung ist die Erziehung zum Himmelreich. Durch sie erwirbt der Mensch göttliche Vollkommenheiten. Sie ist die wahre Erziehung, denn auf dieser Stufe tritt das Göttliche im Menschen in Erscheinung, und die Worte "Lasset Uns Menschen schaffen nach Unserem Bild und Gleichnis", werden in ihm offenbar. Dies ist das höchste Ziel der Menschheit.
Dazu brauchen wir einen Erzieher, der zugleich körperlicher, menschlicher und geistiger Erzieher ist, und dessen Autorität in allen Bereichen Einfluß hat. Wenn jemand sagen wollte: "Ich habe einen vollkommenen Verstand und ein rasches Auffassungsvermögen und bedarf dieses Erziehers nicht", so würde er selbstverständliches leugnen und wie ein Kind sein, das sagen würde: "Ich brauche keine Erziehung, ich werde nach meiner Einsicht und Vernunft verfahren und so alle Vollkommenheiten der Welt erwerben", oder er wäre wie ein Blinder, der sagen würde: "Ich brauche kein Augenlicht, denn es gibt viele Blinde, die sich zurechtfinden können."
Die Notwendigkeit eines Erziehers für den Menschen ist demnach klar und deutlich erwiesen. Dieser Erzieher muß zweifellos auf allen Gebieten vollkommen sein und alle anderen Menschen übertreffen, denn sonst könnte er nicht ihr Erzieher sein, um so mehr, da er ihr körperlicher, menschlicher und zugleich geistiger Erzieher sein muß. Dies bedeutet, daß er die Menschen lehrt, die materiellen Dinge zu ordnen und voranzubringen und die menschliche Gemeinschaft so zu gestalten, daß gegenseitige Hilfe und Fürsorge eingerichtet und alle materiellen Fragen in jeglichen Verhältnissen geordnet und geregelt werden.
Ebenso wird er die Erziehung des Menschen in die Wege leiten. Das heißt, er muß Verstand und Gedanken so erziehen, daß sie umfassende Fortschritte machen können, so daß Wissenschaften und Erkenntnisse sich auf größere Gebiete ausdehnen und die Wirklichkeit der Dinge, die Geheimnisse der Geschöpfe und die Eigentümlichkeiten des Daseins entdeckt, Unterweisungen, Erfindungen und Gesetze mit jedem Tag verbessert werden, und daß Schlüsse aus den Sinneswahrnehmungen der materiellen Welt in bezug auf die geistige Welt gezogen werden können.
Genau so muß er geistige Erziehung vermitteln, damit Verstand und Erkenntnis die göttliche Welt zu durchdringen vermögen und, durch den weihevollen Odem des Heiligen Geistes begnadet, die Verbundenheit mit den höchsten Heerscharen gewinnen. Durch ihn muß das menschliche Wesen so sehr zum Erscheinungsort des Göttlichen werden, daß die Namen und Eigenschaften Gottes im Spiegel der Wirklichkeit des Menschen erstrahlen und der gesegnete Vers: "Lasset Uns Menschen machen nach Unserem Bild und Gleichnis", verwirklicht wird.
Es ist klar, daß menschliche Kraft allein nicht zur Erfüllung eines so großen Auftrages ausreicht und daß durch den Verstand allein so hohe Aufgaben nie gelöst werden können. Wie wäre ein einzelner Mensch ohne Hilfe und Beistand fähig, den Grund zu diesem erhabenen Bau zu legen? Es muß ihm also eine geistige, göttliche Kraft zu Hilfe kommen, damit er eine solche Aufgabe zu bewältigen vermag. Eine einzige heilige Seele kann dann die ganze Menschheit beleben und das Antlitz unseres Planeten verwandeln. Sie fördert die Verstandeskräfte, erweckt die Seelen und begründet ein neues Leben, legt das Fundament zu einer wunderbaren Neuschöpfung, verleiht der Welt eine neue Ordnung und vereinigt die Völker und Religionen unter dem Schutz eines einzigen Banners. Sie befreit die Menschen von Unvollkommenheit und Laster und beseelt sie mit Sehnsucht und dem Verlangen nach angeborenen und erworbenen Tugenden. Sicherlich muß die Kraft, die ein solches Werk vollbringen soll, göttlich sein. Wir müssen bei der Beurteilung dieser Frage gerecht sein, denn hier ist Gerechtigkeit nötig.
Eine Sache, die alle Regierungen und Völker der Welt mit all ihrer Macht und ihren Heeren nicht zu verkündigen und auszubreiten vermögen, wird durch eine einzige heilige Seele ohne Hilfe und Beistand vorwärtsgebracht! Ist dies den menschlichen Kräften möglich? Nein, bei Gott! So hat Christus allein und ohne Hilfe das Banner des geistigen Friedens und der Rechtschaffenheit erhoben, während alle siegreichen Regierungen mit ihren Heeren dazu unfähig waren. Denke daran, was aus so vielen verschiedenen Reichen und Völkern wurde: Das römische Reich, Frankreich, Deutschland, Rußland, England und andere; alle versammelten sich unter dem einen Zelt. Damit soll gesagt sein, daß das Erscheinen Christi diese verschiedenartigen Völker zur Einigkeit führte. Unter dem Einfluß des Christentums ging diese Einigkeit bei manchen dieser Völker so weit, daß sie Gut und Leben füreinander opferten. Nach der Zeit Konstantins, des Vorkämpfers für die Christenheit, brach allerdings wieder Uneinigkeit unter ihnen aus. Der Punkt aber, auf den es mir ankommt, ist, daß Christus etwas vollbracht hat, was alle die Könige der Erde nicht fertigbringen konnten. Er vereinigte die verschiedenen Religionen und änderte alte Sitten. Bedenke, welch große Verschiedenheit zwischen Römern, Griechen, Syriern, Ägyptern, Phöniziern, Israeliten und anderen Völkern Europas bestanden hatte. Christus hob alle Gegensätze auf und wurde zum Vermittler der Liebe zwischen diesen Völkern. Obwohl ihre Regierungen diese Einheit später zerstörten, hatte Christus Sein Werk doch vollendet.
Ein vollkommener Erzieher muß demnach gleichzeitig nicht nur ein körperlicher, sondern auch menschlicher und geistiger Erzieher sein; und es muß ihm eine übernatürliche Kraft gegeben sein, die ihn zum hohen Rang des göttlichen Lehrers erhebt. Wenn er keine so heilige Kraft besäße, könnte er nicht erziehen, denn wäre er selber unvollkommen, wie könnte er dann vollkommene Erziehung vermitteln? Wenn er unwissend wäre, wie könnte er andere zum Wissen führen? Wenn er selber ungerecht wäre, wie könnte er andere gerecht machen, oder wenn er selber irdisch gesinnt wäre, wie könnte er andere göttlich machen?
Nun müssen wir gerecht prüfen, ob die göttlichen Offenbarer¹, die in die Welt gekommen sind, alle diese Eigenschaften besessen haben. Wenn sie diese Eigenschaften und Vollkommenheiten nicht besaßen, konnten sie keine wahren Erzieher sein.
¹ Göttliche Offenbarer sind die Begründer der Religionen. cf. dazu Kap.43: "Die Zwei Arten von Propheten", p.163
Wir müssen daher die Prophetenschaft Mose, Christi und der anderen Offenbarer Gottes durch verstandesmäßige Beweise für verständnisvolle Menschen prüfen. Diese Beweise und Zeugnisse, die Wir anführen wollen, dürfen sich nicht auf überlieferte Argumente, sondern nur auf verstandesmäßige stützen.
Es wurde jetzt durch vernünftige Schlußfolgerung bewiesen, daß für die Welt ein Erzieher von größter Notwendigkeit ist und daß diese Erziehung durch göttliche Kraft bewirkt werden muß. Ohne Zweifel ist diese göttliche Kraft auf Eingebung zurückzuführen, und die Erziehung der Menschheit durch diese Kraft, die über jeder menschlichen Fähigkeit steht, ist eine Notwendigkeit.
Abraham gehörte zu den Menschen, die diese Kraft besaßen und von ihr geführt worden sind. Er wurde in Mesopotamien geboren und stammte aus einer Familie, die nichts von der Einheit Gottes wußte. Indem Er alle ihre Götter verwarf, geriet Er in Widerspruch zu Seinem Volk und Seinen Verwandten, ja sogar zu Seiner eigenen Familie. Er widersetzte Sich allein und ohne Hilfe einem mächtigen Stamm, was wahrlich weder leicht noch einfach ist. Es war so, als wollte heute jemand bei einem christlichen Volke, das an die Bibel glaubt, Christus verleugnen, oder Ihn - möge mir Gott verzeihen! - in der Umgebung des Papstes im Widerspruch zur Christenheit aufs heftigste schmähen.
Die damaligen Menschen glaubten nicht an einen Gott, sondern an viele Götter, denen sie Wundertätigkeit zuschrieben. Daher erhoben sich alle gegen Abraham. Außer Seinem Neffen Loth und ein oder zwei anderen einflußlosen Menschen hielt niemand zu Ihm. Schließlich mußte Er, durch den Widerstand Seiner Feinde in äußerste Bedrängnis gebracht, Seine Heimat verlassen. Vielmehr verbannten sie Ihn, um Ihn zu Grunde zu richten und jede Spur von Ihm auszulöschen.
Dann kam Abraham in das Heilige Land. Seine Feinde hatten geglaubt, daß diese Vertreibung zu Seiner Vernichtung und zu Seinem Untergang führen würde, da es unmöglich schien, daß ein Mensch, selbst wenn er ein König wäre, dem Tod oder der Unterjochung entrinnen könnte, wenn er aus seiner Heimat vertrieben, seiner Rechte beraubt und in jeder Weise unterdrückt wird. Aber Abraham hielt stand und bewies eine außergewöhnliche Beharrlichkeit. Gott ließ Seine Vertreibung zu ewiger Ehre werden, weil Er die Lehre von der Einheit Gottes inmitten eines Geschlechts begründete, das der Vielgötterei huldigte. Durch diese Verbannung wurden Seine Nachkommen mächtig und erhielten das Heilige Land geschenkt. Seine Lehren wurden verbreitet, aus Seinen Nachkommen gingen Jakob und Joseph, der Herrscher in Ägypten wurde, hervor und später Moses und Christus. Durch diese Vertreibung fand Abraham Hagar¹, und von ihr wurde Ismá'íl² geboren, aus dessen Nachkommen der Prophet Muhammad und später der Báb hervorgingen. Auch die Propheten Israels werden zu Abrahams Nachfahren gerechnet. So geht dies in alle Ewigkeit weiter. Schließlich kamen infolge Seiner Verbannung ganz Europa und der größte Teil Asiens unter den Schutz des Gottes Israels.
¹ Kebsweib Abrahams 1.Mos.16)
² Begründer einiger arabischer Stämme, der Ismá'íliten.
Nun bedenke, wie groß die Kraft sein mußte, die einen Flüchtling befähigte, eine so bedeutende Familie und eine so große Religion zu begründen und solche Lehren zu verbreiten. Kann da jemand behaupten, daß dies alles ein Zufall sei? Man muß es gerecht beurteilen: war dieser Mensch ein Erzieher oder nicht?
Mit etwas Überlegung könnte man sich fragen: Wenn die Verbannung Abrahams von Ur nach Aleppo in Syrien solche Auswirkungen hatte, was muß dann die Verbannung der Gesegneten Schönheit, Bahá'u'lláh, von Tihrán nach Baghdád, von dort nach Konstantinopel, dann nach Adrianopel und schließlich ins Heilige Land zur Folge haben!
Sieh, welch ein vollendeter Erzieher Abraham war!
Moses war lange Zeit Hirte in der Einöde. Rein äußerlich gesehen, war Er ein Mensch, der in einem tyrannischen Haushalt erzogen worden war, und die Leute wußten, daß Er einen Mord begangen hatte. Bei den Beamten und Priestern Pharaos war Er im höchsten Grade verhaßt und verabscheut.
Aber dieser Mann befreite ein großes Volk aus den Ketten der Gefangenschaft und brachte ihm Zufriedenheit. Er führte es aus Ägypten heraus und schließlich in das Heilige Land.
Dieses Volk wurde von den Tiefen der Erniedrigung zur Höhe des Ruhmes emporgehoben. Es war gefangen und wurde frei; es war das unwissendste unter den Völkern und wurde zum klügsten. Als Folge der Einrichtungen, die Moses ihm gab, erreichte es eine Stellung, die es zur Ehrenstelle unter allen Völkern berechtigte, und sein Ruf erfüllte die Welt. Dies ging so weit, daß die Nachbarvölker, wenn sie jemanden loben wollten, sagten: "Sicherlich ist er ein Jude." Moses gab die religiösen und staatlichen Gesetze, die das jüdische Volk neu belebten und es den höchsten Grad der damaligen Kultur erreichen ließen.
Es erreichte eine so hohe Entwicklungsstufe, daß die Weisen Griechenlands die berühmten Männer Israels als Muster der Vollkommenheit ansahen. Einer von diesen war Sokrates, der Syrien besuchte und von den Kindern Israels die Lehren von der Einheit Gottes und der Unsterblichkeit der Seele übernahm. Nach seiner Rückkehr verkündete er diese Lehre in Griechenland. Später empörten sich die Griechen gegen ihn, klagten ihn der Gottlosigkeit an, stellten ihn vor Gericht und verurteilten ihn zum Tod durch Gift.
Ein Mensch mit einer schweren Zunge, Der im Hause des Pharao aufgewachsen und unter den Leuten als Mörder verrufen war, Der sich lange aus Furcht verborgen halten mußte und darum Hirte geworden war, - wie konnte solch ein Mann ein so gewaltiges Werk errichten, während die größten Philosophen der Erde nicht ein Tausendstel solchen Einflusses erkennen ließen? Sicherlich ist dies ein Wunder.
Einem Mann, Der stotterte und unfähig war, eine richtige Unterhaltung zu führen, gelang es, einen so großen Glauben zu verkünden! Ohne göttlichen Beistand hätte Er niemals dieses große Werk vollbringen können. Dies sind die Tatsachen, die niemand leugnen kann. Wissenschaftler, die Philosophen Griechenlands und die großen Römer wurden weltberühmt, obwohl jeder von ihnen nur einen Wissenszweig beherrschte. So errangen zum Beispiel Galenus¹ und Hippokrates² in der Heilkunde, Aristoteles³ in der Logik und Beweisführung, Plato(4) in der Ethik und Theologie eine große Berühmtheit. Wie war es möglich, daß ein Hirte all dieses Wissen begründen konnte? Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Er von einer allgewaltigen Macht unterstützt war.
Überlege, wie viele Prüfungen und Schwierigkeiten über die Menschen kommen. Moses hatte, um eine Grausamkeit zu verhindern, einen Ägypter erschlagen und war unter dem Volk als Mörder verrufen, um so mehr, als der Getötete dem Herrschervolk angehörte. Dennoch wurde Er nach Seiner Flucht zum Offenbarer auserwählt!
Trotz Seines schlechten Rufs, wie wunderbar wurde Er durch eine überirdische Macht geführt, als Er Seine großen Einrichtungen und Gesetze begründete!
¹ Galenus war ein römischer Arzt, der die antike Heilkunde in ein logisch durchdachte System brachte. Er lebte 129-199 n.Chr.
² Hippokrates (ca. 460-377 v.Chr.), ein griechischer Arzt, begründete die eigentliche wissenschaftliche ärztliche Kunst.
³ Aristoteles (384-322 v.Chr.) war ein berühmter griechischer Philosoph.
(4) Plato (417-347 v.Chr.) war ein Schüler des Sokrates und ein bekannter Philosoph in Griechenland.
Später erschien Christus und sprach: "Ich bin vom Heiligen Geiste geboren." Wenn es auch heute für die Christen leicht ist, dies zu glauben, so war es doch zu jener Zeit sehr schwer, und wir hören aus dem Neuen Testament, daß die Pharisäer einwandten: "Ist dies nicht der Sohn des Joseph von Nazareth, den wir kennen, wie kann er sagen `Ich bin vom Himmel gekommen`?"
Obwohl Er, äußerlich gesehen und in den Augen aller, aus niedrigem Stande war, erhob Er Sich mit solcher Macht, daß Er religiöse Gesetze, die fünfzehnhundert Jahre bestanden hatten, abschaffte, obgleich jeder, der sich der kleinsten Übertretung schuldig machte, in größte Gefahr geriet und sein Leben aufs Spiel setzte. Ja, noch mehr: Zu Christi Zeit waren das sittliche Verhalten der ganzen Welt und der Zustand der Kinder Israel völlig verdorben und zerrüttet, und die Stämme Israels befanden sich in tiefer Erniedrigung, Knechtschaft und Not. Sie fielen in die Gefangenschaft der Chaldäer¹ und Perser, wurden ein anderes Mal von den Assyrern versklavt, dann wieder zu Untertanen und Vasallen der Griechen. Als Christus kam, wurden sie von den Römern beherrscht und verachtet.
¹ Ein aramäischer Volksstamm, der seit 1000 v.Chr. in Babylon ansässig war. Nebukadnezar war der berühmteste Vertreter der chaldäischen Dynastie.
Christus hob als junger Mensch mit Hilfe einer überirdischen Macht das alte mosaische Gesetz auf, verbesserte das allgemeine sittliche Verhalten und legte zum zweiten Male den Grund zum ewigen Ruhm für das Volk Israel. Darüber hinaus brachte Er der Menschheit allgemeinen Frieden und verkündete Lehren, die nicht nur für das Volk Israel bestimmt waren, sondern die Grundlage für das allumfassende Glück der menschlichen Gemeinschaft bildeten.
Die ersten, die sich erhoben, um Ihn zu vernichten, waren die Israeliten, Sein eigener Stamm. Rein äußerlich gesehen, überwältigten sie Ihn und stürzten Ihn in tiefste Erniedrigung. Schließlich setzten sie Ihm die Dornenkrone aufs Haupt und kreuzigten Ihn. Aber Christus verkündete in der Stunde Seiner scheinbar höchsten Not und Trübsal: "Diese Sonne wird strahlen, dieses Licht wird scheinen, und Meine Gnade wird die Welt umfassen, und alle Meine Feinde werden erniedrigt sein." Was Er gesagt hatte, ging in Erfüllung. Alle Könige der Welt haben Ihm nicht widerstehen können, ja mehr noch, die Banner aller Könige gingen unter, das Banner jenes Unterdrückten aber wurde zum Gipfelpunkt erhoben.
Dies widerspricht völlig aller menschlichen Vernunft. Damit ist klar und deutlich erwiesen, daß dieses strahlende Wesen als wahrhafter Erzieher des Menschengeschlechtes von Gottes Macht getragen und bestätigt worden ist.
Nun zu Muhammad. Die Menschen in Europa und Amerika haben viele Geschichten über Muhammad gehört und halten sie für wahr, obwohl die Meinung der Erzähler oft durch Unwissenheit oder Haß getrübt war. Die meisten von ihnen waren christliche Priester. Auch ungebildete Anhänger des Islam haben unbegründete Überlieferungen über Muhammad verbreitet und vermeint, Ihn damit zu preisen.
So wurde Seine Mehrehe von unwissenden Muhammadanern zum Mittelpunkt ihrer Lobsprüche gemacht. Sie betrachteten sie als etwas Wunderbares und behaupteten, daß sie etwas Besonderes sei. Die meisten europäischen Geschichtsschreiber stützen sich auf die Aussagen jener Toren.
Zum Beispiel hat solch ein Törichter einem christlichen Priester erzählt: "Das Zeichen der Größe ist Tapferkeit und Blutvergießen; ein Gefährte Muhammads hat an einem Tage auf dem Schlachtfeld hundert Männern den Kopf abgeschlagen." Daraus folgerte dieser Geistliche, daß das Töten als Mittel angesehen wird, seinen Glauben an Muhammad zu beweisen, was reine Einbildung ist. Die militärischen Unternehmungen Muhammads waren im Gegenteil immer Verteidigungskriege. Ein Beweis hierfür ist, daß während dreizehn Jahren in Mekka Er und Seine Jünger die heftigsten Verfolgungen erduldeten. Sie waren in dieser Zeit das Ziel für die Pfeile des Hasses. Einige Seiner Gefährten wurden getötet und ihres Vermögens beraubt, andere flohen in fremde Länder. Muhammad Selbst floh mitten in der Nacht nach Medina, nachdem die Quraischiten¹, die Ihn bis zum äußersten verfolgt hatten, entschlossen waren, Ihn zu ermorden. Jedoch auch dann ließen Seine Feinde nicht ab, sondern verfolgten Ihn bis nach Medina und Seine Jünger sogar bis Abessinien.
¹ Ein arabischer Stamm, der z.Z. Muhammads in Mekka seinen Wohnsitz hatte und dem auch der Offenbarer angehörte.
Diese arabischen Stämme standen auf der tiefsten Stufe der Barbarei und Rohheit. Mit ihnen verglichen, waren die Wilden und die unzivilisierten Indianer Amerikas entwickelt wie ein Platon. Denn die amerikanischen Wilden begruben nicht ihre Kinder lebendig, wie es diese Araber mit ihren Töchtern taten, wobei sie noch wie auf eine edle Tat stolz darauf waren¹. So sagten viele Männer drohend zu ihren Frauen: "Wenn du eine Tochter zur Welt bringst, töte ich dich." Selbst bis auf den heutigen Tag bedauern es die Araber, wenn ihnen ein Mädchen geboren wird. Ferner, wenn ein Mann wollte, konnte er sich tausend Frauen nehmen, und die meisten Männer hatten über zehn Frauen in ihrem Haushalt. Wenn diese Stämme Krieg machten, nahm der siegreiche die Frauen und Kinder des unterworfenen Stammes gefangen und behandelte sie wie Sklaven.
¹ Die Baní-Tamín, einer der wildesten arabischen Stämme, übten diese grausame Sitte aus.
Starb ein Mann, der zehn Frauen gehabt hatte, nahmen die Söhne Besitz von ihren gegenseitigen Müttern. Und wenn ein Sohn seinen Mantel über eine Frau seines Vaters geworfen und ausgerufen hatte "Diese Frau ist mein gesetzliches Eigentum", wurde die unglückliche Frau sofort seine Gefangene und Sklavin. Er konnte mit ihr anfangen, was er wollte. Er konnte sie töten, in einer Grube gefangen halten oder sie schlagen, verwünschen und mißhandeln, bis der Tod sie erlöste. Nach arabischem Brauch war er ihr Herr. Augenscheinlich müssen Bosheit, Eifersucht, Haß und Feindschaft zwischen den Frauen und Kindern eines Haushalts geherrscht haben, und es ist deshalb nicht nötig, sich weiter über diesen Gegenstand auszulassen. Bedenke noch einmal, wie die Stellung und das Leben dieser unterdrückten Frauen waren! Darüber hinaus lebten diese arabischen Stämme von Plünderung und Raub, so daß sie dauernd durch Kampf und Krieg in Anspruch genommen waren, einander töteten, Hab und Gut gegenseitig plünderten und verwüsteten, Frauen und Kinder gefangennahmen und an Fremde verkauften. Wie oft geschah es, daß Töchter und Söhne eines Fürsten, die ihre Tage zu Nächten der Gefallsucht und des größten Luxus gemacht hatten, ihre Nächte in Morgen schrecklicher Schmach, Armut und Gefangenschaft verwandelt sahen¹. Gestern waren sie Fürsten gewesen, heute Gefangene; gestern große Damen, heute Sklavinnen.
¹ Im Persischen: " ... eines Fürsten den Tag in Anmut und Reichtum verbrachten, der nächste Morgen aber brachte ihnen schreckliche Schmach ..."
Unter diesen Stämmen war Muhammad groß geworden. Nachdem Er dreizehn Jahre der Verfolgung durch sie ausgehalten hatte, floh Er¹. Aber diese Menschen hörten nicht mit der Bedrückung auf. Sie vereinigten sich, um Ihn und alle Seine Anhänger auszurotten. Unter solchen Umständen war Muhammad gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Das ist die Wahrheit. Wir sind persönlich nicht blindgläubig und wollen Ihn auch nicht in Schutz nehmen, aber wir sind gerecht und sagen, was richtig ist. Betrachte es in Gerechtigkeit. Wenn Christus Selbst unter derartigen Umständen zu solch tyrannischen und barbarischen Stämmen gesandt worden wäre, und wenn Er dreizehn Jahre lang in Geduld mit Seinen Jüngern alle diese Prüfungen ertragen hätte, die in der Flucht aus Seiner Heimat gipfelten - wenn diese gesetzlosen Stämme Ihn weiterhin verfolgt hätten, um die Männer zu töten, Hab und Gut zu plündern und Frauen und Kinder gefangenzunehmen, wie hätte Sich Christus ihnen gegenüber verhalten? Hätte diese Unterdrückung Ihm allein gegolten, hätte Er ihnen verziehen, was im höchsten Maß anerkennenswert gewesen wäre. Aber wenn Er gesehen hätte, daß diese grausamen und blutdürstigen Mörder die Unterdrückten quälen, überfallen und töten und die Frauen und Kinder gefangennehmen, so würde Er sie zweifellos beschützt und Sich der Bedrücker erwehrt haben. Was kann man demnach Muhammad vorwerfen? Etwa, daß Er Sich nicht mit Seinen Gefährten, ihren Frauen und Kindern den gottlosen Stämmen unterwarf? Diese Volksstämme von ihrem Blutdurst zu heilen, war höchste Güte, und Zwang und Widerstand gegen sie die reinste Gnade. Sie glichen einem Menschen, der einen Giftbecher in der Hand hält und gerne daraus trinken will, dem aber ein Freund den Becher aus der Hand schlägt und so das Leben rettet. Wenn Christus in dieser Lage gewesen wäre, hätte Er bestimmt mit siegreicher Macht die Männer, Frauen und Kinder aus den Krallen dieser blutdürstigen Wölfe befreit.
¹ nach Medina
Muhammad hat nie die Christen bekämpft, sondern große Rücksichten auf sie genommen und ihnen volle Freiheit gelassen. In Najrán lebte eine Christengemeinde, die Seiner Sorge und Führung unterstand. Er sagte: "Jeder, der ihre Rechte mißachtet, ist Mein Feind, und Ich werde bei Gott Klage gegen ihn erheben." Die Verordnungen, die darüber niedergeschrieben wurden, drücken dies ganz klar aus: "Leben, Gut und Gesetze der Christen und Juden stehen unter dem Schutze Gottes. Wenn ein Muslim eine christliche Frau heiratet, so darf er sie nicht daran hindern, in die Kirche zu gehen, und darf sie nicht zwingen, den Schleier zu tragen; wenn sie stirbt, soll er ihr Begräbnis einem christlichen Priester überlassen. Wenn die Christen eine Kirche bauen wollen, sollen die Muhammadaner ihnen helfen. Wenn die Muhammadaner gegen ihre Feinde Krieg führen, sollen die Christen vom Kriegsdienst befreit sein, außer wenn es ihr eigener Wunsch ist, daran teilzunehmen, um dem Islam zu helfen. Als Gegenleistung für dieses Privileg sollen sie jährlich eine kleine Summe bezahlen." Kurz gesagt, es gibt sieben ausführliche Edikte zu dieser Frage, von denen einige bis heute in Jerusalem aufbewahrt sind. So ist der wahre Sachverhalt, und nicht ich allein sage dies. Der Erlaß des zweiten Kalifats¹ befindet sich noch heute in der Obhut des orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, und es kann kein Zweifel darüber bestehen².
¹ 'Umar
² Vgl. das Buch von Jurji Zaydan "Umayyads and Abbasids", übersetzt von D.S. Margoliouth (engl.)
Dennoch entstanden mit der Zeit zwischen den Muhammadanern und den Christen Haß und Feindschaft, weil beide ihre Rechte überschritten. Unabhängig von dieser Tatsache sind alle die Erzählungen der Muhammadaner, Christen und anderer einfach Erdichtungen, die ihren Ursprung in Fanatismus oder Unwissenheit haben, außer wenn sie aus Feindschaft entstanden sind.
Zum Beispiel sagen die Muhammadaner, daß Muhammad den Mond gespalten habe und dieser auf den Berg bei Mekka gefallen sei. Sie glauben, daß der Mond ein kleiner Körper sei, den Muhammad in zwei Teile zerschlagen und von dem Er einen Teil auf diesen Berg und den anderen auf jenen geworfen habe.
Solche Geschichten entstanden aus reinem Fanatismus. Auch die mündlichen Überlieferungen der Geistlichen und die Vorfälle, die sie tadeln, sind alle übertrieben oder ganz ohne Grundlage.
Kurz gesagt: Muhammad erschien in der Wüste Hijáz, auf der arabischen Halbinsel, einer trostlosen, unfruchtbaren, sandigen und spärlich bevölkerten Einöde. Einige Orte, wie Mekka und Medina, sind übermäßig heiß. Die Bewohner sind Nomaden mit den Sitten und Gebräuchen der Wüstenbewohner und bar jedes Wissens und jeder Bildung. Muhammad Selbst war ungelehrt, und der Qur'án war ursprünglich auf Schafschulterknochen und Palmblätter geschrieben. Aus diesen Hinweisen kann man die Lage des Volkes, zu dem Er gesandt worden ist, ermessen. Die erste Frage, die Er ihnen stellte, war: "Warum nehmt ihr nicht das Alte Testament¹ und die Evangelien an, und warum glaubt ihr nicht an Christus und Moses?" Diese Worte kamen sie hart an, und sie erwiderten: "Unsere Vorfahren haben doch auch nicht an das Alte Testament und die Evangelien geglaubt - wie kam das?" Er antwortete ihnen: "Sie waren Verirrte, ihr müßt euch von Menschen, die nicht an das Alte Testament und die Evangelien glauben, lossagen, selbst wenn diese eure Väter und Ahnen waren."
¹ Wörtlich: Pentateuch
In einem solchen Land und unter so wilden Stämmen brachte ein ungelehrter Mann ein Buch hervor, in dem Er in vollkommenem und ausdrucksvollem Stil die göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten, die Prophetenschaft der Gottesgesandten, die göttlichen Gesetze und wissenschaftlichen Tatsachen erklärte.
So weißt du, daß vor den Entdeckungen der neueren Zeit, also von den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung bis zum fünfzehnten Jahrhundert, alle Gelehrten der Welt sich in ihrer Meinung über die zentrale Stellung der Erde und die Bewegung der Sonne um die Erde einig waren. Erst jener bahnbrechende Astronom¹ legte den Grund zu einer neuen Theorie, durch die die Bewegung der Erde und die Unbeweglichkeit der Sonne entdeckt wurden. Bis dahin hatten alle Astronomen und Philosophen der Welt an den ptolemäischen Lehrsatz geglaubt, und jeder, der ein Wort gegen diese Regel gesagt hätte, wäre für unwissend gehalten worden.
¹ Kopernikus 1473-1543
Obwohl Pythagoras¹, und Platon während der letzten Zeit seines Lebens, sich die Theorie zu eigen machten, daß die jährliche Bewegung der Sonne durch den Tierkreis nicht von der Sonne, sondern von der Bewegung der Erde um die Sonne herrühre, geriet diese Auffassung völlig in Vergessenheit, und das ptolemäische System stand für alle Mathematiker fest. Im Qur'án aber sind Verse geoffenbart, die der Theorie des ptolemäischen Systems widersprechen. Einer von ihnen lautet: "Die Sonne bewegt sich an einem feststehenden Ort."² Dies zeigt das Feststehen der Sonne und ihre Bewegung um eine Achse. Und an anderer Stelle: "Und jeder Stern bewegt sich in seinem eigenen Himmelskreis."³ Damit ist die Bewegung von Sonne und Mond, von der Erde und den anderen Himmelskörpern klar beschrieben. Als der Qur'án erschien, verspotteten alle Mathematiker diese Sprüche, die sie für Dummheit hielten. Sogar die Muhammadanischen Gelehrten waren gezwungen, diese Verse als unerklärbar abzutun, als sie sahen, daß sie dem anerkannten ptolemäischen System widersprachen.
¹ Pythagoras, griechischer Philosoph, starb angeblich 497/497 v.Chr.
² Qur'án, Súrih 36:38 ³ Súrih 36:40
Es war nicht vor dem sechzehnten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung, beinahe neunhundert Jahre nach Muhammad, daß ein berühmter Astronom¹ mit Hilfe des von ihm erfundenen Fernrohrs neue Beobachtungen und wichtige Entdeckungen machte. Die Bewegung der Erde, das Feststehen der Sonne und auch ihre Drehung um eine Achse wurden entdeckt. So ist es klar, daß die Verse des Qur'án den Tatsachen entsprechen und daß das ptolemäische System auf einem Irrtum beruhte.
¹ Galilei, 1564-1642
Kurz, viele orientalische Völker wurden dreizehn Jahrhunderte lang im Schutze der Religion Muhammads erzogen. Im Mittelalter, als Europa auf der tiefsten Stufe der Barbarei stand, waren die arabischen Völker in den Geisteswissenschaften, in Mathematik, Kultur, politischer Ordnung und anderen Wissenschaften allen anderen Völkern der Erde überlegen. Die bewegende Kraft und der Erzieher dieser Nomadenstämme, der Begründer von Kultur und menschlicher Vervollkommnung unter diesen verschiedenen Volksstämmen war ein ungelehrter Mann, Muhammad. War dieser erhabene Mann ein vollkommener Erzieher oder nicht? Laßt unser Urteil gerecht sein.
Der Báb¹ - möge Meine Seele ein Opfer für ihn sein - erhob Sich bereits in jugendlichem Alter in Seiner Sache, im fünfundzwanzigsten Jahr Seines gesegneten Lebens. Unter den Schiiten ist allgemein bekannt, daß der Báb weder eine Schule besucht noch bei irgend jemandem wissenschaftliche Kenntnisse erworben hat - alle Leute von Shiráz können dies bezeugen. Dennoch erschien Er plötzlich mit größtem Wissen unter den Menschen, obwohl Er nur Kaufmann war, verwirrte Er alle 'Ulamá² von Persien. Ganz allein behauptete Er Seine Sache in einer unvorstellbaren Weise gegen die Perser, deren religiöser Fanatismus allgemein bekannt ist. Diese erhabene Seele erhob Sich mit solcher Kraft, daß sie die Stützen der Religion und Moral, die Zustände, Sitten und Gebräuche Persiens ins Wanken brachte, stattdessen ein neues Gesetz und neue Vorschriften einsetzte und eine neue Religion schuf, obgleich die Spitzen der Regierung, beinahe die gesamte Geistlichkeit und die Leute der Öffentlichkeit sich erhoben, um ihn zu vernichten und zu töten, hielt Er ihnen allein stand und brachte ganz Persien in Aufruhr.
¹ Der Báb wird hier mit seinem Titel Hadrat-i-'Alá', Seine Oberste Hoheit, bezeichnet, zur Bequemlichkeit des Lesers werden wir Ihn jedoch auch weiter mit dem Namen Báb betiteln, unter dem Er in ganz Europa bekannt ist.
² Schriftgelehrte des Islam.
Viele 'Ulamá und Leute der Öffentlichkeit wie auch andere opferten freudig ihr Leben für Seine Sache und eilten zur Stufe des Märtyrertums.
Die Regierung, das Volk, die Religionsgelehrten und hochgestellten Persönlichkeiten versuchten vergeblich, Seine Fackel auszulöschen. Schließlich wurde Seine Bedeutung offenbar, Sein Stern begann zu leuchten, die von ihm geschaffenen Grundlagen festigten sich, und Seine Morgenröte wurde zum strahlenden Licht. Er verlieh göttliche Erziehung und beeinflußte in wunderbarer Weise das Denken, die Moral und die Lebensart der Perser. Er verkündete Seinen Anhängern die frohe Botschaft vom baldigen Aufgang der Sonne Bahás und bereitete sie auf den neuen Glauben vor.
Das Erscheinen so wunderbarer Zeichen und großer Taten, die Einflußnahme auf das allgemeine Denken und die herrschenden Meinungen, die Errichtung der Grundlage für Fortschritt und die Gestaltung der Voraussetzungen für Erfolg und Glück durch einen jungen Kaufmann sind die besten Beweise dafür, daß Er ein vollkommener Erzieher war. Kein gerechter Mensch wird zögern, dies zu glauben.
Bahá'u'lláh¹ erschien zu einer Zeit, da das persische Reich in große Dunkelheit und Unwissenheit herabgesunken und in blindestem Fanatismus verloren war.
¹ Hier wird Bahá'u'lláh der Titel Jamál-i-Mubárak, die gesegnete Schönheit, gegeben, Er wird auch Jamál-i-Quidam, die Ewige oder Altehrwürdige Schönheit, genannt. Aber wir werden Ihn als Bahá'u'lláh bezeichnen, da Er so im Westen bekannt ist.
Sicher hast du in europäischen Geschichtswerken ausführliche Berichte über die Moral, die Sitten und Denkweisen der Perser während der letzten Jahrhunderte gelesen, und Ich brauche deshalb nicht noch einmal darauf einzugehen. Kurz gesagt, Persien war in ein solches Verfallstadium getreten, daß alle ausländischen Besucher ihr Bedauern über den Zustand dieses Landes ausdrückten, das in früheren Zeiten auf der höchsten Kulturstufe gestanden hatte und nun so heruntergekommen, verwüstet und in Unordnung war.
In einer solchen Zeit erschien Bahá'u'lláh. Sein Vater war Minister, kein Theologe. Alle Bewohner Persiens wissen, daß Er Sein Wissen nicht in einer Schule erworben und daß Er mit den Theologen und Gelehrten keinen Umgang hatte. Der Anfang Seines Lebens war in größter Glückseligkeit verlaufen. Seine Gefährten und Gesellschafter waren Perser der höchsten Klasse, aber keine Gelehrten.
Als Sich der Báb offenbarte, sagte Bahá'u'lláh: "Dieser große Mann ist der Herr der Gerechten, und allen obliegt es, an ihn zu glauben." Er erhob Sich, dem Báb zu helfen, und gab viele Beweise und sichere Zeugnisse für die Wahrheit des Báb, obgleich die 'Ulamá der Staatsreligion die persische Regierung gedrängt hatten, ihn zu bekämpfen und Ihm Widerstand zu leisten, und außerdem Erlasse veröffentlicht hatten, die Mord, Plünderung, Verfolgung und Ausstoßung Seiner Anhänger verfügten. Im ganzen Land begann man, die Bekehrten zu töten, zu verbrennen und auszuplündern und sogar ihre Frauen und Kinder anzufallen.
Trotz alledem stand Bahá'u'lláh auf, um das Wort des Báb mit größter Festigkeit und Kraft zu verkünden. Nicht für einen Augenblick verbarg Er Sich, offen verkehrte Er mit Seinen Feinden. Er war bemüht, Zeugnisse und Beweise zu geben, und wurde als der Verkünder des Wortes Gottes berühmt. Oft und oft hatte Er heftige Leiden zu ertragen, und jeden Augenblick stand Er in Gefahr des Märtyrertodes.
Er wurde in Ketten gelegt und unter der Erde gefangengehalten. Seine großen ererbten Güter wurden geplündert und enteignet. Viermal verbannte man ihn, bis Er schließlich im Größten Gefängnis¹ eine bleibende Stätte fand.
¹ Zuerst nach Baghdád verbannt, dann nach Konstantinopel und Adrianopel, wurde Er 1869 in 'Akká, dem Größten Gefängnis, eingekerkert.
Dennoch hörte Er für keinen Augenblick auf, die Größe der Gottessache zu verkünden. Er zeigte solche Tugend und Vollkommenheit und ein solches Wissen, daß Er für die Leute in Persien zum Wunder wurde. Dies war so stark, daß in Tihrán, Baghdád, Konstantinopel, Rumelien und sogar in 'Akká jeder Wissenschaftler und Gelehrte, gleichviel ob Freund oder Feind, der zu ihm kam, auf jede gestellte Frage eine überzeugende und befriedigende Antwort erhielt. Alle Menschen bekannten, daß dieser Mann einzig und in Seiner ganzen Vollkommenheit unvergleichlich sei.
In Baghdád geschah es oft, daß muhammadanische 'Ulamá, jüdische Rabbiner und Christen mit europäischen Gelehrten in gesegneter Versammlung zusammenkamen. Jeder einzelne stellte eine Frage, und trotz der Verschiedenheit ihres Kulturkreises erhielten alle eine ausreichende und überzeugende Antwort und gingen zufriedengestellt fort. Sogar die persischen 'Ulamá aus Karbilá und Najaf wählten einen Gelehrten zu ihrem Abgesandten, der Mullá Hasan 'Ammu hieß. Er kam in die Gesegnete Gegenwart und stellte im Namen der 'Ulamá einige Fragen, die Bahá'u'lláh beantwortete. Dann sagte Hasan 'Ammu: "Die 'Ulamá anerkennen ohne Zögern und bekennen das Wissen und die Größe Bahá'u'lláhs, und sie sind einmütig überzeugt, daß in allen Wissenschaften niemand ihm ähnlich und ebenbürtig ist; auch ist es allgemein bekannt, daß Er niemals studiert oder dieses Wissen erworben hat." Dennoch sagten die 'Ulamá: "Wir können uns damit nicht zufrieden geben, die Wahrheit Seiner Sendung anerkennen wir nicht nur Seiner Weisheit und Rechtschaffenheit wegen. Wir bitten Ihn daher, uns ein Wunder zu zeigen, damit unsere Herzen zufriedengestellt und beruhigt werden."
Bahá'u'lláh antwortete: "Obwohl ihr kein Recht dazu habt, denn es steht Gott zu, die Geschöpfe zu prüfen, nicht aber den Geschöpfen, Gott auf die Probe zu stellen, sei diese Bitte angenommen und erfüllt. Aber die Sache Gottes ist keine Theateraufführung, die jederzeit gezeigt wird und von der man täglich neuen Zeitvertreib verlangt. Wenn es so wäre, würde die Sache Gottes bloßes Kinderspiel werden.
Die 'Ulamá müssen deshalb zusammenkommen und gemeinsam ein Wunder auswählen und niederschreiben, daß sie nach Eintreten des Wunders nicht länger an Mir zweifeln und alle die Wahrheit Meiner Sache zugeben und anerkennen werden. Dieses Schriftstück sollen sie versiegeln und Mir bringen. Und folgendes soll der gültige Maßstab sein: Erscheint das Wunder, so werdet ihr keinen Zweifel mehr hegen, erscheint es nicht, werden Wir des Betrugs für schuldig erklärt." Der Gelehrte, Hasan 'Ammu, erhob sich und antwortete: "Es bleibt mir nichts mehr zu sagen." Er küßte dann das Knie des Gesegneten, obgleich er kein Gläubiger war, und ging. Er versammelte die 'Ulamá und überbrachte ihnen die heilige Botschaft. Sie beratschlagten miteinander und sagten: "Dieser Mann ist ein Zauberer, vielleicht vollbringt er einen Zauber, und dann können wir nichts mehr sagen." Aufgrund dieser Meinung wagten sie nicht, auf den Vorschlag einzugehen.¹
¹ Die scharfsinnige Urteilskraft Bahá'u'lláhs überwand bei dieser Gelegenheit die Bosheit seiner Feinde, die sich in der Wahl des Wunders sicherlich niemals geeinigt hätten.
Hasan 'Ammu sprach über diesen Vorfall in vielen Versammlungen. Er ging von Karbilá nach Kirmánsháh und Tihrán und verbreitete überall einen genauen Bericht, wobei er die Furcht und den Rückzug der 'Ulamá betonte.
Kurz, alle Seine Gegner im Orient gaben Seine Größe und Erhabenheit, Sein Wissen und Seine Klugheit zu, obwohl sie Seine Feinde waren, sprachen sie von Ihm immer als von dem "berühmten Bahá'u'lláh."
Als dieses große Licht plötzlich am Horizont Persiens aufging, erhoben sich alle Leute, die Geistlichen, die 'Ulamá und Menschen anderer Klassen gegen ihn, verfolgten ihn mit der größten Feindseligkeit und behaupteten, "daß dieser Mann Religion, Gesetz, die Nation und das Reich unterdrücken und zerstören wolle." Das gleiche wurde von Christus gesagt. Doch allein und ohne Hilfe leistete Bahá'u'lláh allen Widerstand, ohne jemals die leiseste Schwäche zu zeigen. Schließlich sagten sie: "Solange dieser Mann in Persien ist, wird es keinen Frieden und keine Ruhe geben. Wir müssen ihn verbannen, damit Persien zur Ruhe kommt."
Sie gingen dazu über, Gewalt gegen ihn anzuwenden, um ihn zur Bitte, Persien verlassen zu dürfen, zu zwingen. Denn sie glaubten, daß damit das Licht Seiner Wahrheit verlöscht würde. Doch sie erreichten das Gegenteil. Die Sache wurde weiter gestärkt, und ihre Flamme loderte heller empor. War sie bis dahin nur in Persien bekannt gewesen, so führte Bahá'u'lláhs Verbannung zu ihrer Verbreitung auch in anderen Ländern. Darauf sagten Seine Feinde: "Der arabische 'Iráq¹ liegt zu nahe bei Persien, wir müssen ihn in ein entfernteres Land schicken." Darum entschloß sich die persische Regierung, Bahá'u'lláh vom 'Iráq nach Konstantinopel zu verbannen. Aber wieder zeigte es sich, daß die Sache nicht im geringsten geschwächt wurde, und von neuem sagten sich Seine Feinde: "Konstantinopel ist eine Stadt des Fremdenverkehrs für die verschiedensten Rassen und Völker, unter denen auch viele Perser sind." Deshalb verbannten sie ihn weiter nach Rumelien. Aber dort leuchtete Sein Licht noch stärker, und die Sache erhob sich weiterhin. Schließlich sagten die Perser: "Keine dieser Städte ist frei von Seinem Einfluß, wir müssen ihn an einen Ort schicken, wo Er zur Machtlosigkeit verurteilt ist, wo Seine Familie und Seine Anhänger im größten Elend leben müssen." Deshalb wählten sie das Gefängnis von 'Akká, das für Mörder, Diebe und Wegelagerer bestimmt war, und tatsächlich stellten sie ihn diesen Leuten gleich. Aber die Macht Gottes zeigte sich noch klarer, denn Sein Gefängnis wurde der Weg zur Verbreitung Seiner Lehre und zur Verkündung Seiner Botschaft. Die Größe Bahá'u'lláhs wurde da augenscheinlich, denn von diesem Gefängnis aus und unter solchen Umständen führte Er Persien auf eine höhere Entwicklungsstufe. Er überwand alle Seine Feinde und bewies ihnen, daß sie dieser Sache keinen Widerstand leisten können. Seine heiligen Lehren durchdrangen alle Regionen, und Seine Sache wurde fest begründet.
¹ Der Bezirk, in dem Baghdád liegt.
Ja, in allen Teilen Persiens erhoben sich Seine Feinde in bitterstem Haß gegen Ihn und fingen, schlugen und töteten Seine Anhänger. Tausende von Wohnungen verbrannten sie und machten sie dem Boden gleich und versuchten alle Mittel, um die Sache zu unterdrücken und zu vernichten. Trotz alledem wurde sie hoch aufgerichtet, und zwar von einem Gefängnis aus, das für Mörder, Wegelagerer und Diebe bestimmt war. Seine Lehren verbreiteten sich weithin, und Seine Ermahnungen machten auf viele Seiner heftigsten Hasser solchen Eindruck, daß sie standhafte Gläubige wurden. Sogar die persische Regierung wurde aufgerüttelt und bedauerte das Übel, das durch die 'Ulamá verursacht worden war.
Als Bahá'u'lláh in dieses Gefängnis im Heiligen Lande kam, erkannten die Einsichtigen, daß die frohe Botschaft, die Gott zwei- und dreitausend Jahre vorher durch den Mund der Propheten verkünden ließ, sich verwirklicht und daß Gott Sein Versprechen erfüllt hatte. Denn mehreren Propheten hatte Er Sich geoffenbart und die gute Nachricht gegeben, daß "der Herr der Heerscharen im Heiligen Land geoffenbart würde". Alle diese Prophezeiungen wurden erfüllt, und wenn diese Verfolgungen durch Seine Feinde, Seine Vertreibung und Verbannung nicht gewesen wären, könnte man sich nicht vorstellen, wie Bahá'u'lláh hätte gezwungen werden können, Persien zu verlassen und in diesem Heiligen Land Sein Zelt aufzuschlagen. Die Absicht der Feinde war, durch Seine Gefangenschaft die Heilige Sache zu zerstören und zu vernichten, trotzdem wurde dieses Gefängnis zur größten Hilfe und zur Ursache ihrer Verbreitung. Der göttliche Ruf Bahá'u'lláhs drang zum Osten und Westen, und die Strahlen der Sonne der Wahrheit erhellten die ganze Welt. Gelobt sei Gott! Obwohl Er ein Gefangener war, wurde Sein Zelt auf dem Berge Karma aufgeschlagen, und Er bewegte Sich mit größter Majestät. Jeder, ob Freund oder Fremder, dem die Ehre widerfuhr, in Seine Gegenwart zu gelangen, sagte: "Dies ist ein Herrscher und kein Gefangener."
Bald nach der Ankunft in diesem Gefängnis schrieb Er eine Botschaft an Napoleon¹, die Er durch den französischen Gesandten schickte. Ihr Hauptpunkt lautete: "Erkundige dich, welches Unser Verbrechen ist, und warum Wir in diesem Gefängnis eingekerkert sind." Napoleon gab keine Antwort. Dann wurde ein zweites Schreiben gesandt, dessen Wortlaut in das Buch Súratu'l-Haykal aufgenommen wurde". Der Inhalt in Kürze: "O Napoleon, weil du nicht auf Meinen Ruf gehört und keine Antwort gegeben hast, wird dir bald deine Herrschaft genommen, und du selbst wirst vernichtet werden." Dieses Sendschreiben wurde durch Vermittlung von Cesar Ketafagu³ mit der Post an Napoleon geschickt, was allen Gefährten Seiner Verbannung bekannt war. Abschriften dieses Briefes wurden rasch in ganz Persien verbreitet, denn das Buch Haykal war damals in Umlauf und das Sendschreiben in ihm enthalten. Dies geschah im Jahre 1869, und weil das Buch Haykal in Persien und Indien verbreitet und in den Händen aller Gläubigen war, wurde die Erfüllung der Prophezeiung, die in diesem Brief enthalten war, zuversichtlich erwartet. Nicht lange danach, im Jahre 1870 brach der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich aus. obwohl damals niemand an den Sieg Deutschlands geglaubt hatte, erlitt Napoleon eine völlige Niederlage; er mußte sich dem Feinde ergeben, und seine Größe verwandelte sich in tiefste Erniedrigung.
¹ Napoleon III.
² Ein Werk Bahá'u'lláhs, das nach Seiner Erklärung geschrieben wurde.
³ Sohn eines französischen Konsuls in Syrien, zu dem Bahá'u'lláh freundschaftliche Beziehungen hatte.
In gleicher Weise wurden Sendschreiben an andere Regenten geschickt, darunter eine Botschaft an Násiri'd-Dín Sháh. In ihr schrieb Bahá'u'lláh: "Lasse Mich zu dir kommen, versammle die 'Ulamá und fordere Beweise und Argumente, damit Wahrheit und Irrtum offenbar werden." Násiri'd-Dín Sháh schickte die gesegnete Botschaft zu den 'Ulamá und schlug ihnen vor, dies auszuführen. Sie wagten es aber nicht. Dann forderte er sieben der Berühmtesten unter ihnen auf, eine Antwort auf die Herausforderung zu schreiben. Nach einiger Zeit gaben sie den gesegneten Brief mit den Worten zurück: "Dieser Mann ist ein Feind der Religion und ein Gegner des Sháhs." Der Sháh von Persien wurde sehr ärgerlich und sagte: "Dies ist eine Frage des Beweises und der Begründung, der Wahrheit und des Irrtums; was hat sie mit Politik zu tun? Wie bedauerlich, daß wir so viel Rücksicht auf diese 'Ulamá genommen haben, die diesen Brief nicht einmal erwidern können."
Kurz, alles, was in den Botschaften an die Herrscher vorausgesagt ward, ist genau eingetroffen. Wenn wir es mit den tatsächlichen Ereignissen seit dem Jahre 1870 vergleichen, finden wir, daß beinahe jede Prophezeiung sich erfüllt hat; nur wenige Ereignisse bleiben, die später noch sichtbar werden.
Auch fremde Völker und Sekten, die nicht an Ihn glaubten, schrieben Bahá'u'lláh große Dinge zu: Manche glaubten, daß Er ein Heiliger sei, und einige schrieben sogar über Ihn. Einer von ihnen, Siyyid Dávúd, ein sunnitischer Gelehrter in Baghdád, verfaßte eine kurze Abhandlung, in welcher er über einige übernatürliche Begebenheiten berichtet. Bis heute gibt es überall im Orient Menschen, die zwar Seine Offenbarung nicht anerkennen, aber trotzdem glauben, daß Er ein Heiliger war und Wunder getan habe.
Zusammengefaßt, Seine Gegner und Seine Freunde sowie alle diejenigen, die am heiligen Ort Seiner Gegenwart empfangen wurden, anerkannten und bezeugten die Größe Bahá'u'lláhs. Auch wenn sie nicht an ihn glaubten, anerkannten sie Seine Erhabenheit, und sobald sie zum heiligen Ort gelangten, übte die Gegenwart Bahá'u'lláhs eine solche Wirkung auf die meisten aus, daß sie kein Wort äußern konnten. Wie oft geschah es, daß ein haßerfüllter Mensch aus den Reihen Seiner Feinde zu Ihm kam, der sich fest vorgenommen hatte: "Wenn ich vor ihm stehe, werde ich dies und das sagen und über dies und jenes diskutieren und mit ihm streiten", - aber wenn er in Seine Heilige Gegenwart kam, wurde er bestürzt und verwirrt und brachte kein Wort heraus.
Bahá'u'lláh hatte nie Arabisch studiert, Er hatte weder Lehrer noch Meister, noch hatte Er eine Schule besucht, aber der Redefluß und die Gewähltheit Seiner gesegneten Äußerungen in Arabisch, ebenso wie Seine arabischen Schriften, verursachten Erstaunen und Verblüffung bei den vollendetsten arabischen Gelehrten. Alle anerkannten und bezeugten, daß Er unerreicht und ohnegleichen sei.
Wenn wir den Text der Bibel prüfen, sehen wir, daß keiner der göttlichen Offenbarer zu denen, die ihn leugneten, sagte: "Ich bin bereit, jedes erwünschte Wunder zu erfüllen und Mich jeder Prüfung zu unterziehen." Aber im Sendschreiben an den Sháh hat Bahá'u'lláh deutlich gesagt: "Versammle die 'Ulamá und laß Mich kommen, damit Beweise und Argumente erbracht werden."¹
¹ vgl. Anm. im +8. Kapitel auf Seite 42 zu dem Wunsch der 'Ulamá nach Wunder. Wenn 'Abdu'l-Bahá diesem Beispiel der praktischen Vernunft Bahá'u'lláhs so große Wichtigkeit beimißt, will Er die Nutzlosigkeit von Wundern als Beweis für die Wahrheit der Offenbarungen Gottes betonen. Vgl. das +22. Kapitel "Über Wunder" auf Seite 105.
Fünfzig Jahre lang stand Bahá'u'lláh Seinen Feinden wie ein Berg gegenüber. Alle wollten ihn verderben und vernichten. Tausendmal hatten sie beabsichtigt, ihn zugrunde zu richten und zu kreuzigen, und während dieser fünfzig Jahre war Sein Leben beständig in höchster Gefahr.
Heute¹ ist Persien auf eine so tiefe Stufe des Verfalls und Niedergangs herabgesunken, daß alle verständigen Menschen im Lande oder außerhalb, die die wirklichen Zustände kennen, sich darüber einig sind, daß Fortschritt, Kultur und Wiederaufbau Persiens von der Verbreitung der Lehren und der Entfaltung der Prinzipien dieser großen Persönlichkeit abhängen.
¹ Diese Äußerungen stammen aus dem Jahre 1904
Christus hat an Seinem gesegneten Tag in Wirklichkeit nur elf Menschen erzogen. Der größte von ihnen war Petrus, der aber, als die Prüfung über ihn kam, Christus dreimal verleugnete. Dennoch ist später die ganze Welt durch die Lehre Christi beeinflußt worden. Am gegenwärtigen Tag hat Bahá'u'lláh Tausende von Menschen erzogen, die unter der Bedrohung durch das Schwert den Ruf "Yá-Bahá'u'l-Abhá"¹ bis zum höchsten Himmel ertönen ließen, und deren Antlitz im Feuer der Prüfungen wie Gold erstrahlte. Überlege nun, was daraus in der Zukunft zu erwarten ist.
Zum Schluß müssen wir gerecht urteilen und erkennen, welch ein Erzieher dieses herrliche Wesen war, welch wunderbare Zeichen durch ihn offenbart wurden und welch eine Kraft und Macht sich durch ihn in dieser Welt gezeigt hat.
¹ Ein Ruf, der als Glaubensbekenntnis von den Bahá'í benützt wurde, wörtlich "O Herrlichkeit des Allerherrlichsten".
Heute wollen wir bei Tisch ein wenig über Beweise sprechen. Wenn du zu jener Zeit, da das strahlende Licht¹ erschien, in diese gesegnete Gegend und in Seine Gegenwart gekommen wärest, wenn du die leuchtende Schönheit mit eigenen Augen gesehen hättest, wäre es dir klar geworden, daß Seine Lehren und Seine Vollkommenheit keines Beweises mehr bedurften.
¹ Bahá'u'lláh
Nur durch die Ehre, in Seine Gegenwart zu gelangen, wurden viele Seelen überzeugte Gläubige - sie brauchten keinen weiteren Beweis mehr. Selbst Menschen, die größten Haß gegen Ihn hegten und Ihn ablehnten, bezeugten, wenn sie Ihm begegnet waren, Seine Erhabenheit und sagten: "Dies ist ein großer Mann, wie schade, daß Er einen solchen Anspruch erhebt! Allem, was Er sonst sagt, stimmen wir zu." Aber heute, da dieses Licht der Wahrheit untergegangen ist, brauchen alle Menschen Beweise. Darum erbrachten wir logische Zeugnisse für die Wahrheit Seines Anspruches. Wir wollen noch einen solchen Beweis erwähnen, der allein genügen würde für alle, die gerecht denken, und den niemand in Abrede stellen kann: Dieses erleuchtete Wesen hat im "Größten Gefängnis"¹ Seine Sache verkündet. Von dort erstrahlte weithin Sein Licht, Sein Ruf durchdrang die Welt, und der Ruhm Seiner Größe erreichte den Osten und den Westen. Nie zuvor hat sich Ähnliches ereignet.
¹ 'Akká
Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, wird dies zugegeben. Aber es gibt immer Menschen, die, auch wenn alle Beweise der Welt für sie beigebracht würden, doch nicht gerecht urteilen könnten.
So konnte die ganze Macht der geistlichen und weltlichen Regierung Persiens Bahá'u'lláh nichts entgegensetzen. Er hat im Gegenteil allein und ohne Hilfe, eingekerkert und unterdrückt, alles durchgeführt, was Er wollte.
Ich will nicht Seine Wunder erwähnen, denn die Hörer könnten sagen, dies seien Überlieferungen, die wahr oder falsch sein können. So werden auch in den Evangelien die Wunder Christi von Seinen Jüngern und nicht von anderen berichtet, die Juden aber leugnen sie. Wollte Ich Übernatürliches von Bahá'u'lláh erzählen, so wäre viel zu berichten. Im Orient ist es bekannt, selbst bei manchen Fernstehenden. Aber diese Erzählungen sind keine vollgültigen Beweise und Zeugnisse für jedermann. Die Hörer könnten vielleicht einwenden, daß dieser Bericht nicht in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Geschehnissen sei, denn es ist bekannt, daß auch andere Religionsgemeinschaften Wunderdinge von ihren Stiftern berichten. Zum Beispiel erzählen die Brahmanen von Wundern. Wie können wir wissen, welche wahr und welche Legende sind? Sind sie Erdichtungen, so sind es auch die anderen; sind sie verbürgte Überlieferungen, so sind es auch die übrigen. Darum sind solche Erzählungen keine zufriedenstellenden Beweise. Wohl haben sie Beweiskraft für den, der selbst dabei war, aber selbst dieser mag sie nicht als Wunder, sondern als Zauberei ansehen. Von manchen Zauberern wurden auch erstaunliche Dinge berichtet. - Was ich sagen will, ist dies: Viele wunderbare Dinge wurden von Bahá'u'lláh vollbracht, aber wir erzählen sie nicht, weil sie nicht für alle Menschen Beweiskraft haben. Sogar für die, die sie selbst gesehen haben, sind sie keine entscheidenden Beweise, denn sie mögen glauben, daß sie nur Zauber sind.
Außerdem haben die meisten Wunder der Propheten, die erzählt werden, eine gleichnishafte Bedeutung. So wird zum Beispiel in den Evangelien über das Martyrium Christi berichtet, daß eine Finsternis eintrat, die Erde erbebte, der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzweigerissen wurde und die Toten aus den Gräbern aufstanden. Wenn sich dies alles wirklich ereignet hätte, wäre es ganz außerordentlich gewesen und sicherlich in der Geschichte jener Tage verzeichnet worden. Solche Geschehnisse hätten die Herzen gewaltig aufgerüttelt. Die Kriegsknechte hätten Christus entweder vom Kreuz herabgenommen oder sie wären davongelaufen. Diese Ereignisse werden aber in keinem Geschichtswerk erwähnt, weshalb es klar ist, daß sie nicht wörtlich zu nehmen sind, sondern eine innere Bedeutung¹ haben.
¹ Vgl. Kapitel 22 "Über Wunder", p.103
Wir wollen solche Wunder nicht in Abrede stellen, sondern meinen nur, daß sie keine entscheidenden Beweise darstellen und daß sie eine geheime Bedeutung haben.
Darum wollen wir uns heute bei Tisch mit der Erklärung der überlieferten Beweise aus den Heiligen Büchern befassen. Was wir bis heute anführten, waren nur logische Beweise.
Der aufrichtige Sucher sollte so nach der Wahrheit forschen, wie die durstige Seele nach dem Wasser des Lebens dürstet, wie der Fisch nach dem Meere verlangt, wie der Kranke, der sich nach dem wahren Arzt sehnt, um göttliche Heilung zu finden, wie die verirrte Karawane, die den rechten Weg sucht, und wie das steuerlose Schiff, das die rettende Küste erreichen möchte.
Auch muß der Sucher besondere Eigenschaften besitzen. Zuerst sollte er gerecht und losgelöst sein von allem außer Gott, sein Herz sollte er ganz dem göttlichen Horizont zuwenden, und von der Bindung an Leidenschaften und Laster sollte er frei sein, denn sie alle sind Hemmnisse für ihn. Darüber hinaus muß er alle Heimsuchungen ertragen können, in größter Reinheit und Heiligkeit leben und unabhängig von Liebe und Haß gegenüber den Erdenbewohnern sein. Warum? Weil seine Liebe zu einer Seite ihn daran hindern könnte, der anderen gerecht zu werden, und ebenso könnte irgendeine Art von Haß ihn davon abhalten, die Wahrheit zu erkennen.
Dies ist die Voraussetzung für das Suchen, und der Sucher muß diese Eigenschaften und Merkmale besitzen. Solange er diese Stufe nicht erreicht, ist es für ihn unmöglich, zur Sonne der Wahrheit zu gelangen.
Wir wollen jetzt zu unserem Thema zurückkommen.
Alle Völker der Welt erwarten zwei Offenbarungen, die gleichzeitig erscheinen sollen. Alle erwarten die Erfüllung dieser Verheißung. Das Alte Testament verkündete den Juden die Wiederkunft des Herrn der Heerscharen und des Messias, im Neuen Testament wurde die Rückkehr Christi und Elias' verheißen.
Im Islám ist es die Erwartung des Mihdí und des Messias, und ebenso verhält es sich bei den Zoroastriern und anderen Religionen - wollten wir alle Einzelheiten anführen, so würde dies sehr lange dauern.
Das Wesentliche ist, daß allen zwei Offenbarungen verheißen wurden, die unmittelbar aufeinander folgen sollen. Es wurde verkündet, daß durch diese beiden Offenbarungen die Welt zu einer anderen gewandelt, das Reich des Daseins erneuert und der Schöpfung ein neues Kleid geschenkt werde. Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit würden die Welt erfüllen, Feindschaft und Haß würden aufhören, und alles, was unter den Völkern, Rassen und Nationen Trennung verursache, werde verschwinden, aber was zu Einheit, Harmonie und Einigkeit führe, werde erscheinen. Die Nachlässigen würden erwachen und die Blinden sehen, die Tauben würden hören und die Stummen sprechen, die Kranken würden geheilt und die Toten lebendig werden. Krieg werde in Frieden und Feindschaft in Liebe verwandelt werden; die Ursachen des Zankes und der Streiterei würden vergehen, und die Menschheit werde wirkliches Glück gewinnen. Das irdische Reich werde zum Spiegel des Himmelreichs, die Menschheit zum Thron der Gottheit werden. Alle Völker würden zu einem Volk und alle Religionen zu einer Religion werden; das ganze Menschengeschlecht werde wie eine Familie sein und zu einem Stamm werden. Alle Gebiete der Erde würden wie ein Land sein; die Vorurteile nationaler, vaterländischer, persönlicher, sprachlicher und politischer Art würden vergehen, und unter dem Schutz des Herrn der Heerscharen würden alle ewiges Leben erlangen.
Wir müssen nun nach den Heiligen Büchern beweisen, daß diese beiden Offenbarungen gekommen sind, und wir müssen den Sinn der Prophetenworte richtig deuten; denn wir wollen Beweise haben, die aus den Heiligen Büchern abgeleitet sind.
Vor einigen Tagen erbrachten wir bei Tisch logische Beweise, die die Wirklichkeit dieser beiden Offenbarungen außer Frage stellten.
Um abzuschließen: Im Buche Daniel¹ werden vom Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem bis zum Kreuzestode Christi 70 Wochen angegeben, das heißt, durch das Martyrium Christi wird das Opfer vollendet und der Altar zerstört. Diese Prophezeiung bezieht sich auf das Erscheinen Christi. Die siebzig Wochen beginnen mit dem Wiederaufbau und der Wiederherstellung Jerusalems, worüber vier Edikte von drei Königen erlassen wurden.
¹ Kapitel 9:24
Das erste stammt von Cyrus aus dem Jahre 536 v.Chr. Darüber wird im 1. Kapitel des Buches Esra berichtet. Das zweite Edikt über die bauliche Erneuerung des Tempels ist von dem Perserkönig Darius aus dem Jahre 519 v.Chr, und ist im 6. Kapitel Esra erwähnt. Das dritte Edikt wurde von Artaxerxes im siebten Jahr seiner Regierung, also 457 v.Chr. gegeben und ist im 7. Kapitel Esra verzeichnet. Das vierte erließ Artaxerxes im Jahre 444 v.Chr. Es findet sich im 2. Kapitel Nehemia.
Daniel bezieht sich nun besonders auf das dritte Edikt aus dem Jahre 457 v.Chr. 70 Wochen ergeben 490 Tage, und jeder Tag bedeutet nach dem Wortlaut der Heiligen Schrift ein Jahr. Denn es ist gesagt: "Ein Tag des Herrn ist ein Jahr."¹ 490 Tage bedeuten also 490 Jahre. Das dritte Edikt wurde von Artaxerxes im Jahre 457 vor Christi Geburt erlassen, und Christus war zur Zeit Seines Kreuzestodes und seiner Himmelfahrt 33 Jahre alt. 457 plus 33 ergibt 490, und dies ist das von Daniel prophezeite Datum für die Offenbarung Christi.
¹ 4.Mose 14:34 , Hesekiel 4:6
Im 25. Vers des 9. Kapitels Daniel steht es aber anders, nämlich 7 Wochen und 62 Wochen; scheinbar steht dies im Widerspruch zur ersten Äußerung. Viele, die versuchten, die beiden Aussagen miteinander in Einklang zu bringen, wurden durch diese Verschiedenheit verwirrt. Wie können an einer Stelle 70 Wochen und an anderer 62 und 7 Wochen richtig sein? Diese Äußerungen stimmen nicht miteinander überein.
In Wirklichkeit führt Daniel zwei Daten an. Das eine beginnt mit dem Befehl des Artaxerxes an Esra, Jerusalem wieder aufzubauen. Dies sind die 70 Wochen, die mit der Himmelfahrt Christi endeten, als mit Seinem Kreuzestod das Opfer und Speiseopfer aufhörten.
Das zweite Datum, das im 26. Vers steht, bedeutet, daß nach Beendigung des Wiederaufbaus von Jerusalem bis Christi Himmelfahrt 62 Wochen vergehen. Die 7 Wochen sind die Zeit des Tempelaufbaus, der 49 Jahre währte. Zählt man diese 7 zu den 62 Wochen, erhält man 69 Wochen, und in der letzten Woche (69-70) vollzog sich die Himmelfahrt Christi. Die 70 Wochen sind also vollständig, und es besteht kein Widerspruch mehr.
Wie das Kommen Christi festgelegt ist durch Daniels Prophezeiungen, so sind es auch die Offenbarungen Bahá'u'lláhs und des Báb. Zuvor hatten wir nur logische Beweise angeführt, jetzt werden wir Beweise nach Überlieferungen aufstellen.
Im 13. Verse des 8. Kapitels im Buche Daniel heißt es: "Ich hörte aber einen Heiligen reden; und ein Heiliger sprach zu dem, der da redete: Wie lange soll doch währen solch Gesicht vom täglichen Opfer und von der Sünde, um welcher willen diese Verwüstung geschieht, daß beide, das Heiligtum und das Heer, zertreten werden? (V. 14:) Und er antwortete mir: Bis 2300 Abende und Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wieder geweht werden. (V. 17:) Er aber sprach zu mir: ... dies Gesicht gehört in die Zeit des Endes." Also wie lange soll diese Heimsuchung, dieser Verfall, diese Erniedrigung und Demütigung dauern? Das heißt, wann wird der Morgen der Offenbarung anbrechen? Darauf sprach er: "2300 Tage; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden." Kurz, der Sinn dieser Stelle ist, daß er 2300 Jahre anberaumt, denn im Wortlaut der Bibel ist jeder Tag ein Jahr. Folglich sind vom Zeitpunkt des Ediktes durch Artaxerxes, der den zweiten Aufbau Jerusalems befahl, bis zum Tage der Geburt Christi 456 Jahre und von der Geburt Christi bis zum Tage der Offenbarung des Báb 1844 Jahre verstrichen. Wenn man zu dieser Zahl 456 Jahre zählt, ergeben sich 2300 Jahre. Das heißt, das Jahr 1844 n. Chr, brachte die Erfüllung der Vision Daniels, und dies ist das Jahr der Offenbarung des Báb. Sieh nun, wie klar Daniel das Jahr der Offenbarung ansetzt; klarer als hier kann eine Offenbarung nicht vorausgesagt werden.
Christus Selbst erklärt im 24. Kapitel, Vers 3, des Matthäusevangeliums, daß die Prophezeiung Daniels sich auf die Wiederkunft bezieht. Die Stelle lautet: "Und als er auf dem Ölberge saß, traten zu ihm seine Jünger besonders und sprachen: Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft und des Endes der Welt?" Eine der Antworten Christi heißt (V. 15): "Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, daß er steht an der heiligen Stätte (wer das liest, der merke darauf)." Damit verwies Er sie auf das 8. Kapitel Daniel, mit dem Hinweis, daß jeder, der es liest, verstehen wird, daß es diese fragliche Zeit ist. Sieh nun, wie klar die Offenbarung des Báb im Alten und Neuen Testament angekündigt ist.
Zum Schluß wollen wir den Zeitpunkt der Offenbarung Bahá'u'lláhs aus der Bibel erklären. Bahá'u'lláhs Datum ist nach Mondjahren¹ berechnet, beginnend mit der Berufung² und der Flucht³ Muhammads; denn in der Religion Muhammads sind Mondjahre gebräuchlich, die auch allen kultischen Vorschriften zugrunde gelegt sind.
¹ Ein Mondjahr sind 354 Tage ² 609 n.Chr. ³ 622 n.Chr.(Hedschra)
Im 12. Kapitel, Vers 6, des Buches Daniel steht geschrieben: "Und er sprach zu dem in leinenen Kleidern, der über den Wassern des Flusses stand: Wann will's denn ein Ende sein mit solchen Wundern? Und ich hörte zu dem in leinenen Kleidern, der über den Wassern des Flusses stand; und er hob seine rechte und linke Hand gen Himmel und schwur bei dem, der ewiglich lebt, daß es eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit währen soll; und wenn die Zerstreuung des heiligen Volkes ein Ende hat, soll solches alles geschehen."
Ich habe die Bedeutung eines Tages in der Bibel bereits erklärt und brauche nicht darauf zurückzukommen. Es sei aber kurz erwähnt, daß jeder Tag des Vaters (d.h. "eine Zeit") ein Jahr bedeutet, und jedes Jahr hat 12 Monate. So ergeben 3 1/2 Jahre (d.h. "eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit") 42 Monate mit 1260 Tagen. Im Jahre 1260¹ nach der Hijra aber hat sich, nach muhammadanischer Zeitrechnung, der Báb, Bahá'u'lláhs Herold, geoffenbart.
¹ 1260 Mondjahre sind 1222 Jahre christlicher Zeitrechnung. Also 1222 plus 622 (Hedschra) ergibt 1844 n.Chr.
Danach, im 11. Vers heißt es bei Daniel: "Und von der Zeit an, wenn das tägliche Opfer abgetan und ein Greuel der Verwüstung aufgerichtet wird, sind 1290 Tage. Wohl dem, der da wartet und erreicht 1335 Tage!"
Der Beginn dieses Zeitabschnittes, nach Mondjahren¹ gerechnet, ist der Tag, an dem Muhammad Seine Sendung im Lande Hijáz erklärte. Dies war drei Jahre nach Seiner Berufung, denn zu Beginn war Seine Prophetenschaft geheimgehalten worden, und nur Khadíjih und Ibn-i-Naufal² wußten darum. Nach drei Jahren wurde sie allgemein bekanntgegeben. Bahá'u'lláh hat Seine Offenbarung im Jahre 1290³ öffentlich erklärt, also 1290 Mondjahre nach Muhammads öffentlicher Erklärung.
¹ 1290 Mondjahre sind 1251 Jahre christlicher Zeitrechnung. Also 1251 plus 612 (Erklärung Muhammads) ergibt 1863 n.Chr.
² Waraqat-Ibn-i-Naufal, Vetter der Khadíjih und ein vertrauter Muhammads.
³ Das Jahr 1290 von der Erklärung der Sendung Muhammads an entspricht dem Jahre 1280 der Hedschra, oder 1863 christlicher Zeitrechnung. Es war in diesem Jahr (April), kurz ehe Er Sich von Baghdád nach Konstantinopel auf den Weg machte, daß Bahá'u'lláh Sich Seiner nächsten Umgebung als die vom Báb angekündigte Offenbarung erklärte. Diese Erklärung feiern die Bahá'í mit dem Ridván-Fest. Ridván ist der Name des am Anfang der Stadt liegenden Gartens, in dem Sich Bahá'u'lláh 12 Tage aufhielt und Seine Erklärung machte.
Am Anfang des 11. Kapitels der Offenbarung des Johannes heißt es:
"Und es ward mir ein Rohr gegeben, einem Stecken gleich, und er sprach: Stehe auf und miß den Tempel Gottes und den Altar und die darin anbeten."
"Aber den Vorhof außerhalb des Tempels wirf hinaus und miß ihn nicht; denn er ist den Heiden¹ gegeben, und die heilige Stadt werden sie zertreten zweiundvierzig Monate."
¹ Im griechischen Text: "Völkern".
Dieses Rohr ist ein vollkommener Mensch, der mit einem Rohr verglichen wird, und die Bedeutung dieses Vergleichs ist die: Wenn das Innere des Rohres hohl und frei gemacht wird, können wunderbare Melodien auf ihm gespielt werden; und wie Ton und Melodie nicht von ihm selber kommen, sondern vom Flötenspieler, der darauf bläst, so ist das geheiligte Herz jenes gesegneten Menschen losgelöst von allem außer Gott, rein und frei von jeder menschlichen Bindung, und ist der Gefährte des göttlichen Geistes. Jede seiner Äußerungen kommt nicht von ihm selbst, sondern von dem wirklichen Flötenspieler und ist göttliche Eingebung. Darum wird er mit dem Rohr verglichen, und dieses Rohr ist wie ein Stab eine Hilfe für die Schwachen und eine Stütze für die menschlichen Geschöpfe. Es ist der Stab des göttlichen Hirten, mit dem Er Seine Herde hütet und zu den Weideplätzen im Königreiche leitet.
Weiter ist gesagt: " ... und er sprach: Stehe auf und miß den Tempel Gottes und den Altar und die darin anbeten." Das heißt, vergleiche und miß: Messen ist die Auffindung des richtigen Verhältnisses. Der Engel sagte also: Vergleiche den Tempel Gottes und den Altar mit denen, die darin beten, nämlich ermiß ihre wirkliche Beschaffenheit und erforsche, auf welcher Stufe sie stehen, welchen Rang, welche Vollkommenheiten und Eigenschaften sie haben und wie ihr Zustand und ihr Betragen sind. Verschaffe dir Kenntnis von den Geheimnissen dieser heiligen Seelen, die in Reinheit und Heiligkeit am Allerheiligsten wohnen.
"Aber den Vorhof außerhalb des Tempels wirf hinaus und miß ihn nicht; denn er ist den Heiden gegeben ... "
Zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach Christus, als Jerusalem erobert wurde, blieb das Allerheiligste, nämlich das Gebäude, das Salomon errichtet hatte, äußerlich erhalten. Der Vorhof außerhalb des Allerheiligsten aber wurde weggenommen und den Heiden gegeben. "Und die heilige Stadt werden sie zertreten zweiundvierzig Monate." Das heißt, die Fremden werden Jerusalem 42 Monate lang, also 1260 Tage, beherrschen und leiten. Da jeder Tag ein Jahr bedeutet, ergeben sich nach dieser Rechnung 1260 Jahre, was der Dauer des Zeitalters des Islám entspricht. Denn nach dem Text der Heiligen Schrift ist jeder Tag ein Jahr, wie wir im 4. Kapitel, Vers 6, des Buches Hesekiel lesen: "Du sollst tragen die Missetat des Hauses Juda vierzig Tage lang; denn ich gebe dir hier auch je einen Tag für ein Jahr."
Die Berechnung dieser Prophezeiungen beginnt mit der Offenbarung des Islám, als Jerusalem zertreten wurde, das heißt, daß es entehrt wurde. Das Allerheiligste aber blieb erhalten, beschützt und geehrt. Diese Ereignisse dauerten bis 1260. Diese 1260 Jahre sind eine Prophezeiung für die Offenbarung des Báb, des Tores¹ für Bahá'u'lláh, Der im Jahre 1260 nach der Auswanderung Muhammads erschien. Da die Zeit von 1260 Jahren damit beendet wurde, beginnt Jerusalem, die Heilige Stadt, wiederum aufzublühen, bevölkert und glücklich zu werden. Jeder, der Jerusalem vor 60 Jahren sah und es heute² wiedersieht, wird bemerken, wie es gedeiht, wie volkreich es geworden ist und seine Ehre wieder gefunden hat.
¹ d.h. Vorläufers. ² im Jahre 1904
Dies ist der äußere Sinn der Verse der Offenbarung Johannis, aber es gibt noch eine andere Erklärung und eine symbolische Bedeutung: Das göttliche Gesetz zerfällt in zwei Teile; ein Teil ist die wesentliche Grundlage, die alle geistigen Dinge umfaßt, das heißt, er bezieht sich auf die geistigen Tugenden und göttlichen Eigenschaften. Er unterliegt weder Wechsel noch Wandel. Er ist das Allerheiligste, das der Kern im Gesetz Adams, Noahs, Abrahams, Mose, Christi, Muhammads, des Báb und Bahá'u'lláhs ist, und das besteht und gültig bleibt durch die Zeitalter aller Propheten. Niemals wird er aufgehoben, denn er ist geistige, nicht materielle Wirklichkeit. Er ist Glaube, Wissen, Gewißheit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Rechtschaffenheit, Vertrauenswürdigkeit, Liebe zu Gott, innerer Friede, Reinheit, Loslösung, Demut, Sanftmut, Geduld und Standhaftigkeit. Er ist Mitleid mit den Armen, verteidigt die Unterdrückten, beschenkt die Unglücklichen und hebt die Gefallenen auf.
Diese göttlichen Eigenschaften, diese ewigen Gebote werden niemals aufgehoben, sondern sie werden bestehen und in alle Ewigkeit dauern. Diese Tugenden der Menschheit werden in jedem prophetischen Zyklus erneuert, denn an seinem Ende geht das geistige Gesetz Gottes, das heißt die menschlichen Tugenden, verloren, und nur die äußere Form bleibt zurück.
So war bei den Juden am Ende des mosaischen Zeitalters, das mit der Offenbarung Christi zusammenfällt, das göttliche Gesetz verlorengegangen, und eine Form ohne Geist war übriggeblieben. Das Allerheiligste war unter ihnen verschwunden, aber der Vorhof Jerusalems als Ausdruck für die Form der Religion - fiel in die Hände der Heiden. So ging auch das Wesentliche des göttlichen Gesetzes Christi, in dem die höchsten Tugenden der Menschheit enthalten sind, verloren, und nur die äußere Form blieb in den Händen der Priester und Mönche zurück. Und ebenso ist die Grundlage der Religion Muhammads verschwunden, aber ihre Form blieb in den Händen der amtlichen 'Ulamá. - Jene Grundlagen der Religion Gottes, die geistiger Natur und die Tugenden der Menschheit sind, werden niemals aufgehoben. Sie werden nie abgesetzt, sind ewig und werden im Zeitalter jedes Propheten erneuert.
Der zweite Teil des göttlichen Gesetzes, der die stoffliche Welt betrifft und Fasten, Gebet, Gottesdienst, Ehe und Scheidung, Abschaffung der Sklaverei, Gerichtsbarkeit, geschäftliche Angelegenheiten sowie Strafe und Sühne für Mord, Gewalttat, Diebstahl und Körperverletzung umfaßt, - dieser Teil also, der sich auf die materiellen Dinge bezieht, wird in jedem prophetischen Zyklus je nach den Erfordernissen der Zeit geändert und abgewandelt.
Kurz, was mit dem Ausdruck "das Allerheiligste" gemeint ist, ist jenes geistige Gesetz, das niemals verändert, abgewandelt oder aufgehoben wird, und die "Heilige Stadt" bedeutet das materielle Gesetz, das abgeschafft werden kann. Und dieses materielle Gesetz, das als die Heilige Stadt bezeichnet wird, sollte 1260 Jahre lang mit Füßen getreten werden.
"Und ich will meinen zwei Zeugen geben, daß sie sollen weissagen tausend zweihundertundsechzig Tage, angetan mit Säcken." Diese zwei Zeugen sind Muhammad, der Bote Gottes, und 'Alí, der Sohn Abú-Tálibs¹.
¹ 'Alí war der Schwiegersohn und Nachfolger Muhammads.
Im Qur'án steht geschrieben, daß Gott zu Seinem Propheten Muhammad sprach: "Wir haben dich zum Zeugen, zum Botschafter der Freude und zum Warner gemacht." Das heißt¹: "Wir haben dich als Zeugen, als Vermittler froher Botschaften und als Bringer des Zorns Gottes eingesetzt." Die Aufgabe eines Zeugen ist, die Tatsachen durch seine Aussage zu belegen. Die Gesetze dieser beiden Zeugen hatten während 1260 Tagen, von denen jeder ein Jahr bedeutet, Gültigkeit. Muhammad ist dem Stamm und 'Alí dem Zweig zu vergleichen, ebenso wie Moses und Josua. Weiter heißt es: " ... angetan mit Säcken." Das soll besagen, daß sie, äußerlich gesehen, alte Kleidung, keine neue, trugen. Mit anderen Worten, zu Beginn besaßen sie in den Augen des Volkes keinerlei äußeren Glanz, und ihre Sache erschien nicht neu, denn Muhammads geistiges Gesetz entspricht dem Gesetz Christi in den Evangelien, und viele Seiner Gesetze, die sich auf materielle Dinge beziehen, stimmen mit denen des Alten Testaments überein. Das ist die Bedeutung der alten Kleidung.
¹ Der zitierte arabische Qur'án-Text wird hier von 'Abdu'l-Bahá in freier persischer Übersetzung wiederholt.
Dann ist gesagt: "Diese sind die zwei Ölbäume und zwei Fackeln, stehend vor dem Herrn der Erde." Diese zwei Seelen vergleicht Er mit Ölbäumen, weil zu jener Zeit alle Lampen mit Olivenöl brannten. Es sind zwei Personen gemeint, von denen jener Geist der Weisheit Gottes, der die Ursache der Erleuchtung der Welt ist, erscheint. Diese Leuchten Gottes sollten strahlen und scheinen, deshalb wurden sie mit zwei Fackeln verglichen: Die Fackel ist der Wohnort des Lichts, und von ihr strahlt das Licht aus. In gleicher"Weise scheint und strahlt aus diesen erleuchteten Seelen das Licht der Führung.
Weiter heißt es: " ... stehend vor dem Herrn der Erde." Sie stehen also im Dienst Gottes und erziehen Seine Geschöpfe, wie zum Beispiel die wilden Nomadenstämme der arabischen Halbinsel, die sie in solcher Weise erzogen, daß sie die höchste Kulturstufe jener Zeit erreichten und ihr Ruf und ihre Berühmtheit die Welt durchdrang.
"Und so jemand sie will schädigen, so geht Feuer aus ihrem Munde und verzehrt ihre Feinde." Damit ist gemeint, daß ihnen niemand Widerstand leisten kann. Wenn jemand ihre Lehren und ihr Gesetz herabsetzen will, so wird er von eben diesem Gesetz, das aus ihrem Munde geht, erfaßt und verzehrt. Und jeder, der versucht, sie zu hassen, zu verletzen und zu bekämpfen, wird durch einen Befehl, der aus ihrem Munde geht, vernichtet. Und so kam es auch; alle ihre Feinde wurden überwunden, in die Flucht geschlagen und zunichte gemacht. In dieser sichtbarsten Weise hat Gott ihnen beigestanden.
Ferner steht geschrieben: "Diese haben Macht, den Himmel zu verschließen, daß es nicht regne in den Tagen ihrer Weissagung," was bedeutet, daß sie in jenem Zyklus wie Könige sind. Das Gesetz und die Lehren Muhammads sowie die Erklärungen und Erläuterungen 'Alís sind himmlische Gnade; wenn sie wollen, haben sie die Macht, diese Gnade zu gewähren. Wenn sie nicht wollen, wird es nicht regnen: in diesem Zusammenhang ist Regen das Zeichen für Gnade.
Später heißt es: " ... und haben Macht über das Wasser, es zu wandeln in Blut." Damit soll gesagt sein: Das Prophetentum Muhammads ist dem Prophetentum Mose, und die Macht 'Alís derjenigen Josuas gleich. Wenn sie wollen, verwandeln sie das Wasser des Nils, soweit es die Ägypter und die Gottesleugner angeht, in Blut. Das heißt, daß das, was die Ursache ihres Lebens war, durch ihre Torheit und ihren Hochmut zur Ursache ihres Todes wurde. So wurden Herrschaft, Reichtum und Macht des Pharao und seines Volkes, die die Ursachen des Lebens der Nation waren, durch ihre Gegnerschaft und Verleugnung und ihren Stolz zur Ursache von Tod, Zerstörung, Zerstreuung, Erniedrigung und Armut. Diese beiden Zeugen haben also die Macht, Völker zu vernichten.
Und weiter steht geschrieben: " ... und zu schlagen die Erde mit allerlei Plage, so oft sie wollen." Das bedeutet, daß sie auch die materielle Kraft und die Macht besitzen, Übeltäter, Bedrücker und Tyrannen zu erziehen. Denn Gott hat diese beiden Zeugen mit äußerer und innerer Macht begnadet, so daß sie die wilden, blutdürstigen und tyrannischen arabischen Nomaden, die wie Raubtiere waren, bessern und erziehen konnten.
"Und wenn sie ihr Zeugnis geendet haben", will sagen, wenn sie durchgeführt haben, wozu sie beauftragt waren, die göttliche Botschaft übermittelt, die Gesetze Gottes eingeführt und die himmlischen Lehren verbreitet haben, so daß die Zeichen geistigen Lebens in den Seelen offenbar würden, das Licht wahrer menschlicher Tugenden leuchte, bis umfassende Fortschritte unter die Nomadenstämme gebracht sind, " ... so wird das Tier, das aus dem Abgrund aufsteigt, mit ihnen einen Streit halten und wird sie überwinden und wird sie töten." Mit diesem Tier sind die Baní-Umayyih¹ gemeint, die sie aus dem Abgrund des Irrtums angriffen und sich gegen die Religion Muhammads und die Wirklichkeit 'Alís - mit anderen Worten die Liebe zu Gott - empörten.
¹ Die Dynastie der Umaijaden.
Wenn gesagt ist, daß das Tier mit den beiden Zeugen einen Streit hält, so heißt das einen geistigen Streit. Denn es wird sich in voller Stärke gegen die Lehren, die Einrichtungen und das Brauchtum dieser beiden heiligen Seelen wenden, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß die Tugenden und Vorzüge, die durch die Kraft dieser beiden Zeugen unter den Völkern und Stämmen verbreitet wurden, ganz verloren gehen, und die tierische Natur und sinnliche Leidenschaften die Oberhand gewinnen werden. Deshalb werde dieses Tier, das einen Streit mit ihnen hält, sie überwinden; das heißt, die Dunkelheit des Irrtums, die von dieser Bestie ausgeht, wird die ganze Welt beherrschen, und sie wird jene beiden Zeugen töten. Mit anderen Worten: Das von ihnen unter den Völkern erweckte geistige Leben wird das Tier vernichten, und die Religion Gottes mit den Füßen tretend, wird es die göttlichen Gesetze und Lehren völlig beseitigen. Danach wird nichts als ein lebloser Körper ohne Geist übrigbleiben.
"Und ihre Leichname werden liegen auf der Gasse der großen Stadt, die da heißt geistlich `Sodom und Ägypten`, da auch ihr Herr gekreuzigt ist." "Ihre Leichname" bedeutet die Religion Gottes, und die "Gasse" bezeichnet ihre öffentliche Anprangerung. "Sodom und Ägypten, da auch ihr Herr gekreuzigt ist" bezieht sich auf jene Gegend Syriens, und besonders auf Jerusalem, wo die Umaijaden damals herrschten. Hier wurden die göttlichen Lehren und das Gesetz Gottes zuerst mißachtet, und ein Körper ohne Geist blieb zurück. "ihre Leichname" steht für Gottes Gesetz, das wie ein lebloser Körper ohne Geist übrigblieb.
"Und es werden etliche von den Völkern und Geschlechtern und Sprachen ihre Leichname sehen drei Tage und einen halben und werden ihre Leichname nicht lassen in Gräber legen." Wie früher bereits erklärt wurde, bedeuten nach der Ausdrucksweise der Heiligen Bücher drei und ein halber Tag drei und ein halbes Jahr, drei und ein halbes Jahr aber bestehen aus 42 Monaten, und 42 Monate aus 1260 Tagen; und da jeder Tag nach dem Text der Heiligen Schrift ein Jahr bedeutet, heißt das, daß während 1260 Jahren, die den Zyklus des Qur'án bilden, die Stämme, Nationen und Völker "ihre Leichname sehen", was heißt, daß sie aus der Religion Gottes eine Schaustellung machen: einerseits handeln sie nicht in Übereinstimmung mit ihr, andererseits lassen sie nicht zu, daß "ihre Leichname" - eben das Gesetz Gottes - zu Grabe getragen werden. Äußerlich halten sie an der Religion Gottes fest und lassen sie nicht völlig aus ihrer Mitte verschwinden; auch erlauben sie nicht, daß ihr toter Körper ganz zerstört und vernichtet werde. In Wirklichkeit aber haben sie das Gesetz Gottes verlassen, und nur nach außen hin erwähnen sie es und halten an seinem Namen fest.
Mit "etliche von den Völkern" sind die Stämme und Nationen gemeint, die unter dem Schutz des Qur'án vereinigt sind und die nicht zulassen, daß die Sache Gottes und Sein Gesetz auch nach außen hin völlig zertreten und zerstört werden. So haben sie das Gebet und das Fasten beibehalten, aber die wirklichen Grundlagen der Religion Gottes, nämlich Moral, gute Lebensführung und Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse sind verlorengegangen. Das Licht der menschlichen Tugenden, die aus der Gottesliebe und Gotteserkenntnis erwachsen, ist erloschen, und die Dunkelheit der Gewalt, der Unterdrückung und satanischer Leidenschaften und Laster hat die Oberhand gewonnen. Der Körper des göttlichen Gesetzes wurde wie ein Leichnam in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, und zwar 1260 Tage lang, von denen jeder ein Jahr bedeutet. Und dies ist die Zeit des Muhammadanischen Zyklus.
Was diese beiden Männer geschaffen hatten, und was das Fundament des göttlichen Gesetzes gewesen war, das haben die Menschen verwirkt. Sie zerstörten die Tugenden der menschlichen Welt, die die göttlichen Geschenke und der Geist dieser Religion sind, in solcher Weise, daß Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Liebe, Einigkeit, Reinheit, Heiligkeit, Loslösung und alle göttlichen Eigenschaften unter ihnen vergingen. Nur Gebete und Fasten blieben von der Religion bestehen; dieser Zustand dauerte 1260 Jahre, was die Zeitspanne für den Zyklus des Furqán¹ ist. Es war, als ob die beiden Zeugen gestorben und ihre Körper ohne Geist zurückgeblieben wären.
¹ Ein anderer Name für den Qur'án, der seine Bedeutung kennzeichnet.
"Und die auf Erden wohnen, werden sich freuen über sie und wohlleben und Geschenke untereinander senden; denn diese zwei Propheten quälten die auf Erden wohnten." "Die auf Erden wohnten" bedeutet die anderen Nationen und Rassen, nämlich die Völker Europas und des fernen Asiens. Als sie sahen, daß sich der Charakter des Islám völlig verändert hatte, daß das göttliche Gesetz nicht mehr befolgt wurde, daß Tugenden, Eifer und Ehre vernichtet und die Eigenschaften verwandelt waren, freuten sie sich und waren froh, daß Sittenverderbnis die islamischen Völker angesteckt hatte, denn sie wußten, daß diese deshalb von anderen Völkern unterworfen werden würden. So ist es auch geschehen. Sieh, wie dieses Volk, das auf dem Gipfel der Macht stand, heute erniedrigt und unterdrückt ist.
Die anderen Völker werden "Geschenke untereinander senden" heißt, sie werden sich gegenseitig helfen, "denn diese zwei Propheten quälten die auf Erden wohnten". Mit anderen Worten, sie hatten die anderen Völker und Nationen der Welt besiegt und unterworfen.
"Und nach drei Tagen und einem halben fuhr in sie der Geist des Lebens von Gott, und sie traten auf ihre Füße; und eine große Furcht fiel über die, so sie sahen." Dreieinhalb Tage bedeuten 1260 Jahre, wie vorher ausführlich erklärt wurde. Die zwei Personen, deren Körper ohne Geist dalagen, bedeuten die Unterweisungen und das religiöse Gesetz, das Muhammad begründet und 'Alí verbreitet hatte, dessen wahre Grundlage jedoch verlorenging und von dem nur die äußere Form übrigblieb. In diese Körper kehrte der Geist zum zweiten Male ein, das heißt, jene Grundlagen und Lehren wurden zum zweiten Male eingesetzt. Mit anderen Worten: Geistigkeit des göttlichen Gesetzes war in Materialismus, Tugenden in Laster, Liebe zu Gott in Haß, Erleuchtung in Finsternis, göttliche Eigenschaften in satanische, Gerechtigkeit in Tyrannei, Erbarmen in Feindseligkeit, Aufrichtigkeit in Lüge, Führung in Irreleitung und Keuschheit in niedrige Sinnenlust verwandelt worden. Nach dreieinhalb Tagen, die nach der Ausdrucksweise der Heiligen Bücher 1260 Jahre bedeuten, wurden jene göttlichen Lehren, Tugenden und Vollkommenheiten und die geistigen Gnadenbeweise durch das Erscheinen des Báb und die Ergebenheit des Quddús¹ erneuert.
¹ Háji Muhammad 'Alí Barfurúshi, einer der bedeutendsten Jünger des Báb und einer der neunzehn "Buchstaben des Lebendigen".
Der Atem der Heiligkeit wehte, das Licht der Wahrheit leuchtete, der seelenerquickende Frühling erschien, und der Morgen der Führung dämmerte. Die beiden leblosen Körper wurden wieder belebt, und diese beiden großen Männer, der eine der Begründer, der andere der Verbreiter, standen auf und waren wie zwei Fackeln, denn sie erleuchteten die Welt mit dem Lichte der Wahrheit.
"Und sie hörten eine große Stimme vom Himmel zu ihnen sagen: Steiget herauf! Und sie stiegen auf in den Himmel ..." Das heißt, aus dem verborgenen Himmel hörten sie die Stimme Gottes, die sprach: Was getan werden mußte und was notwendig war, habt ihr vollbracht, die Lehren und frohen Botschaften habt ihr verbreitet, Meine Botschaft habt ihr den Geschöpfen übermittelt, den Ruf Gottes habt ihr erschallen lassen und eueren Auftrag habt ihr erfüllt. Nun müßt ihr wie Christus euer Leben dem innig Geliebten als Opfer darbringen und Märtyrer werden. Und jene Sonne der Wahrheit und jener Mond der Führung¹ gingen beide wie Christus am Horizont des größten Martyriums unter und stiegen auf zum Königreich Gottes.
¹ Der Báb und sein Jünger Quddús.
" ... und es sahen sie ihre Feinde" das heißt, viele ihrer Feinde erkannten nach ihrem Märtyrertod die Höhe ihrer Stufe und die Erhabenheit ihres Verdienstes und bekundeten ihre Größe und Vollkommenheit.
"Und zu derselben Stunde ward ein großes Erdbeben, und der zehnte Teil der Stadt fiel, und wurden getötet in dem Erdbeben siebentausend Namen der Menschen."
Dieses Erdbeben ereignete sich in Shiráz nach dem Märtyrertod des Báb. Die Stadt war in Aufruhr, und viele Menschen kamen um. Darüber hinaus herrschte durch Krankheiten, Cholera, Hungersnot, Teuerung, Mangel und Unglück so große Erregung, wie sie nie zuvor dagewesen war.
"Und die anderen erschraken und gaben Ehre dem Gott des Himmels."
Bei dem Erdbeben in Fárs jammerten und klagten die Überlebenden Tag und Nacht, sie flehten und riefen zu Gott; sie waren so von Angst und Aufregung erfüllt, daß sie nachts weder Schlaf noch Ruhe fanden.
"Das andere Wehe ist dahin; siehe, das dritte Wehe kommt schnell." Das erste Wehe war das Erscheinen Muhammads, des Sohnes 'Abdu'lláhs - Friede sei mit ihm. Das zweite Wehe war das Kommen des Báb - Ruhm und Preis seien ihm. Das dritte Wehe ist der große Tag der Offenbarung des Herrn der Heerscharen und der Strahlungspunkt der Schönheit des Verheißenen. Die Erklärung für diesen Punkt, das Wehe, steht im Buche Hesekiel im 30. Kapitel, Vers 2-3, wo es heißt: "Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschenkind, weissage und sprich: So spricht der Herr, Herr: Heulet: `O weh des Tages`. Denn der Tag ist nahe, ja, des Herrn Tag ist nahe."
Es ist demnach sicher, daß der Tag des Wehe der Tag des Herrn ist; denn jener Tag bringt das Wehe den Achtlosen, den Sündern und den Nicht-Erkennenden. Darum ist gesagt: "Das andere Wehe ist dahin; siehe, das dritte Wehe kommt schnell." Dieses dritte Wehe ist der Tag der Offenbarung Bahá'u'lláhs, der Tag Gottes; und er war nahe dem Tag des Erscheinens des Báb.
"Und der siebente Engel posaunte; und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit."
Der siebente Engel ist ein mit himmlischen Eigenschaften begabter Mensch, der sich mit überirdischem Wesen und Charakter erheben wird. Stimmen werden laut, damit das Erscheinen der Offenbarung Gottes verkündet und bekannt werde. Am Tage des Kommens des Herrn der Heerscharen und in der Zeit des göttlichen Zyklus des Allmächtigen, der in allen Büchern und Schriften der Propheten verheißen und erwähnt wurde, - an diesem Tag des Herrn wird das geistige und göttliche Königreich errichtet und die Welt erneuert; ein neuer Geist wird allem Erschaffenen eingehaucht, die Zeit des göttlichen Frühlings bricht an, die Wolken der Gnade regnen, die Sonne der Wahrheit scheint, der lebenspendende Windhauch weht, die Menschenwelt legt ein neues Gewand an, die Erde wird zu einem erhabenen Paradiese; die Menschheit wird erzogen, Krieg, Streit, Zank und Bosheit verschwinden, Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und Gottesverehrung erscheinen; Einigkeit, Liebe und Brüderlichkeit werden die Welt erfüllen, und Gott wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit, das heißt, daß das geistige und ewige Königreich aufgerichtet wird. So ist der Tag Gottes. Alle Tage, die früher kamen und gingen, waren die Tage Abrahams, Mose, Christi oder der anderen Propheten, dieser Tag aber ist der Tag Gottes, denn die Sonne der Wahrheit wird in all ihrer Pracht und Herrlichkeit aufgehen.
"Und die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Stühlen saßen, fielen auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: "Wir danken Dir, Herr, allmächtiger Gott, Der Du bist und warest, daß Du hast angenommen Deine große Kraft und herrschest."
In jedem Zyklus waren die Auserwählten und Heiligen zwölf Männer. Jakob hatte zwölf Söhne; in den Tagen Mose waren es zwölf Stammeshäupter; in der Zeit Christi waren es zwölf Jünger und in den Tagen Muhammads zwölf Imáme. Aber in dieser herrlichen Offenbarung sind es vierundzwanzig Männer, das Doppelte all der anderen, denn die Größe dieser Offenbarung erfordert es. Diese heiligen Seelen sitzen in der Gegenwart Gottes auf ihren eigenen Thronen, was bedeutet, daß sie ewig herrschen.
Diese vierundzwanzig großen Persönlichkeiten verehren, obgleich sie auf den Thronen ewiger Herrschaft sitzen, dennoch das Erscheinen der allumfassenden Offenbarung und sind ergeben und demütig und sagen: "Wir danken Dir, Herr, allmächtiger Gott, Der Du bist und warest, daß Du hast angenommen Deine große Kraft und herrschest." Das besagt: Deine Lehren wirst Du überall verbreiten, und alles, was auf Erden ist, wirst Du unter Deinem Schutz vereinen, und die ganze Menschheit wirst Du im Schatten eines einzigen Zeltes versammeln. Obwohl es das ewige Königreich Gottes ist und Er immer ein Königreich hatte und noch hat, bedeutet das Königreich hier Seine eigene Offenbarung¹; und Er wird alle die Gesetze und Lehren, die der Geist für die menschliche Welt sind, und ewiges Leben geben. Diese allumfassende Offenbarung erobert die Welt durch geistige Macht, nicht durch Krieg und Streit; sie tut es mit Frieden und Heiterkeit, nicht mit dem Schwert und Waffen; sie errichtet dieses himmlische Königreich mit wahrer Liebe und nicht mit der Gewalt des Krieges. Sie fördert diese göttlichen Lehren durch Güte und Rechtlichkeit, nicht durch Waffengewalt und Härte. Sie erzieht die Menschen und Nationen so, daß sie trotz aller Verschiedenheit ihrer Lebensumstände, der Mannigfaltigkeit ihrer Sitten und Charaktere, der Unterschiede in ihren Religionen und Rassen, wie es in der Bibel heißt, wie der Wolf und das Lamm, der Leopard und das Zicklein, die Schlange und der Säugling Kameraden, Freunde und Gefährten werden. Der gegenseitige Rassenhaß, die religiösen Gegensätze und die nationalen Schranken werden völlig beseitigt, und alle werden unter dem Schatten des Gesegneten Baumes in größter Einigkeit und Harmonie miteinander leben.
¹ Seine vollkommenste Offenbarung.
"Und die Heiden sind zornig geworden," weil Deine Unterweisungen den niedrigen Neigungen der Heiden entgegenliefen, "und es ist gekommen Dein Zorn", das heißt, über alle kam offenbarer Schaden, weil sie Deine Ermahnungen, Ratschläge und Unterweisungen nicht befolgten; darum gingen sie Deiner ewigen Gnadengaben verlustig, und das Licht der Sonne der Wahrheit blieb vor ihnen verschleiert.
" ... und die Zeit der Toten, zu richten", das heißt, die Zeit kommt, in der die Toten, nämlich die Seelen, die dem Geist der Liebe Gottes fern sind und am ewigen Leben der Heiligkeit nicht teilhaben, gerecht gerichtet werden; dies bedeutet, daß sie sich erheben werden, um das zu empfangen, was sie verdienen. Er läßt die Wahrheit ihrer Geheimnisse sichtbar werden und zeigt, in welchen Niederungen sie in dieser Welt leben, so daß sie mit Recht Tote genannt werden.
" ... und zu geben den Lohn Deinen Knechten, den Propheten und den Heiligen und denen, die Deinen Namen fürchten, den Kleinen und Großen." Dies besagt, daß Er die Gottesfürchtigen mit unendlicher Gnade auszeichnen und sie gleich Sternen am Himmel ewiger Erhabenheit leuchten lassen wird. Er hilft ihnen, indem Er sie zu einem Betragen und einer Lebensweise befähigt, die das Licht für die Menschheit, der Anlaß zur Führung und das Mittel zum ewigen Leben im göttlichen Königreich sind.
" ... und zu verderben, die die Erde verderbt haben." Das bedeutet, daß Er die Nachlässigen ausschließen wird, denn die Blindheit der Blinden wird offenbar, die Schau der Sehenden wird sich zeigen, die Torheit und Unwissenheit der Irregeleiteten wird erkannt und das Wissen und die Weisheit der Geführten werden deutlich; aus diesem Grunde werden die Verderber vernichtet.
"Und der Tempel Gottes ward aufgetan im Himmel." Das himmlische Jerusalem wird gefunden, und das Allerheiligste wird sichtbar. Das Allerheiligste bedeutet in der Sprache der Weisen das Wesen des göttlichen Gesetzes und die wahre göttliche Lehre, die in keinem Zyklus irgendeines Propheten verändert wurde, wie schon früher erklärt wurde. Das Heiligtum Jerusalems wird mit der Wirklichkeit des göttlichen Gesetzes verglichen, das das Allerheiligste ist, und all die Gesetze, Gebräuche, Riten und irdischen Vorschriften sind die Stadt Jerusalem - daher wird oben vom himmlischen Jerusalem gesprochen. Kurz, da in diesem Zyklus das göttliche Licht in hellstem Glanz von der Sonne der Wahrheit ausstrahlt, wird sich das Wesen der göttlichen Unterweisung in dieser erschaffenen Welt durchsetzen, und die Finsternis der Torheit und Unwissenheit wird vergehen; die Welt wird zu einer neuen Welt, und Erleuchtung wird vorherrschen. So wird das Allerheiligste erscheinen.
"Und der Tempel Gottes ward aufgetan im Himmel," heißt auch, daß durch die Verbreitung der göttlichen Lehren, das Erscheinen der himmlischen Geheimnisse und den Aufgang der Sonne der Wahrheit die Tore zum Heil und Erfolg in der ganzen Welt geöffnet sind und himmlische Segnungen sichtbar werden.
"Und die Lade Seines Bundes ward in Seinem Tempel gesehen." Das heißt, das Buch Seines Testamentes wird in Seinem Jerusalem sichtbar, die Tafel des Bundes¹ wird geschrieben, und die Bedeutung von Testament und Bund wird klargemacht. Der göttliche Ruf durchdringt den Osten und Westen, und die Verkündung der Sache Gottes erfüllt die Welt. Die Verletzer des Bundes werden erniedrigt und zerstreut, und die Getreuen werden geliebt und erhöht, denn sie halten sich an das Buch des Testaments und stehen fest und aufrecht im Bunde.
"Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner und Erdbeben und ein großer Hagel." Nach dem Erscheinen des Buchs des Bundes erhebt sich ein großer Sturm, die Blitze des göttlichen Zornes zucken, die Donnerschläge der Bündnisverletzung werden vernehmbar, das Erdbeben des Zweifels zeigt sich, der Hagel der Vergeltung fällt auf die Verletzer des Bundes, und sogar jene, die sich als gläubig bekennen, werden von Prüfungen und Versuchungen heimgesucht.
¹ Ein Werk Bahá'u'lláhs, in dem Er 'Abdu'l-Bahá ausdrücklich als denjenigen bestimmt, zu dem sich alle nach Seinem Tode wenden sollen. Es trägt den Namen Kitáb-i-'Ahd und ist als "Buch des Bundes" zusammen mit dem "Willen und Testament" 'Abdu'l-Bahás in Deutsch im Bahá'í-Verlag, Frankfurt am Main, 1957 in 2. und 3. Auflage erschienen.
In Jesaja 11, Vers 1-9, steht geschrieben: "Und es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen, auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Und Wohlgeruch wird ihm sein die Furcht des Herrn. Er wird nicht richten, nach dem seine Augen sehen, noch Urteil sprechen, nach dem seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande und wird mit dem Stabe seines Mundes die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und der Glaube der Gurt seiner Hüften. Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden auf der Weide gehen, daß ihre Jungen beieinander liegen; und Löwen werden Stroh essen wie die Ochsen. Und ein Säugling wird seine Lust haben am Loch der Otter, und ein Entwöhnter wird seine Hand stecken in die Höhle des Basilisken. Man wird nirgend Schaden tun noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt."
Die Rute aus dem Stamm Isais scheint Christus zu meinen, denn Joseph war aus dem Geschlecht Isais, des Vaters von David. Aber da Christus durch den Heiligen Geist geboren war, nannte Er Sich Selbst Sohn Gottes. Wäre dies nicht so gewesen, so könnten diese Äußerungen auf ihn zutreffen. Darüber hinaus aber sind einige der Ereignisse, von denen der Prophet sagte, daß sie zur Zeit dieses Sprosses geschehen werden, eingetroffen, wenn sie als Gleichnis genommen werden, aber nicht alle; werden sie dagegen nicht symbolisch genommen, so wurde keines dieser Zeichen zur Zeit Christi erfüllt. Zum Beispiel sind der Leopard und das Lamm, der Löwe und das Kalb, die Otter und der Säugling Bilder und Gleichnisse für die verschiedenen Nationen und Völker, sich bekämpfende Sekten und feindliche Rassen, die in ihrer Gegnerschaft und Feindschaft wie Wolf und Lamm sind. Wir sagen, daß sie durch den Odem des Geistes Christi den Geist der Eintracht und Harmonie fanden, daß sie von ihm belebt wurden und sich miteinander vereinten.
Aber "man wird nirgend Schaden tun noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voller Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt." Diese Umstände haben sich zur Zeit der Offenbarung Christi nicht erfüllt; denn bis auf den heutigen Tag gibt es auf der Welt verschiedene und sich bekämpfende Nationen, nur wenige Menschen bekennen sich zum Gotte Israels, und die meisten von ihnen besitzen nicht die Erkenntnis Gottes. Ebenso ist der allgemeine Friede in der Zeit Christi nicht verwirklicht worden, das heißt, unter den sich bekämpfenden und feindlichen Nationen sind Friede und Eintracht nicht zustande gekommen, Streit und Meinungsverschiedenheiten sind nicht überwunden und Versöhnung und Aufrichtigkeit nicht gewonnen worden. So hegen sogar die christlichen Glaubensgemeinschaften und Völker untereinander bis auf den heutigen Tag größte Feindschaft, und sie hassen und bekämpfen sich gegenseitig.
Aber jene Verse treffen Wort für Wort auf Bahá'u'lláh zu: In diesem wunderbaren Zyklus aber wird die Erde verwandelt und die Welt der Menschheit mit Frieden und Schönheit geschmückt. Feindseligkeit, Streit und gegenseitiges Töten werden zu Harmonie, Wahrhaftigkeit und Eintracht; zwischen den Nationen, Völkern, Rassen und Ländern werden gutes Einvernehmen und Liebe herrschen. Zusammenarbeit und Verbundenheit werden sich festigen, und schließlich wird der Krieg ganz unmöglich sein. Wenn die Gebote des Heiligsten Buches¹ in Kraft getreten sind, werden Interessenkämpfe und Streitigkeiten durch einen allgemeinen Gerichtshof aller Staaten und Nationen in größter Gerechtigkeit geschlichtet und entschieden und alle auftretenden Schwierigkeiten gelöst werden. Die fünf Erdteile der Welt werden wie `ein Land` sein, die vielen Völker werden wie `ein Volk`, die Erdoberfläche wird wie `ein Vaterland` und das Menschengeschlecht wie `eine Gemeinde` sein. Die Verbindung der Länder untereinander, der Verkehr, die Eintracht und Freundschaft unter den Völkern und Gemeinden werden so groß sein, daß die ganze Menschheit wie `eine Familie` und `ein Geschlecht` wird. Das Licht himmlischer Liebe wird leuchten, und die Dunkelheit des Hasses und der Feindschaft wird vergehen. Ein universaler Friede wird inmitten dieser Welt errichtet, und der gesegnete Baum des Lebens wird so hoch wachsen und gedeihen, daß sein Schatten über den Osten und den Westen fällt. Die Starken und die Schwachen, die Reichen und die Armen, die streitenden Sekten und die gegnerischen Nationen, die dem Wolf und dem Lamm, dem Leoparden und dem Zicklein, dem Löwen und dem Kalb gleichen, werden in größter Liebe, Freundschaft, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zusammenwirken. Die Welt wird von Wissenschaft, vom Wissen um die Geheimnisse des Seins und der Erkenntnis des Herrn erfüllt sein.
¹ Kitáb-i-Aqdas
Überlege nun, was für Fortschritte Wissenschaft und Erkenntnis in diesem großen Jahrhundert, das zum Zyklus Bahá'u'lláhs gehört, gemacht haben, wie viele Geheimnisse des Seins entdeckt und wie viele große Erfindungen erdacht wurden, die Tag für Tag um ein Vielfaches zunehmen. Bald werden sich Wissenschaft und Kenntnisse, ebenso wie die Erkenntnis Gottes, so entwickeln und solche Wunder aufzeigen, daß alle, die es erleben, darüber staunen werden. Dann wird der geheime Sinn des Verses Jesajas "Denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn" völlig offenbar.
Überlege auch, daß während der kurzen Zeit, die seit dem Erscheinen Bahá'u'lláhs vergangen ist, Menschen aus allen Ländern, Völkern und Rassen unter den Schutz dieser Sache kamen. Christen, Juden, Zoroastrier, Buddhisten, Hindus und Perser, alle schließen sich in größter Freundschaft und Liebe zusammen, als seien diese Menschen und ihre Angehörigen seit tausend Jahren miteinander verwandt und verbunden; denn sie sind wie Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Bruder und Schwester. Dies ist eine der Bedeutungen der Freundschaft zwischen Wolf und Lamm, Leopard und Zicklein, Löwe und Kalb.
Eines der großen Ereignisse, das am Tage des Erscheinens dieses unvergleichlichen Sprosses eintreten soll, ist das Hissen des Banners des Herrn unter allen Völkern. Das heißt, daß alle Völker und Stämme unter den Schutz dieses göttlichen Banners, das kein anderes als der erhabene Sproß Selbst ist, kommen und zu einem einzigen Volke werden. Die Gegensätze der Glaubensbekenntnisse und Religionen, die Feindschaft zwischen Rassen und Völkern und die Verschiedenheiten vaterländischer Interessen werden verschwinden. Alle werden `einer Religion`, `einem Bekenntnis`, `einer Rasse` und `einem Volk` angehören und in `einem Vaterland` wohnen, das die ganze Erde ist. Universaler Friede und Einheit werden unter allen Völkern verwirklicht, und jener unvergleichliche Sproß wird ganz Israel versammeln. Das kündet an, daß in diesem Zyklus Israel im Heiligen Land versammelt wird, und daß die Juden, die im Osten und Westen, im Süden und Norden zerstreut sind, vereinigt werden.
Nun sieh, daß sich dies im Zeitalter Christi nicht ereignet hat, denn die Völker sind nicht unter dem einen Banner, mit dem der göttliche Sproß gemeint ist, zusammengekommen. Aber in diesem Zyklus des Herrn der Heerscharen werden alle Völker und Nationen unter den Schutz dieses Banners gelangen. Auch das in alle Welt zerstreute Israel wurde im christlichen Zeitalter nicht im Heiligen Land von neuem vereint. Aber am Anfang des Zeitalters Bahá'u'lláhs begann sich dieses göttliche Versprechen, das in allen Büchern der Propheten verkündet wurde, zu erfüllen. Man kann sehen, wie von allen Teilen der Welt jüdische Geschlechter zum Heiligen Land kommen; sie leben in Dörfern und auf Boden, den sie sich erwerben, und Tag für Tag vermehrt sich ihre Zahl in einem solchen Ausmaß, daß ganz Palästina ihre Heimat werden wird¹.
¹ Diese Worte wurden im Jahre 1904 gesprochen und niedergeschrieben und bald darauf im Druck veröffentlicht.
Wie schon früher erklärt, bedeutet die Heilige Stadt, das Jerusalem Gottes, an den meisten Stellen des Heiligen Buches das Gesetz Gottes. Es wird manchmal einer Braut, zuweilen Jerusalem und dann wieder einem neuen Himmel und einer neuen Erde gleichgesetzt. So steht im 21. Kapitel, Vers 1-3, der Offenbarung des Johannes geschrieben: "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein."
Sieh, wie klar es ist, daß der erste Himmel und die erste Erde das frühere Gesetz bezeichnen. Denn es ist gesagt, daß der erste Himmel und die erste Erde vergingen und das Meer nicht mehr ist. Das heißt: Die Erde ist der Ort des Gerichtes, und am Ort des Gerichtes ist das Meer nicht mehr, nämlich die Lehren und das Gesetz Gottes werden auf der ganzen Erde verbreitet, alle Menschen nehmen die Sache Gottes an, und die Erde wird ganz von Gläubigen bewohnt. Deshalb gibt es kein Meer mehr, denn Wohnung und Lebensraum des Menschen liegen auf dem Festland. Mit anderen Worten, in jenem Zeitalter wird es für die Menschen zum Vergnügen, auf dem Feld des göttlichen Gesetzes zu wandeln. Solch eine Erde ist fest, auf ihr gibt es kein Ausgleiten.
Das Gesetz Gottes wird auch mit der Heiligen Stadt, dem Neuen Jerusalem, verglichen. Es ist klar, daß das Neue Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt, keine Stadt aus Stein, Kalk, Ziegeln, Mörtel und Holz ist. Es ist das Gesetz Gottes, das vom Himmel kommt und neu genannt wird; denn es ist selbstverständlich, daß das Jerusalem aus Stein und Mörtel nicht vom Himmel herabkommt und daß es nicht erneuert wird. Was aber erneuert wird, ist das Gesetz Gottes.
Das göttliche Gesetz wird auch mit einer Braut verglichen, die im schönsten Schmucke erscheint, wie es im 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes heißt: "Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann." Und im 12. Kapitel, Vers 1, steht geschrieben: "Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen." Dieses Weib ist jene Braut und bedeutet das göttliche Gesetz, das durch Muhammad offenbart wurde. Die Sonne, mit der sie bekleidet war, und der Mond unter ihren Füßen sind die zwei Nationen, die unter dem Schutz jenes Gesetzes stehen, das persische und das türkische Reich; denn das Sinnbild Persiens ist die Sonne und das der Türkei der Halbmond. Sonne und Mond sind die Verkörperung von zwei Reichen, die unter der Gewalt des Gesetzes Gottes stehen. Dann heißt es: " ... auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen." Diese zwölf Sterne bezeichnen die zwölf Imáme, die die Verbreiter des Muhammadischen Gesetzes und die Erzieher des Volkes waren und die wie Sterne am Himmel der Führung leuchten.
Dann steht im zweiten Vers: "Und sie war schwanger und schrie in Kindesnöten und hatte große Qual zur Geburt." Das heißt, dieses Gesetz geriet in große Schwierigkeiten und hatte Nöte und schwere Prüfungen zu erleiden, bis ein vollkommener Sproß hervorging, nämlich die folgende Offenbarung, der Verheißene, der der vollkommene Sproß ist und im Schoß dieses göttlichen Gesetzes, das ihm wie eine Mutter ist, erzogen war. Mit diesem Sproß ist der Báb, der erste Punkt, gemeint, der in Wahrheit der Sohn des göttlichen Gesetzes Muhammads war. Die heilige Wirklichkeit also, die das Kind und die Frucht des Gesetzes Gottes, seiner Mutter, ist und die in jener Religion verheißen ist, erscheint im Lande jenes Gesetzes; wegen der Gewaltherrschaft des Drachens aber wurde das Kind zu Gott entrückt. Nach 1260 Tagen wurde der Drache vernichtet, und der Sohn des Gesetzes Gottes, der Verheißene, offenbarte sich.
Verse 3 und 4: "Und es erschien ein anderes Zeichen im Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen, und sein Schwanz zog den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde." Diese Zeichen sind ein Hinweis auf die Dynastie der Umaijaden, die über die muhammadanische Religion herrschten. Die sieben Häupter und Kronen bezeichnen die sieben Länder und Gebiete, über die die Baní-Umayyih Gewalt hatten: Das römische Syrien, das persische, arabische und ägyptische Reich, sowie das afrikanische Gebiet, nämlich Tunis, Marokko und Algerien, das andalusische Reich, das heutige Spanien, und das Gebiet von Turkestan und Transoxanien (Buchara). Über diese Länder herrschten die Baní Umayyih. Die zehn Hörner bedeuten die Namen der umaijadischen Herrscher: es gab zehn Namen von Herrschern, also Führern und Befehlshabern - der erste war 'Abú Sufián und der letzte Mirván -, aber einige von ihnen trugen den gleichen Namen. So gab es zwei Mu'avíyyih, drei Yazíd, zwei Valíd und zwei Mirván, weshalb sich zehn Namen ergeben, ohne daß beim Zählen einer wiederholt wurde. Die Baní-Umayyih, von denen 'Abú-Sufián, Emir von Mekka und Haupt der Dynastie der Umaijaden, der erste und Mirván der letzte war, vernichteten ein Drittel der heiligen und gesegneten Nachkommen aus dem Geschlechte Muhammads, die wie Sterne des Himmels leuchteten.
Vers 4: "Und der Drache trat vor das Weib, die gebären sollte, auf daß, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße." Wie wir schon erklärt haben, ist dieses Weib das Gesetz Gottes. Der Drache wartete bei der Frau, um ihr Kind zu verschlingen, und dieses Kind war die verheißene Offenbarung, nämlich der Sproß des Gesetzes Muhammads. Die Umaijaden haben immer darauf gewartet, des Verheißenen, der aus dem Geschlechte Muhammads kommen soll, habhaft zu werden, um ihn zu vernichten und auszulöschen; denn sie fürchteten die Erscheinung der verheißenen Offenbarung, und sie suchten jeden Nachkommen Muhammads zu töten, der zu großem Ansehen gelangen könnte.
Vers 5: "Und sie gebar einen Sohn, ein Knäblein, das alle Heiden sollte weiden mit eisernem Stabe." Dieser große Sohn ist die verheißene Offenbarung, die aus dem Gesetze Gottes geboren und im Schoße der göttlichen Unterweisung erzogen wurde. Der eiserne Stab ist ein Symbol für Kraft und Macht - er ist nicht ein Schwert -, und das bedeutet, daß er mit göttlicher Kraft und Macht der Hirte aller Völker der Welt sein wird. Dieser Sohn ist der Báb.
Vers 5: "Und ihr Kind ward entrückt zu Gott und seinem Stuhl." Diese Prophezeiung bezieht sich auf den Báb, Der aufgestiegen ist zum himmlischen Reich, zum Thron Gottes und zum Mittelpunkt Seines Königreichs. Sieh, wie all dies mit den Tatsachen übereinstimmt.
Vers 6: "Und das Weib entfloh in die Wüste ... " Das heißt, das Gesetz Gottes floh in die Wüste, denn es wurde in die weite Wüste Hijáz und auf die arabische Halbinsel verpflanzt.
Vers 6: " ... wo sie einen Ort hat, bereitet von Gott ... " Die arabische Halbinsel wurde zum Zufluchtsort, zur Wohnstätte und zum Mittelpunkt des göttlichen Gesetzes.
Vers 6: " ... daß sie daselbst ernährt würde tausendzweihundertundsechzig Tage." Nach der Ausdrucksweise der Bibel bedeuten diese 1260 Tage, daß das Gesetz Gottes 1260 Jahre in der großen arabischen Wüste eingesetzt war. Aus ihm ist der Verheißene hervorgegangen. Nach 1260 Jahren wird dieses Gesetz keinen Einfluß mehr haben, denn die Frucht jenes Baumes wird erschienen und die Wirkung erzielt sein.
Beachte, wie die Prophezeiungen miteinander übereinstimmen. in der Offenbarung wird das Erscheinen des Verheißenen auf 42 Monate anberaumt, und Daniel spricht von drei Zeiten und einer halben, was ebenfalls 42 Monate ergibt; diese entsprechen 1260 Tagen. An anderer Stelle der Offenbarung des Johannes sind deutlich 1260 Tage erwähnt¹, und in der Heiligen Schrift steht, daß jeder Tag ein Jahr bedeutet. Noch klarer könnten diese Prophezeiungen nicht miteinander übereinstimmen. Der Báb erschien im Jahre 1260 nach der Auswanderung Muhammads, mit der die allgemeine Muhammadanische Zeitrechnung beginnt. In den Heiligen Büchern ist keine Prophezeiung über das Kommen eines Offenbarers klarer gegeben worden. Für den, der gerecht urteilt, ist die Übereinstimmung der von jenen großen Männern verkündeten Daten der schlüssigste Beweis. Für diese Prophezeiungen ist keine andere Erklärung möglich. Gesegnet sind die gerechten Seelen, die nach Wahrheit suchen. Wo aber Gerechtigkeit fehlt, zankt und beschimpft man sich und leugnet öffentlich die klaren Tatsachen; wie die Pharisäer, die beim Erscheinen Christi mit größter Hartnäckigkeit die Lehren und Erklärungen Christi und Seiner Jünger abstritten. Sie verdunkelten Seine Sache bei der unwissenden Masse, indem sie sagten: "Die Prophezeiungen beziehen sich nicht auf Jesus, sondern auf den Verheißenen, der später, unter den in der Thora niedergeschriebenen Umständen kommen wird." Einige dieser Umstände waren, daß er ein Königreich haben muß, daß er auf dem Throne Davids sitzen, das Gesetz der Thora durchsetzen und solche Gerechtigkeit offenbaren muß, daß Wolf und Lamm an der gleichen Quelle zusammenkommen.
Auf solche Weise hinderten sie das Volk daran, Christus zu erkennen.
¹ Kapitel 11, Vers 3,
In dieser stofflichen Welt ist die Zeit in Zyklen eingeteilt; die Erde ändert sich im Wandel der Jahreszeiten, und für die Menschen gibt es Fortschritt, Rückgang und Erziehung. Zu einer Zeit ist es Frühling, zu einer anderen Herbst, dann wieder die Jahreszeiten des Sommers oder des Winters.
Der Frühling bringt die wachstumspendenden Regenwolken und den würzigen Hauch des belebenden Frühlingswindes. Die Luft ist lind, der Regen fällt, die Sonne scheint, befruchtende Winde wehen, die Welt wird neu belebt, und der Odem des Lebens wirkt sichtbar in Pflanzen, Tieren und Menschen. Das irdische Sein wechselt von einem Zustand in den anderen. Alles wird mit einem neuen Gewand bekleidet, und die dunkle Erde bedeckt sich mit Pflanzen; Berge und Ebenen legen ein grünes Kleid an, Bäume tragen Blätter und Blüten, Gärten bringen Blumen und duftende Kräuter hervor. Die Welt wird zu einer anderen und von lebenspendendem Geist erfüllt. Die Erde war ein lebloser Körper; sie findet einen neuen Geist und bringt endlose Schönheit, Lieblichkeit und Frische hervor. So wird der Frühling zur Ursache neuen Lebens und schenkt einen neuen Geist.
Es folgt der Sommer, die Wärme nimmt zu, Wachstum und Entwicklung erreichen ihren Höhepunkt. Die Lebenskraft im Pflanzenreich erreicht ihren höchsten Stand, die Frucht erscheint, und die Zeit der Ernte naht; der Same wurde zur Garbe, und Nahrung wird für den Winter gespeichert.
Dann kommt der ungestüme Herbst, wo ungesunde, unfruchtbare Winde wehen; es ist die Jahreszeit der Krankheit, alles welkt dahin, und die Balsamluft wird verunreinigt. Die linden Frühlingslüfte sind zu Herbstwinden geworden, das üppige Grün der Bäume färbt sich und vergeht, die Blumen und duftenden Kräuter welken dahin, und die prangenden Gärten werden öde und leer.
Der Winter mit Kälte und Stürmen schließt sich an. Es schneit, regnet, hagelt, stürmt, donnert und blitzt¹, alles friert und erstarrt; die Pflanzen sterben, und die Tiere liegen darnieder und sind elend.
¹ Im Orient treten Gewitter fast ausschließlich im Winter auf.
Wenn es soweit gekommen ist, erscheint wieder ein seelenerquickender Frühling; ein neuer Zyklus bricht an. Der Lenz kehrt wieder in aller Pracht und Herrlichkeit und herrscht mit neuem Blühen und junger Schönheit in Berg und Tal. Wiederum wird die Erscheinungsform der Geschöpfe erneuert, und alles Erschaffene lebt von neuem auf. Körper wachsen und entfalten sich, Felder und öde Flächen werden grün und fruchtbar, Bäume blühen, und der Frühling des vergangenen Jahres kehrt in größter Fülle und Pracht wieder. So ist der Kreislauf und die Aufeinanderfolge des Lebens, und so soll es auch sein. So ist der Zyklus und Umlauf in der stofflichen Welt.
Mit den geistigen Zyklen der Propheten ist es das gleiche. Denn der Tag des Erscheinens der heiligen Offenbarer ist geistiger Frühling, göttlicher Glanz, himmlische Gnade, Odem des Lebens und Aufgang der Sonne der Wahrheit. Der Geist der Menschen wird belebt, ihre Herzen werden erquickt und gekräftigt, die Seelen zum Guten geführt, alles Sein kommt in Fluß, und die menschliche Natur wird heiterer und wächst und entwickelt gute Eigenschaften und Fähigkeiten. Der Fortschritt ist allgemein, und es gibt ein Wiedererwachen, aber auch Wehklagen; denn es ist der Tag des Gerichts, die Zeit der Unruhe und der Trübsal, aber gleichzeitig auch die Zeit der Freude, der Glückseligkeit und höchster Liebe.
Dann mündet der lebengebende Frühling in den fruchtbringenden Sommer. Das Wort Gottes wird entfaltet, das göttliche Gesetz verbreitet; alle Dinge erreichen Vollkommenheit. Der Tisch des Herrn ist gedeckt, der heilige Odem durchweht den Osten und den Westen, die göttlichen Lehren erfüllen die Welt, die Menschen werden gebildet, beispiellose Erfolge werden ins Leben gerufen, weltumspannender Fortschritt wird den Menschen geschenkt, und die göttlichen Gnadengaben umfassen alles. Die Sonne der Wahrheit erhebt sich mit der größten Kraft und Wärme vom Horizont des Königreiches. Wenn sie ihren Höhepunkt erreicht, beginnt sie sich zu neigen und niederzusteigen, und dem geistigen Sommer folgt der Herbst, wo Wachstum und Entfaltung aufhören. Lüfte werden zu verderblichen Winden, und die ungesunde Jahreszeit vernichtet die Schönheit und Frische der Gärten, Lauben und Felder. Das heißt, Liebe und Zuneigung bleiben nicht, himmlische Eigenschaften ändern sich, das Strahlen der Herzen wird getrübt, die Geistigkeit der Seelen wandelt sich, Tugenden werden zu Lastern, und Heiligkeit und Reinheit schwinden dahin. Nur der Name der Religion Gottes bleibt und der äußerliche Brauch der göttlichen Lehren. Die Grundlagen der Religion Gottes werden untergraben und vernichtet, und nichts bleibt als Riten und Zeremonien. Spaltungen bilden sich, Festigkeit wandelt sich in Unbeständigkeit und der Geist wird wie tot; die Herzen werden matt, die Seelen träge, der Winter ist da; das bedeutet, daß die Kälte der Unwissenheit die Welt umfaßt und die Finsternis der menschlichen Fehler die Oberhand gewinnt. Danach folgen Gleichgültigkeit, Ungehorsam, Rücksichtslosigkeit, Trägheit, Gemeinheit, tierische Triebe und steinähnliche Kälte und Gefühllosigkeit. Es ist wie die Jahreszeit des Winters, wenn die Erde, der Wirkung der Sommerwärme beraubt, trostlos und düster wird. Wenn die Welt des Verstandes und der Gedanken an diesem Punkt anlangt, gibt es nur noch unaufhörlichen Tod und immerwährendes Nichtsein.
Nachdem die Zeit des Winters ihren Sinn erfüllt hat, kehrt der geistige Frühling zurück, und ein neuer Zyklus erscheint. Geistige Lüfte wehen, ein leuchtender Morgen bricht an, göttliche Wolken spenden Regen, die Strahlen der Sonne der Wahrheit scheinen, die erschaffene Welt erlangt frisches Leben, und sie wird in ein wunderbares Gewand gekleidet. Alle Kennzeichen und Gaben des vergangenen Frühlings erscheinen wieder, vielleicht mit noch größerem Glanz in dieser neuen Jahreszeit.
Die geistigen Zyklen der Sonne der Wahrheit gleichen den Zyklen der stofflichen Sonne, fortwährend sind sie in Kreislauf und Erneuerung. Die Sonne der Wahrheit hat wie die Sonne am Himmel ungezählte Auf- und Untergangsorte: Einmal geht diese im Zeichen des Krebses auf, ein anderes Mal im Zeichen der Waage oder des Wassermanns, und wieder ein anderes Mal schickt sie ihre Strahlen vom Zeichen des Widders her. Aber die Sonne ist eine Sonne und eine einzige Wirklichkeit; kluge Menschen lieben die Sonne selbst und stehen nicht im Bann ihrer Auf- und Untergangsorte. Die Einsichtigen suchen die Wahrheit, nicht aber den Ort ihrer Erscheinung oder ihres Aufdämmerns; darum verehren sie die Sonne an jedem Punkt des Tierkreises, an dem sie aufgeht, und sie suchen die Wahrheit in jeder heiligen Seele, die sie offenbart. Solche Menschen gelangen immer zur Wahrheit und sind nicht abgeschlossen von der Sonne der göttlichen Welt. Wer die Sonne liebt und das Licht sucht, wendet sich immer der Sonne zu, ob sie im Zeichen des Widders scheint, ihre Gaben im Zeichen des Krebses spendet oder im Zeiten der Zwillinge leuchtet. Die Unwissenden und Nichtunterrichteten aber sind in die Zeichen des Tierkreises verliebt und sind gefesselt und gebannt von den Aufgangspunkten, nicht von der Sonne selber. Als sie im Zeichen des Krebses war, wandten sie sich diesem zu, obgleich später die Sonne zum Zeichen der Waage wanderte; weil sie das Zeichen liebten, kehrten sie sich diesem zu und schlossen sich ihm an, und sie wurden der Wirkungen der Sonne beraubt, nur weil diese ihren Ort gewechselt hatte. Zum Beispiel schickte die Sonne der Wahrheit einst ihre Strahlen im Zeichen Abrahams aus, dann brach sie im Zeichen Mose auf und erhellte den Horizont; später ging sie mit der größten Macht und Herrlichkeit im Zeichen Christi auf. Die Wahrheitssucher verehrten jene Wahrheit, wo immer sie sie sahen, aber die, die an Abraham hingen, waren ihrer Einwirkung beraubt, als sie auf dem Berge Sinai erschien und die Wirklichkeit Mose beleuchtete. Und so waren die, die sich an Moses festhielten, verschlossen, als die Sonne der Wahrheit mit hellstem Licht und göttlichem Glanz von Christus ausging; und so geht es weiter.
Der Mensch muß ein Sucher nach der Wahrheit sein; und er wird sie in jedem der geheiligten Wesen finden. Er muß hingerissen und bezaubert sein und hingezogen zu den göttlichen Gnadengaben; er soll dem Schmetterling gleichen, der das Licht liebt, in welcher Lampe es auch strahlt, und sein wie die Nachtigall, die trunken ist von der Rose, in welchem Garten sie auch blühen mag.
Wenn die Sonne im Westen aufginge, sie wäre doch die Sonne; man darf sich nicht vor ihr wegen ihres Aufgangspunktes verschließen oder den Westen immer als Untergangsort ansehen. Ebenso muß man nach den himmlischen Gnadengaben schauen und die göttliche Morgenröte suchen. Überall, wo sie erscheint, soll man ihr bedingungsloser Verehrer sein. Denke daran, daß die Juden, wenn sie sich nicht nur am Horizont Mose festgehalten, sondern auf die Sonne der Wahrheit geblickt hätten, zweifellos die Sonne am Aufgangsort der Wirklichkeit Christi in größtem göttlichem Glanze erkannt hätten. Aber wehe, tausendmal wehe! Indem sie sich an die äußerlichen Worte Mose hielten, gingen sie der göttlichen Gnade und des himmlischen Glanzes verlustig.
Würde und Bedeutung alles Erschaffenen hängen von Ursachen und begleitenden Umständen ab.
Vortrefflichkeit, Schmuck und Vollkommenheit der Erde bestehen darin, durch die Gaben der Frühlingswolken grün und fruchtbar zu sein. Pflanzen wachsen, Blumen und duftende Kräuter entstehen, fruchttragende Bäume kommen in Blüte und bringen frische und köstliche Früchte hervor. Gärten erblühen prächtig, die Auen stehen in bunter Zier, Berge und Felder legen grüne Kleider an, und Gärten, Wiesen, Dörfer und Städte legen den schönsten Staat an. Darin liegt das größte Glück des Mineralreichs.
Der höchste Sinn und die Vollkommenheit des Pflanzenreichs finden sich darin, daß ein Baum am Ufer eines Baches mit klarem Wasser wachsen kann, daß frische Winde über ihn wehen und die Sonnenstrahlen auf ihn fallen, daß ein Gärtner ihn pflegt und er sich Tag für Tag entfaltet und Früchte trägt. Sein wahres Glück aber ist sein Aufstieg zum Tier- und Menschenreich, indem seine Früchte das ersetzen, was im Körper von Tier und Mensch verbraucht wurde.
Das Wesentliche für das Tierreich ist, vollkommene Glieder, Organe und Kräfte zu besitzen und alle Bedürfnisse stillen zu können. Dies ist seine Hauptzierde, seine Würde und Bedeutung. So ist es das größte Glück für ein Tier, eine grüne und fruchtbare Wiese, klares, fließendes Wasser und einen schönen, grünen Wald zu haben. Wenn für all dies gesorgt ist, kann es kein größeres Glück geben. Baut zum Beispiel ein Vogel sein Nest in einem grünen, fruchtbaren Wald, an schöner, hochgelegener Stelle, auf einem starken Baum und an der Spitze eines luftigen Astes, und findet er alles, was er an Körnern und Wasser braucht, so ist dies für ihn vollendetes Glück.
Aber das wahre Glück für die Tiere besteht im Aufstieg vom Tier zum Menschenreich, wie die Kleinlebewesen, die durch Wasser und Luft in den Körper des Menschen eindringen und von ihm aufgenommen werden und das ersetzen, was von ihm verbraucht wurde.
Dies ist die größte Ehre und das wahre Glück für das Tierreich; keine größere Ehre ist für es denkbar. - Es ist also deutlich und klar, daß Fülle, Behagen und materieller Überfluß das volle Glück der Minerale, Pflanzen und Tiere bilden. Kein Reichtum, kein Vermögen, keine Bequemlichkeit und kein Behagen kommen dem Überfluß des Vogels gleich; all die Bereiche der Felder und Berge sind seine Wohnung, alle Körner und Früchte seine Nahrung und seine Schätze, und alles Land mit Dörfern, Wiesen, Weiden, Wäldern und einsamen Gegenden ist sein Besitz. Wer ist nun reicher, dieser Vogel oder der Vermögendste unter den Menschen? Soviel auch der Vogel Körner verwenden oder verschenken mag, sein Überfluß vermindert sich nicht.
Damit ist klar, daß Würde und Wert des Menschen mehr sein müssen als weltlicher Reichtum; materielle Annehmlichkeiten sind nur ein Zweig, aber die Wurzel menschlicher Größe sind gute Eigenschaften und Tugenden, die der Schmuck seiner Wirklichkeit sind. Dieser liegt in den göttlichen Erscheinungen, den himmlischen Gaben, den edlen Gefühlen und in der Liebe und Erkenntnis Gottes. Er ist umfassendes Wissen, geistige Wahrnehmung, wissenschaftliche Entdeckungen, Gerechtigkeit, Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit, Güte, natürlicher Mut und angeborene Seelenstärke; Rücksicht und Einhaltung von Verträgen und Bündnissen; Geradheit unter allen Umständen und Dienst an der Wahrheit in allen Lebenslagen; Aufopferung für das allgemeine Wohl und Güte und Achtung für alle Völker; Gehorsam gegenüber den göttlichen Lehren und Dienst im Reiche Gottes; Lenkung der Menschen und Erziehung der Nationen und Rassen. Dies ist das wahre Glück der Menschenwelt! Dies ist die Größe der Menschen in dieser Welt! Dies ist immerwährendes Leben und himmlische Ehre!
Solche Tugenden können nur durch die Kraft Gottes und die göttlichen Lehren im Menschen lebendig werden; denn sie bedürfen übernatürlicher Kraft, um offenbar zu werden. Es kann sein, daß in der natürlichen Welt Spuren dieser Vollkommenheit erscheinen, aber sie sind ohne Beständigkeit und Dauer; sie gleichen Strahlen der Sonne auf einer Mauer. Gott in Seiner Güte hat dem Menschen eine leuchtende Krone aufs Haupt gesetzt. Darum müssen wir uns bemühen, daß ihre strahlenden Edelsteine in der Welt sichtbar werden.
Der Angelpunkt für das Verständnis der Fragen, die wir bereits behandelt haben oder noch besprechen werden, um den Kern der Probleme deutlich zu machen, ist der Umstand, daß es zwei Arten menschlicher Erkenntnis gibt. Die eine ist die Erkenntnis der durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge, das heißt der Erscheinungen, die Auge, Ohr, Geruchs-, Geschmacks- oder Tastsinn erfassen können und die gegenständlich oder konkret genannt werden. So wird die Sonne gegenständlich genannt, weil sie gesehen werden kann. Ebenso sind Töne erkennbar, weil das Ohr sie hört. Düfte sind wahrnehmbar, weil sie eingeatmet werden können und der Geruchssinn sie bemerkt. Speisen sind erkennbar, weil der Geschmackssinn sie als süß, sauer oder salzig empfindet. Hitze und Kälte sind faßbar, weil der Fühlsinn sie wahrnimmt. All dies nennt man sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit.
Die andere Art menschlicher Erkenntnis ist intelligibel - das heißt, sie ist eine Wirklichkeit der Geisteskraft, ist nicht an äußere Form und Raum gebunden und nicht durch die Sinne wahrnehmbar. Zum Beispiel ist die Kraft des Verstandes nicht körperhaft; keine der inneren menschlichen Fähigkeiten ist ein Gegenstand, im Gegenteil, sie sind intelligible Wirklichkeit. So ist die Liebe eine geistige und keine gegenständliche Wirklichkeit, denn das Ohr hört diese Wirklichkeit nicht, das Auge sieht sie nicht, der Geruchssinn bemerkt sie nicht, der Geschmack nimmt sie nicht wahr und der Tastsinn fühlt sie nicht. Auch die Äthersubstanz, deren Kräfte in der Physik Wärme, Licht, Elektrizität und Magnetismus genannt werden, ist eine intelligible Wirklichkeit und kann nicht durch die Sinne wahrgenommen werden. Ebenso ist auch die Natur in ihrem innersten Wesen eine intelligible und sinnlich nicht erkennbare Wirklichkeit, desgleichen der menschliche Geist.
Wenn man diese intelligiblen Wirklichkeiten klarmachen will, muß man sie durch anschauliche Sinnbilder ausdrücken, weil es im äußeren Sein nichts außer Stofflichem gibt. Um also die Wirklichkeit des Geistes, seine Seins- und Erscheinungsweise zu erklären, bedarf es der Form sinnlich wahrnehmbarer Dinge, denn in der Welt des Stoffes ist nur Gegenständliches vorhanden. Zum Beispiel gehören Traurigkeit und Freude zu den intelligiblen Gegebenheiten. Wenn man diese unkörperlichen Zustände beschreiben will, sagt man: "Mein Herz ist schwer" oder "Mein Herz ist leicht", obwohl sich das Gewicht des menschlichen Herzens dabei nicht ändert. Es ist ein seelischer oder geistiger Zustand, den zu veranschaulichen man zu sinnlich wahrnehmbaren Bildern greifen muß. Ein anderes Beispiel: Man sagt: "Dieser Mensch ist weit fortgeschritten", obgleich er an Ort und Stelle verbleibt. Oder: "Jener hat eine hohe Stellung", obwohl er wie jeder andere auf der Erde einhergeht. Diese Höhe und dieser Fortschritt bezeichnen geistige Zustände und intelligible Wirklichkeiten; sie klarzumachen, muß man seine Zuflucht zu anschaulichen Formen nehmen, weil es in der Welt der Erscheinung nur sinnlich Greifbares gibt.
So ist das Sinnbild des Wissens Licht und der Unwissenheit Dunkelheit. Aber ist Wissen sichtbares Licht und Unwissenheit sinnlich wahrnehmbare Dunkelheit? Nein, sie sind nur Symbole für intelligible Gegebenheiten. Wenn man sie begrifflich darstellen will, nennt man das Wissen Licht und die Unwissenheit Dunkelheit. Man sagt auch: "Mein Gemüt war düster, dann wurde es licht." Das Licht des Wissens und die Dunkelheit der Unwissenheit sind intelligible und nicht stoffliche Wirklichkeiten, aber wenn wir in der stofflichen Welt nach Erklärungen suchen, müssen wir ihnen eine gegenständliche Form geben.
Es ist also augenfällig, daß die Taube, die auf Christus herabkam, keine körperliche Taube, sondern ein geistiger Zustand war, der, um verstanden zu werden, durch ein anschauliches Bild dargestellt wurde. So heißt es im Alten Testament, daß Gott in einer Feuersäule erschien. Damit ist nicht die materielle Form gemeint, sondern es ist eine intelligible Wirklichkeit, die durch ein faßbares Gleichnis ausgedrückt wurde.
Christus sagte: "Der Vater ist im Sohn und der Sohn ist im Vater." War Christus im inneren Gottes oder Gott im inneren Christi? Nein, bei Gott! Dies ist vielmehr ein intelligibler Zustand, der durch eine den Sinnen verständliche Umschreibung erklärt wurde.
Wir wollen nun Bahá'u'lláhs Worte auslegen, wenn Er sagt: "O König, wahrlich, ich war wie jeder Mensch und schlief auf Meinem Lager. Da wehte der Odem des Allerherrlichsten über Mich hin und schenkte Mir die Erkenntnis dessen, was war. Dies kommt nicht von Mir, sondern von Ihm, dem Herrlichen, dem Weisen."¹ Dies ist der Vorgang der Offenbarung; es ist keine körperliche, sondern geistige Wirklichkeit, frei und losgelöst von der Zeit, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; es ist eine Erklärung, ein Gleichnis, ein bildlicher Ausdruck, und darf nicht nach dem Buchstaben ausgelegt werden; es ist ein Vorgang, der vom Menschen nicht begriffen werden kann. Schlafen und Wachen bedeuten den Übergang von einem Bewußtseinszustand in einen anderen. Schlaf ist die Seinsweise der Ruhe, Wachsein die der Tätigkeit; Schlaf ist der Zustand des Schweigens, Wachsein der des Sprechens; Schlaf bedeutet die Verfassung des Verborgenseins, Wachsein die des Offenbarwerdens.
Im Persischen und Arabischen wird zum Beispiel die Redewendung gebraucht, daß die Erde schlief, der Frühling kam und sie erweckte; oder die Erde war tot, und der Frühling kam und belebte sie wieder. Diese Äußerungen sind bildliche Ausdrücke, Gleichnisse, symbolische Erklärungen in der Welt der Bedeutungen.
Kurz, die heiligen Offenbarer waren und werden immer leuchtende Wirklichkeit sein; weder wandeln noch ändern sie sich in ihrem Wesen. Ehe sie ihre Sendung erklären, sind sie stumm und still wie ein Schläfer, und nach ihrer Offenbarung sprechen sie und sind erleuchtet wie einer, der erwacht ist.
¹ Aus einem Brief an den Sháh von Persien.
Antwort: In dieser Frage widersprechen sich die Theologen und die Materialisten. Die Theologen glauben, daß Christus durch den Heiligen Geist geboren wurde, die Materialisten denken, daß dies unmöglich und unzulässig sei, und daß Er zweifellos einen menschlichen Vater gehabt habe.
Im Qur'án heißt es: "Wir sandten zu ihr unseren Geist in der Gestalt eines vollkommenen Mannes."¹ Das bedeutet, daß der Heilige Geist menschliche Gestalt annahm - wie ein Bild im Spiegel hervorgerufen wird - und zu Maria sprach.
¹ Súrih 19:17
Die Materialisten glauben, daß eine Ehe sein muß, und sagen, daß ein lebendiger Körper nicht von einem körperlosen Wesen gezeugt werden könne und daß ohne Mann und Frau eine Befruchtung nicht stattfinden könne. Sie denken, daß dies nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Tier und den Pflanzen unmöglich sei. Denn die Paarung von Männlichem und Weiblichem bestehe bei allem lebendigen und pflanzlichen Sein. Diese Paarung in der Schöpfung wird sogar im Qur'án dargelegt: "Preis sei Ihm, Der zu Paaren erschaffen hat alles, was auf der Erde wächst, und die Menschen auf ihr und manches, was sie nicht erkennen."¹ Das heißt, Menschen, Tiere und Pflanzen, alle sind gepaart - "und es gibt kein Ding, das Wir nicht in Paaren zu zweien erschaffen hätten." Das heißt, die ganze Natur wurde durch Paarung erschaffen.
¹ Súrih 36:36
Kurz, die Materialisten sagen, ein Mensch ohne menschlichen Vater sei nicht denkbar. Darauf antworten die Theologen: "Dies ist nicht unmöglich und unausführbar. Es ist nur noch nicht gesehen worden, es besteht ein großer Unterschied zwischen einer unmöglichen und einer unbekannten Sache. Zum Beispiel war in früheren Zeiten der Telegraph, der den Osten und Westen verbindet, unbekannt, aber nicht unmöglich; auch die Photographie und der Phonograph waren unbekannt, aber nicht unmöglich."
Die Materialisten beharren auf ihrer Meinung, und die Theologen antworten: "Ist diese Erde schon immer gewesen oder ist sie entstanden?" Die Materialisten erwidern, daß es nach dem Stand der Wissenschaften und entscheidender Entdeckungen festliege, daß sie entstanden sei. Zuerst war sie eine feurige Kugel, die sich allmählich abkühlte und eine Kruste bildete; dann wuchsen auf dieser Kruste zuerst Pflanzen, später entwickelten sich Tiere, und zuletzt trat der Mensch in Erscheinung.
Die Theologen entgegnen: "Aus eurer Darstellung geht also klar und deutlich hervor, daß auf der Erde die Menschheit in Erscheinung trat und nicht schon ewig bestand. Demnach hatte der erste Mensch sicherlich weder Vater noch Mutter, denn das Dasein des Menschen ist entstanden. Ist die Erschaffung des Menschen ohne Vater und Mutter, selbst wenn er sich allmählich entwickelt hat, nicht schwerer, als wenn er einfach ohne Vater ins Leben gerufen worden wäre? Da ihr zugebt, daß der erste Mensch - sei es nun allmählich oder plötzlich - ohne Vater und ohne Mutter ins Dasein kam, kann es keinen Zweifel geben, daß auch ein Mensch ohne menschlichen Vater möglich und zulässig ist; ihr könnt dies nicht als unmöglich ansehen, sonst seid ihr unlogisch. Wenn man zum Beispiel sagt, daß diese Lampe einmal ohne Docht und Öl angezündet worden wäre, und dann behauptet, daß es unmöglich sei, sie ohne Docht zum Leuchten zu bringen, so ist dies unlogisch." Christus hatte eine Mutter; der erste Mensch hatte nach der Überzeugung der Materialisten weder Vater noch Mutter.
Die Grösse Christi Liegt In Seiner Vollkommenheit
Ein großer Mann ist groß, gleichgültig, ob er einen menschlichen Vater hat oder nicht. Wenn es ein Vorzug wäre, keinen Vater zu haben, so wäre Adam größer und erhabener als alle Propheten und Gottgesandten, denn er hatte weder Vater noch Mutter. Die Ursache der Größe und Erhabenheit ist der Glanz und die Gnade göttlicher Vollkommenheit. Die Sonne ist aus Substanz und Form geschaffen, die man mit Vater und Mutter vergleichen kann, und sie ist reine Vollendung; die Finsternis aber hat weder Substanz noch Form, weder Vater noch Mutter, und sie ist absolute Unvollkommenheit. Die Substanz von Adams körperlichem Leben war Erde, diejenige Abrahams aber reiner menschlicher Samen; sicherlich ist reiner und keuscher Samen besser als Erde.
Mehr noch, im Evangelium des Johannes, im ersten Kapitel, Vers 12 und 13, heißt es: "Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben; welche nicht von dem Gelübde noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind."
Aus diesen Worten geht klar hervor, daß das Wesen eines Jüngers auch nicht durch physische Kraft, sondern durch die geistige Wirklichkeit verursacht wurde. Die hohe Stellung und die Größe Christi liegen nicht darin, daß Er keinen Vater hatte, sondern in Seinen Vollkommenheiten, Seinen Gnadengaben und in Seiner himmlischen Herrlichkeit. Wenn die Größe Christi in Seiner Vaterlosigkeit gelegen hätte, müßte Adam größer gewesen sein, denn er hatte weder Vater noch Mutter. Im Alten Testament steht: "Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und Er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele."¹ Beachte, es heißt, daß Adam durch den Geist des Lebens erschaffen wurde. Darüber hinaus sind die Worte des Johannes über die Jünger ein Beweis dafür, daß auch sie vom himmlischen Vater sind. Es ist also klar erwiesen, daß die geheiligte Wirklichkeit, daß heißt das wirkliche Sein eines jeden großen Menschen, von Gott kommt und durch den Odem des Heiligen Geistes ins Leben tritt.
¹ 1. Mose 2:7
Der Sinn ist: Wenn es der größte Vorzug des Menschen wäre, keinen menschlichen Vater zu haben, dann wäre Adam größer als alle anderen, weil er weder Vater noch Mutter hatte. Ist es besser für den Menschen, aus lebendiger Substanz oder aus Erde erschaffen zu werden? Sicher ist es besser, aus lebendiger Substanz erschaffen zu werden. Christus aber wurde vom Heiligen Geist geboren und ins Leben gerufen.
Abschließend: Der hohe Rang und der Ehrenplatz der heiligen Seelen und der göttlichen Offenbarer kommen von ihren Vollkommenheiten und Gnadengaben und ihrer himmlischen Herrlichkeit, und von nichts anderem.
Frage: Im Matthäusevangelium heißt es im 3. Kapitel, Vers 13-15: "Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß Er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte Ihm und sprach: Ich bedarf wohl, daß ich von Dir getauft werde, und Du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt also geschehen, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's Ihm zu."
Wieso brauchte Christus, Der Selbst jede wesentliche Vollkommenheit besaß, die Taufe, und was ist die Weisheit davon?
Antwort: Ursprünglich war die Taufe eine Kultwaschung zum Zeichen der Reue. Johannes gab den Menschen Ermahnungen und guten Rat und führte sie so zur Reue, dann taufte er sie. Es ist also klar, daß diese Taufe ein Symbol der Reue über alle Sünden war, wie es in den Worten zum Ausdruck kommt: "O Gott, wie mein Körper von äußerlichem Schmutz rein und geheiligt wurde, ebenso reinige und heilige meinen Geist vom Schmutz der irdischen Welt, der der Schwelle Deiner Einheit unwürdig ist!" Reue bedeutet Rückkehr vom Ungehorsam zum Gehorsam. Der Mensch, der von Gott fern und Seiner beraubt war, bereut und unterzieht sich der Reinigung. Es ist ein Sinnbild, das bedeutet: "O mein Gott, mache mein Herz gut und rein, läutere und heilige es von allem außer meiner Liebe zu Dir!"
Da Christus wünschte, daß dieser Brauch des Johannes zu jener Zeit von allen geübt werde, befolgte Er ihn Selbst, um dadurch die Menschen zur Besinnung zu rufen und die Vorschrift des alten religiösen Gesetzes zu erfüllen. Obwohl die Kultwaschung zum Zeichen der Reue bei Johannes Brauch war, wurde sie tatsächlich schon früher in der Religion Gottes ausgeübt.
Christus brauchte die Taufe nicht; da sie aber zu jener Zeit ein allgemeiner und vorbildlicher Brauch war und auf die frohe Botschaft vom Königreich hinwies, unterzog Er Sich ihr. Doch sagte Er später, daß die wahre Taufe nicht mit tatsächlichem Wasser, sondern mit Wasser und mit Geist geschehen solle.¹ Hier bedeutet Wasser kein materielles Wasser; denn an anderer Stelle wird ausdrücklich erwähnt, daß die Taufe mit Geist und mit Feuer² sein soll; hieraus wird klar, daß weder sinnlich wahrnehmbares Feuer noch Wasser gemeint ist, denn
eine Taufe mit Feuer ist unmöglich.
¹ Markus 1:8 , Johannes 1:33 ² Matthäus 3:11
Geist bedeutet also göttliche Güte, Wasser Erkenntnis und Leben, und Feuer die Liebe Gottes. Denn irdisches Wasser reinigt nicht das menschliche Herz, sondern nur den Körper. Aber das himmlische Wasser und der Geist, der Erkenntnis und Leben bedeutet, machen das Herz des Menschen gut und rein; das Herz, das an der Gnadengabe des Heiligen Geistes teilhat, wird geheiligt und gut und rein. Das heißt, die Wirklichkeit des Menschen wird von den Befleckungen der irdischen Welt gewaschen und geheiligt. Diese natürlichen Befleckungen sind böse Eigenschaften, wie Zorn, Leidenschaft, Materialismus, Stolz, Lüge, Heuchelei, Betrug, Egoismus und ähnliches.
Der Mensch kann sich nicht selbst aus dem Taumel der sinnlichen Leidenschaften befreien ohne die Hilfe des Heiligen Geistes. Darum wurde gesagt, die Taufe mit Geist, Wasser und Feuer sei notwendig und unerläßlich; und Geist bedeutet hier göttliche Gnade, Wasser Erkenntnis und Leben, und Feuer die Liebe Gottes. Mit diesem Geist, Wasser und Feuer muß der Mensch getauft werden, damit er die ewige Gnade empfange. Was wäre sonst der Nutzen der Taufe mit materiellem Wasser? Nein, jene Taufe mit Wasser war ein Sinnbild für die Reue und das Streben nach Vergebung der Sünden.
Im Zeitalter Bahá'u'lláhs aber ist dieses Symbol nicht mehr nötig, denn seine Wirklichkeit - die Taufe durch den Geist und die Liebe Gottes - wurde bewiesen und verstanden.
Frage: Ist die Reinigung durch die Taufe nützlich und nötig oder ist sie nutzlos und überflüssig? Warum wurde sie, wenn sie nützlich ist, abgeschafft, und warum wurde sie, wenn sie überflüssig ist, von Johannes ausgeübt?
Antwort: Änderungen der Lebensbedingungen, Wandel und Wechsel der Zeiten gehören zu den Wesensnotwendigkeiten der erschaffenen Welt, und diese Wesensnotwendigkeiten können von der Wirklichkeit des Seins nicht getrennt werden. So ist zum Beispiel eine Scheidung der Hitze vom Feuer, der Feuchtigkeit vom Wasser, des Lichtes von der Sonne völlig unmöglich, denn sie sind deren unabdingbare Wesenszüge. Weil Wechsel und Änderung der Umstände zu den Notwendigkeiten dieser Welt gehören, werden auch die Gesetze dem Wandel und Umbruch der Zeit entsprechend abgeändert und umgeformt. Zum Beispiel wurde zur Zeit Mose Sein Gesetz nach den damaligen Lebensbedingungen ausgerichtet und diesen angepaßt; zur Zeit Christi aber hatten sich jene Umstände so weit geändert und entwickelt, daß das mosaische Gesetz den menschlichen Bedürfnissen nicht mehr entsprach und angemessen war; darum wurde es aufgehoben. So brach Christus den Sabbat und verbot die Scheidung. Nach Christus haben vier Jünger, darunter Petrus und Paulus, den Genuß der von der Bibel verbotenen tierischen Nahrung erlaubt, mit Ausnahme des Fleisches der erwürgten und an Götzenaltären geopferten Tiere und des Blutes.¹ Auch das Verbot des Ehebruchs blieb bestehen. Diese vier Gebote blieben in Kraft. Später hat Paulus auch den Genuß des Fleisches erstickter Tiere, der Schlachtopfer an Götzenaltären und des Blutes erlaubt, und es blieb allein das Verbot des Ehebruchs bestehen. So schreibt Paulus im 14. Kapitel, Vers 14, des Römerbriefes: "Ich weiß und bin es gewiß in dem Herrn Jesus, daß nichts unrein ist an sich selbst; nur dem, der es für unrein hält, dem ist's unrein."
¹ Apostelgeschichte 15:20
Auch im 1. Kapitel, Vers 15, des Paulusbriefes an Titus steht: "Den Reinen ist alles rein; den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern unrein ist beides, ihr Verstand und ihr Gewissen."
Dieser Wandel also, diese Veränderungen und die Aufhebung von Gesetzen kommen daher, daß die Zeit Christi mit der Zeit Mose nicht verglichen werden kann. Lebensbedingungen und Erfordernisse hatten sich grundsätzlich geändert und gewandelt. Darum wurden die früheren Gesetze aufgehoben.
Das Sein der Welt kann mit dem des einzelnen Menschen, und die Propheten und Gottgesandten können mit geschickten Ärzten verglichen werden. Ein menschliches Wesen verharrt nicht immer in ein und demselben Zustand; es kann von verschiedenen Krankheiten befallen werden, und jede Krankheit verlangt ein besonderes Heilmittel. Der geschickte Arzt wird nicht bei jeder Gesundheitsstörung und Krankheit das gleiche Mittel anwenden, sondern den verschiedenen Erfordernissen der Krankheiten und dem Befinden entsprechend wechselt er die Heilmittel und Arzneien. Der kluge Arzt wird also einem Menschen, der fieberkrank ist, zweifellos kühlende Mittel geben;¹ und wenn zu einer anderen Zeit sich der Zustand dieser Person geändert hat und sie nicht mehr fiebert, sondern fröstelt, läßt der Arzt zweifellos die kühlenden Mittel weg und wendet erwärmende an; diese Änderung und dieser Wechsel sind durch den Zustand des Patienten bedingt und sind ein offensichtlicher Beweis für die Geschicklichkeit des Arztes.
¹ Im Orient wird zwischen erwärmenden und kühlenden Nahrungs- und Heilmitteln unterschieden; sie gehen auf die griechisch-islámische ärztliche Ausdrucksweise zurück.
Überlege, könnten die Gesetze des Alten Testaments in unserer Zeit durchgeführt werden? Nein, bei Gott! Es wäre unmöglich und unausführbar; zweifellos hat Gott deshalb die Gesetze des Alten Testaments zur Zeit Christi aufgehoben. Bedenke auch, daß zur Zeit Johannes des Täufers die Menschen durch die Taufe zur inneren Besinnung gerufen und ermahnt wurden, alle ihre Sünden zu bereuen und das Kommen des Reiches Christi zu erwarten. Aber heute in Asien tauchen die Katholiken und die orthodoxe Kirche neugeborene Kinder in mit Olivenöl gemischtes Wasser, und viele von ihnen werden durch diesen Schock krank; während der Taufe wehren sie sich und werden aufgeregt. An anderen Orten wird nur die Stirn des Kindes vom Priester mit Taufwasser benetzt. Aber weder bei der ersten noch bei der zweiten Art haben die Kinder irgendwelchen geistigen Nutzen davon. Was wird also dadurch gewonnen? Andere Völker wundern sich und fragen, warum die Säuglinge ins Wasser getaucht werden, da dies weder die Ursache ihrer geistigen Erweckung noch ihres Glaubens oder der Bekehrung ist; es ist nur eine Gewohnheit, der man folgt. Zur Zeit Johannes des Täufers war dies nicht so; nein, Johannes ermahnte die Menschen zuerst, führte sie zur Reue über ihre Sünden und erfüllte sie mit der Sehnsucht, die Offenbarung Christi zu erwarten. Jeder, der die Taufe empfing und in vollkommener Unterwürfigkeit und Demut seine Sünden bereute, wusch und reinigte damit seinen Körper von äußerem Schmutz. In großem Sehnen, Tag und Nacht, erwartete er unaufhörlich das Erscheinen Christi und den Eintritt in das Reich des Geistes Gottes.¹
¹ d.h. Christi, Den die Muhammadaner häufig mit dem Titel Rúh'u'llúh, Geist Gottes, bezeichnen.
Zusammengefaßt ist Unsere Meinung, daß Wandel und Wechsel der Lebensbedingungen und die Veränderung der Lebensnotwendigkeiten der verschiedenen Zeiten und Jahrhunderte zur Aufhebung von Gesetzen führen. Denn die Zeit kommt, in der diese Gesetze den Lebensbedingungen nicht länger angepaßt sind. Denke daran, wie grundverschieden die Bedingungen der Frühzeit von denen des Mittelalters und der Neuzeit sind. Könnte man die Gesetze aus den ersten Jahrhunderten in unserer Zeit durchführen? Es ist klar, daß dies unmöglich und unausführbar wäre. Ebenso werden, wenn einige Jahrhunderte vorübergegangen sind, die Erfordernisse der Gegenwart der Zukunft nicht mehr entsprechen, und zweifellos werden sie geändert und abgewandelt werden. In Europa werden die Gesetze fortwährend geändert und umgeformt; wie viele Gesetze gab es in den Organisationen und Regierungssystemen Europas in vergangenen Zeiten, die jetzt abgeschafft sind! An diesen Veränderungen und Abwandlungen sind die Schwankung und Entwicklung der Denkweise, der Lebensbedingungen und der Gebräuche schuld. Wenn es nicht so wäre, könnte die Menschenwelt nicht gedeihen.
Zum Beispiel ist es ein Gesetz des Alten Testaments, daß ein Mensch, der den Sabbat bricht, getötet werde. Noch mehr, in der Thora gibt es zehn Gesetze mit Todesstrafe. Könnten diese Gesetze in unserer Zeit gehalten werden? Es ist klar, daß dies völlig unmöglich wäre. Folglich gibt es Abänderungen und Umformungen der Gesetze, was ein hinreichender Beweis für die überragende göttliche Weisheit ist.
Diese Frage erfordert tiefes Nachdenken. Dann wird die Ursache für diese Änderungen klar und offenbar.
Gesegnet die Menschen, die überlegen!
Frage: Christus sagte: "Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit."¹ Was bedeuten diese Worte?
¹ Johannes 6:51
Antwort: Dieses Brot bedeutet himmlische Speise und göttliche Vollkommenheit. "Wer von diesem Brot essen wird ... " besagt, wer sich der göttlichen Gnade erschließt, himmlisches Licht empfängt und an Christi Vollkommenheit teilhat, der gewinnt dadurch ewiges Leben. Auch mit dem Blut ist der Geist des Lebens und die göttliche Vollkommenheit, himmlischer Glanz und immerwährende Gnade gemeint. Denn alle Teile des menschlichen Körpers erhalten durch den Kreislauf des Blutes ihre Lebenskraft.
Im Johannesevangelium, Kapitel 6, Vers 26, steht geschrieben: "Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Ihr suchet Mich nicht darum, daß ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und seid satt geworden."
Es ist klar, daß das Brot, das die Jünger aßen und von dem sie satt wurden, die himmlischen Gnadengaben waren; denn in Vers 33 desselben Kapitels heißt es: "Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben." Es ist unmißverständlich, daß der Leib Christi nicht vom Himmel herab, sondern aus Marias Schoß gekommen ist; was aber vom göttlichen Reich herabgestiegen ist, war der Geist Christi. Weil die Juden glaubten, daß Christus Seinen Leib meinte, murrten sie und sprachen, wie es in Vers 42 desselben Kapitels berichtet wird: "Ist dieser nicht Jesus, Josephs Sohn, des Vater und Mutter wir kennen? Wie spricht er denn: ich bin vom Himmel gekommen?"
Überlege, wie klar es ist, daß Christus mit dem Brot des Himmels Seinen Geist, Seine Gnadengaben, Seine Vollkommenheit und Seine Lehren gemeint hat; denn in Vers 63 heißt es: "Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze."
Es ist deshalb offensichtlich, daß der Geist Christi eine Gnadengabe ist, die vom Himmel herabkommt; jeder, der von diesem Geist Licht in Fülle, das heißt die himmlischen Lehren, empfängt, findet ewiges Leben. Darum wird in Vers 35 gesagt: "Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu Mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an Mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten."
Beachte, daß Er "zu Mir kommen" als essen und "an Mich glauben" als trinken bezeichnete. Es ist demnach eindeutig erwiesen, daß mit der himmlischen Nahrung die göttlichen Gnadengaben, der geistige Glanz, die himmlischen Lehren und die umfassende Bedeutung Christi gemeint sind. Essen heißt "Ihm nahe kommen", und trinken heißt "an Ihn glauben". Denn Christus hatte einen natürlichen Leib und eine himmlische Gestalt. Der irdische Leib wurde gekreuzigt, die himmlische Gestalt aber ist lebendig und ewig und wird zur Ursache ewigen Lebens. Sein natürlicher Leib war menschlicher Natur, Seine himmlische Gestalt aber göttlicher Natur. Es gibt Menschen, die denken, daß das Abendmahlsbrot die Wirklichkeit Christi sei und daß Gott und der Heilige Geist in dieses eingehen und darin enthalten seien. Wenn aber das Brot genommen ist, löst es sich nach wenigen Augenblicken auf und wird völlig verändert. Wie kann man sich so etwas vorstellen? Gott bewahre! Dies ist wahrlich reine Phantasie.
Um abzuschließen: Durch das Erscheinen Christi wurden die geheiligten Lehren, die ewige Gnade bedeuten, verbreitet; das Licht der Führung leuchtete auf, und der Geist des Lebens wurde der Menschheit geschenkt. Wer hierin Führung fand, wurde belebt, und wer auf dem falschen Wege verblieb, verfiel ewigem Tod. Das Brot, das vom Himmel herabkam, war der himmlische Leib Christi und Sein geistiges Wesen, von dem die Jünger aßen und durch das sie ewiges Leben fanden.
Die Jünger hatten oft von der Hand Christi Speise empfangen; warum wurde das letzte Abendmahl vor den anderen ausgezeichnet? Es ist offensichtlich, daß das himmlische Brot nicht das materielle Brot darstellt, sondern vielmehr die göttliche Nahrung des geistigen Leibes Christi, die göttlichen Gnadengaben und himmlischen Vollkommenheiten, an denen Seine Jünger teilhatten und von denen sie erfüllt wurden.
Bedenke ferner, daß Christus, als Er das Brot segnete und es Seinen Jüngern mit den Worten "Dies ist mein Leib" gab, leiblich und persönlich gegenwärtig mit ihnen war. Er verwandelte Sich nicht in Brot und Wein; denn wenn Er das getan hätte, hätte Er nicht körperlich, sichtbar und in menschlicher Gestalt bei den Jüngern bleiben können.
Es ist also klar, daß Brot und Wein Symbole mit folgender Bedeutung waren: Ich gab euch Meine Segensgaben und Vollkommenheiten, und wenn ihr diese Gnade angenommen habt, habt ihr ewiges Leben gewonnen und seid eures Anteils an der himmlischen Nahrung teilhaftig geworden.
Frage: Es wird von Wundern, die Christus vollbrachte, berichtet. Sind die Berichte über diese Wunder wirklich wörtlich zu nehmen oder haben sie eine andere Bedeutung? Die exakten Wissenschaften haben bewiesen, daß sich das Wesen der Dinge nicht ändert und daß alles Erschaffene einem umfassenden Gesetz und einer Ordnung unterworfen ist, von denen es nicht abweichen kann; etwas dem universalen Gesetz Widersprechendes ist daher unmöglich.
Antwort: Die heiligen Offenbarer sind die Quellen von Wundern und die Urheber wunderbarer Zeichen. Ihnen ist jede schwierige und unausführbare Sache möglich und leicht gemacht. Denn durch eine überirdische Macht gehen Wunder von ihnen aus, und mit dieser Kraft, die übernatürlich ist, beeinflussen sie die Welt der Natur. Von allen Offenbarern sind außergewöhnliche Dinge vollbracht worden.
Aber die heiligen Bücher haben ihre besondere Ausdrucksweise; und für die Offenbarer selbst haben diese Wunder und aufsehenerregenden Zeichen kein großes Gewicht, sie wollen sie nicht einmal erwähnt haben. Denn wenn wir Wunder als großartigen Beweis ansehen, so sind sie Zeugnis und Bestätigung doch nur für Augenzeugen, nicht aber für andere Menschen.
Wenn wir zum Beispiel einem Suchenden, dem Moses und Christus fremd sind, wunderbare Dinge von Diesen erzählen, wird er sie leugnen und sagen: "Auch von falschen Göttern werden durch das Zeugnis zahlreicher Menschen laufend erstaunliche Begebenheiten berichtet und in Büchern bestätigt. Die Brahmanen haben ein Buch über unerklärliche Wundertaten Brahmas¹ geschrieben." Er mag auch sagen: "Wie können wir wissen, daß die Juden und Christen die Wahrheit berichten und die Brahmanen lügen? Denn beide haben allgemein anerkannte Überlieferungen, die in Büchern gesammelt sind, und sie mögen wahr oder falsch sein." Dasselbe kann auch von anderen Religionen gesagt werden: Wenn das eine wahr ist, sind alle wahr; wenn eines anerkannt wird, müssen alle anerkannt werden. Deshalb sind Wunder kein Beweis. Wenn sie auch Beweiskraft für Augenzeugen haben, für andere Menschen genügen sie als Bestätigung nicht.
¹ Aus dem Sanskrit, bedeutet "Weltseele". Begründer der altindischen Religion. Brahmanen bilden die oberste Priesterkaste Indiens.
Aber zur Zeit einer Offenbarung erkennen die Einsichtigen, daß alle Umstände, die mit dem Offenbarer zusammenhängen, Wunder sind, weil sie vor allen anderen ausgezeichnet sind, und das allein ist schon ein unbestreitbares Wunder. Denke daran, daß Christus, allein und nur auf Sich Selbst gestellt, ohne Beschützer und Helfer, ohne Truppen und Heer und unter schwerster Bedrückung das Banner Gottes vor der ganzen Welt aufrichtete und ausharrte und schließlich alle überwand, obwohl Er, äußerlich gesehen, gekreuzigt wurde. Das ist doch ein wahrhaftiges Wunder, das niemals geleugnet werden kann. Eines weiteren Beweises für die Wahrheit Christi bedarf es nicht.
Die äußeren Wunder sind für Menschen, die Sinn für die Wirklichkeit haben, ohne Gewicht. Wenn zum Beispiel ein Blinder sehend wird, so wird er schließlich doch wieder blind, das heißt, er wird sterben und alle seine Sinneskräfte verlieren. Einen Blinden sehend zu machen, ist darum weniger wichtig, weil seine körperliche Sehkraft letzten Endes doch verschwindet. Wenn ein toter Körper lebendig gemacht wird, was hat das zu bedeuten, wo er doch wieder vergehen muß? Wesentlich dagegen ist die Verleihung der inneren Sehkraft und des ewigen Lebens, das heißt des geistigen und göttlichen Lebens. Denn das körperliche Leben hat keinen Bestand und ist dem Nichtsein gleich. So kommt es, daß Christus zu einem Seiner Jünger sagte: "Laß die Toten ihre Toten begraben"; denn "was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist."¹
¹ Matthäus 8:22 und Johannes 3:6
Beachte, daß Menschen, die nach außen hin lebten, von Christus Tote genannt wurden; denn Leben heißt ewiges Leben und Sein ist wahres Sein. Wenn daher in den heiligen Büchern die Auferweckung von Toten erwähnt wird, so bedeutet dies, daß sie ewiges Leben fanden; wenn ein Blinder sehend wurde, so ist jenes Sehen gemeint, das wirkliche, innere Einsicht bedeutet; wenn ein Tauber hörend wurde, so besagt dies, daß er geistiges und himmlisches Hören erlangte. Dies geht aus dem Text des Evangeliums hervor, wo Christus sagt: "Sie sind wie diejenigen, von denen Jesaja sagte, mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und Ich heilte sie."¹
¹ Vgl, Matthäus 13:13-15 und Jesaja 6:10
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Offenbarer unfähig sind, Wunder zu vollbringen; denn sie besitzen alle Macht. Aber für sie sind inneres Sehen, geistiges Heilen und ewiges Leben die wertvollen und wichtigen Dinge. Folglich besagen jene Stellen der heiligen Bücher, die von einem Blinden berichten, der sehend wurde, daß er innerlich blind war und daß er geistige Sicht erlangte, oder daß er unwissend war und weise wurde, oder daß er gleichgültig war und wach wurde, oder daß er weltlich war und fromm wurde.
Da dieses innere Sehen, Hören, Leben und solches Heilen ewig sind, darum sind sie wesentlich. Was sind, damit verglichen, das Gewicht, die Bedeutung und der Wert dieses fleischlichen Lebens mit seinen Kräften? In wenigen Tagen wird es zu Ende sein wie fliehende Gedanken. Wenn man zum Beispiel eine erloschene Lampe anzündet, wird sie letztlich wieder erlöschen, aber das Licht der Sonne strahlt immerzu; und nur dies ist wichtig.
Frage: Was bedeutet die Auferstehung Christi nach drei Tagen?
Antwort: Die Auferstehung der göttlichen Offenbarer ist keine körperliche. Ihre Stellung und ihre Erscheinungsweise, ihr Tun und ihre Einrichtungen, ihre Lehren und ihre Ausdrucksweise, ihre Gleichnisse und ihre Unterweisungen haben geistige und göttliche Bedeutung und sind nicht an die stoffliche Welt gebunden. Nimm zum Beispiel die Frage von Christi Kommen aus dem Himmel: An zahlreichen Stellen des Evangeliums heißt es ganz klar, daß der Sohn des Menschen vom Himmel kam, daß Er im Himmel ist und daß Er in den Himmel geht. So steht in Kapitel 6, Vers 38, des Johannesevangeliums: "Denn Ich bin vom Himmel gekommen;" und in Vers 41 lesen wir: "Sie sprachen: Ist dies nicht Jesus, Josephs Sohn, des Vater und Mutter wir kennen? Wie spricht er denn: Ich bin vom Himmel gekommen?" Und in Kapitel 3, Vers 13, heißt es: "Und niemand fährt gen Himmel, denn Der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, Der im Himmel ist."¹
¹ Die vier letzten Worte dieses Zitats sind in der vorliegenden neuesten Ausgabe (1956) des Neuen Testaments weggelassen.
Beachte, daß gesagt ist: " ... des Menschen Sohn, Der im Himmel ist", obwohl Christus zu dieser Zeit auf Erden war. Bedenke auch, daß geschrieben ist, daß Christus vom Himmel kam, obgleich Er aus Marias Schoß kam und Sein Leib von ihr geboren wurde. So ist es klar, daß es keine äußere, sondern eine innere Bedeutung hat, wenn gesagt ist, daß des Menschen Sohn vom Himmel kam; es ist eine geistige und keine körperliche Tatsache. Der Sinn ist, daß Christus, obwohl Er augenscheinlich aus Marias Schoß geboren wurde, tatsächlich vom Himmel kam, vom Mittelpunkt der Sonne der Wahrheit, von der göttlichen Welt und dem geistigen Königreich. Da nun klar erwiesen ist, daß Christus vom geistigen Himmel des göttlichen Reiches herabkam, hat auch Sein Verborgensein unter der Erde während dreier Tage eine innere Bedeutung und ist keine äußere Tatsache. Ebenso ist Seine Auferstehung aus dem Inneren der Erde symbolisch; sie ist ein geistiges und göttliches Geschehnis, kein materielles; gleicherweise ist Seine Himmelfahrt eine geistige und keine körperliche.
Von diesen Erklärungen abgesehen, hat die Wissenschaft festgestellt und bewiesen, daß der sichtbare Himmel eine unendliche Weite ist, öde und leer, wo zahllose Gestirne und Planeten ihre Bahnen ziehen.
Darum erklären Wir den Sinn der Auferstehung Christi wie folgt:
Die Jünger waren nach dem Kreuzestode Christi beunruhigt und verwirrt. Die Wirklichkeit Christi, Seine Lehren, Segensgaben, Seine Vollkommenheit und geistige Macht waren nach Seinem Kreuzestode zwei oder drei Tage lang verborgen und verschleiert, sie waren nicht sichtbar und leuchteten nicht. Im Gegenteil, man hielt sie für verloren, denn der Gläubigen waren wenige, und sie waren unruhig und aufgewühlt. Die Sache Christi war wie ein lebloser Körper; nach drei Tagen aber, als die Apostel fest und sicher wurden, Seiner Sache zu dienen begannen und sich entschlossen, die göttlichen Lehren zu verbreiten, indem sie nach Seinem Vermächtnis handelten und sich erhoben, Ihm zu dienen, leuchtete die Wirklichkeit Christi, und Seine Segensgaben wurden sichtbar; Seine Religion wurde lebendig, und Seine Lehren und Ermahnungen wurden klar und offenkundig. Mit anderen Worten: Die Sache Christi war wie ein lebloser Körper, bis das Leben und die Segensgaben des Heiligen Geistes sie erfüllten.
Das ist die Bedeutung der Auferstehung Christi, und es war eine wahre Auferstehung. Aber da die Priester weder den Sinn des Evangeliums verstanden noch seine Symbole erkannten, wurde gesagt, Religion widerspreche der Wissenschaft, und die Wissenschaft empöre sich gegen die Religion; denn gerade diese Auffassung von der leiblichen Himmelfahrt Christi in den sichtbaren Himmel steht im Widerspruch zur exakten Wissenschaft. Wenn aber die Wahrheit über diese Frage erkannt und ihr Symbolcharakter erklärt wird, widerspricht ihr die Wissenschaft in keiner Weise; im Gegenteil werden Wissenschaft und Verstand sie bestätigen.
Frage: Nach der Bibel kam der Heilige Geist auf die Jünger herab. Auf welche Weise geschah dies und was bedeutet es?
Antwort: Das Herabkommen des Heiligen Geistes ist nicht wie der Eintritt der Luft in den Körper; es ist ein bildlicher und kein wörtlich zu nehmender Ausdruck. Es gleicht vielmehr dem Eintritt des Bildes der Sonne in einen Spiegel; das heißt, ihr Glanz wird in ihm sichtbar.
Die Jünger waren nach dem Hingang Christi in Verwirrung, ihre Meinungen und Gedanken gingen auseinander und widersprachen sich; später wurden sie gefestigt und einig, und am Pfingstfest kamen sie zusammen und lösten sich von den Dingen dieser Welt. Sie dachten nicht an sich selbst, verzichteten auf Behagen und irdisches Glück, opferten Leib und Seele ihrem geliebten Herrn, verließen ihre Familien und wurden heimatlose Wanderer, wobei sie sogar ihr eigenes Dasein vergaßen. Da wurde ihnen göttliche Hilfe zuteil, und die Kraft des Heiligen Geistes wurde offenbar; die Geistigkeit Christi siegte, und die Liebe Gottes herrschte. An diesem Tage wurde ihnen Hilfe geschenkt, und sie zerstreuten sich in alle Richtungen, lehrten die Sache Gottes und machten sie klar und offenkundig.
Die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Jünger bedeutet also, daß sie sich dem Geiste Christi ganz ergaben, wobei sie Sicherheit und Festigkeit fanden. Durch den Geist der Liebe Gottes gewannen sie neues Leben und sahen, daß Christus lebte, half und sie beschützte. Sie waren wie Wassertropfen und wurden zum Meer, sie waren wie schwache Mücken und wurden zu königlichen Adlern, sie waren kraftlos und wurden stark. Sie waren wie Spiegel, die der Sonne zugewendet sind; wahrlich, in ihnen wurden Strahlen der Sonne offenbar.
Frage: Was ist der Heilige Geist?
Antwort: Der Heilige Geist ist die Gnade Gottes und die leuchtenden Strahlen, die von den Offenbarern ausgehen; denn der Brennpunkt der Strahlen der Sonne der Wahrheit war Christus, und von diesem strahlenden Mittelpunkt, der Wirklichkeit Christi, strahlte die Gnade Gottes auf die anderen Spiegel, die Wirklichkeit der Apostel, zurück. Die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Jünger bedeutet, daß sich die herrlichen göttlichen Gnadengaben widerspiegelten und in der Wirklichkeit der Jünger offenbar wurden. Ferner sind Eintritt und Austritt, Herabkommen und Auffahrt bezeichnende körperliche und nicht geistige Merkmale. Damit soll gesagt sein, sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeiten treten ein und kommen hervor, aber intelligible Feinheiten und geistige Wirklichkeiten, wie Einsicht, Liebe, Erkenntnis, Einbildungskraft und Denkfähigkeit, treten nicht ein, noch kommen sie hervor oder herab, sondern sie sind aufeinander bezogen.
Zum Beispiel ist Wissen als Errungenschaft des Intellekts ein intelligibler Zustand. Eingehen und Herauskommen aus dem Verstand sind eingebildete Vorgänge; aber der Verstand ist mit der Erringung von Wissen so verbunden wie Bilder, die von einem Spiegel zurückgeworfen werden.
Da es also offensichtlich und klar ist, daß intelligible Wirklichkeiten nicht eintreten und herabsteigen, und es völlig unmöglich ist, daß der Heilige Geist auf- und absteigt, kommt und geht oder eindringt, so kann es nur sein, daß der Heilige Geist wie die Sonne in einem Spiegel widergestrahlt wird.
An einigen Stellen der heiligen Bücher wird vom Geist gesprochen, auch wenn ein bestimmter Mensch damit gemeint ist; man sagt ja auch häufig in Rede und Unterhaltung, daß jemand verkörperter Geist ist oder Edelmut und Großherzigkeit in Person, in solchen Fällen blicken wir auf das Licht und nicht auf die Lampe.
Im Johannesevangelium, wo von dem Verheißenen, der nach Christus kommen soll, die Rede ist, heißt es in Kapitel 16, Vers 12 und 13: "Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden."
Nun achte genau darauf, daß aus den Worten: "Denn er wird nicht aus sich selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden," klar hervorgeht, daß der Geist der Wahrheit in einem individuellen Menschen verkörpert ist, der Ohren hat zu hören und eine Zunge zu reden, in gleicher Weise wird der Name "Geist Gottes" mit Beziehung auf Christus angewandt; wie man von einem Licht spricht wird dabei Licht und Lampe zugleich meint.
In den heiligen Büchern heißt es, daß Christus wiederkommen werde und daß dies von der Erfüllung gewisser Zeichen abhänge: Wenn Er kommt, wird es unter diesen Zeichen sein. Zum Beispiel "werden Sonne und Mond den Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen ... Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden kommen sehen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit."¹ Bahá'u'lláh hat diese Verse im "Buch der Gewißheit"² ausführlich erklärt. Eine Wiederholung ist nicht nötig; halte dich daran und du wirst die Bedeutung dieser Worte verstehen.
¹ Matthäus 24:29-30
² Kitáb-i-Íqán, eines der ersten Werke Bahá'u'lláhs, geschrieben in Baghdád vor der Erklärung Seiner Offenbarung.
Aber ich habe einige weitere Worte zu diesem Thema zu sagen. Auch bei Seinem ersten Erscheinen kam Christus vom Himmel, wie es ausdrücklich im Evangelium heißt. Christus Selbst sagt: "Und niemand fährt gen Himmel, denn Der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, Der im Himmel ist."¹
¹ Johannes 3:13. Die 4 letzten Worte dieses Zitats sind in der vorliegenden Ausgabe (1956) des Neuen Testaments weggelassen.
Es ist für alle klar, daß Christus vom Himmel kam, obwohl Er augenscheinlich aus Marias Schoß geboren wurde. Wie Er zum ersten Mal aus dem Himmel kam, wenn auch augenfällig aus dem Mutterleib, so wird Er auch bei Seiner Wiederkunft aus dem Himmel kommen, obwohl sichtbar aus dem Mutterschoß. Die Umstände, die im Evangelium für die Wiederkunft Christi genannt sind, sind die gleichen, die für Sein erstes Kommen aufgeführt waren, wie Wir schon früher erklärt haben.
Das Buch Jesaja verkündet, daß der Messias den Osten und Westen erobern werde, daß alle Völker der Welt sich Seinem Schutze anvertrauen werden, daß Sein Königreich errichtet werde, daß Er von einem unbekannten Ort kommen werde, daß Gericht gehalten werde über die Sünder und daß solche Gerechtigkeit herrschen werde, daß der Wolf und das Lamm, der Leopard und das Ziegenböcklein, die Schlange und der Säugling an einer Quelle, auf einer Wiese und in einem Nest beieinander sein werden. Auch für das erste Kommen galten diese Begleitumstände, obwohl sich keiner von ihnen tatsächlich ereignete. Deshalb lehnten die Juden Christus ab und nannten Ihn - möge Gott ihnen verzeihen! -,masikh'¹, sahen in Ihm den Zerstörer des Hauses Gottes, betrachteten Ihn als Brecher des Sabbats und des Gesetzes und verurteilten Ihn zum Tod. Dennoch hatte jeder einzelne der obengenannten Begleitumstände eine Bedeutung, die aber die Juden nicht verstanden. Darum waren sie davon ausgeschlossen, die Wahrheit Christi zu erkennen.
¹ "masikh" heißt "das Ungeheuer". Im Arabischen gibt es ein Wortspiel mit den Worten Masíh, der Messias, und masikh, das Ungeheuer.
Auch die Wiederkunft Christi geschieht in ähnlicher Weise: Die erwähnten Zeichen und Umstände haben alle einen inneren Sinn und dürfen nicht wörtlich genommen werden. Unter anderem heißt es, daß die Sterne auf die Erde fallen werden. Es gibt unendlich viele Sterne, und heutige Gelehrte haben festgestellt und wissenschaftlich bewiesen, daß die Sonne schätzungsweise ein und eine halbe Million mal größer als unsere Erde und jeder der Fixsterne tausendmal größer als die Sonne ist. Wenn diese Sterne auf die Erde fielen, wie sollten sie auf ihr Platz finden? Es wäre so, wie wenn tausend Millionen Berge wie der Himalaja auf ein Senfkorn fallen sollten. Nach den Maßstäben der Vernunft und der Wissenschaft ist das ganz unmöglich. Noch merkwürdiger ist, daß Christus sagte: "Vielleicht werde ich kommen, wenn ihr noch schlaft. Denn das Kommen des Menschensohnes gleicht dem Kommen des Diebes." Vielleicht ist der Dieb im Hause und der Hausherr weiß nichts davon.¹
¹ Vgl. Matthäus 24:43 , Lukas 12:40 , 1.Thessalonicher 5:2 , Offenbarung 3:3 , Markus 13:36
Es ist klar und eindeutig, daß diese Hinweise symbolische und nicht wörtliche Bedeutung haben. Sie sind im "Buch der Gewißheit" ausführlich erklärt. Halte dich daran!
Frage: Was bedeutet die Dreieinigkeit, die drei Personen in der einen?
Antwort: Die göttliche Wirklichkeit ist über das Verstehen der Geschöpfe erhaben und geheiligt, und die weisesten und klügsten Köpfe können sich kein Bild von ihr machen; denn sie ist frei von jeder Vorstellung. Jene Wirklichkeit des Herrn läßt keine Teilung zu; denn Teilung und Vermehrung sind den Geschöpfen eigen, die abhängig in ihrem Sein sind, und sind keine Ereignisse, von denen der Selbstbestehende mitbetroffen ist.
Die göttliche Wirklichkeit ist über die Vereinzelung geheiligt, wieviel mehr noch über die Vielheit. Das Herabsteigen jener Wirklichkeit Gottes zu Bedingungen und Stufen wäre mit Unvollkommenheit gleichbedeutend und das Gegenteil von Vollkommenheit; deshalb ist es völlig ausgeschlossen. Die Wirklichkeit des Herrn war immer und bleibt in der Erhabenheit der Heiligung und Heiligkeit. Alles, was von den Offenbarungen und Erscheinungsorten Gottes gesagt ist, bezeichnet die göttliche Widerspiegelung und nicht ein Herabsteigen zu den Bedingungen des Daseins.¹
¹ Siehe Kapitel 82 "Pantheismus".
Gott ist reine Vollkommenheit, Geschöpfe sind bloß unvollkommen. Das Herabsteigen Gottes zu den Bedingungen des Daseins wäre die größte Unvollkommenheit; nein, Seine Offenbarung, Sein Erscheinen, Sein Aufgang gleichen dem Sichtbarwerden der Sonne in einem reinen, makellosen und feingeschliffenen Spiegel. Alle Geschöpfe sind offenkundige Zeichen Gottes, wie die anderen irdischen Organismen, auf die alle die Strahlen der Sonne fallen. Aber auf Ebenen, Berge, Bäume und Früchte fällt nur soviel Licht, daß sie sichtbar werden, sich entfalten und zum Ziel ihres Daseins gelangen, während der vollkommene Mensch¹ im Rang des klaren Spiegels ist, in dem die Sonne der Wahrheit mit allen ihren Eigenschaften und Vollkommenheiten sichtbar und deutlich wird. So war die Wirklichkeit Christi ein klarer, feingeschliffener Spiegel von größter Schönheit und Reinheit. Die Sonne der Wahrheit, das Wesen Gottes, offenbarte sich in diesem Spiegel, und durch ihn wurden ihr Licht und ihre Wärme wahrnehmbar; aber von der Höhe ihrer Heiligkeit und dem Himmel ihrer Reinheit ist die Sonne nicht selbst herabgestiegen, um im Spiegel zu wohnen und zu verweilen. Nein, sie verharrt ewig in ihrer Erhabenheit und Höhe, während sie im Spiegel nur sichtbar wird und sich in Schönheit und Vollendung offenbart.
¹ Der göttliche Offenbarer
Wenn wir nun sagen, daß wir die Sonne in zwei Spiegeln - einer Christus und einer der Heilige Geist - gesehen haben, so daß wir also drei Sonnen, eine am Himmel und zwei andere auf Erden, wahrgenommen haben, haben wir recht. Und wenn wir sagen, daß es nur EINE unteilbare Sonne gibt, die einzig und ohnegleichen ist, sprechen wir wiederum die Wahrheit.
Zusammengefaßt: Die Wirklichkeit Christi war ein reiner Spiegel, und die Sonne der Wahrheit, die wesenhafte Einzigkeit, mit ihren unendlichen Vollkommenheiten und Wesensmerkmalen, wurde im Spiegel sichtbar. Es ist nicht so, daß die Sonne, die das Wesen Gottes ist, geteilt und vervielfacht worden wäre, sondern die Sonne ist eine, aber sie erschien im Spiegel. Darum sagte Christus: "Der Vater ist im Sohn" und meinte, daß jene Sonne in diesem Spiegel ersichtlich und offenbar ist.¹
¹ Vgl. Johannes 10:38 und 14:10
Der Heilige Geist ist die Gnade Gottes, die in der Wirklichkeit Christi sichtbar und offenkundig wurde. Die Stufe der Sohnschaft ist das Herz Christi, und der Heilige Geist ist die Stufe des Geistes Christi. Folglich ist es erwiesen und eindeutig geworden, daß das Wesen Gottes absolut einzigartig ist und daß es nichts Gleiches, nichts Ähnliches, nichts Vergleichbares gibt.
Dies ist die Bedeutung der drei Personen der Dreieinigkeit. Wäre es anders, so beruhten die Grundlagen der Religion Gottes auf einer unlogischen Annahme, die der Verstand niemals begreifen könnte; und wie könnte das Bewußtsein gezwungen werden, etwas zu glauben, was es nicht einsehen kann? Vom Verstand kann nur etwas angenommen werden, wenn es in eine verständliche Form gefaßt ist; sonst ist es nichts als eine Bemühung der Einbildung.
Durch diese Erklärung dürfte deutlich geworden sein, was der Sinn der drei Personen der Dreieinigkeit ist. Auch die Einheit Gottes ist bewiesen.
"Und nun verherrliche mich Du, Vater, bei Dir Selbst mit der Klarheit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war."¹
¹ Johannes 17:5 (früher: Und nun verkläre mich Du, Vater ...)
Es gibt zwei Arten von Präexistenz: Die eine ist wesentlich, keine Ursache geht ihr voraus, sondern ihr Dasein ist unabhängig. Zum Beispiel hat die Sonne ihr Licht in sich, denn ihr Scheinen hängt nicht vom Licht anderer Gestirne ab. Dies nennt man Licht aus dem Wesen. Das Licht des Mondes aber kommt von der Sonne, denn der Mond ist mit seinem Scheinen von der Sonne abhängig. Folglich ist die Sonne in Bezug auf das Licht die Ursache und der Mond die Wirkung. Die Sonne ist das Frühere, Vorhergehende, Ursprüngliche, während der Mond das Spätere, Nachkommende ist.
Die zweite Art von Präexistenz ist zeitlich, bei ihr gibt es keinen Anfang. Das Wort Gottes¹ ist geheiligt über die Zeit. In Beziehung auf Gott sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleich. Ein Gestern, Heute und Morgen gibt es nicht für die Sonne.
¹ Die Wirklichkeit Christi.
Ebenso gibt es eine Präexistenz der Herrlichkeit, das heißt, das Herrlichste geht dem Herrlichen voraus. Darum ist die Wirklichkeit Christi, Der das Wort Gottes ist, in Bezug auf Wesen, Eigenschaften und Herrlichkeit sicherlich den Geschöpfen vorangegangen. Vor Seiner Offenbarung in menschlicher Gestalt war das Wort Gottes in höchster Heiligkeit und Herrlichkeit, wesenhaft in vollendeter Schönheit und hellstem Glanz, auf der Höhe Seiner Pracht. Als es nach dem Ratschluß des allmächtigen Gottes von den Höhen der Herrlichkeit in die körperliche Welt leuchtete, wurde das Wort Gottes infolge der Körperlichkeit unterdrückt, so daß es in die Hände der Juden fiel; es wurde das Opfer der Herrschsüchtigen und Unwissenden und wurde schließlich gekreuzigt. Darum sprach Christus zu Gott: "Löse mich aus den Fesseln der körperlichen Welt, mache mich frei aus diesem Käfig, auf daß ich zur höchsten Höhe der Erhabenheit und Herrlichkeit aufsteige und daß ich jene Größe und Heiligung, die vor der irdischen Welt bestand, wiederfinde, daß ich mich der ewigen Welt erfreue und mich zur ursprünglichen Heimat, zur Welt ohne Raum, zum verborgenen Königreich erhebe."
So kommt es, daß man sogar im Reich dieser Welt, das heißt im Gebiet des Geistes und der Materie, sieht, wie die Größe und Herrlichkeit Christi auf dieser Erde nach Seiner Himmelfahrt offenbar wurden. Während Seines Daseins in der körperlichen Welt war Er der Verachtung und dem Spott des schwächsten Volkes der Welt, der Juden, preisgegeben, die es für passend hielten, eine Dornenkrone auf Sein gesegnetes Haupt zu setzen. Aber nach Seiner Himmelfahrt wurden die juwelenbesetzten Kronen aller Könige gedemütigt und beugten sich vor der Dornenkrone.
Erkenne daraus die Herrlichkeit, die das Wort Gottes sogar in dieser Welt erlangte.
Frage: Im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 12, heißt es: "Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden." Was besagen diese Worte?
Antwort: Wisse, daß es im Menschen zwei Naturen gibt, die körperliche und die geistige. Die körperliche Natur ist das Erbe von Adam und die geistige das Erbe aus der Wirklichkeit des Wortes Gottes, das die Geistigkeit Christi ist. Die körperliche Natur wurde von Adam geboren, aber die geistige aus der Gnade des Heiligen Geistes; die körperliche Natur ist die Quelle aller Unvollkommenheit, die geistige die Quelle aller Vollkommenheit.
Christus opferte Sich Selbst, damit die Menschen von der Unvollkommenheit der körperlichen Natur befreit und mit den Gaben der geistigen Natur ausgezeichnet werden. Diese geistige Natur, die durch die Gnade der göttlichen Wirklichkeit in Erscheinung trat, ist die Vereinigung aller Vollkommenheiten und wird durch den Odem des Heiligen Geistes offenbar. Sie ist göttliche Vollkommenheit, Licht, Geistigkeit, rechte Führung, Erhabenheit, edles Streben, Gerechtigkeit, Liebe, Großmut, Güte zu allen, Menschenliebe, der innerste Kern des Lebens. Sie ist die Widerspiegelung des Glanzes der Sonne der Wahrheit.
Christus ist der Mittelpunkt des Heiligen Geistes: Aus dem Heiligen Geist wurde Er geboren, durch den Heiligen Geist wurde Er berufen und vom Heiligen Geist stammt Er ab. Das heißt, daß die Wirklichkeit Christi nicht von Adam abstammt, sondern vom Heiligen Geist geboren ist. Darum bedeutet der Vers: "Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden", entsprechend dieser Ausdrucksweise, daß Adam¹ der Stammvater der Menschheit ist, daß er nämlich ihr körperliches Leben begründet hat; sein ist die körperliche Vaterschaft. Er ist eine lebende Seele, aber nicht der Spender des geistigen Lebens. Dagegen ist Christus die Ursache des geistigen Lebens der Menschheit, und mit Bezug auf den Geist ist Sein die geistige Vaterschaft. Adam ist eine lebendige Seele, Christus der lebenspendende Geist.
¹ Abúl-bashar, der Vater des Menschen, ist einer der Namen, den die Muhammadaner Adam gegeben haben.
Diese physische, menschliche Welt ist der Macht der Triebe unterworfen, und Sünde ist die Folge dieser Macht der sinnlichen Begierden, die ja den Gesetzen der Gerechtigkeit und Heiligkeit nicht unterstellt sind. Der Körper des Menschen ist ein Sklave der Natur; was immer sie befiehlt, wird er tun. Es steht also fest, daß Sünden, wie Zorn, Eifersucht, Streit, Habsucht, Geiz, Torheit, Vorurteil, Haß, Stolz und Herrschsucht, in der körperlichen Welt vorhanden sind. Alle diese niedrigen Eigenschaften finden sich in der Natur des Menschen. Ein Mensch ohne geistige Erziehung ist wie ein Tier. Wie die Wilden Afrikas, deren Handlungen, Gewohnheiten und Sitten allein von den Sinnen bestimmt werden, benehmen sie sich entsprechend den Ansprüchen der Natur in einem solchen Maß, daß sie einander zerreißen und fressen. So ist es klar, daß die stoffliche Welt des Menschen eine Welt der Sünde ist. In dieser physischen Welt steht der Mensch nicht höher als das Tier.
Jede Sünde entspringt den Forderungen der Natur, und diese Ansprüche, die der physischen Erde entstammen, sind beim Tier keine Sünde, während sie für den Menschen Sünde sind. Das Tier ist die Quelle von Unvollkommenheiten, wie Zorn, Gier, Neid, Habsucht, Grausamkeit und Selbstsucht; alle diese Mängel werden in Tieren gefunden, stellen aber keine Sünden dar. Beim Menschen dagegen sind sie Sünde.
Adam begründete das körperliche Leben der Menschen, aber die Wirklichkeit Christi, das heißt das Wort Gottes, ist die Ursache des geistigen Lebens. Es ist der belebende Geist. Das bedeutet, daß alle Unvollkommenheiten, die von den Ansprüchen des physischen, menschlichen Lebens herrühren, durch die Lehren und Unterweisungen jenes Geistes in menschliche Vollkommenheit umgewandelt werden. Deshalb war Christus der belebende Geist und die Ursache des Lebens in der ganzen Menschheit.
Adam war die Ursache des physischen Lebens, und weil die stoffliche Welt des Menschen die Welt der Unvollkommenheit und Unvollkommenheit gleichbedeutend mit Tod ist, verglich Paulus die stoffliche Unvollkommenheit mit dem Tod.
Aber die meisten Christen glauben, daß Adam durch das Essen vom verbotenen Baum sündigte, weil er ungehorsam war, und daß die verheerende Folge dieses Ungehorsams als Erbe übertragen wurde und seinen Nachkommen geblieben ist. So sei Adam zur Ursache des menschlichen Todes geworden. Diese Erklärung widerspricht der Vernunft und ist offensichtlich falsch; denn sie besagt, daß alle Menschen, sogar die Propheten und Boten Gottes, ohne Vergehen und Sünde, nur weil sie aus der Nachkommenschaft Adams stammen, schuldlos schuldig und sündig geworden seien und bis zum Tage des Opfers Christi zu qualvoller Strafe in der Hölle gefangen gehalten wurden. Dies ist weit von der Gerechtigkeit Gottes entfernt. Wenn Adam ein Sünder war, was war die Sünde Abrahams? Was haben sich Isaak und Joseph zuschulden kommen lassen? Was hat Moses Übles getan?
Christus, Der das Wort Gottes ist, hat Sich Selbst geopfert. Dieses Opfer hat zwei Bedeutungen, eine offensichtliche und eine verborgene. Die äußere Bedeutung ist folgende: Christi Absicht war, eine Sache zu vertreten und zu fördern, die das Menschengeschlecht erziehen, die Kinder Adams neu beleben und die ganze Menschheit erleuchten sollte. Weil aber die Offenbarung einer solch großen Sache - einer Sache, die im Widerspruch zu allen Menschen, Völkern und Obrigkeiten stand - es in sich schloß, daß Er getötet und gekreuzigt würde, hat Christus damit, daß Er Seine Sendung verkündete, Sein Leben hingegeben. Für Ihn war das Kreuz wie ein Thron, die Wunden wie Balsam, das Gift wie Honig und Zucker. Er erhob Sich, die Menschen zu lehren und zu erziehen, und so opferte Er Sich Selbst, um den Geist des Lebens zu spenden. Sein Leib ging zugrunde, damit Sein Geist die Menschen neu beseele.
Die andere Bedeutung des Opfers ist die: Christus war wie ein Samenkorn, und dieses Samenkorn opferte seine eigene Gestalt, damit der Baum wachsen und sich entfalten möge. Wenn auch das Äußere des Samenkorns zugrunde ging, so offenbarte sich seine Wirklichkeit in vollendeter, majestätischer Pracht und Schönheit in der Gestalt eines Baumes.
Die Stufe Christi war reine Vollkommenheit; Er brachte zustande, daß Seine göttlichen Vollkommenheiten wie Strahlen der Sonne auf alle gläubigen Seelen fielen, und die Gaben des Lichts schienen und leuchteten in der Wirklichkeit der Menschen. Daher sagt Er: "Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit."¹ Das heißt, daß jeder, der an diesem himmlischen Mahl teilnimmt, ewiges Leben findet; jeder, der an dieser Gnade teilhat und diese Vollkommenheiten annimmt, wird ewiges Leben gewinnen, wird immerwährende Gnaden empfangen, wird von der Finsternis des Irrtums befreit und vom Licht Seiner Führung erleuchtet.
Die Gestalt des Samenkorns wurde dem Baum geopfert, aber seine Vollkommenheiten wurden infolge dieses Opfers sichtbar und offenkundig; denn der Baum mit seinen Zweigen, Blättern und Blüten war im Samenkorn verborgen, indem das Äußere des Samenkorns geopfert wurde, zeigten sich seine Vollkommenheiten in der vollendeten Gestalt der Blätter, Blüten und Früchte.
¹ Johannes 6:51
Frage: Was ist die Wahrheit über Adam, der vom Baum der Erkenntnis gegessen hat?
Antwort: Im Alten Testament heißt es, daß Gott Adam in den Garten Eden setzte, damit er ihn pflege und behüte, und daß Er sprach:"Iß von jedem Baum im Garten, mit Ausnahme des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse, denn wenn du von diesem ißt, wirst du sterben." Dann wird gesagt, daß Gott Adam in Schlaf versenkte, eine seiner Rippen nahm und die Frau erschuf, damit sie seine Gefährtin sei. Weiter heißt es, daß die Schlange die Frau verleitet habe, vom Baum zu essen, indem sie sprach: "Gott hat euch verboten vom Baum zu essen, damit eure Augen nicht aufgetan werden und damit ihr nicht Gut von Böse unterscheiden könnt." Darauf aß Eva vom Baum und gab Adam, der ebenfalls aß; ihre Augen wurden aufgetan, sie wurden gewahr, daß sie nackt waren und bedeckten sich mit Blättern. Als Folge dieser Tat wurden sie von Gott getadelt. Er sagte zu Adam: "Hast du vom verbotenen Baum gegessen?" Adam antwortete: "Eva hat mich verleitet, und ich aß." Gott tadelte dann Eva, und sie sprach: "Die Schlange hat mich verleitet, und ich aß." Dafür wurde die Schlange verflucht und zwischen ihr und Eva und zwischen ihren Nachkommen Feindschaft gesetzt. Und Gott sprach: "Der Mensch ist Uns ähnlich geworden und weiß, was gut und böse ist, und vielleicht wird er auch vom Baum des Lebens essen und ewig leben." Daher behütete Gott den Baum des Lebens.¹
¹ Vgl. 1. Mose 2:16-18 und 3:1-19
Wenn wir diese Geschichte nach der äußeren Bedeutung ihrer Worte nehmen, wie es allgemein üblich ist, klingt sie höchst seltsam. Der Verstand kann sie nicht annehmen, bestätigen oder sich vorstellen; denn solche Geschehnisse, Einzelheiten, Gespräche und Vorwürfe stehen vernünftigen Menschen fern, um wieviel mehr Gott, Der dieses unendliche Weltall in der vollkommensten Gestalt und seine unzähligen Bewohner mit unübertrefflicher Ordnung, Kraft und Vollendung eingerichtet hat.
Wir müssen überlegen: Wenn die wörtliche Bedeutung dieser Geschichte einem klugen Menschen zugeschrieben würde, würden zweifellos alle folgerichtig urteilen, daß diese Anordnung, diese Erdichtung nicht von einem intelligenten Wesen herrühren könne. Diese Geschichte von Adam und Eva, die vom Baum der Erkenntnis aßen, und von ihrer Vertreibung aus dem Paradies muß deshalb einfach als Gleichnis verstanden werden. Sie enthält göttliche Geheimnisse und umfassende Bedeutungen und steht wunderbaren Erklärungen offen. Nur die in das Geheime eingeführt sind und die dem Hof des Allmächtigen nahe sind, können diese Geheimnisse begreifen. Diese Verse des Alten Testaments enthalten also zahlreiche Bedeutungen.
Eine dieser Bedeutungen wollen Wir jetzt erklären: Mit Adam ist sein Geist und mit Eva seine Seele gemeint. Denn an einigen Stellen der heiligen Bücher, in denen Frauen erwähnt werden, ist die menschliche Seele damit gemeint. Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse bezeichnet die menschliche Welt; denn die geistige und göttliche Welt ist vollkommen gut und reines Licht, aber in der irdischen Welt bestehen Licht und Finsternis, Gut und Böse als gegensätzliche Seinsweisen.
Die Bedeutung der Schlange ist Bindung an die Menschenwelt. Dieses Verhaftetsein des Geistes mit der irdischen Welt lenkte Adams Seele und Geist von der Welt der Freiheit zur Welt des Zwangs und verleitete ihn, sich vom Reich der Einheit zur Menschenwelt zu wenden. Als Adams Seele und Geist die menschliche Welt betraten, verließ er das Paradies der Freiheit und verfiel der Welt der Bindung. Von der Höhe der Reinheit und des absolut Guten kam er in die Welt des Guten und Bösen.
Der Baum des Lebens verkörpert die höchste Stufe in der bestehenden Welt: Die Stufe des Wortes Gottes und der allumfassenden Offenbarung. Darum blieb jene Stufe verwahrt, bis sie im Erscheinen der größten Universalen Offenbarung sichtbar und offenkundig wurde. Denn die Stellung Adams war in bezug auf das Erscheinen und die Offenbarung der göttlichen Vollkommenheiten in keimhaftem Zustand; der Rang Christi entspricht der Zeit des Heranreifens und Vernünftigwerdens; der Aufgang des Größten Gestirns¹ war die Stufe der Vollkommenheit des Geistes und der menschlichen Tugenden. Deshalb ist im höchsten Paradies der Baum des Lebens der Ausdruck für den Mittelpunkt vollkommen reiner Heiligkeit, nämlich der göttlichen allumfassenden Offenbarung. Vom Zeitalter Adams bis zur Zeit Christi sprach man wenig vom ewigen Leben und den allumfassenden himmlischen Vollkommenheiten. Dieser Baum des Lebens war die Stufe der Wirklichkeit Christi; durch Seine Offenbarung wurde er gepflanzt und mit ewigen Früchten geschmückt.
¹ Der Offenbarung Bahá'u'lláhs.
Beachte nun, wie diese Auslegung der Wirklichkeit entspricht. Denn als sich Geist und Seele Adams mit der irdischen Welt verbanden, gerieten sie von der Welt der Freiheit in die Welt des Zwangs, und seine Nachkommen blieben in Knechtschaft. Diese Bindung von Seele und Geist an die menschliche Welt ist Sünde und wurde von Adam auf seine Nachkommen vererbt. Sie ist die Schlange, die immer im Geiste seiner Nachkommen lebt und mit ihnen im Kampf steht. Diese Feindschaft währt immerfort. Denn die Bindung an die Welt wurde zur Ursache der Unfreiheit des Geistes, und sie ist das gleiche wie die Sünde, die von Adam auf seine Nachkommenschaft übertragen wurde. Durch diese Bindung werden die Menschen von wesentlicher Geistigkeit und erhabener Stufe ausgeschlossen.
Als der heilige Odem Christi und die geheiligten Strahlen des Größten Gestirns sich verbreiteten, wurden die menschlichen Wirklichkeiten, nämlich diejenigen Menschen, die sich dem Wort Gottes zuwandten und den Reichtum Seiner Gnadengaben empfingen, frei von dieser Bindung und Sünde, gewannen ewiges Leben, wurden aus den Fesseln des Zwangs gelöst und gelangten zur Welt der Freiheit. Sie wurden von den Schwächen der menschlichen Welt gelöst und mit den Tugenden des Königreiches gesegnet. Das ist die Bedeutung der Worte Christi: "Ich gab Mein Blut für das Leben der Welt."¹ Das heißt: Alle Heimsuchungen, Prüfungen und Trübsale, selbst das größte Martyrium habe ich auf Mich genommen, um dieses Ziel, die Überwindung der Sünde, zu erreichen. Damit ist die Loslösung des Geistes von der menschlichen Welt und sein Hingezogenwerden zum göttlichen Reich gemeint, damit sich Seelen erheben, die zum innersten Wesen der Führung der Menschheit werden und zu Offenbarungen der Vollkommenheiten des höchsten Königreichs.
¹ vgl. Johannes 6:51.
Bedenke, wenn der Sündenfall in seinem buchstäblichen Sinn gedeutet würde, entsprechend den Annahmen der Anhänger des Buches¹, so wäre dies reine Ungerechtigkeit und völlige Vorherbestimmung. Wenn Adam sündigte, indem er vom verbotenen Baume aß, was war die Sünde Abrahams, des Ruhmvollen, und was war der Fehler Mose, des Sprechers mit Gott? Was war das Vergehen des Propheten Noah? Was die Übertretung Josephs, des Aufrechten? Und was war die Schuld der Propheten Gottes, oder die Missetat Johannes des Täufers? Könnte es die Gerechtigkeit Gottes zugeben, daß diese erleuchteten Offenbarer der Sünde Adams wegen qualvolle Höllenpein ertragen müßten, bis Christus kam und Sie durch Sein eigenes Opfer von den schmerzhaften Martern befreite? Eine solche Vorstellung steht außerhalb jedes Gesetzes und jeder Regel, und kein vernünftiger Mensch kann sie annehmen.
¹ Juden und Christen.
Nein, der Sinn ist, wie schon erwähnt: Adam ist der Geist des Menschen und Eva seine Seele; der Baum ist die menschliche Welt, und die Schlange ist jene Bindung an diese Welt, welche die Sünde ausmacht und die Nachkommen Adams befallen hat. Christus bewahrte durch Seinen heiligen Odem die Menschen vor dieser Bindung und befreite sie von dieser Sünde. Die Sünde Adams steht im Verhältnis zu seiner Stufe. Obgleich die Bindung an die irdische Welt auch gute Ergebnisse zeitigen mag, so ist sie doch im Vergleich zur Verbundenheit mit der geistigen Welt wie Sünde. Was für die Gläubigen noch eine gute Tat ist, kann für die Gott Nahestehenden schon Sünde sein. Dies ist außer Frage gestellt. So ist körperliche Kraft in Beziehung zu geistiger nicht nur mangelhaft, sondern sogar Schwäche. Ebenso erscheint das körperliche Leben im Vergleich mit dem ewigen Leben im Königreich als Tod. Darum nannte Christus das körperliche Leben Tod, als Er sprach: "Laß die Toten ihre Toten begraben."¹ Obwohl jene Seelen körperliches Leben hatten, war dieses Leben in Seinen Augen Tod.
Dies ist eine der Bedeutungen der biblischen Geschichte von Adam. Denke nach, bis du die anderen findest.
¹ Matthäus 8:22
Frage: - "Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben. Und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird's nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt."¹
¹ Matthäus 12:31-32 s.a. Markus 3:28-29 , Lukas 12:10
Antwort: Die heiligen Wirklichkeiten der Offenbarer Gottes haben zwei geistige Stellungen. Die eine ist, Träger der Offenbarung zu sein, was mit der Stellung des Sonnenballs verglichen werden kann, und die andere ist der blendende Glanz der Offenbarung, dem Licht und den Strahlen der Sonne vergleichbar; und das sind die göttlichen Vollkommenheiten, mit anderen Worten, der Heilige Geist. Denn der Heilige Geist bedeutet die göttlichen Gnadengaben und die Vollkommenheiten des Herrn; und diese himmlischen Vollkommenheiten sind wie die Strahlen und die Wärme der Sonne. Die leuchtenden Strahlen machen das Wesen der Sonne aus, und ohne sie wäre es nicht die Sonne. Wären die Offenbarung und die Widerspiegelung der göttlichen Vollkommenheiten nicht in Christus, so wäre Jesus nicht der Messias. Er ist ein Offenbarer, weil Er in Sich die göttliche Vollendung zurückstrahlt. Die Propheten Gottes sind Offenbarungen der Vollkommenheiten des Herrn; das heißt, der Heilige Geist erscheint in ihnen.
Wenn eine Seele dem Offenbarer fernbleibt, so mag sie dennoch erweckt werden; denn dieser Mensch erkannte den Träger der Offenbarung der göttlichen Vollkommenheit nicht. Wenn er aber die göttlichen Vollkommenheiten selbst, in anderen Worten den Heiligen Geist, verabscheut, ist es klar, daß er wie eine Fledermaus ist, die das Licht haßt.
Gegen diese Ablehnung des Lichtes gibt es kein Mittel, und sie kann nicht verziehen werden; für diesen Menschen ist es also unmöglich, Gott nahezukommen. Diese Lampe hier ist eine Lampe infolge ihres Lichtes; ohne Licht wäre sie keine Lampe. Wenn nun eine Seele eine Abneigung gegen das Licht der Lampe hat, ist sie wie blind und hat kein Verständnis für das Licht; und Blindheit ist die Ursache ewiger Verbannung von Gott.
Es ist klar, daß die Menschen von der Freigebigkeit des Heiligen Geistes, der in den göttlichen Offenbarern erscheint, Gnade empfangen, und nicht von der Persönlichkeit des Offenbarers. Wenn daher eine Seele von den Gnadengaben des Heiligen Geistes nichts annimmt, bleibt sie der göttlichen Gabe beraubt, und die Verbannung selbst stellt diesen Menschen außerhalb der Reichweite der Verzeihung.
So gab es viele Menschen, die Gegner des Offenbarers waren und Ihn nicht erkannten; wenn sie Ihn aber einmal erkannten, wurden sie zu Freunden. So wurde Feindschaft gegen den Offenbarer nicht zur Ursache ewigen Ausgeschlossenseins; denn diese Menschen waren Feinde der Lampe, ohne zu wissen, daß sie das strahlende Licht Gottes war. Sie waren keine Feinde des Lichts, und wenn sie einmal verstanden hatten, daß der Träger des Lichtes der Offenbarer des wahren Lichtes war, wurden sie zu aufrichtigen Freunden.
Zusammengefaßt: Das Fernbleiben vom Träger des Lichtes muß nicht zu ewiger Verbannung führen, denn man kann wachsam und erweckt werden; aber Feindschaft gegen das Licht ist die Ursache ewigen Ausgeschlossenseins, und dagegen gibt es kein Mittel.
Frage: Im Evangelium sagte Christus: "Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt"¹, und im Qur'án heißt es: "Er schenkt Seine Gnade, wem Er will." Welche Weisheit liegt in diesen Worten?
¹ Matthäus 20:16 und 22:14.
Antwort: Wisse, daß das Gefüge und die Vollkommenheit des ganzen Weltalls es erfordern, daß Dasein in zahllosen Formen erscheine. Denn das Erschaffene könnte nicht in nur einer Klasse, einer Stufe, einem Geschlecht, einer Gattung oder in nur einer Art verkörpert werden; der Unterschied der Stufen, die Ungleichheit der Gestalt und die Verschiedenheit von Geschlecht und Gattung sind zweifellos notwendig. Das heißt, die Stufen mineralischer, pflanzlicher und tierischer Wesenheiten und die des Menschen sind unvermeidlich; denn die Welt fände mit dem Menschen allein nicht ihre Ordnung und Gesetzmäßigkeit, ihre Ausschmückung und Vollendung. Ebenso könnte die Welt, bestünde sie allein aus Tieren oder Pflanzen oder nur aus Mineralien, nicht ihr wunderbares Aussehen, ihre festgefügte Ordnung und ihren lieblichen Schmuck zeigen. Daß Dasein in höchster Vollendung erstrahlt, ist zweifellos die Folge der Verschiedenheiten von Graden, Stufen, Gattungen und Arten.
Wenn zum Beispiel dieser Baum nur aus Früchten bestände, könnte die Vollkommenheit der pflanzlichen Stufe nicht erreicht werden; denn Blätter, Blüten und Früchte sind zusammen nötig, damit der Baum mit größter Schönheit und Vollendung geschmückt werde.
Betrachte in gleicher Weise den menschlichen Körper: Er muß aus verschiedenen Organen, Teilen und Gliedern zusammengesetzt sein. Menschliche Schönheit und Vollkommenheit erfordern das Vorhandensein von Ohren, Augen, Gehirn, ja sogar von Nägeln und Haaren; bestände der Mensch nur aus Gehirn, Augen oder Ohren, so wäre dies reine Unvollkommenheit. Auch das Fehlen von Haaren, Wimpern, Nägeln oder Zähnen wäre ein einwandfreier Mangel, obwohl sie im Vergleich mit dem Auge ohne Gefühl sind und darin dem Mineral und der Pflanze ähneln; aber ihr Fehlen im menschlichen Körper ist äußerst fehlerhaft und unangenehm.
Da es verschiedenartige und voneinander abweichende Stufen des Daseins gibt, stehen immer einige Arten über den anderen. Es geschieht daher nach dem Willen und Wunsch Gottes, daß manche Geschöpfe, wie die Menschen, für die höchste Stufe auserwählt sind, andere, wie zum Beispiel die Pflanzen, der mittleren Stufe zugeteilt sind und einige, wie die Mineralien, auf der untersten Stufe belassen werden.
Es kommt aus der Gnade Gottes, daß der Mensch für den höchsten Rang auserwählt ist; auch die Unterschiede, die mit Beziehung auf geistigen Fortschritt und himmlische Vollkommenheiten zwischen den Menschen bestehen, beruhen auf der Auswahl durch den Allbarmherzigen. Denn der Glaube, der ewiges Leben bedeutet, ist das Zeichen der Gnade und nicht die Folge der Gerechtigkeit. Die Flamme des Feuers der Liebe in dieser Welt von Erde und Wasser brennt durch die Kraft der Anziehung und nicht durch Bemühung und Anstrengung. Wissen, Wissenschaft und andere Vollkommenheiten können dagegen durch Bemühen und Ausdauer erworben werden; aber nur das Licht der göttlichen Schönheit kann durch die Macht der Anziehung die seelisch-geistige Kraft in Bewegung setzen und hinreißen. Darum wurde gesagt: "Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt."
Das materielle Dasein aber kann nicht wegen seiner eigenen Stufe oder Stellung mißachtet, verurteilt und für sie verantwortlich gemacht werden. Beispielsweise sind Mineral, Pflanze und Tier auf der ihnen jeweils zustehenden Stufe annehmbar; wenn sie aber innerhalb ihrer eigenen Stufe unfertig bleiben, sind sie minderwertig, während die Stufe an sich vollendet ist.
Die Verschiedenheit unter den Menschen ist von zweierlei Art: Die eine ist der Unterschied der Stufe, und dieser Unterschied ist unverschuldet. Die andere ist ein Unterschied des Glaubens und der Gewißheit, deren Verlust verschuldet ist; denn dann wird der Mensch von Wünschen und Leidenschaften beherrscht, die ihn jener hohen Gaben berauben und ihn daran hindern, die Macht der Anziehung der Liebe Gottes zu fühlen, obwohl dieser Mensch auf der ihm zugeteilten Stufe annehmbar und gut sein mag, wird er, da er der Vollkommenheiten jenes Grades beraubt ist, zur Quelle von Unvollkommenheiten, wofür er zur Verantwortung gezogen wird.¹
¹ Siehe Kapitel 57 "Die Gründe für die Charakterverschiedenheiten der Menschen".
Frage: Wie ist die Wiederkunft zu erklären?
Antwort: Bahá'u'lláh hat diese Frage im "Buch der Gewißheit"¹ ausführlich und eingehend erklärt. Lies es, und die Wahrheit über dieses Problem wird offenkundig werden. Da du aber gefragt hast, will Ich es kurz erklären. Wir beginnen, es anhand des Evangeliums zu erläutern, denn da ist klar gesagt, daß Johannes, Zacharias' Sohn, als er auftrat und den Menschen die frohen Botschaften vom Gottesreich brachte, gefragt wurde: "Wer bist du? Bist du der verheißene Messias?" Er antwortete: "Ich bin nicht der Messias." Darauf fragten sie ihn: "Bist du Elias?" Er sagte: "Ich bin es nicht."² Diese Äußerung scheint klar zu beweisen, daß Johannes, Zacharias' Sohn, nicht der verheißene Elias war. Aber am Tage der Verklärung auf dem Berg Tabor sagte Christus deutlich, daß Johannes, Zacharias' Sohn, der verheißene Elias gewesen sei.
¹ Kitáb-i-Iqán. ² Vgl. Johannes 1:19-21
In Kapitel 9, Vers 11-13, des Markusevangeliums heißt es: "Und sie fragten Ihn und sprachen: Die Schriftgelehrten sagen doch, daß zuvor Elias kommen muß. Er aber sprach zu ihnen: Ja, zuvor kommt Elias und bringt alles wieder zurecht. Und wie steht geschrieben von des Menschen Sohn, daß Er viel leiden soll und verachtet werden? Aber Ich sage euch: Elias ist schon gekommen, und sie haben an ihm getan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben steht." In Kapitel 17, Vers 13, des Matthäusevangeliums steht: "Da verstanden die Jünger, daß Er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte."
Johannes war also gefragt worden: "Bist du Elias?" Er antwortete: "Ich bin es nicht", obwohl im Evangelium steht, daß Johannes der verheißene Elias war, und auch Christus dies deutlich sagte. Wenn also Johannes Elias war, warum sagte er: "Ich bin es nicht?" Und wenn er nicht Elias war, warum sagte Christus, daß er es wäre?
Die Erklärung ist wie folgt: Es ist nicht die Person, sondern die Wirklichkeit der Vollkommenheiten gemeint; das heißt, die Vollkommenheiten, die in Elias lebendig waren, wurden genauso in Johannes dem Täufer verwirklicht. Deshalb war Johannes der Täufer der verheißene Elias. In diesem Fall ist nicht von der Person, sondern von den Eigenschaften die Rede. Zum Beispiel blühte im vergangenen Jahr eine Blume, und dieses Jahr blüht auch eine Blume; man sagt, daß die Blume des letzten Jahres wiedergekommen sei. Man will damit aber nicht sagen, daß die gleiche Blume in ihrer absoluten Einzigartigkeit zurückgekommen sei; sondern da diese Blume die gleichen Eigenschaften wie die des vergangenen Jahres hat - denselben Duft, die gleiche Schönheit, Farbe und Form -, sagt man, die Blume des Vorjahres sei wiedergekommen, und diese Blume sei jene Blume. Wenn der Frühling kommt, sagen wir, der Frühling des vergangenen Jahres sei wiedergekommen, weil alles, was wir im letztjährigen Frühling fanden, auch im diesjährigen Frühling besteht. Darum sagte Christus: Was zu den Zeiten der früheren Propheten geschah, das werdet ihr alles sehen.
Wir wollen noch eine andere Erklärung geben: Das Samenkorn des vergangenen Jahres wurde gesät, Zweige und Blätter wuchsen empor, Blüten und Früchte erschienen, und schließlich bildete sich wieder ein Samenkorn. Wenn dieses zweite Samenkorn gesät wird, wächst aus ihm ein neuer Baum, und jene Äste, Blätter, Blüten und Früchte kommen wieder, und wieder erscheint jener Baum in Vollendung. Weil am Anfang ein Samenkorn war, und das Ende wieder ein Samenkorn ist, sagt man, daß das Samenkorn wiedergekommen ist. Nehmen wir die Substanz des Baumes, so ist sie eine andere, betrachten wir aber die Blüten, Blätter und Früchte, so ist der gleiche Duft, dieselbe Schönheit, der nämliche Wohlgeschmack hervorgebracht worden. Daher ist die Vollkommenheit des Baumes ein zweites Mal wiedergekommen.
Ebenso ist, wenn wir an die Wiederkunft einer Person denken, diese ein anderes Individuum; betrachten wir aber die Eigenschaften und Vollkommenheiten, so sind sie wiedergekommen. Wenn daher Christus sagte: "Dies ist Elias", so meinte Er, dieser Mensch ist ein Wiedererscheinen der Gaben und Vollkommenheiten, des Charakters, der Eigenschaften und Tugenden des Elias. Johannes der Täufer konnte sagen: "Ich bin nicht Elias." Christus sprach von den Eigenschaften und Vollkommenheiten, dem Charakter und den Tugenden, die beide besaßen, und Johannes sprach von seinem physischen Sein und der Individualität. Es ist wie mit dieser Lampe: Sie brannte in der vergangenen Nacht, wird heute abend wieder angezündet und wird auch morgen nacht wieder scheinen. Wenn man sagt, daß die Lampe von heute die gleiche ist wie die von gestern und daß sie wiedergekommen sei, so ist das Licht gemeint, aber nicht das Öl, der Docht oder der Halter.
Dieses Thema ist im "Buch der Gewißheit" ausführlich und erschöpfend erklärt.
Frage: im Matthäusevangelium, Kapitel 16, Vers 18, heißt es: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde." Was ist die Bedeutung dieses Verses?
Antwort: Dieser Ausspruch Christi ist die Bestätigung der Worte Petri, als Christus fragte: "Wer sagt denn ihr, daß ich sei?" und Petrus antwortete: "Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn." Darauf erwiderte ihm Christus: "Du bist Petrus"¹ - denn Kaiphas bedeutet im Aramäischen Felsen - "und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde." Denn die anderen gaben Christus zur Antwort, daß Er Elias wäre, einige sagten Johannes der Täufer und wieder andere meinten Jeremia oder der Propheten einer.²
¹ Es ist bekannt, daß Petri wirklicher Name Simon war, aber Christus nannte ihn Kaiphas, was dem griechischen Wort "petra" entspricht, welches Fels bedeutet.
² Vgl. Matthäus 16:14-18
Christus wollte durch eine Andeutung oder eine Anspielung Petri Worte bestätigen; und so sagte Er wegen der Eignung seines Namens, Petrus: " ... und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde" das heißt, dein Glaube, daß Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, wird zur Grundlage der Religion Gottes; und auf dieser Überzeugung wird das Fundament der göttlichen Kirche - die das Gesetz Gottes ist - errichtet werden.
Ob sich das Grab Petri wirklich in Rom befindet, ist zweifelhaft und nicht zuverlässig verbürgt; manche sagen, es sei in Antiochia. Laßt uns ferner das Leben mancher Päpste mit der Religion Christi vergleichen. Hungrig und ohne Obdach nährte Sich Christus von den Früchten des Feldes, und keines Menschen Gefühle wollte Er verletzen. Der Papst fährt in goldgeschmückter Kutsche und verbringt seine Tage in größter Pracht, umgeben von Freuden und Luxus, Reichtümern und Verherrlichung, wie selbst Könige sie nie besaßen.
Christus hat niemanden verletzt, aber viele Päpste ließen Unschuldige töten. Aus der Geschichte kann man ersehen, wieviel Blut nur um weltlicher Macht willen die Päpste vergossen haben. Wegen Meinungsverschiedenheiten haben sie Tausende von Dienern an der Menschheit und von Gelehrten, die die Geheimnisse der Natur entdeckt hatten, festgenommen, eingekerkert und umgebracht, in welchem Maß haben sie sich der Wahrheit widersetzt!
Betrachte die Lehren Christi und prüfe Leben und Art der Päpste. Überlege: Gibt es zwischen den Lehren Christi und den Methoden der päpstlichen Herrschaft irgendeine Ähnlichkeit? Wir üben nicht gern Kritik, aber die Geschichte des Vatikans ist sehr außergewöhnlich. Der Zweck Unserer Beweisführung ist, daß die Lehren Christi eine Sache für sich sind, und die Methoden der päpstlichen Regierung eine ganz andere, denn sie stimmen nicht überein. Sieh, wie viele Protestanten auf Befehl der Päpste getötet wurden. Wie viele Gewalttätigkeiten und Unterdrückungen haben sie gutgeheißen, und wie viele Strafen und Torturen haben sie verhängt! Kann irgendeiner der süßen Düfte Christi in solchen Handlungen entdeckt werden? Nein, bei Gott! Sie haben Christus nicht gehorcht, während die heilige Barbara¹, deren Bild hier vor uns ist, Christus gehorchte, Seinen Fußstapfen nachfolgte und Seine Lehren in die Tat umsetzte. Es gab auch unter den Päpsten gesegnete Seelen, die in den Fußstapfen Christi wandelten, besonders in den ersten christlichen Jahrhunderten, als die weltlichen Güter noch fehlten und die göttlichen Prüfungen hart waren. Aber als die Machtmittel zusammenströmten und weltliche Größe und Reichtümer erworben wurden, vergaß die päpstliche Gewalt Christus vollständig und befaßte sich mit Herrschaft, Ruhm, Behagen und Luxus dieser Welt. Sie tötete Menschen, widersetzte sich der Verbreitung von Wissen, folterte die Gelehrten, hemmte das Licht der Erkenntnis und gab Befehl zu töten und zu plündern. Tausende von Menschen, Wissenschaftler, Gelehrte und Unschuldige, kamen in den Kerkern Roms um. Kann man bei solchem Vorgehen und einer derartigen Handlungsweise an eine Stellvertretung Christi glauben?
¹ die heilige Barbara - wer weiß mehr über diese Frau ?
Der päpstliche Stuhl widersetzte sich immer der Wissenschaft; sogar in Europa wird zugegeben, daß die Religion der Wissenschaft widerspreche und die Wissenschaft die Grundlage der Religion zerstöre, in Wirklichkeit aber ist die Religion Gottes Verbreitung der Wahrheit, Begründung von Wissen und Erkenntnis, und voller Aufgeschlossenheit für Gelehrte; sie kultiviert die Menschheit, entdeckt die Geheimnisse der Natur und erleuchtet die Horizonte der Welt. Wie kann man also sagen, daß sie der Erkenntnis entgegengesetzt ist? Gott behüte! Nein, bei Gott ist Erkenntnis die herrlichste Gabe des Menschen und die vornehmste der menschlichen Vollkommenheiten. Erkenntnis zu bekämpfen ist Torheit, und wer Erkenntnis und Wissenschaft haßt, ist kein Mensch, sondern ein Tier ohne Verstand. Denn Erkenntnis ist Licht und Leben, Glückseligkeit, Vollkommenheit und Schönheit und das Mittel, das uns der Schwelle der Einheit nahebringt. Sie ist Ehre und Ruhm in der Menschenwelt und die größte Gabe Gottes. Erkenntnis ist dasselbe wie Führung, Unwissenheit aber ist wirkliche Verirrung.
Glücklich die Menschen, die ihre Tage damit verbringen, sich Wissen zu erwerben, die Geheimnisse des Seins zu entdecken und in die Feinheiten der reinen Wahrheit einzudringen. Wehe den Menschen, die sich mit Unkenntnis zufrieden geben, deren Herz sich an gedankenloser Nachahmung erfreut, die auf die niedrigste Stufe der Unwissenheit und Torheit herabgesunken sind und ihr Leben vergeudet haben!
Frage: Wenn Gott von einer zukünftigen Tat eines Menschen Kenntnis hat, und diese auf der verwahrten Tafel des Schicksals aufgezeichnet ist, ist es möglich, ihr zu widerstehen?
Antwort: Das Vorher-Wissen um eine Sache ist nicht die Ursache ihrer Verwirklichung; denn das wesenhafte Wissen Gottes umfaßt die Wirklichkeit der Dinge in gleicher Weise vor wie nach ihrem Dasein, verursacht aber nicht ihr Sein. Es ist eine Vollkommenheit Gottes. Was nach göttlicher Eingebung durch den Mund der Propheten vom Kommen des Verheißenen im Alten Testament verkündet wurde, war nicht die Ursache des Erscheinens Christi.
Den Propheten wurden verborgene Geheimnisse der Zukunft offenbart, und so erhielten sie Kenntnis von kommenden Ereignissen, die sie verkündeten. Dieses Wissen und diese Prophezeiungen waren aber nicht die Ursache für das Eintreffen der Geschehnisse. Zum Beispiel weiß heute abend jedermann, daß nach sieben Stunden die Sonne aufgehen wird; dieses allgemeine Vorher-Wissen verursacht aber nicht den Aufgang und das Erscheinen der Sonne.
Das göttliche Wissen im Bereiche der erschaffenen Welt bewirkt also nicht die Gestaltung der Dinge; es ist vielmehr geheiligt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist identisch mit der Wirklichkeit der Dinge, verursacht aber nicht ihr Geschehen.
Ebenso wird die Niederschrift und die Erwähnung einer Sache in dem Buch nicht zur Ursache ihres Daseins. Die Propheten wußten durch die göttliche Eingebung, was geschehen wird. Zum Beispiel wußten sie durch die göttliche Erleuchtung, daß Christus zum Märtyrer würde, und verkündeten es. War nun ihr Wissen und ihre Kenntnis die Ursache für den Kreuzestod Christi? Nein, dieses Wissen ist eine Vollkommenheit der Propheten und verursachte nicht das Martyrium.
Die Astronomen wissen durch mathematische Berechnungen, wann eine Mond- oder Sonnenfinsternis eintreten wird. Sicherlich ist diese Entdeckung nicht die Ursache für das Eintreffen der Finsternis. Dies ist natürlich nur ein Vergleich und kein genaues Bild.
Wisse, daß es, allgemein gesprochen, fünf Stufen des Geistes gibt.¹
¹ Im Sendschreiben an Prof. Forel werden die fünf Stufen ausführlicher erklärt. (vgl. "BAHÁ'Í-BRIEFE", Heft 1, Juli 1960)
Zuerst der Geist der Pflanze: Er ist eine Kraft, die aus der Verbindung der Elemente und der Mischung der Stoffe nach dem Ratschluß Gottes, des Erhabenen, hervorgeht unter Einfluß, Wirken und Anschluß anderer Daseinsformen. Wenn diese Stoffe und Elemente voneinander getrennt werden, hört die Kraft des Wachstums auf; wie auch die Elektrizität, um ein anderes Bild zu gebrauchen, aus der Verbindung von Elementen hervorgeht und die elektrische Kraft verloren geht und aufhört, wenn diese Elemente getrennt werden. So ist der Geist der Pflanze.
Danach kommt der Geist des Tieres, der auch aus der Mischung und Verbindung von Elementen herrührt; diese Verbindung aber ist vollkommener; nach dem Ratschluß Gottes, des Allmächtigen, wird eine vollendete Verschmelzung erzielt, und der Geist des Tieres, mit anderen Worten die Kraft der Sinne, erzeugt. Von dem, was sichtbar, hörbar, greifbar, eßbar und riechbar ist, nimmt er die Wirklichkeit der Dinge wahr. Auch dieser Geist verschwindet nach der Trennung und Auflösung der zusammengesetzten Elemente entsprechend den Naturgesetzen. Es ist wie mit dieser Lampe, die du hier siehst: Wenn Öl, Docht und Flamme zusammenkommen, entsteht das Licht, aber wenn das Öl aufgezehrt und der Docht verbrannt ist, erlischt auch das Licht.
Der Menschengeist kann mit den Sonnenstrahlen, die auf einen Kristall fallen, verglichen werden. Der Körper des Menschen, aus den Elementen zusammengesetzt, ist in der vollendetsten Form gemischt und vereinigt; er ist die gründlichste Gestaltung, die edelste Verbindung, das vollkommenste Wesen. Er wächst und gedeiht durch den Geist des Tieres. Dieser vervollkommnete Körper kann mit einem Kristall und der Menschengeist mit der Sonne verglichen werden. Wenn auch der Kristall bricht, die Strahlen der Sonne bestehen weiter; und wenn der Kristall zerstört wird oder aufhört zu bestehen, bringt dies den Strahlen der Sonne, die ewig ist, keinerlei Schaden. Dieser Geist hat die Macht zu entdecken; er umfaßt alle Dinge. Alle diese wunderbaren Erscheinungen, wissenschaftlichen Erfindungen, großen Unternehmungen und wichtigen geschichtlichen Ereignisse, die du kennst, sind ihm zuzuschreiben. Aus dem Bereich des Unsichtbaren und Verborgenen hat er sie durch geistige Kraft auf die Ebene des Sichtbaren gebracht. So ist der Mensch wohl auf der Erde, aber er macht Entdeckungen am Himmel. Aus bekannten Gegebenheiten, das heißt aus dem, was geläufig und sichtbar ist, schließt er auf unbekannte Dinge. Zum Beispiel befindet er sich auf dieser Erdhälfte, aber er entdeckt, wie Kolumbus, durch die Kraft seines Verstandes die andere Hälfte, Amerika, das bis dahin unbekannt war. Sein Körper ist schwer, aber mit Hilfe eines Apparates, den er sich ersinnt, schwingt er sich gen Himmel empor. Er kann sich nur langsam bewegen, aber durch die Mittel, die er erfindet, reist er nach Osten und Westen mit äußerster Schnelligkeit. Kurz, diese Kraft umfaßt alle Dinge.
Dieser Menschengeist hat aber zwei Seiten, eine göttliche und eine satanische das heißt er ist der höchsten Vollkommenheit, aber auch der größten Fehlerhaftigkeit fähig. Erwirbt sich der Mensch Tugenden, ist er das edelste aller Wesen, überläßt er sich Lastern, sinkt er zum niedrigsten aller Geschöpfe herab.
Die vierte Stufe des Geistes ist der himmlische Geist. Er ist der Geist des Glaubens und eine Gabe Gottes. Er kommt aus dem Odem des Heiligen Geistes, und durch göttliche Kraft führt er zum ewigen Leben. Er ist die Kraft, die den irdischen Menschen himmlisch macht und den fehlerhaften vollkommmen. Er läßt den Unreinen rein, den Stummen beredt werden. Er reinigt und heiligt die in weltlichen Leidenschaften Gefangenen und wandelt die Toren in Weise.
Der fünfte Geist ist der Heilige Geist. Er ist der Mittler zwischen Gott und Seinen Geschöpfen. Er gleicht dem der Sonne zugekehrten Spiegel. Wie der reine Spiegel Licht von der Sonne empfängt und diesen Segen anderen weitergibt, so ist der Heilige Geist der Mittler des heiligen Lichtes von der Sonne der Wahrheit, das er den geheiligten Wesen¹ weiterreicht. Er ist mit allen göttlichen Vollkommenheiten geschmückt. Jedesmal, wenn er erscheint, wird die Welt erneuert und ein neuer Zyklus begründet. Der Körper der menschlichen Welt legt ein neues Gewand an. Er ist dem Frühling vergleichbar; so oft er kommt, schreitet die Welt von einer Stufe zur anderen. Durch das Kommen der Frühlingszeit wird die dunkle Erde, werden die Felder und Steppen grün und blühend, und alle Arten von Blumen und süßduftende Kräuter wachsen; die Bäume haben neues Leben, frische Früchte erscheinen, und ein neuer Zyklus hat begonnen. So ist das Erscheinen des Heiligen Geistes. Wann immer er erscheint, frischt er die menschliche Welt auf und gibt den menschlichen Wesen einen neuen Geist: Er schmückt die Welt des Seins mit einem prächtigen Gewand, vertreibt die Finsternis der Unwissenheit und macht das Licht der Vollkommenheiten scheinen. Durch diese Kraft hat Christus Sein Zeitalter neu gestaltet; mit ganz neuem Leben und größter Frische schlug der himmlische Frühling sein Zelt in der menschlichen Welt auf, und seelenbelebende Düfte erquickten die Erleuchteten.
Ebenso war das Erscheinen Bahá'u'lláhs einem neuen Frühjahr gleich, das mit heiligem Odem, mit den Heerscharen des ewigen Lebens und mit himmlischer Macht erschien. Es errichtete den Thron des göttlichen Königreichs im Herzen der Welt, belebte die Seelen durch die Kraft des Heiligen Geistes und begründete ein neues Zeitalter.
¹ Den Offenbarern.
Frage: Wie hängt die Wirklichkeit Gottes mit den göttlichen Aufgangsorten und den Stätten der göttlichen Morgendämmerung zusammen?
Antwort: Wisse, daß die Wirklichkeit Gottes, oder das wahre Wesen der Einheit, absolute Reinheit und vollkommene Heiligkeit ist, das heißt, sie ist geheiligt und erhaben über jeden Lobpreis. Alle die höchsten Kennzeichnungen der Daseinsstufen entstammen nur der Einbildungskraft, wenn sie auf die Stufe des Göttlichen bezogen werden. Sie ist unsichtbar, unfaßbar, unerreichbar, ein reines Sein, das nicht beschrieben werden kann; denn das göttliche Sein umfaßt alle Dinge. Das Umfassende ist fürwahr größer als das Umfaßte, und das Umfaßte kann nicht das Umfassende ermessen noch seine Wirklichkeit begreifen. Wie weit sich der Verstand auch entwickeln mag, wenn er auch die endgültige Stufe des Begreifens, die Grenze des Verstehens erreichte, er erkennt die göttlichen Zeichen und Eigenschaften nur in der Welt der Schöpfung, nicht in der Welt Gottes. Denn das Wesen und die Kennzeichen des Herrn der Einheit sind auf den Höhen der Heiligkeit, und für die Verstandes- und Vorstellungskräfte gibt es keinen Weg, dieser Stätte nahe zu kommen. "Der Weg ist verschlossen und das Suchen ist verboten."¹
¹ Ein Hadíth - aus der im 8. Jahrhundert n.Chr. zusammengestellten Sammlung von Aussprüchen und Lehren Muhammads; dem Qur'án fast gleichgestellt.
Es ist klar, daß das menschliche Verständnis eine Eigenschaft des menschlichen Daseins ist und daß der Mensch ein Zeichen Gottes ist; wie könnte die Eigenschaft des Zeichens den Schöpfer des Zeichens umfassen? Das will sagen, wie könnte das Verständnis, das eine Eigenschaft des menschlichen Seins ist, Gott begreifen? Daher ist die Wirklichkeit Gottes vor aller Fassungskraft verborgen und vor dem Verstehen der ganzen Menschheit verhüllt. Es ist völlig unmöglich, zu jener Höhe vorzudringen. Wir sehen, daß alles Tieferstehende nicht fähig ist, die Wirklichkeit des Höherstehenden zu begreifen. So können Stein, Lehm und Baum, so sehr sie sich auch entwickeln mögen, nicht die Wirklichkeit des Menschen begreifen, und obwohl auch sie alle erschaffen wurden, können sie sich die Kräfte des Sehens, Hörens und der anderen Sinne nicht vorstellen. Wie könnte also der erschaffene Mensch die Wirklichkeit des reinen Seins des Schöpfers verstehen? Zu dieser Ebene gibt es keinen Weg für das Verständnis; keine Erklärung genügt, sie zu begreifen, und keine Macht ist da, sie zu deuten. Was hat ein Stäubchen mit der reinen Welt zu tun, und welche Beziehung gibt es zwischen dem begrenzten Verstand und dem unbegrenzten Reich? Der Verstand ist unfähig, Gott zu begreifen, und die Seelen werden verwirrt, wenn sie Ihn verständlich machen wollen. "Die Augen sehen Ihn nicht, aber Er sieht die Augen. Er ist der Allwissende, der Allkundige."¹
¹ Qur'án 6:103
Für diese Seinsebene ist darum jede Feststellung und Erklärung mangelhaft, jedes Lob und jede Beschreibung sind unwürdig, jeder Begriff ist inhaltslos und jedes Nachdenken müßig. Doch gibt es für diesen innersten Kern des Geistes, für diese Wirklichkeit aller Wirklichkeiten, für dieses Geheimnis aller Geheimnisse Widerspiegelungen, Morgenröten, Erscheinungen und Ausstrahlungen in der erschaffenen Welt. Die Stätte der Morgendämmerung dieses Glanzes, der Ort dieser Widerspiegelungen und die Erscheinung dieser Offenbarungen sind die heiligen Aufgangsorte, die weltumfassenden Wirklichkeiten und die göttlichen Wesen, die die wahren Spiegel des geheiligten Seins Gottes sind. Alle Vollkommenheiten, die Gnadengaben und Herrlichkeiten, die von Gott kommen, sind in der Wirklichkeit der heiligen Offenbarer sichtbar und offenkundig, wie die Sonne, die sich in einem reinen, geschliffenen Spiegel mit all ihrer Vollkommenheit und Lichtesfülle widerspiegelt. Wenn gesagt wird, daß die Spiegel die Offenbarungen der Sonne und die Dämmerungsorte des aufgehenden Gestirns seien, bedeutet das nicht, daß die Sonne von der Höhe ihrer Heiligkeit herabgestiegen und im Spiegel verkörpert sei oder daß die unbegrenzte Wirklichkeit auf diesen Erscheinungsort beschränkt sei. Gott behüte! Das ist der Glaube der Anhänger des Anthropomorphismus.¹ Nein, vielmehr beziehen sich alle Lobpreisungen, Beschreibungen und Verherrlichungen auf die heiligen Offenbarer. Das heißt, alle Beschreibungen, Eigenschaften, Namen und Kennzeichnungen, die wir erwähnen, weisen auf die göttlichen Offenbarer; denn da niemand zur Wirklichkeit des Wesens Gottes gelangt ist, kann sie niemand beschreiben, erklären, preisen oder verherrlichen. Was also die menschliche Wirklichkeit von den Namen, Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes weiß, entdeckt und versteht, bezieht sich auf diese heiligen Offenbarer. Es gibt keinen Zugang zu etwas anderem: "Der Weg ist verschlossen und das Suchen ist verboten."
¹ Vermenschlichung Gottes.
Trotzdem sprechen wir von den Namen und Eigenschaften der Wirklichkeit Gottes, und wir preisen Ihn, indem Wir Ihm Augen, Ohren, Macht, Leben und Wissen zuschreiben. Wir bejahen diese Namen und Eigenschaften, nicht um die Vollkommenheiten Gottes zu beweisen, sondern um zu verneinen, daß Er Unvollkommenheiten haben könnte. Wenn wir die bestehende Welt betrachten, sehen wir, daß Unwissenheit Unvollkommenheit und Erkenntnis Vollkommenheit ist; darum sagen wir, daß das geheiligte Wesen Gottes Weisheit ist. Schwäche ist Unvollkommenheit und Kraft ist Vollkommenheit, folglich sagen wir, daß das geheiligte Wesen Gottes der Gipfel der Macht ist. Es ist nicht so, daß wir Sein Wissen, Sein Sehen, Seine Macht und Sein Leben begreifen könnten, denn das steht weit über unserem Verständnis. Die wesenhaften Namen und Eigenschaften Gottes sind identisch mit Seinem innersten Wesen, und dieses ist erhaben über alle Fassungskraft. Wenn die Eigenschaften nicht mit dem Wesen identisch wären, müßte es eine Vielzahl von Präexistenzen geben, und Unterschiede zwischen den Eigenschaften und dem Wesen müßten auch bestehen: Folglich würde, da ein früheres Dasein zwangsläufig ist, die Aufeinanderfolge von Präexistenzen unendlich werden. Dies wäre ein offensichtlicher Irrtum.
Alle diese Eigenschaften, Namen, Verherrlichungen und Lobpreisungen beziehen sich also auf die Träger der Offenbarung; und alles, was wir uns über diese hinaus vorstellen und ausdenken, ist bloße Einbildung, denn wir haben keine Mittel, das Unsichtbare und Unzugängliche zu begreifen. Darum wurde gesagt: "Alles, was ihr in euren scharfsinnigen geistigen Bildwerken mit Hilfe der Selbsttäuschung eurer Einbildungskraft unterschieden habt, ist nur eine Schöpfung gleich euch und fällt auf euch zurück."¹ Es ist klar, daß, wenn wir uns die Wirklichkeit Gottes vorstellen wollen, diese Einbildung das Umfaßte ist und wir das Umfassende sind, und es ist gewiß, daß das Umfassende größer als das Umfaßte ist. Wenn wir uns eine göttliche Wirklichkeit außerhalb der heiligen Offenbarer vorstellen, ist es daher sicher und offenkundig, daß es bloße Einbildung ist; denn es gibt keinen Weg, der Wirklichkeit Gottes näherzukommen, der uns nicht verschlossen wäre, und alles, was wir uns vorstellen, ist nichts als Vermutung.
¹ Aus einem Hadith.
Überlege, daß verschiedene Völker der Welt ihren Einbildungen nachhängen und wie Götzendiener ihre eigenen Gedanken und Mutmaßungen anbeten. Sie sind sich dessen nicht bewußt; sie halten ihre Vorstellungen für die Wirklichkeit, die fern von jedem Begreifen und geläutert von allen Beschreibungen ist. Sie betrachten sich selbst als das Volk der Einheit und die anderen als Götzendiener; Götzenbilder haben aber wenigstens eine stoffliche Existenz, während die Bilder der menschlichen Gedanken und Vorstellungen nur Einbildungen sind und nicht einmal im Stofflichen bestehen. "So seid gewarnt, die ihr Einsicht besitzt!"
Wisse, daß die vollkommenen Eigenschaften, das Leuchten der göttlichen Gnadengaben und das Licht der Eingebung in allen heiligen Offenbarern sichtbar und offenkundig sind. Das herrliche Wort Gottes aber, Christus, und der Größte Name, Bahá'u'lláh, sind Offenbarungen und Zeichen, die jenseits aller Einbildungskraft stehen; denn Sie besitzen alle Vollkommenheiten der früheren Offenbarer und darüber hinaus noch weitere, die die anderen Offenbarer von Ihnen abhängig machen. So waren alle Propheten Israels der Mittelpunkt von Eingebungen, und auch Christus empfing Erleuchtung; welch großer Unterschied besteht aber zwischen der göttlichen Eingebung des Wortes Gottes und den Offenbarungen Jesajas, Jeremias und Elias!
Bedenke, daß das Licht der Ausdruck von Schwingungen ätherischen Stoffes ist; diese Schwingungen treffen auf die Nerven des Auges und dadurch entsteht das Sehen. Das Licht der Lampe sehen wir infolge der Schwingungen ätherischen Stoffes, und ebenso das Licht der Sonne, aber welch ein Unterschied besteht zwischen dem Licht der Sonne und dem der Sterne und der Lampe!
Der menschliche Geist zeigt und offenbart sich auf der Stufe des Embryos und auch auf der der Kindheit und Reife, und er glänzt und ist offenkundig auf der Stufe der Vollkommenheit. Der Geist ist derselbe, aber auf der Stufe des Embryos fehlen ihm die Kräfte des Sehens und Hörens. Im Zustand der Reife und Vollendung zeigen sie sich in größter Helle und Pracht. In gleicher Weise entfalten sich aus dem Samen am Anfang Blätter, in denen sich der Geist der Pflanze zeigt; im Zustand der Frucht offenbart sich derselbe Geist, das heißt, die Kraft des Wachstums erscheint in höchster Vollendung. Welch ein Unterschied besteht aber zwischen der Stufe der Blätter und der der Früchte! Denn aus der Frucht entfalten sich hunderttausend Blätter, und doch wachsen und entwickeln sie sich durch denselben Geist der Pflanze. Beachte den Unterschied zwischen den Tugenden und Vollkommenheiten Christi, der Herrlichkeit und dem Glanz Bahá'u'lláhs einerseits, und den Eigenschaften der Propheten Israels, wie Hesekiel oder Samuel, andererseits. Alle waren Offenbarer göttlicher Ergebung, aber zwischen ihnen besteht ein unendlicher Unterschied.
Wisse, daß die heiligen Offenbarer, wenn auch die Grade ihrer Vollkommenheit unendlich sind, allgemein gesprochen, nur drei Seinsweisen haben. Die erste ist die körperliche, die zweite die menschliche, welche die der mit Vernunft begabten Seele ist, und die dritte die der göttlichen Erscheinung und des himmlischen Glanzes.
Die körperliche Erscheinungsform ist erschaffen; sie ist aus Elementen zusammengesetzt, und notwendigerweise folgt jeder zusammensetzung eine Auflösung. Es ist nicht möglich, den Zerfall einer Zusammensetzung zu verhindern.
Die zweite Stufe ist die der mit Vernunft begabten Seele, die die menschliche Wirklichkeit darstellt; auch diese ist erschaffen, und die heiligen Offenbarer haben sie mit allen menschlichen Geschöpfen gemein.
Wisse, daß die menschliche Seele erschaffen wurde, obwohl sie seit undenkbar langen Zeiten auf der Erde lebt. Da sie ein göttliches Zeichen ist, ist sie, einmal ins Leben gerufen, unvergänglich. Der Menschengeist hat einen Anfang, aber kein Ende; er lebt in alle Ewigkeit. Auch die auf der Erde lebenden Arten sind erschaffen, denn es steht fest, daß es eine Zeit gab, in der diese Arten nicht auf der Erdoberfläche lebten. Nicht einmal die Erde hat immer bestanden, nur die Welt des Daseins ist von jeher dagewesen, denn das Weltall ist nicht auf diese Erdkugel beschränkt. Damit soll gesagt werden, daß menschliche Seelen, obwohl sie erschaffen sind, doch unsterblich, unvergänglich und ewig sind. Denn die Welt des Stoffes ist die Welt der Unvollkommenheit in bezug auf den Menschen, und die menschliche Welt ist die der Vollkommenheit verglichen mit der Welt des Stoffes. Wenn die Unvollkommenheit zur Stufe der Vollkommenheit aufsteigt, wird sie unvergänglich.¹ Dies ist ein Beispiel, dessen Bedeutung du verstehen mußt.
¹ d.h. im Reich des Menschen, wo der Geist allein Unsterblichkeit offenbart. Vgl. Kapitel 36 und 64
Die dritte Stufe ist die der göttlichen Erscheinung und des himmlischen Glanzes; sie ist das Wort Gottes, die ewige Gnade, der Heilige Geist. Sie hat keinen Anfang und kein Ende, denn das gibt es nur in der erschaffenen und nicht in der göttlichen Welt. Für Gott ist Ende und Anfang dasselbe. So ist das Rechnen nach Tagen, Wochen, Monaten und Jahren, das Gestern und Heute mit der Erde verbunden, aber in der Sonne gibt es so etwas nicht - sie kennt weder Gestern, Heute und Morgen, noch Monate oder Jahre - alle sind gleich. Ebenso ist das Wort Gottes von allen diesen Bedingungen geläutert und frei von den Grenzen, den Gesetzen und Beschränkungen der bedingten Welt. Die Wirklichkeit des Prophetentums, die das Wort Gottes und die vollkommene Offenbarung ist, hatte deshalb keinen Anfang und wird kein Ende haben; ihr Ursprung ist verschieden von allen anderen und dem Aufgang der Sonne zu vergleichen. Zum Beispiel ging sie im Zeichen Christi mit größter Pracht und Herrlichkeit auf, und diese Wirklichkeit ist ewig und unvergänglich. Sieh doch, wie viele welterobernde Könige gelebt haben, wie viele Staatsmänner und Fürsten, mächtige Führer - alle sind sie dahingegangen. Aber die Lüfte Christi wehen immer noch, Sein Licht leuchtet, Seine Melodie ertönt, noch immer flattert Sein Banner, Seine Heerscharen kämpfen, Seine himmlische Stimme erklingt in süßem Wohlklang, Seine Wolken senden noch immer belebenden Regen, Seine Blitze flammen, Seine Offenbarung ist hell und glanzvoll, Seine Herrlichkeit strahlt und leuchtet immer noch. Ebenso ist es bei jenen Seelen, die unter Seinem Schutze stehen und sich von Seinem Lichte erleuchten lassen.
Es ist also klar, daß den Offenbarern drei Seinsweisen eignen: Die körperliche Stufe, die der mit Vernunft begabten Seele und die Stufe der göttlichen Erscheinung und himmlischen Herrlichkeit. Die körperliche Erscheinungsform wird sicher vergehen, aber die der mit Vernunft begabten Seele hat, obwohl einen Anfang, kein Ende; ihr wurde ewiges Leben geschenkt. Und die heilige Wirklichkeit, von der Christus sagt: "Der Vater ist im Sohn", hat weder Anfang noch Ende. Wenn man von einem Anfang spricht, meint man die Zeit des Erscheinens der Offenbarung; und die Zeit ihres Schweigens wird symbolisch mit dem Schlaf verglichen. Nehmen wir als Beispiel einen Mann, der schläft. In dem Augenblick, wo er zu sprechen anfängt, ist er wach - aber es ist immer derselbe Mensch, ob er schläft oder wacht; seine Stellung, seine Würde, seine Ehre, seine Wirklichkeit oder seine Natur haben sich nicht verändert. Der Zustand des Schweigens wird mit dem Schlaf und der des Offenbarens mit dem Wachsein verglichen. Der Mensch ist derselbe, ob er schläft oder wacht; Schlaf ist ein Zustand und Wachsein ein anderer. Die Zeit des Schweigens wird mit dem Schlaf verglichen und die Offenbarung und Rechtleitung mit dem Wachsein.
Im Evangelium heißt es: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott." So ist es also klar und offenkundig, daß Christus die Stufe des Messias und ihre Vollkommenheiten nicht erst zur Zeit der Taufe, als der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auf Ihn herabkam, erreichte. Denn das Wort Gottes war von aller Ewigkeit auf der Höhe der Heiligkeit und wird es immer sein.
Wir sagten, daß die Offenbarer drei Stufen haben. Als erste die physische Wirklichkeit, die vom Körper abhängt; als zweite die persönliche Wirklichkeit, das heißt die mit Vernunft begabte Seele; als dritte die göttliche Erscheinung, die dasselbe ist wie die göttlichen Vollkommenheiten, die Ursache des Daseins, der Erziehung der Seelen, der Führung der Menschen und der Erleuchtung der bedingten Welt.
Die physische Stufe ist der menschliche Zustand, der vergeht, weil er aus Elementen zusammengesetzt ist; und jede Vermischung von Elementen wird sich notwendigerweise trennen und auflösen.
Die persönliche Wirklichkeit der Offenbarer Gottes aber ist eine heilige Wirklichkeit, und sie ist deshalb geheiligt und in dem, was ihre Eigenschaft und ihr Wesen betrifft, vor allen anderen Dingen ausgezeichnet. Sie ist wie die Sonne, die durch ihre Wesensanlage Licht hervorbringt, und kann nicht mit dem Mond verglichen werden; genau wie die Teile, aus denen sich der Sonnenkörper zusammensetzt, nicht mit denjenigen verglichen werden können, die den Mond ausmachen. Die Teilchen der Sonne und ihre Anordnung bringen Strahlen hervor, die Teilchen, aus denen der Mond besteht, erzeugen aber keine Strahlen, sondern müssen Licht entlehnen. So sind die anderen menschlichen Wirklichkeiten solche Seelen, die wie der Mond Licht von der Sonne nehmen; aber jene heilige Wirklichkeit leuchtet aus sich selbst.
Die dritte Stufe dieses Wesens ist die göttliche Gnade, der Glanz der ewigen Schönheit und das Leuchten des Lichtes des Allmächtigen. Die persönlichen Wirklichkeiten der göttlichen Offenbarer sind von der Gnade Gottes und der himmlischen Herrlichkeit nicht getrennt. Auch Körper und Licht der Sonne können nicht auseinandergehalten werden. Man kann deshalb sagen, daß der Heimgang des heiligen Offenbarers einfach das Verlassen der natürlichen Gestalt ist. Wenn zum Beispiel eine Lampe diese Nische beleuchtet und wenn ihr Licht wegen Zerstörung der Nische aufhört, diese zu beleuchten, so hört der Segen der Lampe damit nicht auf.
Kurz, in den heiligen Offenbarern ist die ewige Gnade dem Lichte gleich, die persönliche Wirklichkeit wird durch die Lampe dargestellt, und der menschliche Körper wird mit der Nische verglichen. Wird die Nische zerstört, so brennt die Lampe doch weiter. Die göttlichen Offenbarer sind so viele verschiedene Spiegel, weil jeder eine einzigartige Persönlichkeit ist, aber es ist `eine Sonne`, die sich in den Spiegeln zeigt. Es ist offensichtlich, daß die Wirklichkeit Christi anders ist als Mose Wirklichkeit.
Die heilige Wirklichkeit ist sich, fürwahr, von Anbeginn des Geheimnisses des Seins bewußt, und vom Kindesalter an erscheinen die Zeichen der Größe und werden in ihr sichtbar. Wie könnte es also sein, daß sie mit allen diesen Gnadengaben und Vollkommenheiten ohne höheres Wissen wäre?
Wir haben erwähnt, daß die heiligen Offenbarer drei Stufen haben; die körperliche, die persönliche Wirklichkeit und die des Mittelpunkts der Erscheinung der Vollkommenheit: Es ist wie die Sonne, ihre Hitze und ihr Licht. Die anderen Menschen haben die Stufe des Körpers und die der mit Vernunft begabten Seele - des Geistes und Verstandes.¹ Wenn nun gesagt wird: "Ich schlief, da wehte der Odem Gottes über Mich hin, und Ich erwachte", ist dies dem Christuswort ähnlich: "Der Leib ist verzagt, aber der Geist ist freudevoll"², oder den Redewendungen: "Ich bin betrübt, oder in Sorge, oder ich fühle mich behaglich." All dies bezieht sich auf die körperliche Erscheinungsform und spielt weder auf die persönliche Wirklichkeit noch auf die Offenbarung der göttlichen Wirklichkeit an. Denke darüber nach, welch tausenden von Wechselfällen der menschliche Körper unterworfen sein kann; aber der Geist wird nicht durch sie berührt. Es kann sogar sein, daß einige Glieder des Körpers völlig verkrüppeln, aber das Wesen des Verstandes bleibt und ist unverwüstlich. Ein Kleidungsstück mag auf tausend Arten beschädigt werden, aber für seinen Träger ist keine Gefahr. Der Ausspruch Bahá'u'lláhs: "Ich schlief, da wehte der Odem Gottes über Mich hin und erweckte Mich", bezieht sich auf den Körper.
¹ Vergleiche Kapitel 55 ² Gemeint ist Matthäus 26:41; von Luther übersetzt: "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach".
In der Welt Gottes gibt es keine Vergangenheit, keine Zukunft und keine Gegenwart; alle sind eins. Wenn Christus sagte: "Im Anfang war das Wort", heißt das, es war, ist und wird sein; denn in der Welt Gottes existiert die Zeit nicht. Die Zeit herrscht über die Geschöpfe, aber nicht über Gott. So wird im Vaterunser gesagt: "Dein Name werde geheiligt"; das bedeutet, daß Dein Name geheiligt war, ist und sein wird. Morgen, Mittag und Abend stehen zu dieser Erde in Beziehung, für die Sonne aber gibt es weder Morgen noch Mittag oder Abend.
Frage: Eine der Kräfte, die die göttlichen Offenbarer besitzen, ist Wissen. Bis zu welchem Grade ist es begrenzt?
Antwort: Es gibt zwei Arten von Wissen: persönlich angeborenes und erworbenes, das heißt ein von innen kommendes und ein auf Wahrnehmung beruhendes Wissen.
Das Wissen um die Dinge, das die Menschen im allgemeinen haben, wird durch überlegung oder aufgrund der Offenkundigkeit gewonnen. Das heißt, das Begreifen eines Gegenstandes wird entweder durch Verstandeskraft gebildet, oder durch Betrachten eines Gegenstandes wird das Bild im Spiegel des Herzens¹ gewonnen. Der Kreis dieses Wissens ist sehr begrenzt, weil es erarbeitet und erworben werden muß.
¹ "Spiegel des Herzens" ist eine im Orient gebräuchliche Redewendung, die in europäischer Denkweise Verstand bedeutet.
Die zweite Art des Wissens aber, die wesentliche, kommt von innen und ist wie die Erkenntnis und das Bewußtsein des Menschen von sich selbst. Zum Beispiel wissen Verstand und Geist des Menschen um die Beschaffenheit und den Zustand der Glieder und Bestandteile des Körpers und sind sich der Körperempfindungen bewußt; ebenso haben sie von ihren geistigen Empfindungen, Umständen und Kräften Kenntnis. Dies ist die Kenntnis des Daseins, das der Mensch wahrnimmt und sich vergegenwärtigt; denn der Geist umfaßt den Körper und hat Kunde von dessen Gefühlen und Kräften. Dieses Wissen wird nicht erworben und erarbeitet, es ist mitbekommen und reine Gnade.
Weil die geheiligten Wirklichkeiten, die allumfassenden Offenbarungen Gottes, das Wesen und die Eigenschaften der Geschöpfe umgreifen, alle bestehenden Wirklichkeiten übersteigen und in sich begreifen, und weil sie alles verstehen, darum ist ihr Wissen göttlich und nicht erworben; das heißt, es ist göttliche Gnadengabe und heilige Offenbarung.
Wir erwähnen ein Beispiel, um dieses Thema zu erläutern: Der Mensch ist das edelste der irdischen Geschöpfe. Er umfaßt das Tier-, Pflanzen- und Mineralreich, das heißt, diese Seinsweisen sind in einem solchen Umfang im Menschen enthalten, daß er diese Stufen und Zustände beherrscht; er hat Kenntnis von ihren Geheimnissen und den Rätseln ihres Seins. Dies ist nur ein Beispiel, aber keine Übereinstimmung. Kurz, die allumfassenden Offenbarer Gottes wissen um die Wirklichkeit der Geheimnisse der Geschöpfe, darum geben sie Gesetze, die geeignet und den Gegebenheiten der menschlichen Welt angepaßt sind; denn Religion ist die unentbehrliche Verbindung, die aus der Wirklichkeit der Dinge hervorgeht. Wenn der Offenbarer, nämlich der heilige Gesetzgeber, kein Wissen um die Wirklichkeit der Geschöpfe hätte, könnte er die notwendige Verbindung, die aus den gegebenen Wirklichkeiten hervorgeht, nicht verstehen und wäre sicherlich nicht imstande, eine Religion zu errichten, die den Tatsachen entspricht und den Umständen angepaßt ist. Die Propheten Gottes, die allumfassenden Offenbarer, gleichen erfahrenen Ärzten, und die bedingte Welt ist wie der menschliche Körper: Die göttlichen Gesetze sind dann Arznei und ärztliche Behandlung. Folglich muß der Arzt Kenntnis und klares Wissen um alle Organe und Teile, um die Natur und die Verfassung des Kranken haben, damit er eine Arznei verschreiben kann, die gegen das tödliche Gift der Krankheit wirksam ist. Tatsächlich schließt der Arzt von der Krankheit auf die Behandlung, die für den Patienten geeignet ist, denn er stellt die Diagnose und verschreibt dann das Heilmittel. Wenn die Krankheit nicht festgestellt wäre, wie könnten Arznei und Behandlung verordnet werden? Der Arzt muß also von der Natur, den Körperteilen und Organen und von dem Zustand des Patienten genaue Kenntnis haben und mit allen Krankheiten und allen Heilmitteln vertraut sein, um eine passende Medizin verschreiben zu können.
Religion ist also die notwendige Verbindung, die aus der Wirklichkeit der Gegebenheiten erwächst; und weil die allumfassenden Offenbarer Gottes von den Geheimnissen des Daseins Kenntnis haben, darum verstehen sie diese unerläßliche Verbindung und stellen aufgrund dieses Wissens das Gesetz Gottes auf.
Frage: Welches ist die wirkliche Erklärung der Zyklen, die es in der Welt des Daseins gibt?
Antwort: Jeder leuchtende Stern an diesem unendlichen Firmament hat eine Umlaufzeit von unterschiedlicher Dauer, dreht sich in seiner eigenen Bahn und beginnt immer wieder mit einem neuen Zyklus. So vollendet die Erde alle 365 Tage, fünf Stunden, 48 Minuten und einen Bruchteil von Sekunden einen Umlauf; dann fängt sie einen neuen Zyklus an, das heißt, der erste Umlauf wird wiederholt. Ebenso gibt es für das ganze Weltall, sei es für die Himmel oder für die Menschen, Zyklen großer Geschehnisse, wichtiger Tatsachen und Ereignisse. Wenn ein Zyklus beendet ist, beginnt ein neuer, und der alte wird wegen der großen, stattfindenden Geschehnisse völlig vergessen, und keine Aufzeichnung oder Spur wird von ihm bleiben. Wie du siehst, haben wir von der Zeit vor zwanzigtausend Jahren keinerlei Aufzeichnungen, obwohl wir zuvor durch Schlußfolgerung nachgewiesen haben, daß das Leben auf dieser Erde schon sehr alt ist. Es ist nicht nur hunderttausend oder zweihunderttausend oder eine Million oder zwei Millionen Jahre alt, sondern es ist uralt, und die alten Berichte und Spuren sind völlig ausgelöscht.
So hat auch jeder göttliche Offenbarer einen Zyklus, und während dieser Zeit werden Seine Gesetze und Anordnungen ausgeführt und erfüllt. Wenn Sein Zyklus durch das Erscheinen eines neuen Offenbarers beendet wird, beginnt ein neuer Zyklus. Auf diese Weise beginnen, enden und erneuern sich die Zyklen, bis ein universaler Zyklus in der Welt vollendet wird. In solchen Zeiten finden wichtige Geschehnisse und große Ereignisse statt, die jede Spur und jede Aufzeichnung der Vergangenheit völlig verwischen. Dann beginnt ein neuer universaler Zyklus in der Welt, denn diese Welt hat keinen Anfang. Hierüber haben Wir schon früher klare Beweise aufgestellt, so daß keine Notwendigkeit zur Wiederholung besteht.
Kurz, Wir sagen, daß ein universaler Zyklus in der Welt des Daseins eine lange Zeitdauer und zahllose unmeßbare Perioden und Epochen bezeichnet. In einem solchen Zyklus erscheinen die Offenbarer mit hellem Glanz in der sichtbaren Welt, bis ein großer, allumfassender Offenbarer die Welt zum Mittelpunkt Seines Leuchtens macht. Seine Erscheinung bringt die Welt zur Reife, und die Ausdehnung Seines Zyklus ist sehr groß. Später erheben Sich andere Offenbarer unter Seinem Schatten, die entsprechend den Bedürfnissen der Zeit gewisse Anordnungen, die sich auf materielle Fragen und Angelegenheiten beziehen, erneuern werden; aber Sie stehen in Seinem Schatten.
Wir leben in dem Zyklus, der mit Adam begann und dessen allumfassende Offenbarung Bahá'u'lláh ist.
Frage: Wie weit reichen Macht und Vollkommenheit der Throne der Wirklichkeit, der Offenbarer Gottes, und wo ist die Grenze ihres Einflusses?
Antwort: Betrachte die Welt des Daseins, das heißt den stofflichen Weltraum. Im Sonnensystem, das selbst dunkel und finster ist, ist die Sonne der Mittelpunkt des Lichtes; alle Planeten umkreisen ihre Macht und nehmen an ihren überströmenden Gaben teil. Die Sonne ist die Ursache des Lebens und der Erleuchtung, des Wachstums und der Entfaltung aller Geschöpfe ihres Systems; denn ohne die Freigebigkeit der Sonne könnte kein lebendes Wesen existieren, sondern alles wäre dunkel und wüst. Es ist also offenkundig und klar, daß die Sonne der Mittelpunkt des Lichtes und die Ursache des Lebens der Geschöpfe des Sonnensystems ist.
Ebenso sind die heiligen Offenbarer Gottes Mittelpunkt des Lichtes der Wahrheit, der Quelle der Geheimnisse und der Gnadengaben der Liebe. Sie erleuchten die Welt der Herzen und Gedanken und überschütten die Welt des Geistes mit unvergänglicher Gnade; sie geben geistiges Leben und erstrahlen im Licht der wahren Natur und inneren Bedeutung. Die Erleuchtung der Welt der Gedanken geht von diesen Mittelpunkten des Lichts und Quellen der Geheimnisse aus. Ohne die Gnade der Herrlichkeit dieser heiligen Wesen und ohne ihre Anleitung wäre die Welt der Seelen und Gedanken undurchdringliche Finsternis. Ohne die unwiderlegbaren Lehren dieser Quellen der Geheimnisse würde die menschliche Welt zum Tummelplatz tierischer Triebe und Eigenschaften, wäre das ganze Dasein unwirklich und gäbe es kein eigentliches Leben. Darum heißt es im Evangelium: "Im Anfang war das Wort", mit der Bedeutung, daß es zur Ursache für alles Leben wurde.
Beachte nun den Einfluß der Sonne auf die ganze irdische Schöpfung und welche Zeichen und Folgen aus ihrem Fern- und Nahesein, aus ihrem Auf- und Untergang sich klar und deutlich ergeben. Einmal ist Herbst, einmal Frühling, einmal Sommer und einmal Winter. Wenn die Sonne die Äquatorlinie überschreitet, erscheint der lebenspendende Frühling in seiner Herrlichkeit, und wenn sie die Sommersonnenwende erreicht, erlangen die Früchte ihre höchste Reife; Getreide und Pflanzen bringen ihren Ertrag, und das irdische Sein erreicht den Höhepunkt seines Wachstums und seiner Entwicklung.
In gleicher Weise ist der heilige Offenbarer Gottes die Sonne der Welt der Geschöpfe; wenn Er auf die Welten des Geistes, der Gedanken und Herzen scheint, beginnt ein geistiger Frühling und neues Leben; die Kraft der wundervollen Frühjahrszeit wird sichtbar, und ungeahnte Wohltaten zeigen sich. Wie du beobachtet hast, findet sich zur Zeit des Erscheinens jeder Manifestation Gottes ein außerordentlicher Fortschritt in der Welt des Verstandes, der Gedanken und des Geistes. Beachte zum Beispiel, welche Entwicklung in diesem göttlichen Zeitalter in der Welt des Verstandes und der Gedanken erreicht wurde, dabei ist dies erst der Beginn seines Aufgehens. Bald wird es sich zeigen, daß die neuen Gnadengaben und göttlichen Lehren diese dunkle Welt erleuchten und diese kummervollen Lande zum erhabenen Paradies umwandeln werden.
Wenn Wir die Zeichen und Gnadengaben jedes heiligen Offenbarers erklären wollten, würde es zu lange dauern. Vertiefe dich und denke selbst darüber nach, dann wirst du die Wahrheit dieser Frage erkennen.
Frage: Wie viele Arten von Propheten gibt es?
Antwort: Es gibt zwei Arten von Propheten. Zur einen Art gehören die unabhängigen Propheten, denen andere nachfolgen; zur anderen Art gehören die abhängigen, die den unabhängigen Propheten nachfolgen.
Die unabhängigen Propheten sind die Gesetzgeber und die Begründer eines neuen Zeitalters. Durch Ihr Erscheinen erhält die Welt ein neues Gewand, die Grundlagen der Religion werden wiederhergestellt, und ein neues Buch wird geoffenbart. Ohne Vermittler empfangen Sie die Gnade aus der Wirklichkeit Gottes, und Ihre Erleuchtung ist eine wesenhafte. Sie sind wie die Sonne, die aus sich selbst leuchtet: Das Licht ist ihre Wesensnotwendigkeit, sie empfängt es nicht von einem anderen Gestirn. Diese Aufgangspunkte des Morgens der Einheit sind die Quellen der Gnade und die Spiegel für das Wesen der Wahrheit.
Die anderen Propheten sind Nachfolger und Stützen, denn sie sind Zweige und nicht unabhängig. Sie empfangen die Gnadengabe von den unabhängigen Propheten und benützen das Licht der Führung der allumfassenden Propheten. Sie gleichen dem Mond, der nicht aus sich selbst leuchtet und strahlt, sondern sein Licht von der Sonne empfängt.
Die Manifestationen des allumfassenden Prophetentums, die unabhängig erschienen, sind zum Beispiel Abraham, Moses, Christus, Muhammad, der Báb und Bahá'u'lláh. Die anderen aber, wie Salomo, David, Jesaja, Jeremia und Hesekiel, sind Nachfolger und Verbreiter. Denn die unabhängigen Propheten sind Stifter. Sie begründen eine neue Religion und wandeln die Menschen zu neuen Geschöpfen. Sie veredeln das allgemeine sittliche Verhalten, verbreiten neue Gebräuche und Regeln und erneuern das Zeitalter und das religiöse Gesetz. Ihr Erscheinen gleicht dem Frühling, der alle irdischen Geschöpfe mit einem neuen Gewand schmückt und ihnen neues Leben gibt.
Auch die zweite Art von Propheten, die Nachfolger sind, verbreitet das Gesetz Gottes, macht Seine Religion bekannt und verkündet Sein Wort. Aus sich selbst haben sie keine Kraft und keine Macht, sondern empfangen sie von den unabhängigen Propheten.
Frage: Zu welcher Klasse gehören Buddha und Konfuzius?¹
¹ Buddha heißt der Erleuchtete. Dieses Wort wurde zum Titel des indischen Religionsstifters Gautama, des Begründers des Buddhismus. Er lebte ca. 550-480 v.Chr. - Konfuzius (Konfutse), chinesischer Philosoph und Stifter des Konfuzianismus, der seit dem 2. Jahrh. v.Chr. in China allgemein als Religion verbreitet wurde, lebte von 551-479 v.Chr.
Antwort: Auch Buddha stiftete eine neue Religion, während Konfuzius die Sitten und alten Tugenden erneuerte; ihre Einrichtungen aber sind völlig zugrunde gegangen. Die Glaubenslehren und Kultvorschriften der Anhänger Buddhas und des Konfuzius wurden nicht entsprechend ihren ursprünglichen Grundsätzen weitergeführt. Der Begründer des Buddhismus war eine wunderbare Seele. Er führte die Lehre von der Einheit Gottes ein, aber später gingen die ursprünglichen Grundsätze Seiner Lehren allmählich verloren, und törichte Gebräuche und Zeremonien entstanden und wuchsen, bis sie schließlich in der Anbetung von Statuen und Bildern endeten.
Denke daran, daß Christus immer wieder darauf hingewiesen hat, daß die zehn Gebote des Alten Testaments¹ befolgt werden sollen, und Er bestand darauf, daß an ihnen festgehalten werde.² Eines unter den zehn Geboten heißt: "Du sollst kein Bildnis oder Gleichnis anbeten." In vielen christlichen Kirchen gibt es aber heute zahlreiche Bilder und Statuen. Es ist also klar und offenkundig, daß die Religion Gottes unter den Völkern nicht bei ihren ursprünglichen Grundsätzen verbleibt, sondern daß sie allmählich geändert und umgewandelt wird, bis sie schließlich völlig zerrüttet und aufgehoben ist. Darum wird die Offenbarung erneuert und ein neues religiöses Gesetz begründet. Würden aber die Religionen nicht verändert und umgewandelt, gäbe es kein Bedürfnis für eine Erneuerung.
¹ Wörtlich: Pentateuch ² Matthäus 5:17-19, 15:3-9, 19:17
Am Anfang stand der Baum in seiner ganzen Schönheit, bedeckt mit Blüten und Früchten; endlich aber wurde er alt, trug keine Früchte mehr und verdorrte und moderte. Darum pflanzt der wahre Gärtner wiederum einen unvergleichlichen jungen Baum derselben Gattung und Art, der Tag für Tag wächst und sich entfaltet, im göttlichen Garten weithin Schatten spendet und köstliche Früchte hervorbringt. Ebenso ist es mit den Religionen: Im Laufe der Zeiten verändern sich ihre ursprünglichen Grundsätze, die Wahrheit der Religion Gottes geht ganz verloren und ihr Geist entflieht; Irrlehren treten auf, und sie wird zu einem Körper ohne Seele. Dies ist der Grund für ihre Erneuerung.
Damit soll gesagt sein, daß die buddhistischen und konfuzianischen Völker heute Bilder und Statuen verehren. Sie wissen nichts mehr von der Einheit Gottes, sondern glauben an Götter ihrer Einbildung wie die alten Griechen. Anfangs war es aber nicht so, sondern es herrschten ganz andere Prinzipien und Gebräuche.
Bedenke noch einmal, wie sehr die Grundlagen der Religion Christi in Vergessenheit geraten und wie viele Irrlehren in sie eingedrungen sind. Zum Beispiel verbot Christus Gewalt und Rache; überdies gebot Er, Unrecht und Böses mit Güte und Verzeihung zu erwidern. Denke nun darüber nach, wie viele blutige Kriege die christlichen Völker unter sich geführt haben, und wieviel Unterdrückung, Grausamkeit, Rohheit und Blutgier sich ergeben hat! Viele dieser Kriege wurden auf Veranlassung der Päpste geführt. Somit ist es klar und offenkundig, daß die Religionen sich im Laufe der Zeit völlig ändern und wandeln. Deshalb werden sie erneuert.
Frage: In den heiligen Büchern sind an einigen Stellen tadelnde Worte zu finden, die als Vorwurf an die Propheten gerichtet sind. Wer ist der Angeredete, und auf wen bezieht sich dieser Vorwurf?
Antwort: Jedes tadelnde Wort Gottes bezieht sich, wenn es auch scheinbar den Propheten gilt, in Wirklichkeit auf die Menschen; es geschieht aus einer Weisheit, die reine Barmherzigkeit ist, damit die Menschen nicht entmutigt und verzagt werden. Darum scheint das Wort an die Propheten gerichtet; aber obwohl äußerlich für die Propheten, ist es in Wirklichkeit für die Menschen und nicht für die Propheten.
Mehr noch: Ein mächtiger, unabhängiger König ist der Vertreter seines Landes, sein Wort ist das Wort aller, und jeder Vertrag, den er schließt, gilt für alle; denn Wunsch und Wille seiner Untertanen sind in seinem Wunsch und Willen eingeschlossen. In gleicher Weise ist jeder Prophet der Ausdruck für die Gesamtheit der Menschen. Somit ist das an ihn gerichtete Versprechen und Wort Gottes an alle gerichtet. Im allgemeinen sind die tadelnden und vorwurfsvollen Worte zu streng für die Menschen und würden ihre Herzen niederdrücken. Deshalb benützt die vollkommene Weisheit jene Form der Anrede, was sich deutlich in der Bibel selbst zeigt, zum Beispiel als die Kinder Israel sich gegen Moses erhoben und sprachen: "Wir können nicht gegen die Amalekiter kämpfen, denn sie sind stark, mächtig und kühn." Gott wies dann Moses und Aaron zurecht, obwohl Moses äußerst gehorsam war und Sich nicht auflehnte. Sicherlich muß ein so großer Mensch, der der Vermittler der göttlichen Gnade und der Überbringer des göttlichen Gesetzes ist, dem Befehl Gottes gehorchen. Diese heiligen Seelen sind wie die Blätter eines Baumes, die durch das Wehen des Windes und nicht durch ihren eigenen Willen bewegt werden, denn sie sind durch den Odem der Liebe Gottes in Bann gezogen und haben ihren eigenen Willen völlig Ihm unterworfen. Ihr Wort ist Gottes Wort, ihr Gebot ist Gottes Gebot und ihr Verbot ist Gottes Verbot. Sie gleichen der Glaskugel, die von der Lampe Licht bekommt. Obgleich das Licht vom Glase zu kommen scheint, strahlt es in Wirklichkeit von der Lampe aus. So ist es auch mit den Propheten Gottes, den Mittelpunkten der Manifestation: Ihr Handeln oder Nichthandeln kommt aus göttlicher Eingebung, nicht aus menschlichem Verlangen. Wenn es nicht so wäre, wie könnte der Prophet vertrauenswürdig, wie könnte er der Bote Gottes sein, der Gottes Gebote und Verbote übermittelt? Alle Vergehen, die in Verbindung mit den Offenbarern in den heiligen Büchern erwähnt werden, beziehen sich auf Fragen dieser Art.
Gelobt sei Gott, daß du hierher gekommen und den Dienern Gottes begegnet bist! Hast du in ihnen irgend etwas wahrgenommen außer dem Duft des göttlichen Wohlgefallens? Gewiß nicht. Mit deinen eigenen Augen hast du gesehen, wie sie Tag und Nacht Mühe und Arbeit auf sich nehmen und keine andere Absicht haben als die Verkündung des Wortes Gottes, die Erziehung der Menschen, die Verbesserung der Lage der breiten Masse, den geistigen Fortschritt, die Errichtung des Weltfriedens, Zuneigung zur ganzen Menschheit und Güte gegenüber allen Völkern. Sich selbst zum Besten der Menschheit opfernd, haben sie sich von irdischem Eigennutz losgelöst und mühen sich ab, der Menschheit Tugenden zu vermitteln.
Doch laßt uns auf unser Thema zurückkommen. Zum Beispiel steht im Alten Testament, im Buch Jesaja, Kapitel 48, Vers 12: "Höre mir zu, Jakob, und du, Israel, mein Berufener: Ich bin's, ich bin der Erste, dazu auch der Letzte." Es ist klar, daß damit nicht Jakob, der Israel war, sondern das Volk Israel gemeint war. Ebenfalls im Buch Jesaja, Kapitel 43, Vers 1, heißt es: "Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn Ich habe dich erlöst; Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist Mein!"
Weiter heißt es im 4. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 23: "Und der Herr redete mit Mose und Aaron am Berge Hor, an den Grenzen des Landes der Edomiter, und sprach: Laß sich Aaron sammeln zu seinem Volk; denn er soll nicht in das Land kommen, das Ich den Kindern Israel gegeben habe, darum daß ihr Meinem Munde ungehorsam gewesen seid bei dem Haderwasser." Und in Vers 13: "Das ist das Haderwasser, darüber die Kinder Israel mit dem Herrn haderten und Er geheiligt ward an ihnen."
Beachte: Die Kinder Israel lehnten sich auf, aber scheinbar war der Tadel an Moses und Aaron gerichtet. So ist im 5. Buch Mose, Kapitel 3, Vers 26, gesagt: "Aber der Herr war erzürnt auf Mich um euretwillen und erhörte Mich nicht, sondern sprach zu Mir: Laß es genug sein, rede Mir davon nicht mehr!"
Nun sind diese Worte und dieser Vorwurf in Wahrheit an das Volk Israel gerichtet, das wegen seiner Auflehnung gegen den Befehl Gottes eine lange Zeit in der trockenen Wüste am anderen Ufer des Jordan verbannt blieb, bis zur Zeit Josuas - Heil sei auf ihm! Diese Worte und dieser Vorwurf waren also scheinbar an Moses und Aaron gerichtet, in Wirklichkeit aber galten sie dem Volk Israel.
In gleicher Weise wird im Qur'án zu Muhammad gesagt: "Wahrlich, Wir haben dir einen sichtbaren Sieg verliehen, damit dir Gott verzeihe, was von deinen Vergehen vorangegangen war und was später kommt."¹ Obwohl diese Worte dem äußeren Anschein nach an Muhammad gerichtet waren, galten sie in Wahrheit dem ganzen Volk. Diese Art der Anrede wurde, wie schon gesagt, von der vollkommenen Weisheit Gottes gebraucht, damit die Herzen der Menschen nicht beunruhigt, geängstigt und gequält werden.
¹ Súrih 48:1
Wie oft bekennen die Propheten Gottes und Seine allumfassenden Offenbarer in ihren Gebeten ihre Sünden und Verfehlungen! Dies geschieht nur, um die anderen Menschen zu unterweisen, um sie zu ermutigen, zu Sanftmut und Demut anzuspornen und um sie zu bewegen, ihre Fehler und Sünden zu bekennen. Denn diese heiligen Seelen sind frei von jeder Sünde und geheiligt von jedem Vergehen. Im Evangelium wird berichtet, daß ein Mann zu Christus kam und Ihn "Guter Meister" nannte. Christus antwortete: "Was heißest du Mich gut? Niemand ist gut als Gott allein." Damit ist nicht gemeint, daß Christus - Gott behüte! - ein Sünder gewesen wäre, sondern die Absicht war, den Sprecher Ergebenheit, Demut, Sanftmut und Bescheidenheit zu lehren. Diese heiligen Wesen sind Lichter, und Licht vereinigt sich nicht mit Finsternis. Sie sind Leben, und Leben und Tod verbinden sich nicht; sie sind Rechtleitung, und Rechtleitung kann nicht mit Irreführung zusammen sein; sie sind wahrhafter Gehorsam, und Gehorsam kann nicht mit Auflehnung zusammenleben.
Um abzuschließen: Obwohl tadelnde Worte in den heiligen Büchern scheinbar an die Propheten gerichtet sind, das heißt an die Manifestationen Gottes, sind sie in Wirklichkeit für die Menschen bestimmt. Dies wird dir klar und offenkundig, wenn du die heiligen Bücher sorgfältig geprüft hast.
In dem heiligen Vers heißt es: "Keiner kommt dem Aufgangspunkt des Befehls¹ in der höchsten Reinheit gleich. Er ist in Wahrheit der Offenbarer der Worte `Er tut, was Er will` im Reiche der Schöpfung. Gott hat fürwahr diese Stufe für Sich Selbst vorbehalten und hat niemandem einen Anteil an dieser heiligen Seinsweise gelassen."²
¹ Das heißt: dem Offenbarer des göttlichen Befehls.
² Das Buch Aqdas ist das "Heiligste Buch", das Hauptwerk Bahá'u'lláhs, das den Hauptteil der Gesetze enthält. Es ist die Grundlage der Bahá'í-Prinzipien.
Wisse, daß es zwei Arten von Reinheit gibt, angeborene und erworbene Reinheit. Ebenso gibt es angeborenes und erworbenes Wissen; so ist es auch mit anderen Bezeichnungen und Eigenschaften. Angeborene Reinheit ist ausschließlich dem allumfassenden Offenbarer eigen, denn sie ist seine Wesensbedingung, und eine Wesensbedingung kann nicht von der Sache selbst getrennt werden. Die Strahlen sind die Wesensnotwendigkeit der Sonne und können nicht von ihr getrennt werden. Wissen ist eine Wesensnotwendigkeit Gottes und ist untrennbar von Ihm. Macht ist eine Wesensnotwendigkeit Gottes und ist untrennbar von Ihm. Wenn sie von Ihm geschieden werden könnte, wäre Er nicht Gott. Könnten die Strahlen von der Sonne gelöst werden, wäre sie nicht die Sonne. Wenn man sich daher die Trennung der höchsten Reinheit von dem allumfassenden Offenbarer vorstellte, wäre Er nicht die universale Manifestation, und es fehlten Ihm die wesensnotwendigen Vollkommenheiten.
Erworbene Reinheit aber ist keine Naturnotwendigkeit, sie ist vielmehr ein Strahl aus der Fülle der Reinheit, die von der Sonne der Wahrheit auf die Herzen scheint und den Menschenseelen einen Teil dieser Fülle gewährt. Obwohl diese Seelen nicht die angeborene Reinheit besitzen, so stehen sie doch unter dem Schutz Gottes, das heißt, Gott bewahrt sie vor Sünde. So wurden viele heilige Menschen, die nicht Aufgangspunkte der höchsten Reinheit waren, unter dem Schirm des Schutzes und der Obhut Gottes vor der Sünde bewahrt und behütet; denn sie waren die Mittler der Gnade zwischen Gott und den Menschen. Hätte Gott sie nicht vor Irrtum bewahrt, so hätte ihr Irren bewirkt, daß andere Gläubige auch dem Irrtum verfallen wären; so würde die Grundlage der Religion Gottes umgestürzt, was Gottes weder würdig noch angemessen wäre.
Zusammengefaßt: Die angeborene Reinheit ist nur den allumfassenden Offenbarern zu eigen, die erworbene Reinheit wird jeder heiligen Seele verliehen. Wenn zum Beispiel das Universale Haus der Gerechtigkeit¹ unter den notwendigen Voraussetzungen - mit Mitgliedern, die von allen Völkern gewählt sind - gebildet wird, dann wird es unter dem Schutz und der Obhut Gottes stehen. Wenn dieses Haus der Gerechtigkeit einstimmig oder durch Stimmenmehrheit über eine Frage entscheidet, die nicht im Buch² erwähnt ist, wird diese Entscheidung, sein Beschluß, vom Irrtum bewahrt sein. Die einzelnen Mitglieder des Hauses der Gerechtigkeit besitzen nun keine angeborene Fehlerlosigkeit, aber die Körperschaft des Hauses der Gerechtigkeit steht unter dem Schutz Gottes. Das wird verliehene Unfehlbarkeit genannt.
¹ Baitu'l-'Adl ist das "Haus der Gerechtigkeit", eine Einrichtung, die von Bahá'u'lláh für die Verwaltung der zukünftigen Städte vorgesehen ist. Das Nationale Haus der Gerechtigkeit wird die Gesetze für die Nation geben, und das Universale Haus der Gerechtigkeit ist für die ganze Welt da.
² Kitáb-i-Aqdas, das "Heiligste Buch" der Gesetze Bahá'u'lláhs
Nun ist gesagt, daß der "Aufgangspunkt des Befehls" die Offenbarung der Worte "Er tut, was Er will" ist; diese Eigenschaft ist ausschließlich jenem heiligen Wesen zu eigen, und andere haben keinen Anteil an dieser angeborenen Vollkommenheit. Das heißt, weil die allumfassenden Offenbarer zweifellos die angeborene Reinheit besitzen, darum ist, was immer von ihnen ausgeht, die reine Wahrheit und stimmt mit den Tatsachen überein. Sie stehen nicht unter den früheren Gesetzen. Was immer sie sagen, ist Gottes Wort, und was sie tun, ist richtig vollbracht. Kein Gläubiger hat das Recht, Kritik zu üben; Seine Stufe muß eine Lebensform der reinen Ergebenheit sein; denn der Offenbarer erscheint mit vollendeter Weisheit.
Was immer die universale Manifestation sagt und tut, ist reine Weisheit und in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Wenn manche Leute das verborgene Geheimnis einer Ihrer Anordnungen und Handlungen nicht verstehen, so sollten sie sich nicht dagegen auflehnen, denn der allumfassende Offenbarer tut, was Er will. Wie oft geschah es, daß von einem weisen, vollkommenen und klugen Menschen etwas getan wurde, dessen Weisheit die anderen nicht erkennen konnten; sie erhoben deshalb Einspruch und wunderten sich, daß dieser weise Mann so etwas sagen oder tun konnte. Dieser Widerstand kommt von ihrer Unwissenheit, die Klugkeit des Weisen aber ist rein und frei von Sünde. Auch der erfahrene Arzt "tut, was er will" bei der Behandlung des Kranken, und dieser hat kein Recht, Einspruch zu erheben, denn was immer der Arzt sagt und tut, ist recht; alle sollten ihn als die Offenbarung der Worte "Er tut, was Er will, und befiehlt, was Er wünscht" ansehen, zweifellos wird der Arzt im Gegensatz zur Meinung anderer Leute Arznei verwenden; Widerspruch aber ist denjenigen, die nicht den Vorteil der Wissenschaft und der ärztlichen Kunst haben, nicht gestattet. Nein, bei Gott, alle sollten vielmehr gehorchen und tun, was der erfahrene Arzt sagt. Denn der geschickte Arzt "tut, was er will", und die Patienten haben an diesem Recht nicht teil. Der Geschicklichkeit des Arztes muß man sich zuerst vergewissern, aber wenn sie einmal festgestellt ist, "tut er, was er will".
Auch wenn ein Heerführer sich in der Kriegskunst ausgezeichnet hat, so "tut er, was er will" in allem, was er spricht und befiehlt. Wenn der Kapitän eines Schiffes die Navigationskunst beherrscht, so "tut er, was er will" in allem, was er sagt und anordnet; und weil der wahre Erzieher der vollkommene Mensch ist, so "tut Er, was Er will" in allem, was Er ausspricht und wünscht.
Kurz, die Bedeutung von "Er tut, was Er will" ist die, daß Gläubige, die nicht die Weisheit dessen verstehen, was der Offenbarer sagt, anordnet oder vollbringt, dies trotzdem auch nicht mit einem einzigen Gedanken bekämpfen sollten, indem sie zu erfahren trachten, warum Er dieses gesagt oder jenes getan habe. Die anderen Seelen, die unter dem Schutz des allumfassenden Offenbarers leben, unterwerfen sich den Geboten des göttlichen Gesetzes und dürfen nicht um Haaresbreite von ihnen abweichen; sie müssen ihre Taten und Worte nach dem Gesetz Gottes richten. Wenn sie von ihm abweichen, werden sie in Gottes Gegenwart zur Verantwortung und Rechenschaft gezogen. Es ist sicher, daß sie keinen Anteil an der Erlaubnis "Er tut, was Er will" haben, denn dieses Recht ist ausschließlich den allumfassenden Offenbarern vorbehalten.
So war Christus - möge Mein Leben ein Opfer für Ihn sein! - der Aufgangspunkt für das Wort: "Er tut, was Er will." Die Jünger jedoch hatten keinen Teil an dieser Stufe, denn sie standen im Schatten Christi, und sie durften nicht gegen Seinen Willen und Befehl handeln.
Wir sind nun zur Frage der Veränderung der Arten und der organischen Entwicklung gekommen, das heißt zu der Frage, ob der Mensch vom Tier abstamme.
Diese Annahme fand in den Köpfen einiger europäischer Denker Glauben, und es ist jetzt¹ sehr schwer, ihre Unrichtigkeit begreiflich zu machen; in der Zukunft aber wird sie klar und deutlich werden, und die europäischen Philosophen werden ihren Fehlschluß selbst entdecken. Denn es ist fürwahr ein offenkundiger Irrtum. Wenn der Mensch die Schöpfung mit durchdringender Schärfe beobachtet und die Beschaffenheit des Daseins aufmerksam untersucht, und wenn er den Zustand, die Ordnung und die Vollkommenheit der Welt erkennt, so wird es ihm zur Gewißheit, daß in der erschaffenen Welt nichts Wunderbareres denkbar ist als das, was schon besteht. Denn alles, was auf Erden und im Himmel ist, wurde genau wie der unendliche Weltenraum und alles, was in ihm ist, so wie es sein mußte, erschaffen, geordnet, zusammengesetzt, eingerichtet und vollendet. Die Schöpfung kennt keine Unvollkommenheit, und wenn alle Geschöpfe reiner Verstand würden und bis in alle Ewigkeit nachdächten, so wäre es nicht möglich, sich Besseres vorzustellen als das, was geschaffen ist.
¹ Im Jahre 1904
Wenn jedoch die Schöpfung in der Vergangenheit nicht mit höchster Vollendung geschmückt gewesen wäre, wäre das Dasein unvollkommen und sinnlos gewesen, und in diesem Fall wäre die Schöpfung unfertig gewesen. Diese Frage erfordert aufmerksamstes Nachdenken und Überlegen. Stelle dir zum Beispiel vor, daß die mögliche Welt - also die bestehende Welt - dem menschlichen Körper in einer allgemeinen Art ähnelt. Wenn diese Zusammensetzung und Anordnung, diese Vollendung, Schönheit und Vollkommenheit des jetzigen menschlichen Körpers anders wären, wäre es reine Unvollkommenheit. Wenn wir uns nun eine Zeit vorstellen, zu welcher der Mensch der tierischen Welt angehörte oder nur ein Tier gewesen wäre, sehen wir, daß das Dasein unvollkommen gewesen wäre, das heißt, es hätte den Menschen nicht gegeben, und dieses höchste Glied, das im Körper der Welt dem Gehirn und Verstand im Menschen entspricht, hätte gefehlt. Die Welt wäre dann ganz unvollkommen gewesen. Somit ist bewiesen, daß die Vollkommenheit des Daseins gestört gewesen wäre, wenn es eine Zeit gegeben hätte, in welcher der Mensch dem Tierreich angehörte; denn der Mensch ist das höchste Glied dieser Welt, und sicherlich wäre ihr Körper unvollkommen, wenn das Hauptglied fehlte. Den Menschen betrachten wir als das größte Glied, weil er unter den Geschöpfen der Inbegriff aller bestehenden Vollkommenheiten ist. Wenn wir vom Menschen sprechen, meinen wir den vollkommenen, das vornehmste Einzelwesen der Welt, den Inbegriff der geistigen und sichtbaren Vollkommenheiten, der wie die Sonne unter den Geschöpfen ist. Nun stelle dir vor, daß die Sonne zu einer Zeit nicht existierte, sondern ein Planet war - sicherlich wäre zu einer solchen Zeit das Gleichgewicht des Daseins gestört gewesen. Wie kann man sich so etwas vorstellen? Dem Erforscher der Welt des Daseins ist das, was wir gesagt haben, genug.
Es gibt einen anderen, noch feineren Beweis: Jede dieser unendlich vielen Seinsformen, die die Welt bevölkern, mögen sie Mensch, Tier, Pflanze oder Mineral sein, ist sicherlich aus Elementen zusammengesetzt. Es gibt keinen Zweifel, daß diese Vollkommenheit, die in allem Erschaffenen ist, durch Gottes Schöpfung aus den einzelnen Elementen, durch ihre ausgeglichene Vermischung und das richtige Mengenmaß, die Art ihrer Zusammensetzung und durch die Beeinflussung der Umwelt entstanden ist. Denn alles Erschaffene ist, den Gliedern einer Kette gleich, miteinander verbunden, und gegenseitige Hilfe, Unterstützung und Beeinflussung, die zu den Eigentümlichkeiten der Dinge gehören, sind die Ursachen des Seins, der Entwicklung und Entfaltung des Erschaffenen. Durch klare Beweise wurde festgestellt, daß jede Seinsform auf andere allgemein einwirkt, entweder unabhängig oder durch Verkettung. Die Vollkommenheit jedes Einzelwesens schließlich, das heißt die Vollkommenheit, die man jetzt im Menschen oder außerhalb von ihm sieht, die Vollkommenheit der Atome, Teile oder Kräfte jeder Seinsform, beruht auf der Zusammensetzung der Elemente, ihrem Maß, ihrer Ausgewogenheit, der Art ihrer Verbindung und auf der gegenseitigen Einwirkung. Wenn all dies zusammenkommt, tritt der Mensch in Erscheinung.
Da die Vollkommenheit des Menschen völlig auf die Zusammensetzung der Atome der Elemente, auf ihr Verhältnis, auf die Art ihrer Verbindung und auf die gegenseitige Beeinflussung und Einwirkung der verschiedenen Seinsformen zurückzuführen ist - und weil der Mensch vor zehn- oder hunderttausend Jahren aus diesen irdischen Elementen in demselben Verhältnis und der gleichen Ausgewogenheit, nach derselben Methode der Verbindung und Vermischung und unter der gleichen Einwirkung der Umwelt geschaffen wurde, lebte genau derselbe Mensch damals wie heute. Dies ist offensichtlich und keiner weiteren Erörterung wert. In tausend Millionen Jahren wird genau derselbe Mensch leben, wenn seine Elemente zusammengebracht und in diesem besonderen Verhältnis geordnet werden, wenn die Elemente auf dieselbe Art verbunden werden und wenn sie durch die gleiche Einwirkung der Umwelt beeinflußt werden. Wenn zum Beispiel in hunderttausend Jahren Öl, Feuer, ein Docht, eine Lampe und jemand, der sie anzündet, kurz alles, was man jetzt braucht, zur Hand ist, wird diese Lampe genauso brennen.
Dies sind überzeugende und offenkundige Tatsachen. Die Argumente aber, die jene europäischen Denker erbracht haben, stellen zweifelhafte Beweise auf und sind nicht überzeugend.
Der Ursprung des Menschen
Wisse, daß es eine der am schwierigsten zu verstehenden geistigen Wahrheiten ist, daß die Welt des Daseins, das heißt dieses unendliche Weltall, keinen Anfang hat.
Wir haben schon früher erklärt, daß die Namen und Attribute Gottes unbedingt das Dasein von Geschöpfen erfordern. Obwohl diese Frage ausführlich erläutert wurde, wollen wir noch einmal kurz darüber sprechen. Wisse, daß man sich einen Erzieher ohne Zöglinge nicht vorstellen kann, daß es einen Monarchen ohne Untertanen nicht gibt, ein Lehrer ohne Schüler nicht ernannt würde, ein Schöpfer ohne ein Geschöpf unmöglich wäre und ein Versorger ohne Versorgte nicht ausgedacht werden könnte; denn alle göttlichen Namen und Eigenschaften setzen das Dasein von Geschöpfen voraus. Sich eine Zeit vorzustellen, in der es überhaupt keine Geschöpfe gegeben habe, hieße die Göttlichkeit Gottes leugnen. Überdies kann völliges Nichtsein nicht zum Dasein werden. Wenn die Geschöpfe überhaupt nicht existiert hätten, wäre Dasein nicht ins Leben getreten. Weil nun das innerste Wesen der Einheit, das göttliche Sein, von aller Ewigkeit her besteht und immerwährend ist, das heißt weder Anfang noch Ende hat, darum hat sicherlich diese Welt des Daseins, dieses unendliche Weltall, weder Anfang noch Ende. Es mag wohl sein, daß ein Teil des Weltalls, zum Beispiel einer der Himmelskörper, ins Dasein tritt oder verfällt, aber die anderen, unendlich vielen Himmelskörper bestehen weiter; das Weltall würde darum nicht zerrüttet oder verdorben werden, denn Dasein ist ewig und unvergänglich. Da das einzelne Gestirn einen Anfang hat, muß es auch ein Ende haben, denn jede Zusammensetzung, im Verband oder im einzelnen, muß notwendigerweise aufgelöst werden; der einzige Unterschied ist, daß einige schnell und andere langsamer aufgelöst werden, aber es ist unmöglich, daß etwas zusammengesetztes sich schließlich nicht auflöst.
Wir sollten also erkennen, was die einzelne wichtige Daseinsform zu Beginn gewesen ist, denn es gibt keinen Zweifel, daß im Anfang der Ursprung EINER war: Der Ursprung aller Zahlen ist die Eins und nicht die zwei. Dann ist es offenkundig, daß im Anfang die Materie EINE war und dieser Urstoff sich in jedem Element von verschiedenen Seiten zeigte; so wurden verschiedene Formen hervorgebracht, wobei die unterschiedlichen Aspekte feste Gestalt annahmen und jedes Element gesondert entwickelt wurde. Diese feste Gestalt war aber nicht endgültig, sondern erreichte Verwirklichung und vollkommenes Dasein erst nach einer sehr langen Zeit. Dann sind diese Elemente in unendlich vielen Formen zusammengesetzt, geordnet und verbunden worden, oder vielmehr entwickelten sich aus ihrer zusammensetzung und Verbindung zahllose Geschöpfe.
Diese Zusammensetzung und Anordnung wurden durch die Weisheit Gottes und Seine ewige Allmacht aus einer Gestaltung der Natur hervorgebracht, die in Übereinstimmung mit dieser Weisheit und einem allumfassenden Gesetz zusammengesetzt und verbunden worden war. Daher ist es klar, daß es die Schöpfung Gottes ist und nicht eine zufällige Zusammensetzung und Anordnung. Darum kann von jeder natürlichen Zusammensetzung ein Geschöpf ins Dasein treten, aus einer zufälligen Vermischung aber nicht. Wenn zum Beispiel ein Mensch mit seinem eigenen Verstand und seiner Intelligenz einige Elemente zusammenstellt und sie vermengt, so wird kein lebendes Geschöpf ins Dasein gerufen werden, weil das System unnatürlich ist. Dies ist auch die Antwort auf die mit inbegriffene Frage, warum es uns nicht möglich ist, Elemente zu sammeln, sie miteinander zu vermischen und so ein lebendes Wesen zu erschaffen, nachdem doch die Geschöpfe durch Zusammensetzung und Verbindung von Elementen entstehen. Dies ist eine falsche Annahme, denn der Ursprung dieser Zusammensetzung ist von Gott; es ist Gott, Der die Verbindung macht, und da sie nach dem natürlichen System hergestellt ist, entspringt jeder Zusammensetzung ein Geschöpf und wird ein Dasein verwirklicht. Eine durch den Menschen hergestellte Zusammensetzung bringt nichts hervor, da der Mensch nicht erschaffen kann.
Kurz, Wir sagten, daß aus der Zusammensetzung und Verbindung von Elementen, aus ihrer Auflösung, ihrer Ausgewogenheit und der Einwirkung der Umwelt Seinsformen, unendlich viele Wirklichkeiten und zahllose Geschöpfe erzeugt wurden. Diese Erdkugel aber, das ist klar, hat ihre jetzige Gestalt nicht auf einmal angenommen, sondern dieses umfassende Dasein hat allmählich verschiedene Phasen durchwandert, bis es die heutige Vollendung erreicht hat. Der Makrokosmos entspricht dem Mikrokosmos und kann mit ihm verglichen werden, denn beide stehen unter einer natürlichen Ordnung, einem allumfassenden Gesetz und einem göttlichen Plan. So findet man, daß die kleinsten Atome in ihrer allgemeinen Ordnung den größten Weltenkörpern ähneln. Es ist klar, daß sie durch `eine Werkstatt` der Macht nach `einer natürlichen Ordnung` und `einem allumfassenden Gesetz` ins Leben gerufen werden; deshalb können sie miteinander verglichen werden. So wächst und entwickelt sich allmählich der menschliche Embryo im Mutterschoß und zeigt sich in verschiedenen Phasen und Formen, bis er auf der Stufe vollkommener Schönheit die Reife erreicht und mit höchster Anmut in vollendeter Gestalt erscheint. Ebenso war der Same dieser Blume hier im Anfang ein unbedeutendes, winziges Ding; er wuchs und entwickelte sich im Schoß der Erde und durchwanderte verschiedene Phasen, bis er als diese Blume in vollkommener Frische und Lieblichkeit in Erscheinung trat. Genauso ist es offenkundig, daß diese Erdkugel, nachdem sie einmal ins Dasein getreten war, im Schoß des Weltalls wuchs und sich entwickelte und in verschiedenen Phasen und Formen erschien, bis sie allmählich ihre heutige Vollkommenheit erlangte, mit zahllosen Geschöpfen geschmückt wurde und als fertiges Gefüge in Erscheinung trat.
So ist es klar, daß der Urstoff, der in keimhaftem Zustand ist, und die vermischten und zusammengesetzten Elemente, die seine frühesten Formen darstellen, in langen Zeiten und Zyklen allmählich wuchsen und sich entwickelten und von einer Form und Gestalt zur anderen schritten, bis sie durch die höchste Weisheit Gottes in dieser Verfassung, diesem Gefüge, dieser Ordnung und dieser Vollendung erschienen.
Kommen wir zu unserem Thema zurück, daß nämlich der Mensch zu Beginn seines Daseins und im Schoß der Erde - ähnlich dem Embryo im Mutterschoß - allmählich wuchs und sich entwickelte, von einer Form zur anderen schritt, bis er in höchster Schönheit und Vollendung erschien. Es ist gewiß, daß er im Anfang nicht diese Anmut, Lieblichkeit und Feinheit hatte, sondern nur schrittweise diese Gestalt, diese Form, diese Schönheit und Anmut erlangte. Es ist kein Zweifel, daß der menschliche Embryo nicht sogleich in dieser Form erschien und daß er nicht sofort zur Offenbarung der Worte: "Gelobt sei Gott, der herrlichste Schöpfer!" wurde. Allmählich durchschritt er verschiedene Stufen und andere Formen, bis er diese Gestalt und Schönheit, diese Vollendung, Anmut und Lieblichkeit erlangte. So ist es klar und erwiesen, daß die Entwicklung und Entfaltung des Menschen auf dieser Erde - bis er seine heutige Vollkommenheit erreichte - dem Wachstum und der Entwicklung des Embryos im Mutterleib ähnelte: Nach und nach schritt er von Stufe zu Stufe, von Form zu Form, von einer Gestalt zur anderen, denn dies entspricht den Bedingungen der allumfassenden Ordnung und des göttlichen Gesetzes.
Das heißt, der Embryo durchschreitet verschiedene Phasen und durchläuft zahlreiche Seinsweisen, bis er die Gestalt erreicht, in der er die Worte: "Gelobt sei Gott, der herrlichste Schöpfer!" kundtut, und bis die Zeichen von Vernunft und Reife erscheinen. Ebenso währt das menschliche Dasein auf dieser Erde, von Anbeginn bis es die heutige Verfassung, Gestalt und Stufe erreicht, notwendigerweise eine lange Zeit und schreitet durch viele Seinsweisen, bis es diese Erscheinungsform erreicht. Aber von allem Anfang seines Daseins an ist der Mensch eine besondere Art. In gleicher Weise hat der menschliche Embryo im Mutterleib zuerst eine sonderbare Form; dann schreitet dieser Körper von Form zu Form, von Stufe zu Stufe, von einer Gestalt zur anderen, bis er in höchster Schönheit und Vollkommenheit erscheint. Aber auch im Mutterleib und in jener sonderbaren Form, die ganz verschieden von seiner späteren Gestalt und Erscheinung ist, ist er der Embryo der höheren Art und kein Tierembryo; seine Art und sein innerstes Wesen sind keiner Änderung unterworfen. Wenn wir auch zugeben, daß Spuren verschwundener Organe wirklich vorhanden sind, so ist dies noch kein Beweis gegen die Beständigkeit und Ursprünglichkeit der Arten. Es beweist höchstens, daß Form, Gestalt und Organe des Menschen Fortschritte gemacht haben. Der Mensch war immer eine besondere Art, kein Tier, sondern ein Mensch. Wenn der menschliche Embryo im Mutterleib von einer Form zur anderen schreitet, so daß die zweite Form in keiner Weise mehr der ersten ähnelt, ist dies denn ein Beweis, daß sich die Art geändert hat, daß er zuerst ein Tier war und daß sich seine Organe entwickelten und Fortschritte machten, bis er ein Mensch wurde? Gewiß nicht! Wie kindlich und unbegründet ist doch dieser Gedankengang! Denn der Beweis der Ursprünglichkeit der menschlichen Art und der Beständigkeit der Natur des Menschen ist klar und offenkundig.
Schon ein- oder zweimal haben Wir über den Geist gesprochen, aber Unsere Worte wurden nicht niedergeschrieben.
Wisse, daß die Menschen zu zwei Kategorien gehören, das heißt, daß sie zwei Gruppen bilden. Die Anhänger der einen Gruppe leugnen den Geist und sagen, daß der Mensch eine Tierart sei; denn sie meinen: "Sehen wir nicht, daß Tiere und Menschen dieselben Kräfte und Sinne gemeinsam haben? Die einfachen Einzelelemente, die das All erfüllen, gehen unendlich viele Verbindungen ein, und aus jeder Verbindung entwickelt sich eine Seinsform. Zu diesen Lebewesen gehört auch der Mensch, der über Kräfte und Sinne verfügt. Je vollkommener die Verbindung, desto edler ist das Lebewesen. Die Verbindung der Elemente im menschlichen Körper ist vollkommener als die Zusammensetzung jedes anderen Lebewesens; seine Mischung ist am genauesten ausgewogen, weshalb er edler und vollendeter ist. "Es ist nicht so", sagen sie, "daß er eine besondere Kraft und Geist besäße, der den anderen Tieren fehle: Tiere haben feinnervige Körper, aber der Mensch hat einige Kräfte mit größerem Feingefühl" - obwohl das Tier, was die äußeren Sinne anbelangt, wie Gehör, Gesicht, Geschmack, Geruch und Tastgefühl, und sogar in einigen inneren Kräften, wie dem Gedächtnis, reicher begabt ist als der Mensch. - "Auch das Tier", so äußern sie, "hat Intelligenz und Wahrnehmungsvermögen." Alles, was sie zugeben, ist, daß die menschliche Intelligenz größer sei.
Dies ist, was die heutigen Philosophen feststellen; dies sind ihre Äußerungen, so ist ihre Annahme und so stellt es ihre Einbildungskraft dar. Mit mächtigen Argumenten und Beweisen führen sie so die Abstammung des Menschen auf das Tier zurück und behaupten, daß es eine Zeit gab, in der der Mensch ein Tier gewesen sei; dann hätte sich die Art geändert und allmählich Fortschritte gemacht, bis sie den jetzigen zustand des Menschen erreicht hätte.
Die Theologen aber sagen: Nein, so ist es nicht. Wenn auch der Mensch Kräfte und die äußeren Sinne mit dem Tier gemeinsam hat, so ist in ihm doch eine außergewöhnliche Kraft vorhanden, die das Tier nicht besitzt. Wissenschaften, Künste, Erfindungen, Gewerbe und Entdeckungen von Wirklichkeiten sind die Ergebnisse dieser geistigen Kraft. Diese Kraft umfaßt alle Dinge, begreift ihre Wirklichkeit, entdeckt die verborgenen Geheimnisse der Schöpfung und beherrscht sie durch dieses Wissen. Sie begreift sogar Dinge, die äußerlich nicht vorhanden sind, das heißt geistige Wirklichkeiten, die mit den Sinnen nicht wahrnehmbar sind und keine äußere Existenz haben, weil sie unsichtbar sind; so umschließt sie den Verstand, den Geist, die Eigenschaften, den Charakter, die Liebe und das Leid des Menschen, die alle geistige Wirklichkeiten sind. Überdies waren diese bestehenden Wissenschaften, Künste, Gesetze und unzähligen menschlichen Erfindungen einmal unsichtbare, rätselhafte und vorborgene Geheimnisse; nur die alles umfassende menschliche Kraft war es, die sie entdeckte und vom Bereich des Verborgenen auf die Ebene des Sichtbaren brachte. So waren einmal Telegraphie, Photographie, Phonographie und alle diese Erfindungen und wunderbaren Künste verhüllte Geheimnisse: Die menschliche Wirklichkeit entdeckte sie und machte das Unsichtbare sichtbar. Es gab sogar eine Zeit, als die Eigenart dieses Eisens hier - ja sogar aller Metalle - ein verborgenes Geheimnis war; die Menschen entdeckten dieses Metall und verarbeiteten es zu dieser industriellen Form. Ebenso ist es mit allen anderen menschlichen Erfindungen und Entdeckungen, die zahllos sind.
Dies kann nicht geleugnet werden. Wenn man sagen würde, daß diese Entdeckungen Erfolge der auch den Tieren und körperlichen Sinnen eigenen Kräfte wären, ist zu bemerken, wie offensichtlich die Tiere in bezug auf diese Kräfte dem Menschen überlegen sind. Zum Beispiel ist die Sehkraft von Tieren viel schärfer als die menschliche; dasselbe gilt vom tierischen Geruchs- und Geschmackssinn. Kurz, in den Kräften, die Tier und Mensch gemeinsam sind, ist das Tier oft überlegen. Nehmen wir zum Beispiel die Gedächtniskraft: Wenn man eine Taube von hier in ein fernes Land bringt und sie dort freiläßt, kehrt sie zurück, weil sie sich des Weges erinnert. Bringe einen Hund von hier ins Innere Asiens und laß ihn dort frei, so kommt er hierher zurück und verliert nicht ein einziges Mal den Weg. So ist es auch mit den anderen Sinneskräften, wie Gehör, Gesicht, Geruch, Geschmack und Tastsinn.
Somit ist es klar, daß das Tier in Erfindungen und im Begreifen der Wirklichkeit dem Menschen überlegen wäre, wenn es im Menschen nicht eine Kraft gäbe, die von jeder tierischen Kraft verschieden ist. Es ist daher offenkundig, daß der Mensch eine Gabe hat, die das Tier nicht besitzt. Nun versteht das Tier sinnlich wahrnehmbare Dinge, aber geistige Wirklichkeiten begreift es nicht. Zum Beispiel sieht es, was im Bereich seiner Augen liegt, aber es ist ihm nicht möglich, zu begreifen, was außerhalb dieses Bereiches liegt, und sich eine Vorstellung davon zu machen. So kann sich das Tier nicht vorstellen, daß die Erde die Form einer Kugel hat. Der Mensch aber zieht aus bekannten Gegebenheiten Schlüsse auf noch Unbekanntes und entdeckt unbekannte Wirklichkeiten. Zum Beispiel sieht er die Krümmung des Horizonts und folgert daraus, daß die Erde rund sei. So steht der Polarstern in 'Akká im 33. Grad, das heißt, er ist 33 Grad über dem Horizont. Wenn man auf den Nordpol zugeht, erhebt sich der Polarstern mit jedem Breitengrad, den man zurücklegt, um einen Grad über den Horizont, das heißt, seine Höhe wird 34, dann 40 und 50, dann 60 und 70 Grad betragen. Erreicht man den Nordpol, wird der Polarstern senkrecht darüber stehen, das heißt, zu einer Höhe von 90 Grad oder zum Zenit gelangt sein. Dieser Polarstern und sein Höhersteigen sind sinnlich wahrnehmbare Dinge. Je näher man dem Pol kommt, desto höher steigt der Polarstern; durch diese zwei bekannten Tatsachen wurde etwas Unbekanntes entdeckt, daß nämlich der Horizont gekrümmt ist: Das bedeutet, daß jeder Breitengrad der Erde einen etwas anderen Horizont hat. Der Mensch begreift dies und weist daraus etwas nach, was nicht gesehen werden kann, nämlich die Kugelgestalt der Erde. Das zu verstehen ist für das Tier nicht möglich. Ebenso kann es nicht verstehen, daß die Sonne der Mittelpunkt ist, um den sich die Erde dreht. Das Tier ist der Gefangene seiner Sinne und von ihnen gefesselt; alles, was außer dem Bereich der Sinne liegt, die Dinge, die sie nicht beherrschen, kann das Tier niemals verstehen, obwohl es, was die äußeren Sinne anbelangt, dem Menschen überlegen ist. Somit wurde bewiesen und als wahr bestätigt, daß es im Menschen eine Entdeckerkraft gibt, durch die er vor dem Tier ausgezeichnet ist, und diese ist der Menschengeist.
Gelobt sei Gott! Der Mensch ist immer auf das Höhere hin gerichtet, und sein Trachten geht nach oben; er möchte stets zu einer größeren Welt als der, auf der er lebt, gelangen und zu einem höheren Kreis als dem, in dem er steht, aufsteigen. Das Streben nach Erhöhung ist eines der menschlichen Kennzeichen. Ich bin erstaunt, daß manche Denker in Amerika und Europa sich damit zufrieden geben, der Welt des Tieres nahezukommen und somit Rückschritte zu machen; denn der Zweck des Daseins muß auf Erhöhung gerichtet sein. Wenn man einem von ihnen sagen wollte, er sei ein Tier, so wäre er sehr verletzt und aufgebracht.
Welch ein Unterschied besteht zwischen der menschlichen Welt und der Welt des Tieres, zwischen der Erhöhung des Menschen und der Erniedrigung des Tieres, der Vollkommenheit des Menschen und der Unwissenheit des Tieres, der Erleuchtung des Menschen und dem Unverständnis des Tieres und zwischen der Herrlichkeit des Menschen und der Niedrigkeit des Tieres! Ein zehnjähriges Araberkind kann zwei- oder dreihundert Kamele in der Wüste beaufsichtigen und sie mit seiner Stimme vorwärts oder rückwärts führen. Ein mächtiger Elefant wird von einem schwachen Hindu so gelenkt, daß er ihm in völligem Gehorsam dient. Alle Dinge werden von der Hand des Menschen beherrscht; er kann der Natur Widerstand leisten, während alle anderen Geschöpfe ihre Gefangenen sind; keines kann sich von den Naturgesetzen frei machen. Der Mensch allein kann der Natur widerstehen. Die Schwerkraft zieht alle Körper zur Erdmitte hin; der Mensch entfernt sich durch mechanische Mittel von ihr und segelt in der Luft. Die Natur verbietet dem Menschen, das Meer zu durchkreuzen, aber er baut sich Schiffe und fährt und reist mitten durch die Ozeane, und so weiter; dies ist ein endloses Thema. Zum Beispiel fährt der Mensch mit Hilfe von Motoren über Berge und durch Wüsten, und er sammelt alle Nachrichten aus Ost und West an einem Punkt. All dies widerspricht der Natur. Das Meer in seiner gewaltigen Größe kann nicht um ein Atom von den Naturgesetzen abweichen; die Sonne in all ihrer Pracht kann nicht um eine Nadelspitze von den Gesetzen abgehen und kann niemals die Seinsweisen, die Stufe, die Eigenschaften, das Leben und die Natur des Menschen verstehen.
Welches ist denn die Kraft in diesem kleinen menschlichen Körper, die dies alles umfaßt? Was ist diese beherrschende Kraft, mit der sich der Mensch alle Dinge unterwirft?
Noch einen weiteren Punkt gibt es: Moderne Gelehrte sagen: "Wir haben noch nie den Geist im Menschen gesehen, und trotz unseres Eindringens in die Geheimnisse des menschlichen Körpers nehmen wir keine geistige Kraft wahr. Wie können wir uns eine Kraft vorstellen, die durch die Sinne nicht wahrnehmbar ist?" Die Theologen antworten: "Auch der Geist des Tieres ist nicht wahrnehmbar und kann durch die körperlichen Kräfte nicht bemerkt werden. Wodurch beweist man die Existenz des Geistes des Tieres? Es herrscht kein Zweifel, daß man aus seinen Wirkungen den Schluß zieht, daß das Tier eine Kraft hat, die der Pflanze fehlt, und dies ist die Kraft der Sinne, das heißt Gesicht, Gehör und noch andere Kräfte; aus diesen folgert man, daß es einen Geist des Tieres gibt. Ebenso schließen wir aus den Beweisen und Zeichen, die wir erwähnt haben, daß es einen Menschengeist gibt. Da das Tier Kennzeichen aufweist, die der Pflanze fehlen, sagt man, diese Kraft der Sinnesempfindung sei eine Eigentümlichkeit des Geistes des Tieres. Auch im Menschen sieht man Zeichen, Kräfte und Vollkommenheiten, die im Tier nicht existieren; deshalb folgert man, daß in ihm eine Kraft ist, die dem Tier fehlt."
Wenn wir alles leugnen wollten, was durch die Sinne nicht wahrnehmbar ist, müßten wir Wirklichkeiten leugnen, die unstreitig bestehen. Zum Beispiel ist der Äther durch die Sinne nicht wahrnehmbar, obwohl er zweifellos existiert. Die Schwerkraft ist durch die Sinne nicht erkennbar, und doch ist sie sicherlich vorhanden. Wie beweist sich uns ihr Dasein? Durch ihre Wirkungen. So ist dieses Licht Schwingung des Äthers, und aus diesen Schwingungen schließen wir auf sein Vorhandensein.
Frage: Was sagen Sie zu den Theorien, die einige europäische Gelehrte über die Entwicklung und Entfaltung der Lebewesen aufgestellt haben?
Antwort: Über dieses Thema wurde neulich schon gesprochen, doch wollen wir noch einmal darüber reden. Um es kurz zu fassen, diese Frage wird durch die Feststellung entschieden, ob die Arten ursprünglich sind oder nicht. Das heißt, bestand die Gattung Mensch von Urbeginn an oder stammt sie vom Tierreich ab?
Gewisse europäische Wissenschaftler sind sich darüber einig, daß die Arten sich entfalten und entwickeln, ja daß sogar Wandlung und Änderung möglich seien. Einer der Beweise, den sie für diese Theorie ins Feld führen, ist, daß es durch genaue Forschungen und Nachprüfungen der geologischen Wissenschaft klar geworden sei, daß das Dasein der Pflanzen dem der Tiere und das Dasein der Tiere dem der Menschen vorangegangen sei. Sie glauben, daß sich sowohl die pflanzliche als auch die tierische Art geändert hätten, denn in einigen Schichten der Erde wurden Pflanzen entdeckt, die es früher gab und die jetzt ausgestorben sind; sie hätten sich entwickelt, an Widerstandskraft zugenommen und ihre Form und ihr Aussehen geändert, und so hätten sich auch die Arten gewandelt. Ebenso gäbe es in den Schichten der Erde einige Gattungen von Tieren, die sich geändert und umgebildet hätten. Eines dieser Tiere sei die Schlange. Es gäbe Hinweise, daß die Schlange früher Füße gehabt habe; aber im Laufe der Zeit seien diese Glieder verschwunden. Auch in der menschlichen Wirbelsäule ist ein Anzeichen, das auf den Beweis hinauslaufe, daß der Mensch wie andere Tiere einmal einen Schwanz gehabt habe. Früher sei dieses Glied nützlich gewesen, aber als sich der Mensch weiterentwickelte, sei es nicht länger von Nutzen gewesen und deshalb allmählich verschwunden. Und die Schlange habe ihre Zuflucht unter der Erde gefunden und sei ein kriechendes Tier geworden; da sie so ihre Füße nicht mehr brauchte, seien sie verschwunden, aber ihre Spuren seien übrig geblieben. Ihr Hauptargument ist, daß das Vorhandensein der Spuren von Körperteilen beweise, daß diese früher existiert hätten; da sie jetzt aber nicht mehr von Nutzen seien, wären sie allmählich verschwunden. Während also die vollentwickelten, notwendigen Glieder erhalten geblieben sind, seien die unnötigen durch die Wandlung der Art allmählich verschwunden, aber ihre Spuren dauerten fort.
Die erste Antwort auf diese Beweisführung ist, daß die Tatsache, daß das Tier vor dem Menschen da war, weder für die stetige Entwicklung, die Änderung und den Wandel der Arten ein Beweis ist, noch dafür, daß der Mensch von der Tier- zur Menschenwelt erhoben wurde. Denn wenn es als sicher gilt, daß das Erscheinen dieser verschiedenen Lebewesen gesondert erfolgte, dann ist es auch möglich, daß der Mensch nach dem Tier ins Dasein trat. So sehen wir, wenn wir im Pflanzenreich nachforschen, daß die Früchte der verschiedenen Bäume nicht zur gleichen Zeit reifen; im Gegenteil, die einen kommen früher, die anderen später. Dieser zeitliche Vorrang beweist nicht, daß die späten Früchte eines Baumes von den frühen Früchten eines anderen Baumes abstammen.
Zweitens liegt in diesen kleinen Anzeichen und Spuren von Gliedern vielleicht eine große Weisheit, von der nur der Verstand noch keine Kenntnis hat. Wie viele Dinge gibt es, deren Sinn wir noch nicht kennen! So sagt die Wissenschaft der Physiologie, das heißt die Lehre von den Lebensvorgängen, daß der Sinn und die Ursache der Verschiedenheit in den Farben der Tiere und des menschlichen Haares, der Röte der Lippen und der mannigfaltigen Buntheit der Vögel noch unbekannt seien; diese sind geheim und verborgen. Aber es ist bekannt, daß die Pupille des Auges schwarz ist, um die Strahlen der Sonne aufzufangen; denn wenn es eine andere Farbe wäre, zum Beispiel gleichförmig weiß, würde sie die Strahlen der Sonne nicht auf sich lenken. Da also der Sinn der erwähnten Dinge unbekannt ist, ist es möglich, daß der Sinn und die Weisheit dieser Anzeichen von Gliedern, seien sie bei Tier oder Mensch, gleichermaßen noch nicht bekannt sind. Sicherlich haben sie einen zweck, wenn er auch noch unbekannt ist.
Drittens wollen wir annehmen, daß es eine Zeit gegeben habe, als einige Tiere, oder sogar der Mensch, Glieder besessen haben, die jetzt verschwunden sind; auch dies wäre kein ausreichender Beweis für den Wandel und die Evolution der Arten. Denn der Mensch durchschreitet vom Beginn seiner embryonalen Entwicklung bis zur Reife verschiedene Formen und Erscheinungsweisen. Sein Aussehen, seine Gestalt, seine Erscheinung und seine Farbe wechseln; er gelangt von einer Gestalt zur anderen und von einem Aussehen zum anderen. Trotzdem gehört er von Beginn der embryonalen Entwicklung an zur menschlichen Art, das heißt, er ist der Embryo eines Menschen und nicht eines Tieres; dies aber ist nicht sogleich sichtbar, sondern wird erst später offenkundig und klar. Nehmen wir zum Beispiel an, daß der Mensch einmal dem Tier ähnlich gesehen und daß er dann Fortschritte gemacht und sich verändert habe; angenommen, dies sei richtig, so wäre es immer noch kein Beweis für die Wandlung der Art; nein, wie schon erwähnt, gleicht sie lediglich dem Wechsel und der Änderung des menschlichen Embryos, bis er die Stufe der Vernunft und Vollkommenheit erreicht. Drücken wir es noch klarer aus: Nehmen wir an, daß es eine Zeit gab, als der Mensch auf Händen und Füßen ging oder einen Schwanz hatte; diese Änderung und Wandlung gleicht der des Fötus im Mutterleib; obwohl er sich in jeder Hinsicht wandelt und sich entwickelt und entfaltet, bis er die vollkommene Gestalt erreicht, ist er von Anfang an eine besondere Art. Auch im Pflanzenreich sehen wir, daß sich die ursprüngliche Art der Gattung nicht ändert und wandelt, aber Gestalt, Farbe und Größe wechseln und verändern sich oder machen sogar Fortschritte.
Zusammengefaßt: Wie der Mensch im Mutterleib von Form zu Form, von Gestalt zu Gestalt schreitet, sich verändert und entwickelt und dennoch von Anbeginn der embryonalen Periode zur menschlichen Art gehört, ebenso ist der Mensch seit Beginn seines Daseins im Schoße der Welt eine besondere Art, das heißt Mensch, und hat sich schrittweise von einer Form zur anderen entwickelt. Diese Veränderung des Aussehens, diese Evolution der Glieder, diese Entwicklung und Entfaltung, auch wenn wir die Wirklichkeit von Entwicklung und Fortschritt¹ einräumen, sind deshalb keine Beweise gegen die Ursprünglichkeit der Art. Der Mensch hatte von allem Anfang an diese vollkommene Form und Zusammensetzung, er hatte die Fähigkeit und Begabung, materielle und geistige Vollkommenheiten zu erwerben, und war die Offenbarung der Worte: "Laßt uns den Menschen schaffen nach unserem Bild und Gleichnis." Er wurde nur gefälliger, schöner und anmutiger. Die Kultur brachte ihn aus seinem wilden Zustand heraus, gerade wie die wilden Früchte, die durch einen Gärtner veredelt werden, schöner und süßer werden und mehr Frische und Schmackhaftigkeit gewinnen.
Die Gärtner der Welt der Menschheit sind die Propheten Gottes.
¹ Das heißt, wenn wir zum Beispiel zugeben, daß der Mensch früher ein Vierfüßler gewesen sei oder einen Schwanz gehabt habe.
Die Beweise, die Wir bezüglich des Ursprungs der menschlichen Art angeführt haben, waren logische; jetzt wollen Wir die geistigen Beweise geben, die wesentlich sind. Denn wie Wir Gott durch logische Beweise bezeugt haben und verstandesmäßig bewiesen haben, daß der Mensch von seinem Ursprung und Anbeginn an Mensch war und daß seine Art von aller Ewigkeit an bestand, so werden Wir jetzt geistige Beweise aufstellen, daß das menschliche Dasein - das heißt die Art des Menschen - notwendig ist und daß ohne den Menschen die Vollkommenheiten Gottes nicht offenbar würden. Dies sind aber geistige und keine logischen Beweise.
Wir haben oft gezeigt und festgestellt, daß der Mensch das edelste Geschöpf, der Inbegriff aller Vollkommenheiten ist, und daß alle Geschöpfe und jedes Dasein die Mittelpunkte sind, von denen die Herrlichkeit Gottes zurückstrahlt, das heißt, die Zeichen der Göttlichkeit Gottes sind in den Wirklichkeiten der Dinge und Geschöpfe sichtbar. So wie die Erdkugel der Ort ist, wo die Strahlen der Sonne widergespiegelt werden - da ihr Licht, ihre Wärme und ihr Einfluß in allen Atomen der Erde sichtbar und deutlich sind -, genauso verkündet und bezeugt jedes Atom der Schöpfung in diesem unendlichen Raum eine der göttlichen Vollkommenheiten. Nichts ist von diesem Vorrecht ausgeschlossen; entweder ist es ein Zeichen der Gnade Gottes oder ein Zeichen Seiner Macht, Seiner Größe, Seiner Gerechtigkeit oder Seiner Herrschaft, die Erziehung verleiht; oder es ist ein Zeichen der Freigebigkeit Gottes, Seines Sehens, Seines Hörens, Seines Wissens, Seiner Gunst und so weiter.
Zweifellos ist jedes einzelne Dasein der Mittelpunkt des Aufleuchtens der Herrlichkeit Gottes, das heißt, aus ihm erscheinen die Vollkommenheiten Gottes und strahlen in ihm. Es ist der Sonne gleich, ob sie in der Wüste, auf die See, in den Bäumen, Früchten und Blüten und auf alle irdischen Dinge strahlt. Die Welt, ja jedes einzelne Dasein, verkündet uns einen der Namen Gottes, aber die Wirklichkeit des Menschen ist die vereinte Wirklichkeit, die umfassende Wirklichkeit, und ist der Mittelpunkt, aus dem die Herrlichkeit aller Vollkommenheiten Gottes hervorleuchtet. Das heißt, für jeden Namen, jede Eigenschaft und jede Vollkommenheit, die wir von Gott bezeugen, gibt es ein Zeichen im Menschen; wäre es anders, könnte sich der Mensch diese Vollkommenheiten nicht vorstellen und sie nicht begreifen. So sagen wir, daß Gott der Sehende und das Auge das Zeichen Seines Sehens ist; wenn diese Sicht nicht im Menschen wäre, wie könnten wir Gottes Sehen uns vorstellen? Denn der Blinde, nämlich der Blindgeborene, kann sich das Sehen nicht vorstellen; und der Taube, das heißt der von Geburt Taube, kann sich das Hören nicht vorstellen; und der Tote¹ kann sich das Leben nicht vergegenwärtigen. Also spiegelt sich die Göttlichkeit Gottes, die der Inbegriff aller Vollkommenheiten ist, in der Wirklichkeit des Menschen wider, das heißt, das innerste Wesen der Einheit ist der Sammelpunkt für alle Vollkommenheiten, und von dieser Einheit wirft Er einen Widerschein auf die menschliche Wirklichkeit. Mithin ist der Mensch der vollkommene Spiegel gegenüber der Sonne der Wahrheit und ist der Mittelpunkt der Ausstrahlung: Die Sonne der Wahrheit erscheint in diesem Spiegel. Der Widerschein der göttlichen Vollkommenheiten erscheint in der Wirklichkeit des Menschen, und so ist er der Vertreter Gottes, Sein Gesandter. Wenn der Mensch nicht wäre, wäre die Welt ohne Sinn, denn der Zweck des Daseins ist die Offenbarung der Vollkommenheiten Gottes.
¹ Das heißt, der geistig Tote,
Darum kann man nicht sagen, es habe eine Zeit ohne Menschen gegeben. Wir können höchstens sagen, daß diese Erdkugel einmal nicht existierte und der Mensch anfangs nicht auf ihr erschien. Aber vom Anfang, der keinen Anfang hat, bis zum Ende, das kein Ende hat, gibt es immer eine vollkommene Offenbarung. Dieser Mensch, von dem Wir sprechen, ist nicht jedermann; Wir meinen den vollkommenen Menschen. Denn der edelste Teil des Baumes ist die Frucht, die der Sinn seines Daseins ist; hätte der Baum keine Frucht, so hätte er keinen Sinn. Darum kann man sich nicht vorstellen, daß die Welten des Seins, seien es die Sterne oder diese Erde, einmal von Eseln, Kühen, Mäusen und Katzen bewohnt wurde, während der Mensch fehlte! Diese Annahme ist falsch und widersinnig. Das Wort Gottes ist klar wie die Sonne. Dies ist ein geistiger Beweis, den Wir aber zum Vorteil der Materialisten nicht zu Beginn vorbringen können; zuerst müssen Wir von verstandesmäßigen Beweisen sprechen, die geistigen kommen später.
Frage: Hat der Mensch von Anfang an Geist und Verstand besessen, oder sind sie das Ergebnis seiner Evolution?
Antwort: Der Beginn des menschlichen Daseins auf der Erdkugel ähnelt seinem Werden im Schoße der Mutter. Der Embryo im Mutterleib wächst und entwickelt sich allmählich bis zur Geburt, nach der er weiterwächst und sich entfaltet, bis er das Alter der Mündigkeit und Reife erreicht. Obwohl schon in der Kindheit die Zeichen des Verstandes und Geistes im Menschen erscheinen, erreichen sie noch nicht den Grad der Vollkommenheit, sondern sind unvollkommen. Erst wenn der Mensch die Reife erreicht, zeigen sich Verstand und Geist und werden in größter Vollendung offenbar.
So war auch das Werden des Menschen im Schoße der Erde anfänglich dem des Embryos ähnlich; dann schritt der Mensch langsam zur Vollendung vorwärts und wuchs und entwickelte sich, bis er den Grad der Reife erreichte, als Verstand und Geist in größter Kraft sichtbar wurden. Zu Beginn seines Werdens waren Verstand und Geist wohl schon vorhanden, aber sie waren noch verborgen; erst später wurden sie offenbar. Im Schoße der Mutter waren Verstand und Geist auch schon im Embryo vorhanden, aber sie waren verborgen und erschienen erst später. So ist schon im Samenkorn der Baum vorhanden, aber noch verborgen und unsichtbar; wenn es sich entwickelt und entfaltet, erscheint der fertige Baum. Ebenso schreiten das Wachstum und die Entwicklung alles Erschaffenen allmählich fort; dies ist das allumfassende göttliche Gesetz und die Ordnung der Natur. Der Same wird nicht sofort zum Baum, der Embryo wird nicht auf einmal zum Menschen, das Mineral wird nicht plötzlich zum Stein. Nein, sie wachsen und entwickeln sich allmählich, bis sie zum Höhepunkt der Vollendung gelangen.
Alle Seinsformen, ob groß oder klein, wurden von Anfang an vollkommen und vollendet erschaffen, aber ihre Vollkommenheiten werden erst nach und nach in ihnen sichtbar. Es gibt nur `eine Ordnung Gottes`, nur `eine Entwicklung des Daseins`, nur `einen göttlichen Plan`. Ob klein oder groß, alle Daseinsformen stehen unter `einem Gesetz` und `einer Ordnung`. Jedes Samenkorn hat von Anfang an alle pflanzlichen Vollkommenheiten in sich. Zum Beispiel sind im Samen alle Vollkommenheiten des Pflanzenreichs von Anfang an vorhanden, wenn auch nicht sichtbar; nach und nach erscheinen sie später. So ist es zuerst der Schößling, der aus dem Samen erscheint, dann der Stengel, die Blätter, Blüten und Früchte; aber von Beginn seines Daseins sind alle diese Dinge potentiell, wenn auch nicht sichtbar, im Samen vorhanden.
In gleicher Weise besitzt der Embryo von Anfang an alle Vollkommenheiten, wie Geist und Verstand, Gesicht, Geruch und Geschmackssinn - mit einem Wort, alle Kräfte -, aber sie sind noch nicht sichtbar, sondern werden es nur schrittweise.
In ähnlicher Weise wurde die Erde von Anfang an mit allen ihren Elementen, Stoffen, Mineralen, Atomen und Organismen erschaffen; diese traten aber nur stufenweise in Erscheinung: zuerst das Mineral, dann die Pflanze, später das Tier und schließlich der Mensch. Aber von Anfang an waren diese Gattungen und Arten vorhanden, nur waren sie unentwickelt in der Erde und erschienen dann erst nach und nach. Denn die höchste Ordnung Gottes und das allgemein bindende Gesetz der Natur umfassen alles Sein, und alles untersteht dieser Regel. Wenn man dieses allumfassende System betrachtet, sieht man, daß es kein Dasein gibt, das schon bei seinem Entstehen den Höhepunkt der Vollendung erreicht hat. Nein, alles entwickelt und entfaltet sich allmählich und erreicht erst dann den Grad der Vollkommenheit.
Frage: Was ist der Sinn des Erscheinens des Geistes im Körper?
Antwort: Die Weisheit für das Erscheinen des Geistes im Körper liegt darin: Der Menschengeist ist ein von Gott anvertrautes Gut und muß alle Stufen durchlaufen; denn seine Entwicklung und sein Schreiten durch die Erscheinungsweisen des Daseins sind das Mittel, Vollkommenheiten zu erwerben. Wenn zum Beispiel ein Mensch verschiedene Gegenden und zahlreiche Länder nach einem bestimmten Plan und System durchwandert und durchreist, so ist dies sicherlich ein Mittel, sich Vollkommenheit zu erwerben; denn er wird Orte, Schauplätze und Länder sehen und sich dadurch ein Bild von dem Zustand und den Lebensbedingungen anderer Völker machen. Er wird so mit der Geographie der Länder, ihren Sehenswürdigkeiten und Kunstfertigkeiten bekannt werden; er wird sich mit den Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten der Leute vertraut machen und die Kultur und den Fortschritt des Zeitalters erkennen; und er wird sich der Politik der Regierungen und der Macht und der Leistungsfähigkeit jedes Landes bewußt werden. Ebenso ist es, wenn der Menschengeist die Erscheinungsweisen des Daseins durchläuft: er wird sich jeden Grad und jede Stufe aneignen. Auch auf der Stufe des Körpers wird er sicherlich Vollkommenheiten erwerben.
Außerdem ist es notwendig, daß die Zeichen der Vollkommenheit des Geistes in dieser Welt sichtbar werden, damit die Welt der Schöpfung unendlich viele Früchte hervorbringe und dieser Körper¹ Leben erhalte und die göttlichen Segensgaben offenbare. So müssen zum Beispiel die Sonnenstrahlen auf die Erde scheinen, und die Wärme der Sonne muß alles irdische Dasein entwickeln; wenn die Strahlen und die Wärme der Sonne die Erde nicht erreichten, bliebe sie unbewohnt und bedeutungslos und ihre Entwicklung würde verzögert werden. Ebenso wäre diese Welt finster und völlig tierisch, wenn sich nicht die Vollkommenheiten des Geistes in ihr zeigen würden. Durch das Erscheinen des Geistes in körperlicher Form wird diese Welt erleuchtet. Wie der Geist des Menschen die Ursache für das Leben des Körpers ist, so entspricht die Welt dem Körper und der Mensch dem Geist. Wenn der Mensch nicht wäre, würden die Vollkommenheiten des Geistes nicht erscheinen, und das Licht des Verstandes würde in dieser Welt nicht strahlen. Diese Welt wäre wie ein Körper ohne Seele.
¹ Die Welt.
Man kann diese Welt auch mit einem Obstbaum vergleichen, und der Mensch entspricht der Frucht; ohne Frucht wäre der Baum nutzlos.
Überdies sind diese Glieder, diese Teile und diese Zusammensetzung, die im menschlichen Organismus zu finden sind, Anziehungspunkte und ein Magnet für den Geist; es ist sicher, daß der Geist sich in ihnen zeigen wird. So wird ein Spiegel, wenn er rein ist, sicherlich die Sonnenstrahlen auf sich ziehen. Er wird hell werden, und wunderbare Bilder werden sich in ihm zeigen. Das heißt, wenn diese bestehenden Elemente nach der natürlichen Ordnung und mit vollständiger Kraft zusammengesetzt werden, werden sie zum Magnet für den Geist, und der Geist wird in ihnen mit allen seinen Vollkommenheiten offenbar.
Unter diesen Umständen kann man nicht fragen: "Warum müssen die Sonnenstrahlen auf den Spiegel fallen?" - denn die Verbindung, die zwischen den Wirklichkeiten der Dinge besteht, seien sie geistig oder stofflich, macht es notwendig, daß das Licht der Sonne im Spiegel erscheint, wenn er rein und der Sonne zugewandt ist. Ebenso wird der Menschengeist, wenn die Elemente in der herrlichsten Anordnung, Planmäßigkeit und Weise geordnet und verbunden werden, in ihnen erscheinen und offenbar werden. Dies ist der Ratschluß des Allmächtigen, des Weisen.
Frage: Welcher Art ist die Verbindung zwischen Gott und Geschöpf, das heißt zwischen dem Unabhängigen, dem Höchsten und den anderen Wesen?
Antwort: Die Beziehung zwischen Gott und den Geschöpfen ist die des Schöpfers zur Schöpfung; es ist wie die Verbindung zwischen der Sonne und den dunklen Körpern abhängiger Seinsformen und ist die Verbindung zwischen dem Erzeuger und den Dingen, die er hervorgebracht hat. Die Sonne ist in ihrem eigenen Wesen unabhängig von den Körpern, die sie erleuchtet; denn ihr Licht besteht in sich und ist frei und unabhängig von der Erdkugel; somit steht die Erde unter dem Einfluß der Sonne und erhält ihr Licht, während die Sonne und ihre Strahlen völlig unabhängig von der Erde sind. Gäbe es aber keine Sonne, könnten die Erde und alles irdische Dasein nicht bestehen.
Die Abhängigkeit der Geschöpfe von Gott ist eine Abhängigkeit der Emanation, das heißt, die Geschöpfe emanieren aus Gott, aber treten nicht aus Ihm heraus.¹ Die Verbindung ist die der Emanation und nicht die der Manifestation. Das Licht der Sonne emaniert aus ihr, aber es tritt nicht aus ihr heraus. Das Ins-Dasein-Treten durch Emanation gleicht dem Erscheinen der Strahlen des Lichtes der Horizonte der Welt, das heißt, das heilige innerste Wesen der Sonne der Wahrheit erfährt keine Teilung und steigt nicht zur Stufe der Geschöpfe herab. In gleicher Weise wird auch der Sonnenball nicht geteilt und steigt nicht zur Erde nieder, sondern die Strahlen der Sonne, die ihr Segen sind, emanieren aus ihr und erhellen die dunklen Körper.
¹ Emanation und Manifestation: siehe das nächste +53.Kapitel
Das Erscheinen durch Manifestation dagegen ist das Offenbarwerden der Stengel, Blätter, Blüten und Früchte aus dem Samen; denn der Same wird in seinem eigenen Wesen zu Zweigen und Früchten, und seine Wirklichkeit geht in die Zweige, Blätter und Früchte ein. Solches Erscheinen durch Manifestation wäre für Gott den Erhabenen reine Unvollkommenheit und ist deshalb völlig ausgeschlossen; denn dann wäre die natürliche Folge, daß der Allewige durch sterbliche Eigenschaften begrenzt wäre; wenn das aber so wäre, würde absolute Unabhängigkeit zu nichts als Mangel und wahres Sein zu Nichtsein werden; dies aber ist unmöglich.
Darum emanieren alle Geschöpfe aus Gott, das heißt, es liegt bei Gott, daß alle Dinge verwirklicht werden und ins Dasein gelangen. Das Erste, was aus Gott emanierte, ist jene allumfassende Wirklichkeit, die die alten Philosophen als "Erste Vernunft" bezeichneten, und die die Bahá'í "Erster Wille" nennen. Diese Emanation ist bezüglich ihrer Wirksamkeit in der Welt Gottes nicht durch Zeit oder Raum begrenzt, sie hat weder Anfang noch Ende; Anfang und Ende sind bei Gott ein und dasselbe. Die Präexistenz Gottes ist die Ewigkeit des Wesens und auch der Zeit, und das Werden der Schöpfung ist ein wesenhaftes Werden und kein zeitliches, wie Wir schon einmal bei Tisch erklärt haben.¹
¹ Vgl. Kapitel 80
Wenn auch die "Erste Vernunft" keinen Anfang hat, so hat sie doch nicht an Gottes Präexistenz teil, denn das Dasein dieser allumfassenden Wirklichkeit ist im Vergleich zu Gottes Sein ein Nichts und hat nicht die Macht, sich Gott zuzugesellen und Ihm in der Präexistenz gleichgestellt zu werden. Auch diese Frage wurde schon früher erklärt.¹
¹ Vgl. Kapitel 28 und 37
Das Dasein aller lebenden Dinge bedeutet Zusammensetzung und ihr Tod Auflösung. Die umfassende Materie und die Elemente werden jedoch nicht völlig zerstört und vernichtet, sondern ihr Nichtsein ist bloß Umwandlung. Wenn zum Beispiel der Mensch stirbt, wird er zu Erde, aber nicht zu reinem Nichts; er existiert immer noch in Form von Erde, aber eine Umwandlung hat stattgefunden, und jener Zusammensetzung widerfuhr die Auflösung. Ebenso ist es mit der Aufhebung anderen Daseins, denn Dasein wird nicht zu absolutem Nichtsein, und absolutes Nichtsein kann nicht zu Dasein werden.
Frage: In der Bibel heißt es, daß Gott den Geist in den Körper des Menschen eingehaucht habe. Was ist die Bedeutung dieses Verses?
Antwort: Wisse, daß es zwei Arten des Hervorgehens¹ gibt: Das Hervorgehen und Erscheinen durch Emanation und das Hervorgehen und Erscheinen durch Manifestation. Das Hervorgehen durch Emanation gleicht dem Hervorkommen der Handlung vom Handelnden, der Schrift vom Schreiber. Die Schrift emaniert also aus dem Schreiber, die Rede aus dem Redner, und in gleicher Weise emaniert der Menschengeist aus Gott. Es ist nicht so, daß er aus Gott austritt - das heißt, kein Teil hat sich von der göttlichen Wirklichkeit gelöst, um in den menschlichen Körper einzugehen. Nein, wie die Rede aus dem Redner emaniert, so erscheint der Geist im Körper des Menschen.
¹ Wörtlich: Abhängigkeit
Das Hervorgehen durch Manifestation dagegen¹ ist die Offenbarung der Wirklichkeit eines Dinges in anderen Formen, wie das Hervorkommen dieses Baumes aus dem Samen des Baumes, oder das Entstehen der Blume aus dem Samen der Blume; denn es ist der Same selbst, der in Form der Zweige, Blätter und Blumen erscheint. Dies wird das Hervorgehen durch Manifestation¹ genannt. Der Menschengeist ist mit Beziehung auf Gott abhängig durch Emanation, so wie die Rede aus dem Redner und die Schrift aus dem Schreiber hervorgehen, das heißt, der Redner wird nicht selbst zur Rede und der Schreiber zur Schrift, sondern sie gehen vielmehr durch Emanation hervor. Der Redner behält seine vollständige Fähigkeit und Kraft, und die Rede emaniert aus ihm wie die Tat vom Täter. Der wahre Redner, das Wesen der Einheit, bleibt immer auf der einen Stufe, die sich weder ändert noch wechselt, weder Wandlung noch Änderung unterworfen ist. Er ist der Ewige, der Unsterbliche. Darum geht der Menschengeist aus Gott durch Emanation hervor. Wenn es in der Bibel heißt, daß Gott dem Menschen Seinen Geist eingehaucht habe, so emaniert dieser Geist, der Rede gleich, aus dem wahren Redner und tritt in der Wirklichkeit des Menschen in Kraft.
¹ Im Sinne des Austritts.
Das Hervorgehen durch Manifestation aber, im Sinne der göttlichen Widerspiegelung und nicht als Aufspaltung in Teile verstanden, bedeutet, wie Wir schon sagten, das Hervorgehen und Erscheinen des Heiligen Geistes und des Wortes, das von Gott ist. Wie es im Johannesevangelium heißt: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott"; der Heilige Geist und das Wort sind also die Erscheinungen Gottes. Geist und Wort bedeuten die göttlichen Vollkommenheiten, die in der Wirklichkeit Christi erschienen, und diese Vollkommenheiten waren bei Gott; dies ist so wie die Sonne, die ihre ganze Herrlichkeit im Spiegel offenbart. Denn das Wort bedeutet nicht den Körper Christi, sondern die göttlichen Vollkommenheiten, die in Ihm offenbar wurden. Christus war wie ein reiner Spiegel, der der Sonne der Wahrheit zugekehrt war, und die Vollkommenheiten der Sonne der Wahrheit, das heißt ihr Licht und ihre Wärme, erschienen und zeigten sich in diesem Spiegel. Wenn wir in den Spiegel blicken, sehen wir die Sonne und sagen, es ist die Sonne. Darum sind das Wort und der Heilige Geist, die die Vollkommenheiten Gottes bedeuten, göttliche Erscheinung. Das ist die Bedeutung des Verses im Evangelium: "Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort"; denn die göttlichen Vollkommenheiten sind vom Wesen der Einheit nicht verschieden. Die Vollkommenheiten Christi werden das Wort genannt, weil alle Geschöpfe im Zustand von Buchstaben sind und ein einzelner Buchstabe keine volle Bedeutung hat, während die Vollkommenheiten Christi die Macht des Wortes haben, weil aus einem Wort eine vollständige Bedeutung gefolgert werden kann. Da die Wirklichkeit Christi die Offenbarung der göttlichen Vollkommenheiten war, war sie wie das Wort. Und warum? Weil Er der Inbegriff vollkommener Bedeutungen war. Darum wird Er das Wort genannt.
Und wisse, daß das Hervorgehen des Wortes und des Heiligen Geistes aus Gott, das das Hervorgehen und Erscheinen der Offenbarung ist, nicht so verstanden werden darf, als ob sich die Wirklichkeit Gottes in Teile aufgespalten habe oder zu einer Mehrzahl geworden wäre oder gar von den Höhen der Heiligkeit und Reinheit herabgestiegen wäre. Gott behüte! Wenn ein reiner, klarer Spiegel der Sonne zugewandt ist, werden das Licht und die Wärme, die Gestalt und das Bild der Sonne mit solcher Offenbarung in ihm erstrahlen, daß es wahr ist, wenn ein Betrachter von der Sonne, die im Spiegel erscheint und strahlt, sagt: "Das ist die Sonne." Trotzdem bleibt der Spiegel ein Spiegel und die Sonne die Sonne. Die eine Sonne, selbst wenn sie in zahlreichen Spiegeln erscheint, ist `eine`. Diese Stufe ist weder ein Wohnen noch ein Eingehen, weder ein Sichvermischen noch ein Herabsteigen; denn Eingehen, Wohnen, Herabsteigen, Ausgehen und Sichvermischen sind Notwendigkeiten und Eigentümlichkeiten des Körpers, nicht des Geistes; wieviel weniger also gehören sie zur geheiligten und reinen Wirklichkeit Gottes. Gott ist frei von allem, was nicht Seiner Reinheit und Seiner erhabenen und majestätischen Heiligkeit entspricht.
Die Sonne der Wahrheit bleibt, wie Wir schon sagten, immer auf der einen Stufe; sie kennt keinen Wechsel, keine Änderung, keine Umformung, keine Wandlung. Sie ist immerwährend und ewig. Aber die heilige Wirklichkeit des Wortes Gottes ist auf der Stufe des reinen, klaren und glänzenden Spiegels; die Wärme, das Licht, das Bild und Gleichnis, das heißt die Vollkommenheiten der Sonne der Wahrheit, erscheinen in ihm. Darum sagte Christus im Evangelium: "Der Vater ist im Sohn", das heißt, die Sonne der Wahrheit erscheint im Spiegel. Preis sei dem Einen, Der auf diese heilige Wirklichkeit schien, die geheiligt ist unter den Geschöpfen!
Frage: Worin liegt der Unterschied zwischen Verstand, Geist und Seele?
Antwort: Es wurde schon zuvor erklärt, daß sich der Geist in fünf Stufen einteilen läßt, und zwar in den Geist der Pflanze, den Geist des Tieres und den Menschengeist, den Geist des Glaubens und den Heiligen Geist.
Der Geist der Pflanze ist die Kraft des Wachstums, die durch die Einwirkungen der Umwelt auf das Samenkorn hervorgerufen wird.
Der Geist des Tieres ist die Kraft aller Sinne, die durch Verbindung und Vermischung von Grundstoffen verwirklicht wird. Wird diese Verbindung zersetzt, geht auch die Kraft zugrunde und wird aufgehoben. Es ist mit ihr wie mit dieser Lampe: Wenn Öl, Docht und Feuer verbunden werden, brennt sie; wenn diese Zusammensetzung aber aufgelöst wird, das heißt, wenn die verbundenen Teile voneinander getrennt werden, erlischt auch die Lampe.
Der Menschengeist, der den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die mit Vernunft begabte Seele; und diese zwei Begriffe - Menschengeist und mit Vernunft begabte Seele - bezeichnen dasselbe. Dieser Geist, der in der Sprache der Philosophen die mit Vernunft begabte Seele ist, erfaßt alle Wesen und entdeckt - soweit es die menschlichen Fähigkeiten zulassen - die wahre Natur der Dinge; er weiß um ihre Eigentümlichkeit und ihren Sinn und um die charakteristische Eigenart und Besonderheit der Seinsformen. Wenn er aber nicht durch den Geist des Glaubens gefördert wird, kann er die himmlischen Rätsel und die göttliche Wirklichkeit nicht begreifen. Er ist wie ein Spiegel: Er mag noch so blank, feingeschliffen und blendend sein - er muß dem Lichte zugekehrt werden. Er kann die himmlischen Geheimnisse nicht eher entdecken, als bis sich ein Strahl der Sonne in ihm widerspiegelt.
Der Verstand ist die Kraft des Menschengeistes. Der Geist ist die Lampe, der Verstand das Licht, das aus ihr strahlt. Geist ist der Baum, Verstand die Frucht. Verstand ist die Krone des Geistes und seine wesentliche Eigenschaft, so wie die Strahlen die wesensmäßige Notwendigkeit der Sonne sind.
Diese Erklärung ist vollständig, wenn auch kurz. Denke deshalb darüber nach, und so Gott will, werden dir die näheren Einzelheiten klar werden.¹
¹ Wenn man das gegenwärtig verfügbare englische Bahá'í-Schrifttum zum Thema Leib, Seele und Geist studiert, wird man von einer gewissen Unklarheit behindert, weil nicht alle Texte auf denselben Übersetzer zurückgehen und bekanntlich viele Bahá'í-Schriften noch nicht übersetzt sind. Zweifellos scheinen Geist und Seele in ihrer Bedeutung manchmal vertauscht worden zu sein; auch Seele und Verstand (engl.mind) sind in der Bedeutung vertauscht worden, ohne Zweifel wegen der Schwierigkeiten, die aus verschiedenen Übersetzungen herrühren. Der Glaube der Bahá'í geht indessen dahin, daß es sozusagen drei Gesichtspunkte unseres Menschseins gibt: einen Leib, einen Verstand und eine unsterbliche Identität - Seele oder Geist. Wir glauben, daß der Verstand das Bindeglied zwischen der Seele und dem Leib ist und daß beide aufeinander einwirken. (Shoghi Effendi durch seinen Sekretär am 7. Juni 1946; vgl. Arohanui: Letters from Shoghi Effendi to New Zooland, Bahá'í Publishing Trust, Fiji 1982 p.89)
Der Mensch hat fünf äußere Kräfte, die die Ursachen der Wahrnehmung sind, das heißt, mit diesen fünf Sinnen nimmt der Mensch das stoffliche Dasein wahr. Diese sind das Gesicht, das die sichtbaren Formen wahrnimmt; das Gehör, das die hörbaren Laute vernimmt; der Geruch, der die Gerüche bemerkt; der Geschmack, der der Nahrung gewahr wird; und das Tastgefühl, das in allen Teilen des Körpers ist und die greifbaren Dinge spürt. Diese fünf Kräfte nehmen das äußere Dasein wahr.
Der Mensch hat auch geistige Kräfte: die Vorstellungsgabe, die sich Dinge vorstellt; die Denkkraft, die über Wirklichkeiten nachsinnt; das Begriffsvermögen, das Wirklichkeiten erkennt; das Gedächtnis, das festhält, was der Mensch sich vorstellt, denkt und begreift. Der Vermittler zwischen den fünf äußeren und den inneren Kräften ist der Sinn, den sie gemeinsam haben, das heißt der Sinn, der zwischen den äußeren und inneren Sinnen wirkt und den inneren Kräften übermittelt, was die äußeren wahrnehmen. Er wird Gemeinsinn genannt, weil er die äußeren und inneren Kräfte miteinander verbindet und ihnen so gemeinsam ist.
Zum Beispiel ist das Sehen eine der äußeren Kräfte; es sieht und nimmt diese Blume wahr und übermittelt diese Wahrnehmung der inneren Kraft - dem Gemeinsinn -, die sie dem Vorstellungsvermögen weitergibt, das seinerseits dieses Bild vorstellt und formt und es an die Denkkraft weiterleitet; diese denkt nach und, wenn sie die Wirklichkeit verstanden hat, leitet sie sie dem Begriffsvermögen zu; nachdem dieses sie begriffen hat, überreicht es das Bild des wahrgenommenen Gegenstandes dem Gedächtnis, das es in seinem Speicher aufbewahrt.
Es gibt fünf äußere Sinne: die Kraft des Sehens und Hörens, des Geschmacks und Geruchs und des Tastgefühls.
Und es gibt auch fünf innere Sinne: den Gemeinsinn und die Kräfte der Vorstellung, des Denkens, des Begreifens und des Gedächtnisses.
Frage: Wie viele menschliche Charakterarten gibt es, und was ist die Ursache der Verschiedenartigkeit und Mannigfaltigkeit der Menschen?
Antwort: Es gibt den angeborenen, den ererbten und den erworbenen Charakter; der letztere bildet sich durch die Erziehung.
Zum angeborenen Charakter: Obwohl die göttliche Schöpfung absolut gut ist, kommt die Mannigfaltigkeit der natürlichen Eigenschaften der Menschen vom Unterschied ihrer Stufe; alle sind gut, aber sie sind es mehr oder weniger, je nach der Stufe. So besitzt das ganze Menschengeschlecht Verstand und Fähigkeiten, aber Verstand, Fähigkeiten und Bedeutung der einzelnen weichen voneinander ab. Dies ist offenkundig.
Nimm zum Beispiel eine Anzahl Kinder derselben Familie, des gleichen Ortes und derselben Schule, unterrichtet vom nämlichen Lehrer, aufgezogen bei derselben Kost, im gleichen Klima und mit der nämlichen Kleidung, die alle dasselbe lernen, so werden zweifellos unter diesen Kindern einige in den wissenschaftlichen Fächern sehr geschickt, einige von durchschnittlicher Fähigkeit und einige schwerfällig sein. Es ist daher klar, daß es in der ursprünglichen Natur einen Unterschied der Stufe und Verschiedenheiten der Fähigkeit und Bedeutung gibt. Dieser Unterschied besagt aber nichts über Gut oder Böse, sondern ist lediglich eine Verschiedenheit des Grades. Einer steht auf der höchsten Stufe, einer auf der mittleren und einer auf der untersten. So gibt es den Menschen und auch das Tier, die Pflanze und das Mineral, aber die Stufen dieser vier Daseinsarten sind verschieden. Welch ein Unterschied liegt zwischen dem Dasein des Menschen und dem des Tieres! Doch beide sind Daseinsformen. Es ist offensichtlich, daß es im Dasein Unterschiede von Stufen gibt.
Die Mannigfaltigkeit der ererbten Charaktereigenschaften kommt aus der Stärke und Schwäche der Konstitution; das heißt, wenn beide Eltern schwach sind, werden die Kinder schwächlich; sind sie stark, werden auch die Kinder kräftig. Ebenso hat die Reinheit des Blutes einen großen Einfluß, denn der gesunde Keim ist wie die edle Zucht, die es bei Pflanzen und Tieren gibt. Zum Beispiel sieht man, daß Kinder von schwachen und gebrechlichen Eltern eine entsprechend schwächliche Konstitution und keine widerstandsfähigen Nerven haben werden; sie werden leidend sein, weder Geduld, noch Ausdauer, noch Entschlußkraft, noch Beharrlichkeit haben und voreilig sein; denn Kinder erben die Schwächlichkeit und Gebrechlichkeit ihrer Eltern.
Darüber hinaus wurde einigen Familien und Geschlechtern ein besonderer Segen verliehen. So ist es eine besondere Segnung, daß von den Nachkommen Abrahams alle Propheten der Kinder Israel kommen sollten. Dies ist eine Gnade, die Gott dieser Nachkommenschaft gewährt hat: Moses von Vater- und Mutterseite, Christus vom Geschlecht Seiner Mutter, auch Muhammad und dem Báb und allen Propheten und den heiligen Offenbarern Israels.¹
¹ ??? hier fehlt ein ganzer Satz !!!
Somit ist es augenscheinlich, daß es auch einen ererbten Charakter gibt, und zwar in einem solchen Maß, daß Nachkommen, wenn ihre Eigenschaften nicht ihrer Abstammung entsprechen, geistig nicht als Glieder der Familie angesehen werden, obwohl sie körperlich jenem Geschlecht angehören; wie zum Beispiel Kanaan¹, der nicht zum Geschlecht Noahs gezählt wird.
¹ Vgl. 1 Mose 9:25
Die Verschiedenheit der Charaktere aber, die durch Erziehung entsteht, ist sehr schwerwiegend, denn die Erziehung hat großen Einfluß. Durch sie wird der Unwissende gelehrt, der Feige mutig; durch Zucht wird der verwachsene Zweig gerade, die sauren, bitteren Früchte der Berge und Wälder werden süß und köstlich, und die fünfblättrige Blume wird hundertblättrig. Durch Erziehung werden wilde Völker kultiviert, und sogar die Tiere werden ans häusliche Leben gewöhnt. Erziehung muß als außerordentlich wichtig angesehen werden; denn wie Krankheiten in der körperlichen Welt sehr ansteckend sind, genauso sind Eigenschaften des Geistes und der Seele äußerst ansteckend. Erziehung hat einen allumfassenden Einfluß, und die durch sie verursachten Unterschiede sind sehr groß.
Vielleicht wird jemand sagen, daß der Unterschied der Fähigkeiten - nachdem Fähigkeiten und Bedeutung der Menschen verschieden sind - zweifellos an den Charakterverschiedenheiten schuld sei.¹
¹ Dies würde bedeuten, daß niemand für seinen Charakter verantwortlich wäre
Dies ist aber nicht so; denn es gibt zwei Arten von Fähigkeiten, angeborene und erworbene. Die angeborenen Fähigkeiten, die von Gott erschaffen sind, sind unbedingt gut - in der Schöpfung Gottes gibt es nichts Böses; aber die erworbenen Fähigkeiten wurden zur Ursache der Erscheinung des Bösen. Zum Beispiel hat Gott alle Menschen so erschaffen und ihnen so eine Körperbeschaffenheit und solche Fähigkeiten gegeben, daß ihnen Zucker und Honig guttun, Gift aber Schaden und Verderben bringt. Diese Veranlagung und Konstitution ist angeboren, und Gott hat sie dem ganzen Menschengeschlecht in gleicher Weise verliehen. Aber manche Menschen beginnen, sich ganz allmählich an Gift zu gewöhnen, indem sie jeden Tag eine kleine Dosis nehmen und sie langsam steigern, bis es schließlich dahin kommt, daß sie ohne das tägliche Gramm Opium nicht leben können. Die natürlichen Fähigkeiten werden also völlig umgekehrt. Beachte wohl, wie sehr die angeborenen Fähigkeiten und die Konstitution verändert werden können, bis sie durch verschiedene Gewohnheiten und Erziehung ganz ins Gegenteil umgeschlagen sind. Man tadelt schlechte Menschen nicht wegen ihrer angeborenen, sondern vielmehr wegen ihrer erworbenen Fähigkeiten und Veranlagungen.
In der Schöpfung gibt es nichts Böses; alles ist gut. Gewisse Eigenschaften und Charakterzüge, die manchen Menschen angeboren und scheinbar tadelnswert sind, sind es nicht in Wirklichkeit. Zum Beispiel kann man bei einem Säugling schon von Anfang seines Lebens an die Zeichen von Begierde, Ärger und Zorn bemerken. Es könnte also gesagt werden, Gut und Böse seien der Wirklichkeit des Menschen angeboren, und dies stehe im Widerspruch zum reinen Gutsein der Natur und Schöpfung. Die Antwort darauf ist, daß Begierde, die ja ein Verlangen nach Mehr bedeutet, eine lobenswerte Eigenschaft ist, vorausgesetzt, daß sie am rechten Platz angewandt wird. Wenn also ein Mensch begierig ist, sich Wissen und Kenntnisse zu erwerben oder mitfühlend, großmütig und gerecht zu werden, so ist dies sehr anerkennenswert. Wenn er seinen Ärger und Zorn gegen blutdürstige Unterdrücker, die wilden Tieren gleichen, richtet, so ist dies ebenfalls sehr lobenswert; wenn er aber diese Eigenschaften nicht in der richtigen Weise anwendet, so sind sie zu tadeln.
Somit ist es klar, daß es in der Schöpfung und Natur das Böse schlechthin nicht gibt; wenn aber die angeborenen menschlichen Eigenschaften auf unrechte Art angewandt werden, sind sie zu verurteilen. Wenn zum Beispiel ein großzügiger Reicher einem Armen Geld schenkt, damit er seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreite, der Arme aber diese Summe für unrechte Dinge ausgibt, so ist dies tadelnswert. Ebenso ist es mit allen natürlichen menschlichen Eigenschaften, die das Kapital des Lebens bilden; wenn sie auf unrechte Weise sich zeigen und angewandt werden, werden sie tadelnswert. Es ist daher klar, daß die Schöpfung absolut gut ist. Bedenke, daß der schlechteste Charakterzug und die abscheulichste Eigenschaft, die die Quelle allen Übels darstellen, die Lüge ist. Man kann sich keine schlechtere oder tadelnswertere Eigenschaft vorstellen; sie zerstört alle Vollkommenheit des Menschen und führt zu zahllosen Lastern. Es gibt keine schlechtere Eigenschaft als sie; sie ist der Ursprung alles Bösen. Trotzdem, wenn ein Arzt einen Kranken mit den Worten beruhigt: "Gott sei Dank, dein Zustand ist besser geworden, es besteht Hoffnung auf Genesung", so können diese Worte, auch wenn sie im Widerspruch zur Wahrheit stehen, vielleicht zum Trost für den Kranken und zum Wendepunkt seiner Krankheit werden. Das ist nicht zu tadeln.
Diese Frage ist jetzt deutlich geklärt.
Frage: Welchen Grad hat die Geisteskraft der menschlichen Welt, und welches sind ihre Grenzen?
Antwort: Wisse, daß es verschiedene Arten der Geisteskraft gibt; ihre niederste Stufe ist die der Tiere, das heißt, das natürliche Gefühl, das sich durch die Kraft der Sinne zeigt und Sinneswahrnehmung genannt wird. Diese Geisteskraft haben Mensch und Tier gemeinsam; in bezug auf die Sinne sind sogar manche Tiere dem Menschen überlegen. Aber unter den Menschen ist die Geisteskraft verschieden und andersartig, je nach den verschiedenen menschlichen Stufen.
Die oberste Stufe der Geisteskraft in der natürlichen Welt ist die Geisteskraft der mit Vernunft begabten Seele. An dieser Geisteskraft und an dieser Fähigkeit haben alle Menschen teil, seien sie unachtsam oder wachsam, Gläubige oder Gottesleugner. Diese mit Vernunft begabte menschliche Seele ist Gottes Schöpfung; sie umgreift und überragt die anderen Geschöpfe; weil sie hervorragend und edler ist, umfaßt sie die Dinge. Die Kraft der mit Vernunft begabten Seele kann die Wirklichkeiten der Dinge entdecken, die Eigentümlichkeiten der Geschöpfe begreifen und die Geheimnisse des Daseins ergründen. Alle Wissenschaften, Künste, Wunderwerke, Einrichtungen, Entdeckungen, Unternehmungen und alles Wissen kommen von der angewandten Geisteskraft der mit Vernunft begabten Seele. Es gab eine Zeit, als sie unbekannte, ungelöste Rätsel und verborgene Geheimnisse waren; die mit Vernunft begabte Seele hat sie nach und nach entdeckt und aus dem Bereich des Unsichtbaren und Verborgenen auf die Ebene des Sichtbaren gebracht. Dies ist die größte Fähigkeit der Geisteskraft in der natürlichen Welt, die, sich zu ihren höchsten Höhen emporschwingend, die Wirklichkeiten, Eigentümlichkeiten und Wirkungen alles Erschaffenen erkennt.
Die allumfassende göttliche Geisteskraft aber, die jenseits der Natur steht, ist überströmender Segen der ewigen Macht. Diese allumfassende Geisteskraft ist göttlich; sie umfaßt die Wirklichkeiten alles Seins und empfängt das Licht der Geheimnisse Gottes. Sie ist eine wissende Kraft, keine Kraft des Suchens und Forschens. Die geistige Kraft der natürlichen Welt ist eine Kraft des Forschens, und durch ihre Untersuchungen entdeckt sie die Wirklichkeiten der Dinge und die Eigentümlichkeiten des Daseins. Aber die himmlische geistige Kraft, die jenseits der Natur steht, umfaßt die Dinge, weiß um sie, kennt und versteht sie, ist sich der Geheimnisse, Wirklichkeiten und göttlichen Bedeutungen bewußt und enthüllt die verborgenen Wahrheiten des Königreichs. Diese göttliche geistige Kraft ist das besondere Merkmal der heiligen Offenbarer und der Aufgangspunkte der Prophetenschaft; ein Strahl dieses Lichts fällt auf die Spiegel der Herzen der Rechtschaffenen, und ein Stück und ein Anteil an dieser Kraft kommt zu ihnen durch die heiligen Manifestationen.
Die heiligen Offenbarer haben drei Seinsweisen: die körperliche, die der mit Vernunft begabten Seele und die der Offenbarung der Vollkommenheit und der göttlichen Herrlichkeit. Der Körper erkennt die Dinge nach dem Grad seiner Fähigkeit in der stofflichen Welt, weshalb er in gewissen Fällen physische Schwäche zeigt. Zum Beispiel: "Ich lag im Schlafe und wußte nichts, da wehte der Odem Gottes über Mich hin und erweckte Mich und befahl Mir, den Ruf Gottes zu erheben"; oder als Christus in Seinem dreißigsten Jahr getauft wurde und der Heilige Geist auf Ihn herabkam, der sich vorher nicht in Ihm offenbart hatte. Dies alles bezieht sich auf die körperliche Erscheinungsform der Offenbarer; Ihre himmlische Seinsweise aber umfaßt alle Dinge, kennt alle Geheimnisse, enthüllt alle Zeichen und herrscht über alle Dinge; vor wie nach Ihrer Berufung ist sie die gleiche. Darum sagte Christus: "Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte", das heißt, Änderung und Wandlung in Mir gab es nie und wird es niemals geben.
Frage: Bis zu welchem Grade kann menschliches Verstehen Gott begreifen?
Antwort: Diese Frage erfordert viel Zeit, und ihre Beantwortung so bei Tisch ist nicht leicht; trotzdem wollen wir kurz darüber sprechen.
Wisse, daß es zwei Arten der Erkenntnis gibt: die Erkenntnis des Wesens eines Dinges und die Erkenntnis seiner Eigenschaften. Das Wesen eines Dinges wird durch seine Eigenschaften erkannt, sonst bleibt es unerkannt und verborgen.
Da unsere Kenntnis der Dinge, auch der erschaffenen und begrenzten Dinge, Kenntnis ihrer Eigenschaften und nicht ihres Wesens ist, wie wäre es möglich, die göttliche Wirklichkeit, die unbegrenzt ist, in ihrem Wesen zu erkennen? Denn wir können nur die Eigenschaften eines Dinges begreifen, aber nie sein innerstes Wesen. Zum Beispiel ist das Wesen der Sonne unbekannt, aber es wird durch ihre Eigenschaften, die Wärme und Licht sind, verstanden. Das innerste Wesen des Menschen ist unklar und unbekannt, aber durch seine Eigenschaften wird es gekennzeichnet und erkannt. So wird alles durch seine Eigenschaften und nicht durch sein Wesen erkannt. Obwohl der Verstand alle Dinge umfaßt, und ihr Äußeres von ihm begriffen wird, sind sie doch in bezug auf ihr Wesen unerkannt; sie sind nur hinsichtlich ihrer Eigenschaften bekannt.
Wie sollte da Gott der Herr, Der über alles Begreifen und Verstehen geheiligt ist, in Seinem Wesen erkannt werden? Das heißt, da die Dinge nur durch ihre Eigenschaften und nicht durch ihr Wesen erkannt werden können, ist es sicher, daß die göttliche Wirklichkeit in ihrem Wesen verborgen und nur durch ihre Eigenschaften erkennbar ist. Wie könnte außerdem die erschaffene Wirklichkeit die Wirklichkeit des Schöpfers umfassen? Denn Erkenntnis ist die Folge des Umfassens - Umgreifen muß sein, um das Begreifen zu ermöglichen -, und das Wesen der Einheit umfaßt alles, kann aber selbst nicht umfaßt werden.
Auch die Verschiedenheit der Stufen in der Welt des Daseins ist ein Hemmnis für die Erkenntnis. Zum Beispiel: Dieses Mineral gehört dem Mineralreich an; so weit es auch emporsteigen mag, es kann nie die Kraft des Wachstums verstehen. Die Pflanzen, die Bäume, welchen Fortschritt sie auch machen mögen, können die Sehkraft oder die Kräfte der anderen Sinne nicht begreifen; und das Tier kann sich die Stufe des Menschen, das heißt seine geistigen Kräfte, nicht vorstellen. Der Unterschied der Stufe ist ein Hindernis für die Erkenntnis; die niedrigere Stufe kann die höherstehende nicht verstehen. Wie könnte dann die erschaffene Wirklichkeit die Wirklichkeit des Schöpfers begreifen? Gott erkennen bedeutet also das Verstehen und die Kenntnis Seiner Eigenschaften, aber nicht Seiner Wirklichkeit. Auch diese Erkenntnis der Eigenschaften ist der Fassungskraft und Fähigkeit des Menschen angepaßt, sie ist nicht absolut. Die Weisheit besteht darin, die Wirklichkeit der Dinge, so Wie sie sind, entsprechend der Fassungskraft und Fähigkeit des Menschen zu erkennen. Denn nur bis zum Grade der menschlichen Fassungskraft kann die erschaffene Wirklichkeit die Eigenschaften des Ewigen erkennen. Das Geheimnis Gottes ist über die Erkenntnis der Geschöpfe geheiligt und erhaben, denn alles, was diese sich vorstellen, ist menschliches Verstehen, und die Kraft des menschlichen Verstehens umfaßt nicht die Wirklichkeit des göttlichen Wesens. Alles, was der Mensch zu erkennen fähig ist, sind lediglich die Eigenschaften Gottes, deren Glanz in den Welten und Seelen erscheint und sichtbar wird.
Wenn wir die Welten und Seelen betrachten, sehen wir wunderbare Zeichen der göttlichen Vollkommenheiten, die klar und deutlich sind; denn die Wirklichkeit der Dinge beweist die allumfassende Wirklichkeit. Die Wirklichkeit Gottes mag mit der Sonne verglichen werden, die von der Höhe ihrer Herrlichkeit auf alle Horizonte scheint, und jeder Horizont, jede Seele, empfängt einen Teil ihrer Strahlen. Wenn dieses Licht und diese Strahlen nicht wären, gäbe es kein Leben; jedes Wesen offenbart etwas davon und nimmt an einem Strahl und Stück dieses Lichtes teil. Die Herrlichkeit der Vollkommenheiten, Gnadengaben und Eigenschaften Gottes scheint und strahlt aus der Wirklichkeit des vollkommenen Menschen, das heißt des Einzigartigen, des allumfassenden Offenbarers Gottes. Andere Geschöpfe empfangen nur einen Strahl, aber der allumfassende Offenbarer ist der Spiegel für diese Sonne, die in ihm erscheint und mit allen ihren Vollkommenheiten, Eigenschaften, Zeichen und Wundern in ihm offenbar wird.
Die Erkenntnis der Wirklichkeit Gottes ist unmöglich und unerreichbar, aber die Erkenntnis der Manifestationen Gottes ist die Erkenntnis Gottes, denn die Gnadengaben, die Herrlichkeit und die göttlichen Eigenschaften sind in Ihnen offenbar. Wenn der Mensch daher zur Erkenntnis der Offenbarer Gottes gelangt, so wird er auch die Erkenntnis Gottes gewinnen; und wenn er die Erkenntnis des heiligen Offenbarers außer acht läßt, wird er der Erkenntnis Gottes beraubt. Damit ist festgestellt und bewiesen, daß die heiligen Offenbarer der Mittelpunkt der Gnadengaben, Zeichen und Vollkommenheiten Gottes sind. Gesegnet sind die, die das Licht der göttlichen Gnadengaben von den erleuchteten Aufgangspunkten empfangen!
Wir hoffen, daß die Freunde Gottes wie ein Magnet diese Gnadengaben aus der Quelle selbst an sich ziehen und sich mit solchen Zeichen der Erleuchtung erheben, daß sie zu offenkundigen Beweisen der Sonne der Wahrheit werden.
Nachdem Wir gezeigt haben, daß es den menschlichen Geist gibt¹, wollen Wir seine Unsterblichkeit beweisen.
¹ Vgl. Kapitel 48, Unterschied zwischen Mensch und Tier
Die Unsterblichkeit des Geistes wird in den heiligen Büchern erwähnt; sie ist die wesentliche Grundlage der göttlichen Religionen. Nun heißt es, daß es zwei Arten von Bestrafung und Belohnung gibt. Erstens, die Belohnungen und Bestrafungen dieser Welt; zweitens, diejenigen der anderen Welt. Aber Paradies und Hölle des Daseins sind in allen Welten Gottes zu finden, ob in dieser Welt oder in den geistigen himmlischen Welten. Diese Belohnungen zu verdienen heißt das ewige Leben gewinnen. Darum sagte Christus: "Handelt so, daß ihr ewiges Leben ererbt und daß ihr aus Wasser und Geist geboren werdet, damit ihr ins Reich Gottes kommt."
Die Belohnungen dieses Lebens sind die Tugenden und Vollkommenheiten, die die Wirklichkeit des Menschen schmücken. Zum Beispiel war der Mensch unaufgeklärt und wird erleuchtet, er war unwissend und wird weise, er war unachtsam und wird wachsam, er schlief und wird erweckt, er war tot und wird lebendig, er war blind und wird sehend, er war taub und wird hörend, er war weltlich und wird himmlisch, er war materiell und wird geistig. Durch diese Belohnungen wird er geistig geboren und ein neues Geschöpf. Er wird zur Offenbarung des Verses im Evangelium, wo von den Jüngern gesagt wird, daß sie nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind¹; das heißt, sie wurden von den tierischen Merkmalen und Eigenschaften, die die Kennzeichen der menschlichen Natur sind, befreit und mit den göttlichen Eigenschaften, die die Gabe Gottes sind, ausgezeichnet; dies ist die Bedeutung der zweiten Geburt. Für solche Menschen gibt es keine größere Qual, als von Gott fern zu sein, und keine schmerzlichere Strafe als Lasterhaftigkeit, schlechte Eigenschaften, niedrige Gesinnung und Verstrickung in sinnliche Genüsse. Wenn sie durch das Licht des Glaubens von der Dunkelheit dieser Laster befreit, durch das Strahlen der Sonne der Wirklichkeit erleuchtet und mit allen Tugenden geadelt werden, so halten sie dies für die größte Belohnung und wissen, daß es das wahre Paradies ist. In gleicher Weise betrachten sie es als geistige Bestrafung, das heißt als Qual und Strafe des Daseins, der natürlichen Welt unterworfen zu sein, Gott fern zu sein, roh und unwissend zu sein, fleischlichen Gelüsten zu unterliegen und von sinnlichen Schwächen gefesselt zu sein; mit schlechten Eigenschaften, wie Falschheit, Herrschsucht, Grausamkeit und Abhängigkeit von den Dingen der Welt behaftet und voll teuflischer Gedanken zu sein - für sie sind dies die größten Strafen und Qualen.
¹ Johannes 1:13
Und so sind die Belohnungen der anderen Welt das ewige Leben, das in allen heiligen Büchern deutlich erwähnt wird, die göttlichen Vollkommenheiten, die immerwährenden Gnadengaben und unvergängliche Glückseligkeit. Die Belohnungen der anderen Welt sind die Vollkommenheiten und der Friede, die nach Verlassen dieser Welt in den geistigen Welten erlangt werden, während die Belohnungen dieses Lebens die wahrhaftigen, strahlenden Vollkommenheiten sind, die in dieser Welt verwirklicht werden. Sie sind die Ursache des ewigen Lebens, denn sie sind der wahre Fortschritt des Daseins. Es ist wie der Mensch, der von der embryonalen Welt zur Stufe der Reife schreitet und der zur Offenbarung dieser Worte wird: "Gepriesen sei Gott, der herrlichste Schöpfer." Die Belohnungen der anderen Welt sind Friede, geistige Tugenden, verschiedene geistige Gaben im Reiche Gottes, Erfüllung der Wünsche von Herz und Seele und Begegnung mit Gott in der Welt der Ewigkeit. In gleicher Weise bestehen die Strafen der anderen Welt, das heißt ihre Qualen, im Beraubtsein der besonderen göttlichen Segnungen und vollkommenen Gnadengaben und im Herabsinken auf die niedrigste Stufe des Seins. Jeder, der von diesen göttlichen Gunstbezeigungen ausgeschlossen ist, wird, obwohl er nach dem Tode weiterbesteht, vom Volk der Wahrheit als tot angesehen.
Der logische Beweis für die Unsterblichkeit des Geistes ist, daß von einem nicht existierenden Ding kein Zeichen ausgehen kann; das heißt, es ist unmöglich, daß aus reinem Nichtsein Zeichen erscheinen, denn Zeichen sind die Wirkung eines Daseins, und die Wirkung hängt vom Dasein der Ursache ab. So kann von einer nicht existierenden Sonne kein Licht ausstrahlen, können keine Wellen aus einem nicht vorhandenen Meer erscheinen, und aus einer nicht existierenden Wolke fällt kein Regen; ein nicht vorhandener Baum trägt keine Früchte, und ein nicht existierender Mensch kann weder etwas kundtun noch hervorbringen. Solange also Zeichen eines Daseins erscheinen, sind sie ein Beweis dafür, daß es einen Eigner des Zeichens gibt.
Bedenke, daß das Königreich Christi noch heute besteht. Wie könnte von einem nicht existierenden König ein Reich von solcher Größe errichtet werden? Wie können aus einem nicht vorhandenen Meer die Wogen sich so hoch erheben? Wie können von einem nicht existierenden Garten solch wohlriechende Düfte hervorgebracht werden? Beachte, daß von keinem Dasein, sei es ein Mineral, eine Pflanze oder ein Tier, irgendein Zeichen, eine Wirkung oder ein Einfluß zurückbleibt, nachdem seine Teile zerstreut und seine Elemente aufgelöst sind. Nur die menschliche Wirklichkeit und der menschliche Geist sind es, die auch nach dem Zerfall der Teile, der Zersetzung der Elemente und der Auflösung der Zusammensetzung fortbestehen, weiterhandeln und Kräfte besitzen.
Diese Frage ist sehr tiefgründig, denke genau über sie nach! Es ist ein verstandesmäßiger Beweis, den Wir geben, damit ihn die Klugen auf der Waage der Einsicht und Gerechtigkeit prüfen. Wenn aber der menschliche Geist sich am Reiche Gottes erfreut und zu ihm hingezogen wird, wenn sich die innere Sicht auftut, das geistige Hören erstarkt und die geistigen Gefühle vorherrschen, dann wird er die Unsterblichkeit des Geistes so deutlich wie die Sonne erkennen und die frohen Botschaften und Zeichen Gottes werden ihn umfassen.
Morgen werden Wir weitere Beweise geben.
Gestern sprachen Wir über die Unsterblichkeit des Geistes. Wisse, daß Kraft und Fassungsvermögen des menschlichen Geistes von zweierlei Art sind, das heißt, es gibt zwei verschiedene Weisen des Wahrnehmens und Handelns. Der eine Weg ist mittels Werkzeugen und Organen: Mit diesem Auge sieht er, mit diesem Ohr hört er, und mit dieser Zunge spricht er. Auf diese Weise erfolgt die Tätigkeit des Geistes und die Wahrnehmung der Wirklichkeit des Menschen mit Hilfe von Organen. Mit anderen Worten, der Geist ist durch die Augen der Sehende, durch das Ohr ist er der Hörende und durch die Zunge ist der Geist der Sprechende.
Die andere Äußerung der Kräfte und Handlungen des Geistes erfolgt ohne Werkzeuge und Organe. Zum Beispiel sieht er im Zustand des Schlafes ohne Augen, ohne ein Ohr hört er, ohne eine Zunge spricht er und ohne Füße läuft er. Kurz, diese Handlungen sind jenseits der Mittel von Werkzeugen und Organen. Wie oft kommt es vor, daß der Geist in der Welt des Schlafes einen Traum sieht, dessen Bedeutung erst zwei Jahre später durch entsprechende Ereignisse sichtbar wird. Und wie oft geschieht es, daß ein Problem, das man in der Welt des Wachseins nicht lösen kann, in der Welt der Träume gelöst wird. Im Wachsein sieht das Auge nur auf eine kurze Entfernung, in den Träumen aber sieht der, welcher sich im Osten befindet, den Westen. Im Wachen sieht er die Gegenwart, im Schlafe die Zukunft. Im Wachsein kann er mit schnellen Verkehrsmitteln höchstens zwanzig Parasange in der Stunde¹ reisen, im Schlaf durchmißt er in einem Augenblick den Osten und den Westen. Denn der Geist reist auf zwei verschiedene Arten: ohne Mittel was gleich geistigem Reisen, und mit Hilfsmitteln, was gleich körperlichem Reisen ist, wie Vögel, die fliegen, und solche, die getragen werden.
¹ Parasange = Farsach, persisches und türkisches Längenmaß, das zwischen 7 und 10 km schwankt. - Dies wurde 1904 -1906 geschrieben.
Im Schlafe ist der Körper wie tot; er sieht und hört nicht, fühlt nicht und hat weder Bewußtsein noch Wahrnehmung, das heißt, die Kräfte des Menschen ruhen, aber der Geist ist lebendig und tätig. Ja, sein Einfluß ist stärker, sein Flug höher und seine Erkenntnis größer. Anzunehmen, daß der Geist nach dem Tod des Körpers zugrunde gehe, ist wie die Vorstellung, daß ein Vogel in einem Käfig umkäme, wenn der Käfig zerbrochen wird, obwohl ja der Vogel von der Zerstörung des Käfigs nichts zu fürchten hat. Unser Körper ist dem Käfig und der Geist dem Vogel zu vergleichen. Wir sehen, daß ohne den Käfig dieser Vogel in der Welt des Schlafes fliegt; wenn daher der Käfig zerbricht, wird der Vogel unversehrt weiterleben; seine Empfindungen werden sogar tiefer, seine Wahrnehmungen weiter und sein Glück größer sein. Er ist wahrlich von der Hölle zu einem Paradies der Freuden aufgestiegen, weil es für die dankbaren Vögel kein schöneres Paradies als die Freiheit vom Käfig gibt. Darum eilen auch die Märtyrer in höchster Freude und Glückseligkeit zur Stätte der Hingabe.
Im Wachsein sieht das menschliche Auge höchstens auf eine Wegstunde Entfernung¹, weil durch die Vermittlung des Körpers die Kraft des Geistes so begrenzt wird; mit der inneren Sicht und dem geistigen Auge aber sieht er Amerika, kann wahrnehmen, was dort ist, dortige Zustände entdecken und Angelegenheiten beeinflussen. Wenn nun der Geist mit dem Körper identisch wäre, müßte die Kraft der inneren Schau auch im selben Verhältnis stehen. Es ist also klar, daß dieser Geist etwas anderes ist als der Körper, daß der Vogel etwas anderes ist als der Käfig und daß Kraft und Einfluß des Geistes ohne das Werkzeug des Körpers größer sind. Auch wenn das Werkzeug weggelegt wird, handelt der Besitzer des Werkzeugs weiter. Wenn zum Beispiel die Feder niedergelegt oder zerbrochen wird, so bleibt der Schreiber lebendig und gegenwärtig; wenn ein Haus niedergerissen wird, ist doch der Besitzer da und am Leben. Dies ist einer der logischen Beweise für die Unsterblichkeit der Seele.
¹ Es ist eine persische Sitte, Entfernung durch Zeit zu bestimmen.
Es gibt aber noch einen anderen: Dieser Körper wird schwach oder schwerfällig, krank oder wieder gesund; er wird müde oder ist ausgeruht; manchmal werden Hand oder Bein amputiert, oder seine physische Kraft wird geschwächt; er wird blind, taub oder stumm; seine Glieder können gelähmt werden; kurz, der Körper kann alle Unvollkommenheiten haben. Der Geist jedoch bleibt immerfort und ewig in seinem ursprünglichen Zustand und in seinem eigenen geistigen Wahrnehmungsvermögen; er wird weder von Unvollkommenheit noch von Lähmung befallen. Wenn aber der Körper von Unglück und Krankheit völlig beherrscht wird, geht er der Gaben des Geistes verlustig, einem Spiegel gleich, der, wenn er zerbrochen, schmutzig oder staubig ist, die Strahlen der Sonne nicht zurückwerfen und nicht länger ihre Gaben zeigen kann.
Wir haben schon früher erklärt, daß der Geist des Menschen nicht im Körper ist, weil er von Eintreten und Ausgehen als körperlichen Vorgängen frei und geheiligt ist. Die Verbindung des Geistes mit dem Körper ist wie die der Sonne mit dem Spiegel. Kurz, der menschliche Geist ist in einheitlichem Zustand; er wird weder durch die Krankheit des Körpers krank noch durch dessen Gesundheit geheilt; er wird weder verdorben noch schwach oder elend, weder mager noch leicht oder klein. Das heißt, er wird durch die Schwächen des Körpers nicht beeinträchtigt und zeigt keinerlei Wirkung, auch wenn der Körper schwach wird oder Gehör und Gesicht verliert, oder gar Hände und Füße und Zunge abgenommen werden. Es ist also klar und gewiß, daß der Geist etwas anderes ist als der Körper und daß sein Fortleben von dem des Körpers unabhängig ist; der Geist herrscht im Gegenteil mit größter Erhabenheit über die Welt des Körpers, und seine Macht und sein Einfluß sind wie die Gaben der Sonne im Spiegel sichtbar und offenkundig. Doch wenn der Spiegel staubig wird oder zerbricht, hört er auf, die Strahlen der Sonne zurückzuwerfen.
Wisse, daß die Daseinsstufen auf die Stufen des Dienens, des Prophetentums und der Göttlichkeit beschränkt sind, aber die göttlichen und die abhängigen Vollkommenheiten sind unbegrenzt. Wenn man tief nachdenkt, entdeckt man, daß die Vollkommenheiten des Daseins auch äußerlich unbegrenzt sind, denn man kann nichts finden, das so vollendet wäre, daß man sich nicht noch etwas Höheres vorstellen könnte. Man wird zum Beispiel im Mineralreich keinen Rubin, im Pflanzenreich keine Rose oder im Tierreich keine Nachtigall sehen können, ohne sich vorzustellen, daß es noch bessere Exemplare gäbe. Da die göttliche Gnade unendlich ist, sind auch die menschlichen Vollkommenheiten unendlich. Wenn es möglich wäre, eine Grenze der Vollendung zu erreichen, dann könnte eine der Wirklichkeiten des Daseins zur Stufe der Unabhängigkeit von Gott gelangen, und das Bedingte könnte die Stufe des Unbedingten gewinnen. Aber für jedes Dasein gibt es einen Punkt, den es nicht überschreiten kann; das heißt, wer auf der Stufe des Dienens steht, wird nie - so weit er auch in der Gewinnung grenzenloser Vollkommenheiten fortschreiten mag - die Stufe Gottes erreichen. Dasselbe gilt für die anderen Dinge: Ein Mineral kann, so sehr es auch Fortschritte im Mineralreich macht, die Kraft des Wachstums nicht gewinnen; oder in einer Blume, wie sehr sie sich im Pflanzenreich auch entwickeln mag, wird keine Kraft der Sinne erscheinen. So kann dieses Stück Silber weder Gehör noch Gesicht erlangen; es kann nur auf seiner eigenen Stufe veredelt und ein vollkommenes Metall werden, aber es kann weder die Kraft des Wachstums oder der Sinne erwerben noch lebendig werden; nur auf seiner Stufe kann es Fortschritte machen.
Zum Beispiel kann Petrus nicht Christus werden. Alles, was er tun kann, ist, auf der Stufe des Dienens unendliche Vollkommenheiten zu erwerben; denn jede bestehende Wirklichkeit ist fähig, Fortschritte zu machen. Wie der menschliche Geist nach Ablegen dieser stofflichen Form ewiges Leben hat, ist zweifellos alles Erschaffene fähig, Fortschritte zu machen. Es ist darum erlaubt, für einen Verstorbenen um Fortschritt und Vergebung, Erbarmen, Gnade und Segen zu bitten, weil Dasein des Fortschritts fähig ist. Deshalb wird in den Gebeten Bahá'u'lláhs für die Verstorbenen Verzeihung und Vergebung der Sünden erfleht. Wie die Menschen in dieser Welt Gottes bedürfen, so bedürfen sie Seiner auch in der anderen Welt. Die Geschöpfe brauchen Gott immerdar, aber Er ist absolut unabhängig, ob in dieser Welt oder in der kommenden.
Der Reichtum der anderen Welt ist die Gottnähe. Folglich ist es gewiß, daß jene, die dem göttlichen Hof nahe sind, Fürsprache einlegen dürfen, und diese Fürsprache wird von Gott gebilligt. Aber Fürbitte in der anderen Welt ist nicht gleich der Fürbitte in dieser Welt, sie ist etwas anderes, eine andere Wirklichkeit, die nicht in Worten ausgedrückt werden kann.
Wenn ein reicher Mann bei seinem Tode ein Vermächtnis für die Armen und Schwachen hinterläßt und ihnen einen Teil seines Vermögens überschreibt, kann diese Tat vielleicht zur Ursache seiner Vergebung und Verzeihung und seines Fortschritts im Reiche Gottes werden.
So tragen auch Vater und Mutter unendlich viel Sorge und Mühe um ihre Kinder; und oft, wenn die Kinder das Alter der Reife erreicht haben, gehen die Eltern in die andere Welt ein. Nicht häufig geschieht es, daß Vater und Mutter in dieser Welt den Lohn der Sorge und Mühe, die sie für ihre Kinder auf sich genommen haben, sehen. Dann sollen die Kinder als Dank für diese Sorge und Mühe Wohltätigkeit und Nächstenliebe zeigen und um Vergebung und Verzeihung für ihre Eltern flehen. So mußt du als Dank für die Liebe und Güte, die dir dein Vater gezeigt hat, ihm zuliebe den Armen geben, mit größter Unterwerfung und Demut Verzeihung und Vergebung der Sünden erflehen und um die höchste Gnade bitten.
Es ist sogar möglich, daß die Lage derer, die in Sünde und Unglauben gestorben sind, geändert werden kann; das heißt, sie mögen zum Gegenstand der Verzeihung durch die Gnade Gottes, nicht durch Seine Gerechtigkeit, werden; denn Gnade gibt ohne Verdienst, Gerechtigkeit aber gibt nach Verdienst. Wie wir hier die Kraft haben, für diese Seelen zu beten, so werden wir die gleiche Kraft auch in der anderen Welt, die das Reich Gottes ist, besitzen. Sind nicht alle Wesen jener Welt die Geschöpfe Gottes? Darum können sie auch in jener Welt Fortschritte machen. Wie sie hier durch ihre demütigen Bitten Licht empfangen können, so können sie auch dort um Vergebung flehen und durch Bitten und Beten Licht erlangen. So wie Seelen durch die Hilfe des Bittens, des Flehens und der Gebete der Heiligen in dieser Welt Entfaltung erlangen können, so ist es auch nach dem Tode. Durch ihre eigenen Gebete und demütigen Bitten können sie auch Fortschritte machen, ganz besonders aber, wenn sie Gegenstand der Fürsprache der heiligen Offenbarer sind.
Wisse, daß keine Daseinsform im Zustand der Ruhe verharrt, sondern alles in Bewegung ist. Alles befindet sich entweder im Werden oder im Vergehen, alle Dinge kommen entweder vom Nichtsein ins Dasein oder gehen vom Dasein ins Nichtsein. So ist diese Blume, diese Hyazinthe, während eines bestimmten Zeitabschnitts aus der Welt des Nichtseins entstanden und geht jetzt vom Dasein ins Nichtsein zurück. Diese Art der Bewegung nennt man wesenhaft, das heißt natürlich; sie kann vom Dasein nicht getrennt werden, weil sie seine Wesensnotwendigkeit ist, wie es die Wesensnotwendigkeit des Feuers ist, zu brennen.
Damit ist festgestellt, daß diese Bewegung für das Dasein notwendig ist, das entweder ein Werden oder ein Vergehen ist. Weil der Geist nun nach dem Tode weiterlebt, macht er notwendigerweise Fortschritte oder Rückschritte; und in der anderen Welt ist das Aufhören des Fortschritts dasselbe wie Rückschritt; aber er verläßt nie seine eigene Stufe, auf der er sich weiter entfaltet. Wie weit zum Beispiel die Wirklichkeit des Geistes Petri auch Fortschritte machen mag, die Stufe der Wirklichkeit Christi wird sie nicht erreichen; sie macht nur in ihrer eigenen Umgebung Fortschritte.
Sieh dieses Mineral: So weit es sich auch entfalten mag, es entfaltet sich nur auf seiner eigenen Stufe; man kann dem Kristall keine Stufe verleihen, in der es Sehkraft erlangen kann, dies ist unmöglich. So kann der Mond am Himmel, so sehr er sich auch entwickeln mag nie eine leuchtende Sonne werden; aber auf seiner eigenen Stufe hat er Höhepunkt und Tiefstand. Wie groß die Fortschritte der Jünger sein mögen, sie können nie Christus werden. Es ist wahr, daß Kohle zum Diamant werden kann, aber beide stehen auf der Stufe des Minerals, und ihre Bestandteile sind die gleichen.
Wenn wir das Dasein mit dem erkennenden Auge betrachten, bemerken wir, daß es auf drei Kategorien beschränkt ist, das heißt, als Ganzes gehört es entweder zum Mineral-, Pflanzen- oder Tierreich; jede dieser drei Klassen hat ihre Arten. Der Mensch ist die höchste Gattung, weil er im Besitz der Vollkommenheiten aller Klassen ist, denn er hat einen Körper, der wächst und wahrnimmt. Aber außer den Vollkommenheiten des Minerals, der Pflanze und des Tiers besitzt er noch eine besondere Auszeichnung, die den anderen Daseinsformen fehlt, nämlich die intelligiblen Vollkommenheiten. Darum ist der Mensch das edelste aller Geschöpfe.
Der Mensch steht auf der höchsten Stufe der Materie und am Anfang der Geistigkeit, das heißt, er ist der Abschluß der Unvollkommenheit und der Anbruch der Vollkommenheit. Er steht im letzten Grad der Dunkelheit und am Anfang des Lichts. Darum wurde gesagt, daß die Stufe des Menschen das Ende der Nacht und der Beginn des Tages sei, was bedeutet, daß er der Inbegriff aller Grade der Unvollkommenheit ist und daß er die Grade der Vollkommenheit besitzt. Er hat die tierische Seite so gut wie die engelgleiche Seite; und das Ziel eines Erziehers ist, die menschlichen Seelen so zu bilden, daß ihre engelhafte Seite ihre tierische überwinden kann. Wenn dann die göttliche Kraft im Menschen, die seine wesentliche Vollkommenheit ist, die satanische Kraft, die absolute Unvollkommenheit ist, überwindet, wird er zum vortrefflichsten aller Geschöpfe; siegt aber die satanische Kraft über die göttliche, so sinkt der Mensch zum niedrigsten der Geschöpfe herab. Darum ist er der Abschluß der Unvollkommenheit und der Anbruch der Vollkommenheit. Bei keiner anderen Gattung in der Welt des Daseins besteht so ein Unterschied und Widerspruch, solche Gegensätzlichkeit und Verschiedenheit wie bei der Gattung des Menschen.
So war der Widerschein des göttlichen Lichtes in einem Menschen wie Christus; sieh, wie geliebt und geehrt Er ist! Gleichzeitig sehen wir aber auch den Menschen einen Stein, einen Lehmklumpen oder einen Baum anbeten: Wie tief steht er, als Gegenstand seiner Verehrung die niedrigste Seinsform, nämlich einen Stein oder Lehm ohne Geist, einen Berg, einen Wald oder einen Baum zu nehmen. Gibt es eine größere Schande für einen Menschen, als die niedrigsten Daseinsformen anzubeten? So ist auch die Erkenntnis eine Eigenschaft des Menschen - ebenso Unwissenheit; Aufrichtigkeit ist eine seiner Eigenschaften - aber auch Falschheit; Treue steht neben Verrat, Gerechtigkeit neben Ungerechtigkeit und so weiter. Kurz, alle Vollkommenheiten und Tugenden, wie auch alle Laster, sind Eigenschaften des Menschen. Betrachte ebenso die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen. Christus lebte in menschlicher Gestalt - aber auch Kaiphas; Moses und Pharao, Abel und Kain, Bahá'u'lláh und Yahyá, alle waren Menschen.¹
¹ Mírzá Yahyá (Subh-i-Azal), Halbbruder Bahá'u'lláhs und Sein unversöhnlichster Feind.
Es heißt, daß der Mensch der höchste Vertreter Gottes ist; er ist auch das Buch der Schöpfung, weil alle Geheimnisse des Daseins in ihm beschlossen sind. Wenn er in den Schatten des wahren Erziehers tritt und richtig erzogen wird, wird er zum innersten Wesen der Wesen, zum Licht der Lichter, zum Geist der Geister; er wird zum Mittelpunkt der göttlichen Erscheinungen, zur Quelle geistiger Eigenschaften, zum Dämmerungsort himmlischer Lichter und zum Empfänger göttlicher Eingebungen. Bleibt er dieser Erziehung fern wird er zur Offenbarung teuflischer Eigenschaften, zum Inbegriff tierischer Laster und zur Quelle aller finsteren Zustände.
Der Zweck der Sendung der Propheten ist die Erziehung der Menschen, damit dieses Stück Kohle zum Diamanten und dieser unfruchtbare Baum veredelt werde und die süßesten und köstlichsten Früchte hervorbringe. Wenn der Mensch den edelsten Rang in der menschlichen Welt erreicht, kann er weiteren Fortschritt in den Erscheinungsweisen der Vollkommenheit, nicht aber in der Stufe, machen; denn die Stufen sind begrenzt, die göttlichen Vollkommenheiten aber sind ohne Ende.
Sowohl vor als auch nach dem Ablegen dieser irdischen Gestalt gibt es in der Vollkommenheit Fortschritt, aber nicht in der Stufe. So finden die Daseinsformen im vollkommenen Menschen ihre Vollendung. Es gibt kein höheres Geschöpf als den vollkommenen Menschen. Aber der Mensch kann, wenn er diese Stufe erreicht hat, in der Vollkommenheit noch Fortschritte machen, nicht aber in der Stufe, denn eine höhere als die des vollkommenen Menschen - die für ihn erreichbar wäre - gibt es nicht. Auf der Stufe der Menschheit allein macht er Fortschritte, denn die menschlichen Vollkommenheiten sind unbegrenzt. Wie gelehrt zum Beispiel ein Mensch auch sein mag, wir können uns immer einen noch gelehrteren vorstellen.
Weil die menschlichen Vollkommenheiten unbegrenzt sind, darum kann der Mensch auch nach Verlassen dieser Welt Fortschritte in den Vollkommenheiten machen.
Frage: Im Buch Aqdas heißt es: "Er gehört zum Volk des Irrtums, obwohl er alle guten Taten aufweist". Was bedeutet dieser Vers?
Antwort: Mit diesem gesegneten Vers ist gemeint, daß die Grundlage von Erfolg und Erlösung die Erkenntnis Gottes ist und daß die Folgen der Erkenntnis Gottes die guten Taten sind, die die Früchte des Glaubens darstellen.
Wenn der Mensch diese Erkenntnis nicht hat, ist er von Gott getrennt, und wenn diese Trennung besteht, haben gute Taten keine vollkommene Wirkung. Mit diesem Vers ist nicht gemeint, daß die von Gott getrennten Seelen gleich seien, ob sie gute oder schlechte Taten vollbringen. Er besagt nur, daß die Grundlage die Erkenntnis Gottes ist, und die guten Taten erwachsen aus dieser Erkenntnis. Doch ist es gewiß, daß es zwischen den vor Gott verschleierten Guten, Sündern und Schlechten einen Unterschied gibt. Denn der Verschleierte¹, der gute Grundsätze und Charakterzüge hat, verdient die Vergebung Gottes, während derjenige, der ein Sünder ist und schlechte Eigenschaften und Charakterzüge hat, der Gnadengaben und Segnungen Gottes beraubt ist; darin liegt der Unterschied.
Mit dem gesegneten Vers ist also gemeint, daß gute Taten allein, ohne die Erkenntnis Gottes, nicht zu ewiger Erlösung, zu unvergänglichem Erfolg, zu Glück und zum Eingehen in das Reich Gottes führen können.²
¹ "Verschleierte Seelen" bedeutet hier mit Vernunft begabte Seelen, nämlich Seelen, die nicht den Geist des Glaubens besitzen. Vgl. Kapitel 55 "Seele, Geist und Verstand"
² Vgl. Kapitel 34
Frage: In welcher Weise wird die mit Vernunft begabte Seele fortbestehen, nachdem der Körper zurückgelassen worden ist und der Geist Freiheit erlangt hat? Nehmen wir an, daß die Seelen, denen durch die Gnadengabe des Heiligen Geistes beigestanden wird, zu wahrem Sein und ewigem Leben gelangen; was aber wird aus den mit Vernunft begabten Seelen, das heißt, den verschleierten Seelen?
Antwort: Manche glauben, daß der Körper das Wesentliche sei und aus sich selbst heraus bestehe und daß der Geist nebensächlich sei und von der Wesenheit des Körpers abhänge, obgleich im Gegenteil die vernünftige Seele das Wesentliche ist und der Körper von ihr abhängt. Wenn die Nebensache, das heißt der Körper, zugrunde geht, bleibt das Wesentliche, der Geist, bestehen.
Zweitens steigt die mit Vernunft begabte Seele, also der Menschengeist, nicht in den Körper herab, das heißt, sie tritt nicht in ihn ein, denn Herabkommen und Eintreten gehören zu den Kennzeichen der Körper, die mit Vernunft begabte Seele aber ist davon frei. Der Geist ist nie in diesen Körper eingetreten und braucht auch keine Wohnstätte, wenn er sich vom Körper löst; nein, der Geist ist mit dem Körper nur so verbunden wie dieses Licht mit diesem Spiegel. Wenn der Spiegel rein und vollkommen ist, wird das Licht der Lampe darin sichtbar, und wenn der Spiegel sich mit Staub bedeckt oder zerbricht, verschwindet das Licht.
Die mit Vernunft begabte Seele, das heißt der Menschengeist, ist weder in diesen Körper eingetreten, noch besteht sie durch ihn; warum sollte sie dann nach der Auflösung der Zusammensetzung des Körpers eine Wesenheit brauchen, durch die sie fortbestehen könnte? Im Gegenteil, die mit Vernunft begabte Seele ist die Wesenheit, durch die der Körper besteht.
Die Individualität der mit Vernunft begabten Seele besteht von Anfang an und ist nicht auf die Vermittlung des Körpers zurückzuführen; aber die Stufe und das persönliche Wesen der mit Vernunft begabten Seele können in dieser Welt vervollkommnet werden; entweder macht sie Fortschritte und erreicht die Grade der Vollendung, oder bleibt sie im tiefsten Abgrund der Unwissenheit, verschleiert und des Anblicks der Zeichen Gottes beraubt.
Frage: Durch welche Mittel wird der Menschengeist, das heißt die mit Vernunft begabte Seele, nachdem er sich von dieser vergänglichen Welt gelöst hat, Fortschritte machen?
Antwort: Der Fortschritt des Menschengeistes in der göttlichen Welt erfolgt nach der Trennung seiner Verbindung mit dem Körper aus Staub allein durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes oder durch die Fürsprache und aufrichtigen Gebete anderer menschlicher Seelen, oder auch durch wohltätige Einrichtungen und bedeutende gute Werke, die in seinem Namen durchgeführt werden.
UNSTERBLICHKEIT DER KiNDER
Frage: Welches ist die Stufe von Kindern, die vor Erreichen des gesetzten, mündigen Alters oder vor dem normalen Zeitpunkt der Geburt sterben?
Antwort: Diese Kinder stehen unter dem Schutz der Gnade Gottes; und da sie keine Sünde begangen haben und sich nicht mit den Unreinheiten der natürlichen Welt beschmutzt haben, sind sie der Mittelpunkt der Offenbarung der Großmut, und das Auge des Erbarmens ruht auf ihnen.
Du fragst nach dem ewigen Leben und dem Eingehen in das Reich Gottes. Die Bezeichnung der äußeren Welt für dieses Reich ist "Himmel"; das ist aber ein Vergleich und ein Gleichnis, keine Wirklichkeit oder Tatsache, denn das Königreich ist kein stofflicher Ort, es ist über Zeit und Raum geheiligt. Es ist eine geistige Welt, eine göttliche Welt und der Mittelpunkt der Herrschaft Gottes; es ist frei vom Körperlichen und von allem, was stofflich ist, und ist geläutert und geheiligt über die Vorstellungen der menschlichen Welt. An den Ort gebunden zu sein ist eine Eigentümlichkeit des Körpers und nicht des Geistes. Ort und Zeit umfassen den Körper, nicht den Verstand und die Seele. Beachte, daß der Körper des Menschen auf einen kleinen Raum beschränkt ist; er bedeckt nur zwei Spannen Erde, aber Geist und Verstand des Menschen reisen durch alle Länder und Gegenden, sogar durch den unendlichen Raum des Himmelszeltes, sie umfassen alles Dasein und machen in hohen Regionen und unendlichen Weiten Entdeckungen. Dies kommt daher, weil der Geist an keinen Ort gebunden, sondern raumlos ist; Erde und Himmel sind für ihn gleich, da er in beiden Entdeckungen macht. Der Körper dagegen ist an einen Ort gebunden und hat keine Kenntnis von dem, was außerhalb liegt.
Denn es gibt zwei Arten von Leben, das des Körpers und das des Geistes. Das Leben des Körpers ist ein stoffliches, aber das Leben des Geistes offenbart das Sein des Königreichs, das im Empfangen des Geistes Gottes und im Lebendigwerden durch den Odem des Heiligen Geistes besteht. Obgleich das körperliche Leben existiert, ist es für die geistig Geheiligten reines Nichtsein und völliger Tod. So existiert der Mensch, und auch dieser Stein existiert, aber welch ein Unterschied zwischen dem Dasein des Menschen und dem des Steins! Obwohl der Stein ein Dasein hat, so ist es mit dem des Menschen verglichen ein Nichtsein.
Die Bedeutung des ewigen Lebens ist die Gabe des Heiligen Geistes, so wie die Blume das Geschenk der Jahreszeit, der Luft und der Frühlingswinde empfängt. Beachte wohl, daß diese Blume ursprünglich ein Leben wie das des Minerals hatte; aber durch das Kommen des Frühjahrs, der Gaben der Frühlingswolken und der Wärme der strahlenden Sonne gelangte sie zu einem anderen Leben größter Frische und Feinheit und höchsten Wohlgeruchs. Das erste Leben der Blume ist im Vergleich zu ihrem zweiten Leben Tod.
Das bedeutet, daß das Leben des Königreiches das Leben des Geistes ist, das heißt ewiges Leben, und daß es vom Raum geläutert ist, wie der menschliche Geist, der keinen Ort hat. Denn wenn man den menschlichen Körper untersucht, wird man keinen besonderen Platz oder Ort für den Geist finden, denn er hat nie einen solchen gehabt; er ist unkörperlich. Seine Verbindung mit dem Körper ist wie die der Sonne mit diesem Spiegel. Die Sonne ist nicht im Spiegel, aber sie steht in Verbindung mit ihm.
Ebenso ist die Welt des Königreichs über alles geheiligt, was mit den Augen oder anderen Sinnen, wie Gehör, Geruch, Geschmack oder Tastgefühl, wahrgenommen werden kann. Wo ist der Sitz des Verstandes, dessen Vorhandensein im Menschen doch feststeht? Wenn man den Körper mit dem Auge, dem Ohr oder den anderen Sinnen untersucht, wird man ihn nicht finden; und doch ist er da. Der Verstand hat also keinen Ort, ist aber mit dem Gehirn verbunden. Mit dem Königreich ist es ebenso. Auch die Liebe hat keinen Ort, ist aber mit dem Herzen verbunden; und so hat das Königreich keinen Ort, aber es ist mit dem Menschen verbunden.
Das Eingehen ins Königreich erfolgt durch die Liebe zu Gott, durch Loslösung, durch Heiligkeit und Keuschheit, durch Wahrhaftigkeit, Reinheit, Standhaftigkeit, Treue und das Opfer des Lebens.
Diese Erklärungen zeigen, daß der Mensch unsterblich ist und ewig lebt. Für die, die an Gott glauben, die Liebe und Vertrauen zu Gott haben, ist das Leben wahrhaft gut, das heißt, es ist ewig; für jene Seelen aber, die vor Gott verschleiert sind, ist es, obwohl sie Leben haben, finster, und im Vergleich mit dem Leben der Gläubigen ist es Nichtsein.
Zum Beispiel sind das Auge und der Nagel lebendig; aber das Leben des Nagels ist im Vergleich zu dem des Auges Nichtsein. Dieser Stein und dieser Mensch existieren; aber der Stein existiert im Vergleich zum Dasein des Menschen nicht, er hat kein Sein; denn wenn der Mensch stirbt und sein Körper zugrunde geht und zerfällt, wird er wie Stein und Erde¹. Darum ist es klar, daß das Mineral, obwohl es existiert, im Vergleich zum Menschen nicht existiert.
In gleicher Weise ist das Dasein der vor Gott verschleierten Seelen, obgleich sie in dieser und in der Welt nach dem Tode existieren, im Vergleich mit dem heiligen Leben der Kinder des Reiches Gottes wie Nichtsein und Trennung von Gott.
¹ Die Seele aber lebt fort. (Anm. des Herausgebers.)
Frage: Ist das Schicksal, das in den Heiligen Büchern erwähnt wird, vorherbestimmt? Wenn ja, ist das Bemühen, es zu vermeiden, nicht zwecklos?
Antwort: Es gibt zwei Arten von Schicksal: Das eine ist bestimmt, und das andere ist bedingt oder in der Schwebe. Das bestimmte Schicksal kann nicht geändert oder abgewandelt werden, und das bedingte Schicksal ereignet sich nur möglicherweise. So ist es für diese Lampe das bestimmte Schicksal, daß ihr Öl brennt und sich verzehrt; ihr schließliches Verlöschen ist daher eine Bestimmung, die unmöglich geändert oder abgewandelt werden kann, weil es bestimmtes Schicksal ist. Ebenso wird der menschliche Körper, sobald die in ihm erschaffene Lebenskraft zerstört wird und zu Ende geht, zweifellos zerfallen, wie auch die Lampe sicherlich erlöschen wird, wenn das Öl in ihr verbrannt ist und zu Ende geht.
Bedingtes Schicksal aber kann mit dem Folgenden verglichen werden: Während noch Öl in der Lampe ist, kommt ein heftiger Windstoß, der sie auslöscht. Dies ist bedingtes Schicksal. Es ist weise, ihm auszuweichen, sich vor ihm zu hüten und vorsichtig und achtsam zu sein. Aber das bestimmte Schicksal, das dem Versiegen des Öles in der Lampe gleicht, kann weder geändert noch abgewandelt noch hinausgeschoben werden. Es muß geschehen; es ist unvermeidlich, daß die Lampe erlischt.
Frage: Haben die Gestirne des Himmels irgendeinen Einfluß auf die menschliche Seele oder nicht?
Antwort: Einige Gestirne haben auf den Erdball und das irdische Dasein eine klare und sichtbare materielle Einwirkung, die keiner Erklärung bedarf. Denke an die Sonne, die durch die Hilfe und Vorsehung Gottes die Erde und alles irdische Dasein entwickelt. Ohne das Licht und die Wärme der Sonne würde kein irdisches Geschöpf existieren.
Obgleich es zunächst merkwürdig erscheinen mag, daß die Sterne geistigen Einfluß auf die menschliche Welt ausüben sollen, so wird man doch, wenn man diese Fragen sorgfältig prüft, nicht mehr so sehr darüber verwundert sein. Es ist jedoch nicht meine Meinung, daß die Lehrsätze, die die Astrologen früherer Zeiten aus der Bewegung der Sterne ableiteten, der Wirklichkeit entsprochen haben; denn die Thesen dieser alten Astrologen waren Erscheinungsformen der Einbildungskraft, die von den ägyptischen, assyrischen und chaldäischen Priestern ausgingen oder die vielmehr auf die Phantasien der Hindus und die Mythen der Griechen, Römer und anderer Sternanbeter zurückzuführen sind. Sondern ich meine, daß das unendliche Weltall dem menschlichen Körper zu vergleichen ist, dessen Teile in einem Zusammenhang stehen und in größter Festigkeit miteinander verbunden sind. Wie fest sind die Organe, Glieder und Teile des menschlichen Körpers ineinandergefügt und zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung miteinander verbunden, und wie sehr beeinflussen sie einander! Ebenso sind auch die Glieder und Elemente der Teile dieses unendlichen Weltalls miteinander verbunden und beeinflussen einander geistig und materiell.
Zum Beispiel sieht das Auge, und der ganze Körper wird beeinflußt; das Ohr hört, und alle Teile des Körpers werden davon berührt. Darüber gibt es keinen Zweifel. Das Weltall ist wie ein lebendiger Mensch. Überdies muß die Verbindung, die zwischen den Teilen des Daseins besteht, zwangsweise Wirkung und Einfluß haben, sei es materiell oder geistig.
Für diejenigen, die geistigen Einfluß auf materielle Dinge leugnen, erwähnen Wir folgendes kurze Beispiel: Wunderbare Laute und Töne, Melodien und bezaubernde Stimmen sind Vorgänge, die auf die Luft einwirken - denn Schall ist der Ausdruck für Schwingungen der Luft -, und diese Schwingungen wirken auf die Nerven des inneren Ohres ein, und so entsteht das Hören. Nun überlege, daß die Schwingung der Luft, an sich ein unbedeutender Vorgang, den Menschengeist fesselt oder stört und eine große Wirkung auf ihn ausübt: sie macht ihn weinen oder lachen und beeinflußt ihn vielleicht in einem solchen Maß, daß er sich in Gefahr begibt. Sieh also die Verbindung, die zwischen dem Menschengeist und der Erschütterung der Luft besteht, sodaß die Bewegung der Luft bewirkt, daß der Mensch von einem Zustand in einen anderen versetzt und völlig überwältigt wird; sie kann ihn der Geduld und Ruhe berauben. Bedenke, wie merkwürdig dies ist, denn aus dem Sänger kommt nichts hervor, was in den Hörer hineingeht, und trotzdem wird eine große geistige Wirkung hervorgebracht. Zweifellos muß daher eine solch große Verbindung zwischen allem Erschaffenen geistige Beeinflussungen und Auswirkungen haben.
Es wurde schon erwähnt, daß sich die Glieder und Teile des Menschen gegenseitig beeinflussen und aufeinander einwirken. Zum Beispiel sieht das Auge, und das Herz wird davon berührt; das Ohr hört, und der Geist wird beeindruckt; das Herz ist ruhig, die Gedanken werden heiter, und für alle Teile des menschlichen Körpers wird ein angenehmer Zustand verwirklicht. Was für eine Verbindung und welch ein Einklang ist dies! Da diese Verbindung, diese geistige Wirkung und dieser Einfluß zwischen den Körperteilen des Menschen bestehen, der doch nur eine von vielen endlichen Daseinsformen ist, so besteht sicherlich zwischen diesen umfassenden und unendlichen Daseinsformen auch eine geistige und materielle Verbindung. Obwohl diese Verbindungen mit den gegenwärtigen Methoden und der heutigen Wissenschaft nicht entdeckt werden können, so ist doch ihr Vorhandensein zwischen allem Erschaffenen absolut sicher und klar.
Um zum Schluß zu kommen: Alles Erschaffene, ob groß oder klein, ist durch die vollkommene Weisheit Gottes miteinander verbunden, wirkt aufeinander ein und beeinflußt sich gegenseitig. Wenn es nicht so wäre, würden Unordnung und Unvollkommenheit im System des Alls und der allgemeinen Ordnung des Daseins herrschen. Weil aber alles Dasein in größter Festigkeit miteinander verbunden ist, ist es geordnet an seinem Platz und vollkommen.
Dieses Thema ist einer Untersuchung wert.
Frage: Ist der Mensch in allen seinen Handlungen frei, oder handelt er gezwungen und ohne freie Wahl?
Antwort: Diese Frage ist eine der wichtigsten und schwerverständlichsten göttlichen Probleme. Wenn Gott will, werden wir ein anderes Mal gleich zu Beginn der Mahlzeit uns ausführlich mit der Erklärung dieser Frage befassen; jetzt wollen wir sie nur kurz und in wenigen Worten erläutern. Einige Dinge, wie Gerechtigkeit, Unparteilichkeit, Gewalt und Ungerechtigkeit, unterstehen dem freien Willen des Menschen, wie auch alle guten und schlechten Taten; es ist offenkundig und klar, daß diese Handlungen weitgehend dem Willen des Menschen überlassen sind. Aber es gibt gewisse Dinge, zu denen der Mensch gezwungen ist und denen er sich unterwerfen muß, wie Schlaf, Tod, Krankheit, Verfall der Kräfte, Verletzungen und Unglücksfälle; diese Dinge unterstehen nicht dem Willen des Menschen, und er ist nicht verantwortlich für sie, denn er ist gezwungen, sie zu erdulden. Aber in der Wahl guter und schlechter Taten ist er frei, und er verübt sie nach seinem eigenen Willen.
Zum Beispiel kann er, wenn er will, seine Zeit damit zubringen, Gott zu preisen, oder er kann mit anderen Gedanken beschäftigt sein. Er kann ein durch das Feuer der Liebe Gottes entzündetes Licht sein und ein Menschenfreund, der die Welt liebt, oder er kann ein Menschenhasser und tief in materielle Dinge versunken sein. Er kann gerecht oder grausam sein. Diese Handlungen und diese Taten unterstehen der Kontrolle des Willens des Menschen selbst, folglich ist er für sie verantwortlich.
Aber nun erhebt sich eine andere Frage: Der Mensch ist völlig hilflos und abhängig, denn Macht und Stärke sind hauptsächlich Gott zu eigen. Sowohl Erhöhung als auch Erniedrigung hängen vom Wohlgefallen und Willen des Höchsten ab.
Im Evangelium heißt es, daß Gott einem Töpfer gleicht, der "ein Gefäß zu Ehren und das andere zu unehren" macht.¹ Das entehrte Gefäß hat nun nicht das Recht, den Töpfer zu tadeln und zu sagen: "Warum hast du mich nicht zum kostbaren Becher geformt, der von Hand zu Hand gereicht wird?" Die Bedeutung dieses Verses ist, daß die Stufen des Daseins verschiedene sind. Was auf der niedrigsten Stufe des Daseins steht, wie das Mineral, hat kein Recht, sich zu beklagen und zu sagen: "O Gott, warum hast du mir nicht die Vollkommenheit der Pflanze gegeben?" Auch die Pflanze hat nicht das Recht, sich zu beschweren, daß sie der Vollkommenheiten der tierischen Welt beraubt ist. Gleichermaßen steht es dem Tier nicht zu, über das Fehlen der menschlichen Vollkommenheiten Klage zu führen. Nein, alle diese Daseinsformen sind auf ihrer eigenen Stufe vollendet, und sie müssen sich um die Vollkommenheiten ihrer eigenen Stufe bemühen. Die niedrigeren Daseinsformen haben, wie Wir schon gesagt haben, weder das Recht noch die Eignung für die Stufen der höheren Vollkommenheiten; nein, ihr Fortschritt muß auf der eigenen Stufe erfolgen.
¹ Römer 9:21
Auch die Untätigkeit oder die Bewegung des Menschen hängen von der Hilfe Gottes ab. Wenn ihm nicht geholfen wird, ist er nicht fähig, Gutes oder Böses zu tun. Aber wenn die Hilfe des Lebens von Gott dem Herrn, dem Großmütigen, kommt, ist er fähig, sowohl Gutes als auch Böses zu tun; wird ihm aber der Beistand entzogen, so bleibt er völlig hilflos. Darum wird in den heiligen Büchern von der Hilfe und Unterstützung Gottes gesprochen. So ist dieser Zustand dem eines Schiffes zu vergleichen, das durch die Kraft des Windes oder Dampfes getrieben wird; hört diese Kraft auf, kann sich das Schiff überhaupt nicht bewegen. Trotzdem ist es das Steuer, das das Schiff in jede Richtung lenkt, und die Kraft des Dampfes bewegt es nur in der gewünschten Richtung. Wird es nach Osten gesteuert, fährt es nach Osten, wird es nach Westen gesteuert, fährt es nach Westen. Die Bewegung aber geht nicht vom Schiff selbst aus, sondern vom Wind oder Dampf.
Ebenso empfängt der Mensch bei jeder Art von Tätigkeit oder Untätigkeit Kraft durch die Hilfe Gottes; aber die Wahl des Guten oder Bösen liegt beim Menschen selbst. Wenn zum Beispiel ein König jemanden zum Gouverneur einer Stadt ernennt, ihm die gesetzmäßige Machtbefugnis überträgt und ihm die Wege von Gerechtigkeit und Unrecht entsprechend den Gesetzen zeigt, dieser Gouverneur dann aber Unrecht tut, so wäre der König frei von Ungerechtigkeit, obwohl der Gouverneur im Namen und durch die Macht des Königs handelt. Wenn er aber mit Gerechtigkeit handelte, so geschähe auch das im Namen des Königs, der darüber erfreut und zufrieden wäre.
Das heißt, daß der Mensch, auch wenn die Wahl von Gut und Böse ihm zu eigen ist, unter allen Umständen von der Leben erhaltenden Hilfe, die vom Allmächtigen kommt, abhängig ist. Das Königreich Gottes ist sehr groß, und alle sind in der Hand Seiner Macht Gefangene. Der Diener vermag nichts aus eigener Energie; Gott ist der Starke, der Allmächtige und der Helfer aller Geschöpfe.
Diese Frage wurde zweifellos verständlich gemacht.
Frage: Manche Leute glauben, geistige Entdeckungen zu machen, indem sie Umgang mit Geistern haben. Was für eine Art von Verbindung ist das?
Antwort: Geistige Entdeckungen sind von zweierlei Art: Die eine kommt von der Einbildung und ist nur die Behauptung weniger Menschen; die andere Art gleicht der göttlichen Eingebung, und diese ist wirklich, so wie die Offenbarungen Jesajas, Jeremias und des Heiligen Johannes, die wirklich sind.
Überlege, daß es zwei Arten menschlicher Denkkraft gibt. Die eine Art ist richtig, wenn sie mit einer festgestellten Wahrheit übereinstimmt. Solche Vorstellungen finden ihre Verwirklichung in der äußeren Welt; richtige Meinungen, zutreffende Theorien, wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen gehören dazu.
Die andere Art von Vorstellungen besteht aus eitlen Gedanken und nutzlosen Ideen, die weder Früchte noch Erfolge zeitigen und keine Wirklichkeit haben; sie branden hoch wie die Wellen des Meeres der Einbildungen und vergehen wie leere Träume.
Ebenso gibt es zwei Arten geistiger Entdeckungen. Einmal sind es die Offenbarungen der Propheten und die geistigen Entdeckungen der Auserwählten. Die Visionen der Propheten sind keine Träume; nein, sie sind geistige Entdeckungen und haben Wirklichkeit. Sie sagen zum Beispiel: "Ich sah ein Wesen von bestimmter Gestalt, ich sagte ihm dies, und es antwortete mir jenes." Diese Vision erfolgt in der Welt des wachen Bewußtseins und nicht in der des Schlafes. Es ist vielmehr eine geistige Entdeckung, die so zum Ausdruck gebracht wird, als ob sie das Erscheinen einer Vision wäre.
Die andere Art geistiger Entdeckungen setzt sich aus reinen Einbildungen zusammen; diese aber werden so dargestellt, daß viele arglose Menschen glauben, sie hätten Wirklichkeit. Der klare Beweis dafür ist der, daß aus diesen Geisterzitierungen noch niemals ein Ergebnis oder ein Nutzen gewonnen wurde - sie sind nur Erzählungen und Geschichten.
Wisse, daß die Wirklichkeit des Menschen die Wirklichkeiten der Dinge umfaßt und ihre Wahrheiten, Eigentümlichkeiten und Geheimnisse entdeckt. So wurden alle diese Künste und wunderbaren Sachen, diese Wissenschaften und Kenntnisse von der menschlichen Wirklichkeit entdeckt. Diese Wissenschaften, Kenntnisse, Wunder und Künste waren einmal verborgene und verhüllte Geheimnisse. Die menschliche Wirklichkeit entdeckte sie dann nach und nach und brachte sie aus dem Bereich des Unsichtbaren zur Ebene des Sichtbaren. Es ist daher klar, daß die Wirklichkeit des Menschen die Dinge umfaßt. So ist sie in Europa und entdeckt Amerika; sie weilt auf der Erde und macht Entdeckungen am Himmel. Sie enthüllt die Geheimnisse der Dinge und kennt die Wirklichkeiten des Daseins. Diese Entdeckungen, die der Wirklichkeit entsprechen, ähneln der Offenbarung, die geistige Einsicht, göttliche Eingebung und Verbindung mit dem Menschengeist ist. Zum Beispiel sagt der Prophet: "Ich sah, ich sagte, ich hörte dies und jenes." Daraus geht klar hervor, daß der Geist auch ohne die Vermittlung eines der fünf Sinne, wie der Augen oder Ohren, großes Wahrnehmungsvermögen hat. Unter geistigen Seelen gibt es geistiges Verstehen und Entdecken, eine Verbindung, die von Einbildung und Wahn geläutert ist, und eine Vereinigung, die über Zeit und Raum geheiligt ist. So steht im Evangelium, daß auf dem Berge Tabor Moses und Elias zu Christus kamen, und es ist offenkundig, daß dies keine körperliche Begegnung war. Es war ein geistiges Geschehen, das als leibliche Zusammenkunft dargestellt wird.
Die andere Art der Zusammenkunft, Gegenwart und Mitteilungen von Geistern ist nichts als Einbildung und Wahn, die nur so aussehen, als ob sie Wirklichkeit wären.
Verstand und Denken des Menschen entdecken manchmal Wahrheiten, und von diesem Gedanken und dieser Entdeckung gehen sichtbare Zeichen und Ergebnisse aus. Dieser Gedanke hat eine Grundlage; aber viele Dinge kommen dem Menschen in den Sinn, die wie Wogen aus dem Meere der Einbildungen sind, sie tragen keine Frucht, und keine Wirkung geht von ihnen aus. Ebenso sieht der Mensch in der Welt des Schlafes ein Traumbild, das sich später genau verwirklicht; ein andermal sieht er einen Traum, der überhaupt keine Auswirkung hat.
Was Wir sagen wollen, ist, daß dieses Geschehen, das man Umgang und Unterhaltung mit Geistern nennt, von zweierlei Art ist: Die eine ist nur in der Einbildung vorhanden, und die andere ist wie die Visionen, von denen in der Heiligen Schrift berichtet wird, wie zum Beispiel die Offenbarungen von Johannes und Jesaja und die Begegnung Christi mit Moses und Elias. Diese sind Wirklichkeit, sie erzielen wunderbare Ergebnisse in den Köpfen und Gedanken der Menschen und bewirken, daß ihre Herzen angezogen werden.
Frage: Einige Menschen heilen die Kranken durch geistige Mittel, das heißt ohne Arznei. Wie ist das zu erklären?
Antwort: Wisse, daß es vier Arten der Behandlung und Heilung ohne Arznei gibt. Zwei davon beruhen auf materiellen und zwei auf geistigen Ursachen.
Von den beiden Arten des materiellen Heilens ist eine auf die Tatsache zurückzuführen, daß beim Menschen sowohl Gesundheit als auch Krankheit ansteckend sind. Die Ansteckung der Krankheit ist heftig und rasch, während die der Gesundheit äußerst schwach und langsam ist. Wenn zwei Körper miteinander in Berührung kommen, werden zweifellos Spuren von Mikroben vom einen zum anderen übergehen. Ebenso wie Krankheit von einem Körper zum anderen durch schnelle und starke Ansteckung übertragen wird, kann es sein, daß die starke Gesundheit eines gesunden Menschen eine sehr leichte Unpäßlichkeit bei einem kranken Menschen erleichtert. Das heißt, die Ansteckung der Krankheit ist heftig und hat eine rasche Wirkung, während die der Gesundheit sehr langsam ist und eine geringe Wirkung hat; und auch diese geringe Wirkung zeigt sich nur bei sehr leichten Krankheiten. Die starke Kraft eines gesunden Körpers kann eine leichte Schwäche eines kranken Körpers überwinden, so daß die Gesundheit wiederhergestellt wird. Dies ist die eine Art der Heilung.
Die andere Art der Heilung ohne Arznei erfolgt durch die magnetische Kraft, die von einem Körper zum anderen wirkt und zur Ursache der Heilung wird. Auch diese Kraft hat nur eine leichte Wirkung. Manchmal kann man einem Kranken nützen, indem man seine Hand auf dessen Kopf oder Herz legt. Wieso? Wegen der Wirkung des Magnetismus und des geistigen Eindrucks auf den Kranken, wodurch die Krankheit zum Verschwinden gebracht wird. Aber auch diese Wirkung ist sehr leicht und schwach.
Von den beiden anderen Arten des Heilens, die geistig sind - das heißt, bei denen das Mittel der Heilung eine geistige Kraft ist -, ergibt sich die eine aus der völligen Konzentration des Willens eines starken Menschen auf einen Kranken, wobei der letztere mit seinem ganzen Glauben konzentriert erwartet, daß durch die geistige Kraft des Gesunden eine Heilung bewirkt wird, so sehr, daß es eine innige Verbindung zwischen dem Gesunden und dem Kranken gibt. Der Gesunde macht jede Anstrengung, den kranken Patienten zu heilen, und dieser ist dann sicher, Heilung zu empfangen. Durch die Auswirkung dieser geistigen Eindrücke wird eine Erregung der Nerven hervorgerufen, und diese Beeindruckung und Erregung der Nerven werden zur Ursache der Gesundung des Kranken. Wenn zum Beispiel ein Kranker sich etwas ganz besonders wünscht und angespannt darauf wartet und plötzlich die Nachricht von der Erfüllung seines Wunsches erhält, entsteht eine Erregung seiner Nerven, die die Krankheit völlig verschwinden lassen kann. Ebenso kann, wenn sich unversehens etwas Schreckliches ereignet, auch in den Nerven eines Gesunden eine Erregung entstehen, die eine unmittelbare Krankheit zur Folge hat. Die Ursache der Erkrankung ist nichts Materielles, denn er hat weder etwas gegessen noch hat irgend etwas Schädliches ihn berührt; in diesem Falle ist die Erregung der Nerven die einzige Ursache der Erkrankung. In gleicher Weise verursacht die plötzliche Erfüllung eines sehnlichen Wunsches eine solche Freude, daß dadurch die Nerven erregt werden, und diese Erregung kann die Gesundung bewirken.
Um zum Schluß zu kommen: Die vollkommene und vollständige Verbindung zwischen dem geistig Heilenden und dem Kranken - das heißt eine Verbindung solcher Art, daß der geistige Arzt sich völlig konzentriert und die ganze Aufmerksamkeit des Kranken ihm, von dem er ja die Wiederherstellung seiner Gesundheit erwartet, zugewandt ist - bewirkt eine Erregung der Nerven, die die Gesundung zur Folge hat. Aber all dies hat nur bis zu einem gewissen Grad Erfolg, und das nicht immer. Denn wenn jemand von einer sehr schweren Krankheit heimgesucht oder verletzt ist, werden diese Mittel weder die Krankheit beseitigen noch die Wunde schließen und heilen. Das heißt, diese Mittel haben bei schwierigen Krankheiten keine Macht, es sei denn, daß die Konstitution hilft, weil ein starker Körper oft die Krankheiten überwindet. Dies war die dritte Art der Heilung.
Die vierte Art der Heilung aber erfolgt durch die Macht des Heiligen Geistes. Diese Heilung hängt weder von Berührung noch vom Sehen noch von der Gegenwart ab; sie ist an keine Bedingung gebunden. Ob die Krankheit leicht oder schwer ist, ob ein körperlicher Kontakt besteht oder nicht und ob es eine persönliche Verbindung zwischen dem Kranken und dem Heilenden gibt oder nicht, diese Heilung geschieht durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Gestern sprachen wir bei Tisch über Heilbehandlung und geistige Heilung, die darin besteht, Krankheiten durch geistige Kräfte zu heilen.
Nun wollen wir von materieller Heilung sprechen. Die Wissenschaft der Medizin steckt noch immer in den Kinderschuhen; sie hat noch nicht die Reife erreicht. Wenn sie aber diesen Punkt einmal erreicht hat, werden Heilungen durch Mittel erfolgen, die dem menschlichen Geruchs- und Geschmackssinn nicht widerwärtig sind; das heißt, durch Nahrungsmittel, Früchte und Pflanzen, die gut schmecken und angenehm riechen. Denn die Ursache, die die Krankheit hervorruft - das heißt die Ursache für den Eintritt der Krankheit in den menschlichen Körper -, ist entweder eine physische oder ist die Folge der Erregung der Nerven.
Aber die Hauptursachen der Krankheit sind körperlich; denn der menschliche Körper besteht aus zahllosen Elementen, die aber auf ein bestimmtes Gleichgewicht hin abgemessen sind. Solange dieses Gleichgewicht erhalten bleibt, ist der Mensch vor Krankheit geschützt; wenn aber dieses unentbehrliche Gleichmaß, das der Angelpunkt für unser körperliches Befinden ist, gestört wird, gerät dieses in Unordnung, und plötzlich stellen sich Krankheiten ein.
Entsteht etwa in einem der den menschlichen Körper bildenden Bestandteile eine Verminderung und in einem anderen eine Vermehrung, so ist das Verhältnis des Gleichgewichts gestört, und es stellt sich Krankheit ein. So sollte zum Beispiel ein Teil tausend Gramm und ein anderer fünf Gramm schwer sein, um das Gleichgewicht zu halten. Wenn sich nun der tausend Gramm schwere Teil auf siebenhundert Gramm vermindert und der fünf Gramm schwere Teil sich vermehrt, bis das Maß des Gleichgewichts gestört ist, entsteht Krankheit. Wenn durch Arznei und Behandlung das Gleichgewicht wiederhergestellt wird, verschwindet die Krankheit. So wird, wenn der Blutzuckerspiegel steigt, die Gesundheit geschwächt- und wenn der Arzt zucker- und stärkehaltige Speisen verbietet, senkt sich der Zuckerspiegel, das Gleichgewicht wird wiederhergestellt und die Krankheit ist überwunden. Die Wiederherstellung dieser Bestandteile des menschlichen Körpers wird durch zwei Mittel erreicht: entweder durch Arznei oder durch Nahrung; und wenn die Körperbeschaffenheit ihr Gleichgewicht wiedererhalten hat, ist die Krankheit gebannt. Alle Elemente, die im Menschen vereinigt sind, gibt es auch in der Pflanze; wenn daher einer der Bestandteile, die den Körper des Menschen ausmachen, abnimmt und er Nahrung, die viel von diesem verringerten Element enthält, zu sich nimmt, dann wird das Gleichgewicht wiederhergestellt und Heilung erzielt. Solange das Ziel die Wiederherstellung der Bestandteile des Körpers ist, kann es durch Arznei oder Nahrung erreicht werden.
Die meisten Krankheiten, die den Menschen befallen, kommen auch beim Tier vor; aber das Tier wird nicht durch Arzneien geheilt. In den Bergen wie in der Wildnis ist der Arzt des Tieres sein Geschmacks- und Geruchssinn. Das kranke Tier riecht die Pflanzen, die in der Wildnis wachsen; es frißt diejenigen, die seinem Geruchs- und Geschmackssinn süß und wohlriechend erscheinen, und wird so geheilt. Die Ursache seiner Heilung ist folgende: Wenn der Zuckergehalt in seinem Körper abgenommen hat, fängt es an, nach etwas Süßem zu verlangen; es frißt daher ein Kraut mit süßem Geschmack, denn die Natur treibt und leitet das Tier an; Geruch und Geschmack dieser Kräuter gefallen ihm, und es frißt sie. Der Zuckergehalt in seinem Körper steigt, und die Gesundheit wird wiederhergestellt.
Es ist daher klar, daß es möglich ist, durch Nahrung, Lebensmittel und Früchte zu heilen; da aber heute die Wissenschaft der Medizin noch unvollkommen ist, wird diese Tatsache noch nicht ganz verstanden. Sobald die medizinische Wissenschaft Vollkommenheit erreicht, wird die Behandlung mit Nahrung, Lebensmitteln, duftenden Früchten und Pflanzen sowie verschiedenen heißen und kalten Wasserkuren durchgeführt werden.
Dieses Gespräch ist kurz, aber, wenn Gott will, wird diese Frage ein andermal, wenn die Gelegenheit günstig ist, ausführlicher erläutert.
Die richtige Erklärung dieses Problemes ist sehr schwierig. Wisse, daß alles Erschaffene von zweierlei Art ist: körperlich und geistig, also mit den Sinnen und mit dem Intellekt wahrnehmbar.
Das sinnlich Wahrnehmbare ist das, was mit den fünf äußeren Sinnen erfaßt wird; so werden die äußeren Daseinsformen, welche die Augen sehen, sinnlich wahrnehmbar genannt. Intelligible Dinge sind diejenigen, welche kein äußeres Dasein haben, sondern Begriffe des Intellekts sind. Zum Beispiel ist der Verstand etwas Intelligibles, das keine äußere Existenz hat. Alle bezeichnenden Merkmale und Eigenschaften des Menschen bilden ein intelligibles Dasein und sind sinnlich nicht wahrnehmbar.
Kurz, die intelligiblen Wirklichkeiten, wie alle Eigenschaften und bewunderungswürdigen Vollkommenheiten des Menschen, sind ausschließlich gut und bestehen. Das Böse ist einfach ihr Nichtvorhandensein. So ist Unwissenheit das Fehlen von Wissen, Irrtum ist das Fehlen der Rechtleitung, Vergeßlichkeit das Fehlen des Gedächtnisses und Dummheit das Fehlen von Vernunft. Dies alles hat keine wirkliche Existenz.
Gleicherweise sind die sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeiten ausschließlich gut, und das Böse ist auf ihr Nichtvorhandensein zurückzuführen, das heißt, Blindheit ist das Fehlen des Sehvermögens, Taubheit ist das Fehlen des Gehörs, Armut das Fehlen des Reichtums, Krankheit das Fehlen der Gesundheit, Tod das Fehlen des Lebens, und Schwäche ist das Fehlen der Stärke.
Doch kommt uns ein Zweifel in den Sinn: Skorpione und Schlangen sind giftig. Sind sie gut oder böse, denn sie sind ja lebende Wesen? Ja, ein Skorpion ist in bezug auf den Menschen böse, desgleichen eine Schlange. Aber in bezug auf sich selbst sind sie nicht böse, denn ihr Gift ist ihre Waffe, und mit ihrem Stich und Biß verteidigen sie sich. Weil aber die Bestandteile ihres Giftes nicht mit unseren Bestandteilen harmonieren, das heißt, weil zwischen diesen verschiedenen Elementen ein Gegensatz besteht, darum ist dieser Gegensatz böse; in Wirklichkeit aber sind diese Tiere in bezug auf sich selbst gut.
Die Zusammenfassung dieses Gespräches ist: Es ist möglich, daß etwas in Beziehung zu etwas anderem böse ist und gleichzeitig, innerhalb der Grenzen des ihm eigenen Wesens, nicht böse ist. Damit ist bewiesen, daß im Dasein kein Böses ist; alles, was Gott erschaffen hat, hat Er gut erschaffen. Dieses Böse ist ein Nichtsein; so ist Tod das Nichtvorhandensein des Lebens. Wenn der Mensch kein Leben mehr erhält, stirbt er. Dunkelheit ist das Nichtvorhandensein von Licht: Wenn kein Licht da ist, herrscht Finsternis. Licht ist etwas, was wirklich da ist, aber Dunkelheit existiert nicht. Reichtum ist etwas Vorhandenes, aber Armut ist ein Nichtsein.
Somit ist es offenkundig, daß sich alles Böse auf Nichtsein zurückführen läßt. Das Gute lebt, das Böse existiert nicht.
Wisse, daß es zwei Arten von Qual gibt: subtile und offenkundige. Zum Beispiel ist Unwissenheit an sich eine Qual, aber sie ist eine subtile Qual; Gleichgültigkeit gegenüber Gott ist an sich eine Qual, und so sind es auch Falschheit, Grausamkeit und Unzuverlässigkeit. Alle Unvollkommenheiten sind Qualen, aber sie sind subtile Qualen. Für einen einsichtigen Menschen ist sicherlich der Tod besser als die Sünde, und eine abgeschnittene Zunge ist besser als Lüge und Verleumdung.
Die andere Art der Qual ist offenkundig: so wie Strafen, Einkerkerung, Auspeitschung, Vertreibung und Verbannung. Aber für das Volk Gottes ist die Trennung von Gott die größte aller Strafen.
Wisse, daß Gerechtigkeit bedeutet: jedem nach seinem Verdienst Recht widerfahren zu lassen. Wenn zum Beispiel ein Arbeiter vom Morgen bis zum Abend arbeitet, so fordert es die Gerechtigkeit, daß er dafür seinen Lohn erhält; Freigebigkeit aber ist es, wenn er nicht gearbeitet und sich nicht angestrengt hat und dennoch mit einer Gabe bedacht wird. Wenn man einem Armen Almosen und Geschenke gibt, obwohl er sich keine Mühe gegeben und nichts getan hat, sie zu verdienen, so ist dies Freigebigkeit. So hat Christus um Vergebung für Seine Mörder gefleht; dies nennt man Gnade.
Die Frage nun von Gut und Böse wird durch Vernunft oder Gesetz bestimmt. Manche glauben, daß sie nur vom Gesetz bestimmt wird; so betrachten die Juden, die glauben, daß alle Gebote der Thora¹ unbedingt verbindlich seien, diese als Sache des Gesetzes, nicht der Vernunft. So sagen sie, daß es nach einer der Vorschriften der Thora ungesetzlich sei, Fleisch und Butter zusammen zu genießen, weil es "taref" sei; "taref" bedeutet im Hebräischen unrein, während "kosher" rein heißt. Dies, so sagen sie, sei eine Frage des Gesetzes und nicht der Vernunft.
¹ Wörtlich: Pentateuch
Die Theologen dagegen meinen, daß Gut und Böse sowohl von Vernunft als auch vom Gesetz abhängen. Die hauptsächliche Grundlage für das Verbot von Diebstahl, Verrat, Unwahrheit, Heuchelei und Grausamkeit ist die Vernunft. Jeder einsichtige Mensch versteht, daß Mord, Diebstahl, Verrat, Unwahrheit, Heuchelei und Grausamkeit böse und verwerflich sind; denn wenn man jemanden auch nur mit einem Dorn sticht, wird er aufschreien, jammern und klagen; so ist es klar, daß er verstehen wird, daß Mord entsprechend unserer Vernunft böse und verwerflich ist. Wenn er einen Mord begeht, muß er dafür einstehen, ob der Ruf des Propheten zu ihm gedrungen ist oder nicht; denn die Vernunft ist es, die den verwerflichen Charakter der Handlung klarlegt. Wenn jemand diese schlechte Tat begeht, trägt er zweifellos die Verantwortung dafür.
Wenn aber irgendwo die Vorschriften der Propheten nicht bekannt sind und die Menschen nicht in Übereinstimmung mit den göttlichen Lehren, wie zum Beispiel dem Gebot Christi, Böses mit Gutem zu vergelten, sondern nach den Naturgesetzen handeln - das heißt, wenn sie diejenigen, die sie quälen, wieder quälen -, dann sind sie vom Standpunkt der Religion aus entschuldigt, weil ihnen das göttliche Gebot noch nicht übermittelt war. Obwohl sie keine Gnade und Milde verdienen, läßt Gott doch Gnade walten und vergibt ihnen.
Die Rache nun ist, der Vernunft entsprechend, auch zu tadeln, weil durch Rache nichts Gutes für den Rächer gewonnen wird. Wenn etwa jemand einen anderen schlägt und der Geschlagene sich rächt, indem er die Schläge zurückgibt, welchen Nutzen hat er davon? Ist dies Balsam für seine Wunde oder ein Heilmittel für seinen Schmerz? Nein, Gott behüte! In Wahrheit sind beide Handlungen dieselben, beide sind unrecht; der einzige Unterschied ist der, daß die eine früher und die andere später erfolgte. Wenn darum der Geschlagene verzeiht, vielmehr wenn er in einer Weise, die der gegen ihn gehandhabten entgegengesetzt ist, handelt, so ist dies des Lobes wert. Das Gesetz der Gemeinschaft bestraft den Angreifer, aber es nimmt keine Rache. Diese Bestrafung hat den Zweck, zu warnen, zu schützen und Grausamkeit und Vergehen zu bekämpfen, damit andere nicht auch rücksichtslos sind.
Wenn aber der Geschlagene vergibt und verzeiht, zeigt er die größte Barmherzigkeit. Dies ist der Bewunderung wert.
Frage: Soll man einen Verbrecher bestrafen oder ihm verzeihen und Nachsicht üben?
Antwort: Es gibt zwei Arten von vergeltender Bestrafung. Eine ist Rache, die andere Züchtigung. Der einzelne hat nicht das Recht, Rache zu nehmen, aber die Gemeinschaft hat das Recht, den Verbrecher zu bestrafen; und diese Strafe hat den Zweck, abzuschrecken und zu verhindern, daß andere ein ähnliches Verbrechen zu begehen wagen. Diese Bestrafung dient dem Schutz der Menschenrechte, ist aber keine Rache; Rache beschwichtigt den Zorn in der Brust, indem sie Böses mit Bösem vergilt. Dies ist nicht zulässig, denn der Mensch hat kein Recht, Rache zu üben. Aber wenn man den Verbrechern völlig verziehe, würde die Ordnung der Welt umgeworfen. So ist die Strafe eine der unerläßlichen Notwendigkeiten für die Sicherheit der Gemeinschaft, aber der einzelne, der von einem Missetäter angegriffen wird, hat nicht das Recht, Rache zu nehmen: er sollte vielmehr verzeihen und vergeben, denn dies ist des Menschen würdig.
Die Gemeinschaft muß den Unterdrücker, den Mörder, den Übeltäter bestrafen, um abzuschrecken und andere davon abzuhalten, ähnliche Verbrechen zu begehen. Aber das allerwichtigste ist, daß die Menschen so erzogen werden müssen, daß keine Verbrechen begangen werden; denn es ist möglich, die Menschen so wirksam zu erziehen, daß ihnen das Verbrechen selbst als die höchste Strafe und die schlimmste Verurteilung und Qual erscheint, so daß sie es vermeiden und davor zurückschrecken, Verbrechen zu verüben. Es werden darum keine Verbrechen, die Bestrafung verlangen, begangen werden.
Wir müssen von Dingen reden, die in dieser Welt durchgeführt werden können. Es gibt über dieses Thema viele Theorien und hohe Ideen, aber sie sind nicht für die Praxis geeignet; wir müssen also von Dingen sprechen, die ausführbar sind.
Wenn zum Beispiel jemand einen anderen unterdrückt, benachteiligt und verletzt und der Geschädigte Vergeltung übt so ist dies Rache und zu tadeln. Wenn 'Amrus Sohn den Sohn Zaids tötet, hat Zaid nicht das Recht, den Sohn 'Amrus zu töten; tut er es, ist dies Rache. Wenn 'Amru Zaid beleidigt, hat der letztere nicht das Recht, 'Amru zu beleidigen; tut er es, ist dies Rache, und sie ist sehr verwerflich. Er muß vielmehr Böses mit Gutem vergelten und nicht nur verzeihen, sondern sogar, wenn es möglich ist, dem Beleidiger Hilfe gewähren. Diese Verhaltensweise ist des Menschen würdig; denn welchen Nutzen gewinnt er durch die Rache? Beide Handlungen sind sich gleich; wenn die eine verwerflich ist, so sind es beide. Der einzige Unterschied ist der, daß die eine Tat früher, die andere später verübt wurde.
Aber die Gemeinschaft hat das Recht auf Verteidigung und Selbstschutz; überdies hegt die Gemeinschaft keinen Haß und keine Feindschaft gegen den Mörder; sie verhaftet und bestraft ihn lediglich des Schutzes und der Sicherheit der anderen wegen. Dies geschieht nicht, um am Mörder Rache zu nehmen, sondern in der Absicht, eine Strafe, durch die die Gemeinschaft geschützt wird, zu verhängen. Wenn die Gemeinschaft und die Hinterbliebenen des Ermordeten verzeihen und Böses mit Gutem vergelten sollten, so würden die Grausamen die anderen dauernd schlecht behandeln, und Mordtaten wären an der Tagesordnung. Schlechte Menschen würden wie Wölfe die Herde Gottes zerreißen. Die Gemeinschaft hat keine böse Absicht und keinen Haß, wenn sie Strafen verhängt, und sie will keinen Zorn in der Brust beschwichtigen; ihre Absicht ist es, durch Bestrafung die anderen zu beschützen, damit keine abscheulichen Handlungen begangen werden.
Wenn also Christus sagte: "Wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar", so wollte Er damit die Menschen belehren, daß sie keine persönliche Rache nehmen sollen. Er meinte nicht, daß man den Wolf, der in eine Herde Schafe einfällt und sie zerreißen will, noch dazu ermuntern sollte. Nein, wenn Christus gesehen hätte, daß ein Wolf in eine Herde eingebrochen sei und die Schafe zerreißen wolle, so hätte Er es zweifellos verhindert.
Wie das Verzeihen zu den Attributen des Barmherzigen gehört, so ist auch die Gerechtigkeit eine der Eigenschaften Gottes, des Herrn. Das Zelt des Daseins wird durch die Säule der Gerechtigkeit, nicht der Verzeihung, hochgehalten. Das Fortbestehen der Menschheit hängt von der Gerechtigkeit und nicht vom Verzeihen ab. Wenn etwa das Gesetz der Vergebung heute in allen Ländern eingeführt würde, so wäre die Welt in Kürze in Unordnung gebracht, und die Grundlagen des menschlichen Lebens würden zerfallen. Wenn zum Beispiel die Völker Europas dem berüchtigten Attila nicht Einhalt geboten hätten, hätte er nicht einen einzigen Mann am Leben gelassen.
Manche Menschen sind wie blutdürstige Wölfe: wenn sie sähen, daß keine Bestrafung folgt, würden sie nur zum Spaß und Zeitvertreib Menschen töten. Einer der Tyrannen Persiens tötete, nur um sich zu belustigen, rein aus Spaß und Kurzweil seinen Erzieher. Der berühmte Abasside Mutawakkil berief einmal seine Minister, Ratsmitglieder und Beamten zu sich, ließ aus einem Behälter, der mit Skorpionen gefüllt war, diese auf die Versammlung los und verbot jedem, sich zu bewegen. Als die Skorpione die Anwesenden stachen, brach er in schallendes Gelächter aus.
Zusammengefaßt: der Bestand der Gemeinschaft hängt von Gerechtigkeit, nicht von Vergebung ab. Was Christus also mit Verzeihung und Vergebung meinte, ist nicht, daß ihr, wenn fremde Völker euch angreifen, eure Häuser anzünden, eure Habe plündern, eure Frauen, Kinder und Verwandten anfallen und eure Ehre verletzen, in Gegenwart solch tyrannischer Feinde unterwürfig sein und sie ihre Grausamkeiten und Unterdrückungen begehen lassen sollt. Nein, Christi Worte beziehen sich auf das Verhältnis zweier Menschen zueinander: wenn einer den anderen angreift, sollte der Geschädigte ihm verzeihen. Die Gemeinschaft aber muß die Rechte des Menschen wahren. Wenn also jemand mich angreift, mir Unrecht tut, mich unterdrückt und verletzt, leiste ich ihm keinen Widerstand, sondern verzeihe ihm. Wenn aber jemand Siyyid Manshádi¹ angreifen will, werde ich ihn sicherlich daran hindern. Obwohl Nichteinmischung für den Übeltäter scheinbar eine Gunst wäre, für Manshádi wäre sie eine Grausamkeit. Wenn in diesem Augenblick ein wilder Araber mit gezogenem Schwert hier hereinkäme und euch angreifen, verwunden und töten wollte, so hinderte ich ihn zweifellos daran. Wenn Ich euch dem Araber überließe, so wäre das keine Gerechtigkeit sondern Unrecht. Wenn er aber nur Meine Person verletzte, vergäbe ich ihm.
¹ Einer der anwesenden Bahá'í
Es bleibt noch etwas zu sagen, und das ist, daß die Gemeinschaft sich Tag und Nacht mit der Ausarbeitung von Strafgesetzen und mit der Vorbereitung und Einrichtung von Hilfsmitteln und Werkzeugen für die Bestrafung befaßt. Man baut Gefängnisse, stellt Fesseln und Ketten her, setzt Orte für Verschickung und Verbannung und verschiedene Arten von Härten und Mißhandlungen fest und glaubt, mit solchen Mitteln die Verbrecher zu erziehen; in Wirklichkeit sind diese Mittel aber die Ursache moralischer Zerrüttung und charakterlicher Fehlentwicklung. Die Gemeinschaft sollte sich vielmehr Tag und Nacht bemühen und mit äußerster Anstrengung und Begeisterung danach streben, die Erziehung der Menschen durchzuführen und sie zu veranlassen, Tag für Tag Fortschritte zu machen, Erkenntnis und Wissenschaft zu mehren, Tugenden zu erlangen, sich gute Sitten anzueignen und Laster zu meiden, damit keine Verbrechen mehr geschehen. Im Augenblick herrscht das Gegenteil vor; die Gemeinschaft denkt nur daran, die Strafgesetze durchzusetzen und Mittel zur Bestrafung, Werkzeuge für Züchtigung und Hinrichtung sowie Gefängnis- und Verbannungsorte vorzubereiten; und sie wartet darauf, daß Verbrechen begangen werden. Dies alles aber hat zersetzende Folgen.
Wenn die Gemeinschaft dagegen sich bemühte, die große Menge zu erziehen, würden Erkenntnis und Wissenschaft Tag für Tag wachsen, das Verstehen würde sich erweitern, das Feingefühl sich entwickeln, die Gebräuche gut und das sittliche Verhalten natürlich werden; mit einem Wort, auf allen diesen Gebieten der Vollkommenheiten gäbe es Fortschritt, und es kämen weniger Verbrechen vor.
Es wurde fest gestellt, daß bei den zivilisierten Völkern das Verbrechen weniger häufig ist als bei den unzivilisierten, das heißt bei denen, die die wahre Zivilisation erlangt haben, die die göttliche ist - die Zivilisation der Menschen, die alle geistigen und körperlichen Vollkommenheiten in sich vereinen. Weil ja Unwissenheit die Ursache der Verbrechen ist, werden diese desto rascher abnehmen, je stärker Erkenntnis und Wissen zunehmen. Überlege, wieviel bei den Wilden in Afrika gemordet wird; sie bringen sich sogar gegenseitig um, um ihr Fleisch und Blut zu essen! Warum kommen derartige Rohheiten nicht in der Schweiz vor? Der Grund ist offensichtlich: weil nämlich Erziehung und Tugenden sie davon abhalten.
Deshalb sollte die Gemeinschaft viel mehr daran denken, die Verbrechen zu verhüten, als sie streng zu bestrafen.
Du hast mich über Streiks gefragt. Dieses Problem ist und wird lange Zeit Anlaß zu großen Schwierigkeiten sein. Streiks sind auf zwei Ursachen zurückzuführen. Die eine ist die übertriebene Schärfe und Gier der Kapitalisten und Fabrikanten, die andere die Unmäßigkeit, die Habsucht und der schlechte Wille der Arbeiter und Handwerker. Darum ist es notwendig, diese beiden Ursachen zu beheben.
Aber der tiefere Grund für diese Schwierigkeiten liegt in den Gesetzen der heutigen Zivilisation, denn sie führen dazu, daß eine kleine Zahl von Menschen unglaubliche Reichtümer ansammelt, die ihre Bedürfnisse weit übersteigen, während die große Mehrzahl arm, mittellos und in größtem Elend bleibt. Dies widerspricht der Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Billigkeit; es ist der Gipfel der Ungerechtigkeit, das Gegenteil von dem, was zu göttlicher Zufriedenheit führt.
Dieser Gegensatz ist der Menschenwelt eigentümlich; bei den anderen Geschöpfen, das heißt bei fast allen Tieren, gibt es eine Art von Gerechtigkeit und Gleichheit. So erhält in einer Schafherde, in einem Rudel Rotwild auf dem Lande, bei den Vögeln der Steppen, Ebenen, Berge oder Gärten, fast jedes Tier seinen gerechten, auf Gleichheit gegründeten Anteil. Bei ihnen ist so ein Unterschied der Existenzmittel nicht zu finden, so daß sie in vollkommener Eintracht und Freude leben.
Ganz anders ist es beim Menschengeschlecht, das in größter Verirrung und völliger Ungerechtigkeit verharrt. Betrachte einen Menschen, der durch Kolonisieren eines Landes zu seinem Vorteil Schätze angehäuft hat: Er hat sich ein riesiges Vermögen verschafft und sich Gewinne und Einkünfte gesichert, die ihm wie ein Fluß zuströmen, während Hunderttausende unglücklicher, schwacher und machtloser Menschen das nötige tägliche Brot nicht haben. Das ist weder Gleichheit noch Brüderlichkeit. So siehst du, daß die allgemeine Eintracht und Freude zerstört sind, das Wohlergehen der Menschheit zum Teil vernichtet und das gemeinschaftliche Leben sinnlos ist. Tatsächlich sind Vermögen, Ansehen, Handel und Industrie in den Händen einiger Industrieller, während andere Leute nicht mehr abreißenden Schwierigkeiten und endlosen Mühsalen unterworfen sind; sie haben weder Vorteil noch Nutzen, weder Annehmlichkeit noch Ruhe.
Es sollten also Regeln und Gesetze aufgestellt werden, um das übertriebene Vermögen gewisser Privatpersonen auszugleichen und das Elend von Millionen armer Leute einzudämmen; auf diese Weise könnte eine gewisse Beruhigung erzielt werden. Völlige Gleichheit ist jedoch geradeso unmöglich, denn absolute Gleichheit des Vermögens und Ansehens, des Handels, der Landwirtschaft und Industrie würde im Fehlen von Bequemlichkeit, in Entmutigung, in Zerrüttung der Existenzmittel und in allgemeiner Enttäuschung enden; die Ordnung der Gemeinschaft würde völlig zerstört. Darum liegt eine große Weisheit in der Tatsache, daß Gleichheit nicht durch Gesetz auferlegt wird; es ist deshalb besser, mit Mäßigung vorzugehen. Die Hauptsache ist, durch Gesetze und Ausführungsbestimmungen die Anhäufung übergroßer Vermögen gewisser Einzelpersonen zu verhindern und die unerläßlichen Bedürfnisse der Massen zu befriedigen. Zum Beispiel häufen die Fabrikanten und Industriellen täglich ein Vermögen an, und die armen Arbeiter verdienen nicht ihren nötigen Lebensunterhalt: das ist der Gipfel der Ungerechtigkeit, und kein gerechter Mensch kann es gutheißen. Darum sollten Gesetze und Ausführungsbestimmungen geschaffen werden, die bestimmen, daß die Arbeiter neben ihrem Lohn einen Anteil am vierten oder fünften Teil des Gewinnes - entsprechend dem Bedarf des Werks - vom Fabrikanten erhalten; oder es sollten Arbeiterschaft und Unternehmer die Gewinne und Vorteile auf irgendeine andere Art gerecht aufteilen. Denn Leitung und Verwaltung der Geschäfte gehen vom Eigentümer der Fabrik aus, und die schwere körperliche Arbeit von der Arbeiterschaft. Mit anderen Worten, die Arbeiter sollten einen Lohn erhalten, der ihnen einen angemessenen Lebensunterhalt sichert, und wenn sie schwach oder hilflos werden und mit der Arbeit aufhören, sollten sie vom Unternehmer ein ausreichendes Ruhegehalt bekommen. Der Lohn sollte hoch genug sein, um die Arbeiter zufriedenzustellen, so daß sie für Zeiten der Not und Hilflosigkeit noch etwas auf die Seite legen können.
Wenn die Angelegenheiten so geordnet wären, würde der Besitzer der Fabrik nicht länger täglich ein Vermögen zurücklegen, das er gar nicht braucht, (wobei noch nicht in Betracht gezogen ist, daß der Kapitalist, wenn das Vermögen übertrieben ist, einer schrecklichen Bürde erliegt und in die größten Schwierigkeiten und Sorgen gerät; die Verwaltung eines übermäßigen Vermögens ist sehr schwer und erschöpft die natürliche Kraft des Menschen). Und die Arbeiter und Handwerker würden nicht mehr in größter Anmut und Not leben und nicht länger den schlimmsten Entbehrungen bis zu ihrem Lebensende ausgesetzt sein.
So ist es klar und offenkundig, daß die Verteilung übertriebener Vermögen unter nur wenigen Personen ein Unrecht und eine Ungerechtigkeit ist, solange die Massen im Elend leben. Aber ebenso würde absolute Gleichheit ein Hemmnis für Leben, Wohlfahrt, Ordnung und Frieden der Menschheit bedeuten. In einer solchen Frage ist eine gerechte Mitte vorzuziehen. Sie liegt darin, daß die Kapitalisten beim Erwerb ihrer Gewinne Mäßigkeit üben und auf das Wohlergehen der Armen und Bedürftigen Rücksicht nehmen; das heißt, daß die Arbeiter und Handwerker einen festgesetzten Tageslohn erhalten und einen Anteil am üblichen Gewinn der Fabrik haben.
In bezug auf die sozialen Rechte der Unternehmer, Arbeiter und Handwerker wäre es gut, wenn Gesetze geschaffen würden, die den Unternehmern mäßige Gewinne und den Arbeitern ausreichenden Lebensunterhalt und Sicherheit für die Zukunft gewährten. So würden, wenn sie alt, schwach und hilflos werden, mit der Arbeit aufhören und unter Zurücklassung minderjähriger Kinder sterben, diese Kinder nicht durch übermäßige Armut umkommen. Und aus den Einkünften der Fabrik selbst, auf die sie ein Recht haben, bekommen sie etwas für ihren Lebensunterhalt.
In gleicher Weise sollten die Arbeiter sich nicht länger auflehnen und empören oder etwas über ihre Rechte fordern; sie sollten nicht mehr in Streik treten, sondern gehorsam und ergeben sein und keine maßlosen Löhne verlangen. Die gegenseitigen Rechte der beiden Sozialpartner werden durch gerechte und unparteiische Gesetze nach herkömmlichem Brauch festgelegt. Sollte sie eine der beiden Parteien übertreten, hätten die Gerichtshöfe Recht zu sprechen und dem Vergehen durch wirksame Geldstrafen ein Ende zu machen, um so die Ordnung wiederherzustellen und die Schwierigkeiten beizulegen.
Der Eingriff des Gerichtes und der Regierung bei Schwierigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern ist gesetzlich, weil die laufenden Angelegenheiten zwischen beiden Parteien nicht mit den gewöhnlichen Fällen zwischen Privatpersonen verglichen werden können, die die Öffentlichkeit nichts angehen und mit denen sich die Regierung nicht befassen sollte. In Wirklichkeit rufen diese Schwierigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, obwohl sie private Angelegenheiten zu sein scheinen, einen Schaden für die Gemeinschaft hervor; denn Handel, Industrie, Landwirtschaft und die allgemeinen Angelegenheiten eines Landes sind alle eng miteinander verknüpft. Wenn eines von diesen unter einem Mißstand leidet, beeinträchtigt der Schaden auch die Allgemeinheit. So werden die Schwierigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern zur Ursache allgemeinen Schadens.
Der Gerichtshof und die Regierung haben darum das Recht, einzugreifen. Wenn sich zwischen zwei Personen über persönliche Rechte eine Schwierigkeit erhebt, so muß ein Dritter die Frage entscheiden: Dies ist die Aufgabe der Regierung. Wie könnte also die Frage des Streiks - die dem Lande Schwierigkeiten bringt und oft sowohl mit dem übertriebenen Ärger der Arbeiter als auch mit der Habgier der Fabrikanten zusammenhängt - vernachlässigt werden?
Großer Gott! Ist es möglich, daß ein Mensch, wenn er einen seiner Mitmenschen darbend und in bitterer Not sieht, in seinem luxuriösen Heim ausruhen und behaglich leben kann? Kann er, der einen anderen im größten Elend antrifft, sich seines Vermögens erfreuen? Darum ist es in der Religion Gottes vorgeschrieben und festgesetzt, daß reiche Menschen jedes Jahr einen bestimmten Teil ihres Vermögens zur Unterstützung der Armen und Unglücklichen geben sollen. Dies ist die Grundlage der Religion Gottes und das wesentlichste der Gebote.
Wenn sich der Mensch jetzt, da er von der Regierung weder gezwungen noch verpflichtet ist, entschließt, aus der natürlichen Neigung seines Herzens heraus und in größter Geistigkeit diese Summe für die Armen zu geben, so ist dies sehr zu rühmen, zu loben und gutzuheißen.
Dies ist die Bedeutung der guten Werke, die in den göttlichen Büchern und Sendschreiben erwähnt werden.
Manche Sophisten glauben, daß das Dasein eine Illusion und jedes Geschöpf eine reine Sinnestäuschung ohne Existenz sei; mit anderen Worten, die Existenz der Wesen sei wie eine Luftspiegelung oder wie die Widerspiegelung eines Bildes im Wasser oder in einem Spiegel, was nur eine Erscheinung sei und in sich keinen Ursprung, keine Grundlage oder Wirklichkeit habe.
Diese Theorie ist irrig, denn obwohl die Existenz der Daseinsformen in Beziehung zur Existenz Gottes eine Illusion ist, ist sie auf der Stufe des Daseins eine wirkliche und festgegründete Existenz. Es ist zwecklos, dies zu leugnen. Zum Beispiel ist das Dasein des Minerals im Vergleich zu dem des Menschen Nichtsein; denn wenn der Mensch scheinbar zu Nichts wird, wird sein Körper zum Mineral; aber im Mineralreich hat das Mineral Dasein. Es ist demnach klar, daß Erde im Vergleich zum Dasein des Menschen nicht existiert und ihr Dasein Illusion ist; aber in Beziehung zum Mineral hat sie Dasein.
In gleicher Weise ist das Dasein der Geschöpfe im Vergleich zum Dasein Gottes nichts als Illusion und Nichtsein; es ist eine Erscheinung wie das vom Spiegel zurückgeworfene Bild. Aber obgleich ein Bild, das in einem Spiegel gesehen wird, eine Illusion ist, so ist doch die Quelle und die Wirklichkeit dieses Scheinbildes die widergespiegelte Person, deren Gesicht im Spiegel erscheint. Kurz, das Spiegelbild ist im Vergleich mit der widergespiegelten Person eine Illusion.
So ist es klar, daß das Erschaffene, obwohl es in Beziehung zur Existenz Gottes kein Dasein hat, sondern der Luftspiegelung oder der Widerspiegelung im Spiegel gleicht, auf seiner eigenen Stufe dennoch existiert.
Darum wurden jene, die Gott nicht beachteten, und die Verleugner Christi als tot bezeichnet, obwohl sie offensichtlich lebten; aber im Vergleich zu den Gläubigen waren sie tot, blind, taub und stumm. Dies meinte Christus, als Er sprach: "Laß die Toten ihre Toten begraben."
Frage: Wie viele Arten von Präexistenz und von Erscheinungsweisen gibt es?
Antwort: Manche Gelehrte und Philosophen meinen, daß es zwei Arten der Präexistenz gäbe: Präexistenz des Wesens und Präexistenz der Zeit. Auch die Erscheinungsweisen sind von zweierlei Art: Erscheinungen des Wesens und Erscheinungen der Zeit.
Wesenhafte Präexistenz ist ein Sein, dem keine Ursache vorausgeht, aber wesenhafte Erscheinungen haben Ursachen. Präexistenz der Zeit ist ohne Anfang, aber die Erscheinungen der Zeit haben Anfang und Ende; denn jede Daseinsform hängt von vier Ursachen ab: von der schaffenden Ursache, dem Stoff, der Form und der bezweckenden Ursache. Dieser Stuhl zum Beispiel ist von einem Schreiner geschaffen, er hat ein Material, das Holz, eine Form, die des Stuhls, und einen Zweck, als Sitz zu dienen. Dieser Stuhl ist also eine wesenhafte Erscheinung, denn es geht ihm eine Ursache voraus, und sein Dasein ist von Ursachen abhängig. Dies wird wesenhafte und wirkliche Erscheinung genannt.
Diese Welt des Daseins ist nun in bezug auf ihren Schöpfer eine wirkliche Erscheinung. Da der Körper vom Geist aufrechterhalten wird, ist er in Beziehung zum Geist eine wesenhafte Erscheinung. Der Geist ist unabhängig vom Körper und in bezug auf diesen eine wesenhafte Präexistenz. Obwohl die Strahlen immer untrennbar von der Sonne sind, ist die Sonne doch präexistent, und die Strahlen sind die Erscheinung, denn das Dasein der Strahlen hängt von dem der Sonne ab; das Dasein der Sonne hängt aber nicht von dem der Strahlen ab, denn die Sonne ist die Gebende und die Strahlen sind die Gabe.
Die zweite Behauptung ist, daß sowohl Dasein wie Nichtsein relativ seien. Wenn gesagt würde, daß dieses oder jenes Ding aus dem Nichtsein zum Dasein käme, bezieht sich dies nicht auf absolutes Nichtsein, sondern heißt, daß sein früherer Zustand im Vergleich zum jetzigen wie Nichtsein war. Denn absolutes Nichtsein kann nicht zu Dasein werden, da es nicht die Fähigkeit dazu hat. Der Mensch existiert, wie auch das Mineral; aber das Dasein des Minerals ist im Vergleich zu dem des Menschen Nichtsein, denn wenn der Körper des Menschen zerfällt, wird er zu Erde und Mineral. Wenn Erde aber zur menschlichen Stufe gewandelt und dieser tote Körper lebendig wird, tritt der Mensch ins Dasein. Obgleich Erde, das heißt das Mineral, auf ihrer eigenen Stufe Dasein hat, ist es in bezug auf den Menschen Nichtsein. Beide existieren, aber das Dasein von Erde und Mineral ist im Vergleich zum Menschen Nichtsein und Nicht-Existenz; denn wenn der Mensch zu Nichts wird, kehrt er zu Erde und Mineral zurück.
Folglich, wenn die Welt des Bedingtseins auch existiert, so ist sie doch in Beziehung zum Sein Gottes Nichtsein und ein Nichts. Sowohl Mensch wie Staub existieren, aber wie groß ist der Unterschied zwischen dem Dasein des Minerals und dem des Menschen! Jenes ist im Vergleich zu diesem Nichtsein. Ebenso ist das Dasein der Schöpfung in bezug auf das Sein Gottes Nichtsein. So ist es offenkundig und klar, daß die Geschöpfe, wenn sie auch existieren, im Vergleich zu Gott und dem Wort Gottes kein Dasein haben. Dies ist der Anfang und das Ende, auf das sich das Wort Gottes - Christus - bezog, als Er sprach: "Ich bin das A und das O." Denn Er ist der Anfang und das Ende der Gnadengabe. Immer hat der Schöpfer eine Schöpfung gehabt: Stets leuchteten und glänzten die Strahlen aus der Wirklichkeit der Sonne, denn ohne die Strahlen wäre die Sonne undurchlässige Dunkelheit. Die Namen und Eigenschaften Gottes erfordern die Existenz der Daseinsformen, und die ewige Gnade hört niemals auf. Hörte sie auf, widerspräche es den Vollkommenheiten Gottes.
Frage: Was ist die Wahrheit über die Frage der Wiederverkörperung, an die manche Menschen glauben?
Antwort: Der Zweck unserer folgenden Ausführungen ist, die Wirklichkeit zu erklären, nicht den Glauben anderer Menschen herabzusetzen; nur die Tatsachen sollen dargelegt werden, sonst nichts. Wir bekämpfen die Meinungen anderer nicht und heißen auch das Kritisieren nicht gut,
Wisse also, daß es zwei Gruppen von Menschen gibt, die an Reinkarnation glauben: Eine Gruppe glaubt nicht an geistige Bestrafung und Belohnung in der anderen Welt, sondern nimmt an, daß der Mensch durch Wiederverkörperung und Rückkehr in diese Welt Strafe und Belohnung erfährt; sie betrachten Himmel und Hölle als auf diese Welt beschränkt und sprechen nicht von der Existenz der anderen Welt. Diese Gruppe spaltet sich wiederum in zwei Teile: Der eine Teil glaubt, der Mensch komme zuweilen in der Gestalt eines Tieres auf diese Welt zurück, um sich strenger Bestrafung zu unterziehen; nachdem er diese schmerzvolle Qual ertragen habe, käme er, vom Tierreich erlöst, wieder zur menschlichen Welt; dies wird Seelenwanderung genannt. Der andere Teil glaubt, daß man von der Menschenwelt wieder zur Menschenwelt zurückkehre und daß durch diese Rückkehr Belohnung und Strafe für ein früheres Leben erlangt werden; dies wird Wiederverkörperung genannt. Keine dieser Gruppen spricht von einer anderen als dieser Welt.
Die zweite Art Leute, die an Reinkarnation glaubt, bestätigt die Existenz der anderen Welt und hält die Wiederverkörperung für das Mittel, vollkommen zu werden; das heißt, sie glauben, daß der Mensch durch Weggang und Rückkehr zu dieser Welt allmählich Vollkommenheiten erwerbe, bis er die innerste Vollkommenheit erreiche. Mit anderen Worten, die Menschen seien aus Materie und Kraft zusammengesetzt; die Materie sei zu Beginn, das heißt im ersten Lebenskreise, unvollkommen, wenn sie aber zu wiederholten Malen auf diese Welt komme, mache sie Fortschritte und gewinne an Feinheit und Reinheit, bis sie wie ein geschliffener Spiegel werde; und die Kraft, die nichts anderes als Geist sei, werde mit allen Vollkommenheiten in diesem Spiegel verwirklicht.
Dies ist die Darstellung des Problems durch die, die an Wiederverkörperung und Seelenwanderung glauben. Wir haben es zusammengefaßt; würden Wir auf Einzelheiten eingehen, wäre viel Zeit erforderlich; diese Übersicht genügt. Logische Argumente und Beweise zu dieser Frage werden nicht erbracht; es handelt sich nur um Annahmen und Schlußfolgerungen aus Mutmaßungen, aber nicht um zwingende Beweisgründe. Von denen, die an Reinkarnation glauben, sollten Beweise verlangt werden, und nicht Vermutungen, unterstellungen und Einbildungen.
Aber du hast nach Beweisen für die Unmöglichkeit der Wiederfleischwerdung gefragt; das ist es, was Wir jetzt erklären Wollen. Der erste Beweis für ihre Unmöglichkeit ist, daß das Äußere der Ausdruck des Inneren ist; die Erde ist der Spiegel des Reiches Gottes, die materielle Welt entspricht der geistigen. Beachte nun, daß sich Erscheinungen in der sinnlich wahrnehmbaren Welt nicht wiederholen, denn es gibt keine zwei Dinge, die in jeder Hinsicht identisch oder sich völlig gleich wären. Das Zeichen der Einzigkeit ist in allen Dingen ersichtlich und offenkundig. Wenn alle Kornspeicher der Welt mit Getreide gefüllt wären, fände man keine zwei Körner, die sich völlig glichen und ohne jeden Unterschied gleich und identisch wären. Zweifellos gibt es Verschiedenheiten und Abweichungen zwischen ihnen. Da der Beweis der Einzigkeit in allen Dingen vorhanden ist und die Einmaligkeit und Einheit Gottes in der Wirklichkeit aller Dinge offenbar ist, ist die Wiederholung der gleichen Erscheinung völlig unmöglich. Darum ist Reinkarnation, die die Wiederholung der Erscheinung des gleichen Geistes in seinem vorhergehenden innersten Kern und Zustand in dieser gleichen Welt der Erscheinung ist, nicht zu verwirklichen und unmöglich. Weil für jedes einzelne irdische Geschöpf die Wiederholung seiner einmaligen Erscheinung unmöglich und untersagt ist, darum ist auch für die geistigen Geschöpfe eine Rückkehr zur gleichen Stufe, sei es im absteigenden oder im aufsteigenden Bogen¹, verboten und unmöglich, denn das Stoffliche ist ein Gleichnis des Geistigen.
¹ ie. des Kreises der Existenz.
In bezug auf die Gattung ist jedoch die Rückkehr stofflicher Dinge offensichtlich; so werden die Bäume, die während vergangener Jahre Blätter, Blüten und Früchte hervorgebracht haben, auch in den kommenden Jahren genau dieselben Blätter, Blüten und Früchte tragen. Dies nennt man die Wiederholung der Art. Wenn nun jemand einwendet, das Blatt, die Blüte und die Frucht seien zerfallen, vom Pflanzen- zum Mineralreich herabgesunken und wiederum vom Mineral- zum Pflanzenreich aufgestiegen, so daß eine Wiederholung stattgefunden habe, so ist die Antwort, daß die Blüte, das Blatt und die Frucht des vergangenen Jahres zerfallen sind und diese zusammengesetzten Elemente voneinander getrennt und im Raum zerstreut wurden und daß die Elemente des Blattes und der Frucht des letzten Jahres nach ihrer Auflösung nicht wieder verbunden worden und zurückgekehrt sind. Aber die Art ist es, die infolge der Zusammensetzung neuer Elemente zurückgekehrt ist. Ebenso ist es mit dem menschlichen Körper, der sich nach seinem Zerfall auflöst und dessen Elemente, aus denen er zusammengesetzt war, zerstreut werden. Wenn dieser Körper in ähnlicher Art vom Mineral- oder Pflanzenreich zurückkehren sollte, hätte er nicht genau die gleiche Zusammensetzung der Elemente wie der vorhergehende Mensch; jene Elemente wurden aufgelöst und zerstreut und sind in diesem weiten Raum verteilt. Später wurden andere Teilchen von Elementen zusammengesetzt, und ein zweiter Körper wurde gebildet; es mag sein, daß eines der Teilchen des früheren Menschen in die Zusammensetzung des folgenden Menschen einging, aber diese Teilchen sind nicht in ihrer Gesamtheit und genauso, ohne Vermehrung oder Verminderung, bewahrt und erhalten geblieben, so daß sie zum anderen Mal zusammengesetzt würden und aus dieser Zusammensetzung und Mischung ein anderer Mensch ins Dasein träte. So kann es nicht bewiesen werden, daß dieser Körper mit allen seinen Teilen zurückgekehrt, der frühere Mensch zum späteren geworden sei und darum eine Wiederholung stattgefunden habe und daß der Geist wie der Körper auch zurückgekommen und sein innerstes Wesen nach dem Tode zu dieser Welt zurückgekehrt sei.
Wenn man sagt, daß diese Wiederverkörperung dem Erwerb von Vollkommenheiten diene, damit die Materie rein und fein werde und das Licht des Geistes sich in größter Vollkommenheit in ihr zeigen könne, so ist auch dies nur Einbildung. Denn angenommen, wir glaubten diesem Argument, so ist es dennoch unmöglich, die Natur durch Erneuerung und Wiederkehr zu verändern: das Wesen der Unvollkommenheit wird durch Wiederkehr nicht zur Wirklichkeit der Vollkommenheit; völlige Dunkelheit wird durch Wiederkehr nicht zur Quelle des Lichts; das Wesen der Schwäche wird durch Wiederkehr nicht in Kraft und Stärke gewandelt, und eine irdische Natur wird nicht zur himmlischen Wirklichkeit. Der Baum Zaqqúm¹ wird, so oft sich sein Wachstum wiederholt, doch niemals süße Früchte tragen, und ein guter Baum, so oft er auch wiederkehren mag, wird keine bitteren Früchte hervorbringen. Daraus geht klar hervor, daß Wiederholung und Rückkehr in die irdische Welt nicht zur Ursache der Vollkommenheit werden. Diese Theorie hat weder Beweise noch klare Zeugnisse, sie ist nur eine unbestimmte Vorstellung. Nein, die Ursache des Erwerbs von Vollkommenheiten ist in Wirklichkeit die Gnade Gottes.
Die Theosophen glauben, daß der Mensch im aufsteigenden Bogen so oft wiederkehren werde, bis er die höchste Mitte erreiche; auf jener Stufe werde die Materie zu einem klaren Spiegel, in dem das Licht des Geistes mit seiner ganzen Macht erstrahle, und so werde wesenhafte Vollkommenheit erlangt. Nun ist es eine festbegründete theologische Behauptung, daß die materiellen Welten am Tiefpunkt des absteigenden Bogens enden und daß sich die Stufe des Menschen am Ende des absteigenden und am Anfang des aufsteigenden Bogens befindet, gegenüber dem höchsten Mittelpunkt. Zwischen Anfang und Ende des aufsteigenden Bogens aber liegen zahllose geistige Stufen. Der absteigende Bogen wird Ursprung² und der aufsteigende Entfaltung³ genannt. Der absteigende Bogen endet im Materiellen, der aufsteigende Bogen im Geistigen. Die Spitze des Zirkels macht beim Beschreiben eines Kreises keine rückläufige Bewegung, denn dies widerspräche der natürlichen Bewegung und der göttlichen Ordnung, und damit wäre das Ebenmaß des Kreises gestört.
¹ Nach dem Qur'án der Baum der Hölle.
² Wörtl.: zeugend, erschaffend
³ Wörtl.: wieder erzeugend, etwas Neues hervorrufend.
Überdies hat diese irdische Welt keine solche Bedeutung und Vortrefflichkeit, daß ein Mensch nach seiner Befreiung aus diesem Käfig den Wunsch haben könnte, zum zweiten Mal in dieser Schlinge gefangen zu werden. Nein, durch die ewige Gnade werden der Wert und die wahre Fähigkeit des Menschen dadurch ersichtlich und offenbar, daß er die Stufen des Daseins durchschreitet, nicht aber durch Wiederkehr. Wenn die Muschel einmal geöffnet ist, wird es klar und deutlich, ob sie eine Perle oder wertlose Materie enthält. Wenn eine Pflanze einmal gewachsen ist, bringt sie entweder Dornen oder Blüten hervor; sie braucht dazu nicht zum zweiten Male zu wachsen. Außerdem sind Bewegung und Fortschritt in den Welten in gerader Reihenfolge nach dem Gesetz der Natur die Ursache des Daseins; aber eine der Ordnung und dem Gesetz der Natur entgegengesetzte Bewegung ist die Ursache des Nichtseins. Die Rückkehr der Seele nach dem Tode wäre der natürlichen Bewegung entgegengesetzt und stünde im Widerspruch zur göttlichen Ordnung.
Darum ist es völlig unmöglich, durch Wiederkehr Leben zu erlangen; es wäre, wie wenn ein Mensch, nachdem er aus dem Mutterschoß geboren wurde, wieder in diesen zurückkehren wollte. Beachte, welch unreife Vorstellung dies ist, die sich aus dem Glauben an Reinkarnation und Seelenwanderung ergibt. Die daran glauben betrachten den Körper als ein Gefäß, in dem der Geist enthalten ist wie das Wasser in einem Becher; dieses Wasser wird von dem einen Becher in einen anderen umgegossen. Das ist das Spiel eines Kindes. Diese Leute machen sich nicht klar, daß der Geist unkörperlich ist und weder eintritt noch austritt, sondern mit dem Körper nur so verbunden ist wie die Sonne mit dem Spiegel. Wenn es so wäre, daß der Geist durch Wiederkehr zu dieser körperlichen Welt die Stufen durchwandern und wesenhafte Vollkommenheit erreichen könnte, so wäre es besser, Gott verlängerte das Leben des Geistes in der materiellen Welt, bis er Vollkommenheiten und Tugenden erworben hätte; es wäre dann für ihn nicht notwendig, vom Becher des Todes zu trinken oder ein zweites Leben zu erlangen.
Die Vorstellung, daß Dasein auf diese vergängliche Welt beschränkt sei, und das Leugnen des Daseins göttlicher Welten gingen ursprünglich von den Einbildungen gewisser Anhänger der Wiederverkörperungslehre aus; aber die göttlichen Welten sind unendlich. Wenn die göttlichen Welten in dieser materiellen Welt gipfelten, wäre die Schöpfung sinnlos; vielmehr wäre das Dasein nichts als das Spiel eines Kindes. Das Höchste dieser endlosen Reihe von Geschöpfen, das edle Dasein des Menschen, würde für kurze Zeit in dieser vergänglichen Wohnstätte ein- und ausgehen, und nach Erhalt von Bestrafung und Belohnung würden schließlich alle vollkommen werden. Die göttliche Schöpfung und die bestehenden unzähligen Geschöpfe würden vervollkommnet und vollendet, und dann würden die Göttlichkeit des Herrn und die Namen und Eigenschaften Gottes, was ihre Wirkung anbelangt, um dieser vergeistigten Geschöpfe willen in Untätigkeit und Trägheit enden! "Gelobt sei dein Herr, der Herr, Der erhaben ist über alle ihre Beschreibungen."
So waren die begrenzten Ansichten der alten Philosophen, wie des Ptolemäus und anderer, die die Überzeugung und Vorstellung hatten, daß die Welt, das Leben und Dasein auf diesen Erdball beschränkt seien und daß dieser grenzenlose Raum in neun Himmelskreise eingeschlossen sei, die alle öde und leer seien. Bedenke, wie sehr ihre Gedanken begrenzt und wie unvollkommen ihre Ansichten waren. Jene, die an die Wiederverkörperung glauben, denken, daß die geistigen Welten auf die Welten der menschlichen Einbildungskraft beschränkt seien, überdies glauben einige von ihnen, zum Beispiel die Drusen¹ und Nossarier², daß alles Sein auf diese körperliche Welt begrenzt sei. Welch unwissende Annahme! Denn in diesem Weltall Gottes, das in vollendeter Vollkommenheit, Schönheit und Erhabenheit erscheint, sind die leuchtenden Sterne der materiellen Welt unzählbar! Wir müssen also überlegen, wie grenzenlos und unendlich die geistigen Welten sein müssen, die ja die unerläßliche Grundlage bilden. "Seid achtsam, ihr, die ihr Einsicht besitzt."
Doch kommen wir auf unser Thema zurück. In den göttlichen Schriften und heiligen Büchern wird die "Rückkehr" erwähnt, aber die Unwissenden haben nicht die Bedeutung verstanden, und jene, die an Reinkarnation glaubten, haben Mutmaßungen über dieses Thema angestellt. Was aber die göttlichen Propheten mit "Wiederkehr" meinten, ist nicht die Wiederkehr des Wesens, sondern der Eigenschaften; es ist nicht die Wiederkehr des Offenbarers, sondern seiner Vollkommenheiten. Im Evangelium heißt es, daß Johannes, der Sohn des Zacharias, Elias sei. Diese Worte bedeuten nicht die Rückkehr der vernünftigen Seele und der Persönlichkeit des Elias im Körper des Johannes, sondern vielmehr, daß die Vollkommenheiten und Eigenschaften des Elias in Johannes erschienen und offenbar wurden.
¹ Drusen: arabisches Mischvolk, im 11.Jh aus einer muhammadanischen Sekte entstanden, lebt am Berge Drus in Syrien.
²Nossarier: ebenfalls ein syrischer Volksstamm, eine Schiitische Sekte, die durch Aufnahme christlicher und altheidnischer Vorstellung vom Islám weit abgewichen ist.
Vergangene Nacht leuchtete in diesem Raum eine Lampe, und wenn heute nacht eine andere Lampe brennt, sagt man, das Licht der vergangenen Nacht leuchte wieder. Wasser fließt aus einer Quelle, dann versiegt es, und wenn es ein zweites Mal zu fließen beginnt, sagt man, dieses Wasser sei das gleiche Wasser, das jetzt wieder fließe; oder sagt man, dieses Licht sei identisch mit dem früheren Licht. Ebenso ist es mit dem Frühling des vergangenen Jahres, als Blüten, Blumen und süßduftende Kräuter im Flor standen und köstliche Früchte heranreiften; im kommenden Jahr sagen wir dann, daß jene köstlichen Früchte, jene Blüten und Blumen, jener Flor zurückgekehrt und wiedergekommen seien. Dies heißt nicht, daß genau dieselben Teilchen, aus denen die Blumen des vergangenen Jahres zusammengesetzt waren, nach ihrer Auflösung wieder verbunden worden und dann zurückgekehrt und wiedergekommen seien. Die Bedeutung ist vielmehr die, daß die Feinheit und Frische, der köstliche Duft und die prachtvollen Farben der Blumen des letzten Jahres in genau derselben Weise in den Blumen dieses Jahres offenbar und sichtbar werden. Kurz, diese Ausdrucksweise bezieht sich nur auf die Ähnlichkeit und Gleichartigkeit, die zwischen den früheren und späteren Blumen bestehen. So ist auch die Bedeutung der "Wiederkehr", die in den heiligen Schriften erwähnt ist; sie wird im "Buch der Gewißheit" durch die Höchste Feder¹ ausführlich erklärt; schlage es nach, damit du über die Wirklichkeit der göttlichen Geheimnisse unterrichtet bist.
¹ Bahá'u'lláh
Frage: Wie verstehen Theosophen und Sufi das Problem des Pantheismus?¹ Was bedeutet er, und wie weit kommt er der Wahrheit nahe?
¹ Wörtl.: Einheit des Seins
Antwort: Wisse, daß die Frage des Pantheismus sehr alt ist. Es ist ein Glaube, der nicht auf Theosophen und Súfi beschränkt ist, vielmehr glaubten schon einige der Weisen Griechenlands daran, wie Aristoteles, der sagte: "Die einfache Wirklichkeit ist die Gesamtheit der Dinge, nicht aber irgendeines von ihnen." In diesem Fall ist "einfach" das Gegenteil von "zusammengesetzt"; es ist die einmalige Wirklichkeit, die geheiligt und erhaben über Zusammensetzung und Teilung ist und sich in zahllose Formen auflöst. Darum ist das wirkliche Sein die Gesamtheit der Dinge, nicht aber nur eines von ihnen.
Kurz, die Anhänger des Pantheismus glauben, daß das wirkliche Sein wie das Meer sei und alles Erschaffene wie seine Wellen. Diese Wellen, die alles Erschaffene darstellen, seien die unzähligen Formen jenes wirklichen Seins; die heilige Wirklichkeit sei also das Meer der Präexistenz¹, und die zahllosen Formen der Geschöpfe seien die Wellen, die erscheinen.
¹ Gott.
Sie vergleichen diese Theorie auch mit der wirklichen Einheit und der Unendlichkeit der Zahlen; die wirkliche Einheit zeige sich in den Stufen der endlosen Zahlen, denn Zahlen seien die Wiederholung der wirklichen Einheit. So sei die Zahl zwei die Wiederholung von eins, und ebenso sei es mit den anderen Zahlen.
Einer ihrer Beweise ist der: Alles Erschaffene seien Dinge, die Gott bekannt sind; und Wissen ohne bekannte Dinge gäbe es nicht, denn Wissen beziehe sich auf Vorhandenes und nicht auf Nichtsein. Völliges Nichtsein könne auf den Stufen des Wissens weder beschrieben noch im einzelnen betrachtet werden. Die Wirklichkeiten alles Erschaffenen, also die Dinge, die Gott, dem Höchsten, bekannt sind, hätten darum die Seinsstufe, die das Wissen hat¹, denn sie hätten die Erscheinungsform des göttlichen Wissens und seien präexistent, weil das göttliche Wissen präexistent ist. Wie nun das Wissen präexistent ist, so seien es auch die bekannten Dinge, und die Einzelwesen und Arten, die das präexistente Wissen des Wesens der Einheit seien, seien das göttliche Wissen selber. Denn die Wirklichkeiten des Wesens der Einheit, das Wissen und die bekannten Dinge, stellten eine völlige Einheit dar, die wirklich und festbegründet sei. Sonst würde ja das Wesen der Einheit zum Ort vielfacher Erscheinungen werden, und eine Vielfalt von Präexistenzen² würde notwendig, was sinnwidrig sei.
¹ ie. eine geistige Existenz ² Göttern
So sei bewiesen, daß die bekannten Dinge das Wissen an sich und das Wissen das innerste Wesen selber darstellten, daß heißt, daß der Wissende, das Wissen und die bekannten Dinge eine einzige Wirklichkeit seien. Und wenn man sich außer ihr noch irgend etwas vorstellte, müßte man wieder auf die Vielfalt der Präexistenzen und die Verkettung¹ kommen, und die Präexistenzen würden schließlich unzählig werden. Da die Einzelwesen und Arten Gottes identisch mit dem Wesen der Einheit gewesen seien und es zwischen ihnen keinen Unterschied gegeben habe, sei nur eine echte Einheit gewesen, und alle bekannten Dinge seien in der Wirklichkeit des einen innersten Wesens vermischt und eingeschlossen gewesen. Das hieße, daß sie im Sinne der Einfachheit und Einheit das Wissen Gottes, des Höchsten, und das innerste Wesen der Wirklichkeit bilden. Als Gott Seine Herrlichkeit offenbarte, hätten diese Einzelwesen und Arten, die ja nur dem Wesen nach existierten, das heißt nur eine Gestalt im göttlichen Wissen gewesen seien, ihr Dasein in der äußeren Welt verwirklicht gefunden; und dieses wirkliche Sein hätte sich in unzählige Erscheinungsformen aufgelöst. Dies ist die Grundlage ihrer Beweise.
¹ ie. unendliche Fortdauer von Ursachen und Wirkungen
Die Theosophen und Súfi sind in zwei Richtungen gespalten. Die eine, die die Mehrzahl umfaßt, glaubt an den Pantheismus einfach aus dem Geist der Nachahmung heraus, ohne die Meinung ihrer bekannten Gelehrten zu verstehen; denn die meisten Súfi glauben, daß die Bedeutung des Seins das allgemeine und als wesentlich genommene Dasein sei, das von Vernunft und Verstand begriffen würde, das heißt, daß der Mensch es begreife. Stattdessen ist dieses allgemeine Dasein aber eine der Nebensachen, die die Wirklichkeit des Erschaffenen durchdringen, und das Wesen des Erschaffenen ist die Hauptsache. Dieses nebensächliche Dasein, das vom Erschaffenen abhängt, ist wie andere Eigentümlichkeiten der Dinge, die von ihnen abhängen. Es ist etwas Unwesentliches unter anderem, und zweifellos steht das, was das Wesentliche ist, über dem, was das Unwesentliche ist. Denn das Wesen ist der Ursprung, und das Unwesentliche ist die Folge; das Wesen hängt von sich selbst ab, und das Unwesentliche hängt von etwas anderem ab, das heißt, es braucht ein Wesen, von dem es abhängt. Nach der oben erwähnten Anschauungsweise aber wäre Gott die Folge der Schöpfung: Er würde sie brauchen, und sie wäre unabhängig von Ihm.
Zum Beispiel kommt jedesmal, wenn sich einzelne Elemente nach der allumfassenden göttlichen Ordnung verbinden, eines der Geschöpfe in die Welt. Das heißt, wenn sich bestimmte Elemente verbinden, kommt ein pflanzliches Dasein hervor, und wenn sich andere Elemente verbinden, so geht ein Tier hervor, und wenn sich wieder andere verbinden, erzeugen sie wieder andere Geschöpfe. In diesem Fall wäre¹ das Dasein der Dinge die Folge ihrer Wirklichkeit. Wie könnte es aber sein, daß dieses Dasein, das eine Nebensache unter anderen ist und ein anderes Wesen braucht, von dem es abhängt, das präexistente Wesen, der Schöpfer aller Dinge sei?
¹ Nach der Betrachtungsweise der Súfi
Aber die eingeweihten Gelehrten der Theosophen und Súfi, die diese Frage untersucht haben, glauben, daß es zwei Arten des Seins gäbe. Die eine sei das allgemeine Dasein, das vom menschlichen Verstand begriffen werde; dies sei eine Erscheinung, etwas Unwesentliches unter anderem, und die Wirklichkeit der Dinge sei das Wesentliche. Der Pantheismus beziehe sich aber nicht auf dieses allgemeine und eingebildete Dasein, sondern nur auf das echte Sein, das von jeder anderen Deutung befreit und geheiligt sei; durch es existierten alle Dinge, und es sei die Einheit, durch die alle Dinge in die Welt gekommen seien, wie Materie, Energie und dieses allgemeine Dasein, das vom menschlichen Verstand begriffen würde. Dies ist nach den Theosophen und Súfi die Wahrheit über diese Frage.
Kurz, dieser Theorie, daß alle Dinge durch die Einheit existierten, stimmen alle, das heißt die Gelehrten und die Propheten, zu. Es besteht aber doch ein Unterschied unter ihnen, denn die Propheten sagen: Das Wissen Gottes bedarf nicht des Daseins der Geschöpfe, aber das Wissen des Geschöpfes braucht das Dasein von bekannten Dingen; bedürfte das Wissen Gottes irgendeines anderen Dinges, dann wäre es das Wissen des Geschöpfes und nicht das Wissen Gottes. Denn das Präexistente unterscheidet sich vom Erscheinenden, und das Erscheinende ist dem Präexistenten entgegengesetzt; das, was wir dem Geschöpf zuschreiben, nämlich die Bedürfnisse der abhängigen Wesen, verneinen wir für Gott; denn Läuterung oder Heiligung über Unvollkommenheiten ist eine Seiner unerläßlichen Eigenschaften. So sehen wir im Erscheinenden Unwissenheit, im Präexistenten erkennen wir Wissen; im Erschaffenen sehen wir Schwäche, im Präexistenten erkennen wir Kraft; im Erscheinenden sehen wir Armut, im Präexistenten erkennen wir Reichtum. So ist die Erscheinungswelt die Quelle der Unvollkommenheiten, und die Präexistenz ist der Inbegriff der Vollkommenheiten. Das erschaffene Wissen bedarf der bekannten Dinge, das präexistente Wissen ist von ihrem Dasein unabhängig. Darum besteht keine Präexistenz für die Arten und Einzelwesen der Geschöpfe, die die Dinge sind, die Gott, dem Höchsten, bekannt sind; und diese göttlichen und vollkommenen Eigenschaften werden vom Verstand nicht so begriffen, daß wir beurteilen können, ob das göttliche Wissen der Dinge bedarf oder nicht.
Das weiter oben in Kürze Gesagte ist der Hauptbeweis der Súfi; wenn wir alle ihre Beweise erwähnen und ihre Antworten erklären wollten, würde es sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Dies ist ihr entscheidender Beweis und ihr Argument schlechthin - zum mindesten der Gelehrten der Súfi und Theosophen.
Über die Frage des wirklichen Seins, durch das alle Dinge bestehen, das heißt der Wirklichkeit des Wesens der Einheit, durch die alle Geschöpfe in die Welt kamen, herrscht Übereinstimmung. Ein Unterschied besteht nur darin, daß die Súfi sagen: "Die Wirklichkeit der Dinge ist die Offenbarung der wirklichen Einheit." Aber die Propheten sagen: "Sie geht aus der wirklichen Einheit hervor"; und groß ist der Unterschied zwischen Manifestation und Emanation. Die Erscheinung durch Manifestation bedeutet, daß ein einzelnes Ding in unendlich vielen Formen erscheint. Zum Beispiel ist das Samenkorn ein Einzelding, dem die Vollkommenheit des Wachstums eigen ist; wenn sie sich offenbart, wird es in unendlich viele Formen, in Zweige, Blätter, Blüten und Früchte aufgelöst. Dies nennt man Erscheinung durch Manifestation¹. In der Erscheinung durch Emanation dagegen verbleibt und verharrt diese wirkliche Einheit in der Höhe ihrer Heiligkeit, aber das Dasein der Geschöpfe emaniert aus ihr und wird nicht durch sie manifestiert. Dies kann mit der Sonne verglichen werden, aus der das Licht, das sich über alle Geschöpfe ergießt, emaniert; aber die Sonne verbleibt in der Höhe ihrer Heiligkeit; sie steigt nicht herab und löst sich nicht in leuchtende Formen auf; sie erscheint nicht in der Substanz der Dinge durch deren Beschreibung und Einzelbetrachtung. Das Präexistente wird nicht zum Erscheinenden, unabhängiger Reichtum wird nicht zu verketteter Armut, reine Vollkommenheit wird nicht zu absoluter Unvollkommenheit.
¹ Im Sinne des Austritts
Zusammengefaßt: Die Súfi anerkennen Gott und Geschöpf und sagen, daß Gott Sich in die unendlichen Formen der Geschöpfe auflöse und Sich wie das Meer offenbare, das in den unendlichen Formen der Wellen erscheint: Diese erscheinenden und unvollkommenen Wellen seien das gleiche wie das präexistente Meer, das der Inbegriff aller göttlichen Vollkommenheiten ist. Die Propheten hingegen glauben, daß es die Welt Gottes, die Welt des Königreichs und die Welt der Schöpfung gibt: drei Dinge. Die hauptsächliche Emanation Gottes ist die Gnade des Königreichs, die in die Wirklichkeit der Geschöpfe ausströmt und sich wie das Licht widerspiegelt, das aus der Sonne strömt und in den Geschöpfen glänzt; und diese Gnade, die das Licht ist, wird in unendlichen Formen in der Wirklichkeit aller Dinge widergespiegelt und sondert und vereinzelt sich entsprechend der Fähigkeit, der Würdigkeit und dem eigentlichen Wert der Dinge. Aber die Behauptung der Súfi erfordert, daß der unabhängige Reichtum zur Stufe der Armut herabsteige, daß der Präexistente sich auf Erscheinungsformen beschränke und daß reine Kraft auf den Zustand der Schwäche begrenzt werden müsse, je nach den Grenzen der bedingten Geschöpfe. Dies aber ist offensichtlicher Irrtum. Bedenke, daß die Wirklichkeit des Menschen, der das edelste der Geschöpfe ist, nicht zur Wirklichkeit des Tieres herabsteigt, daß das Wesen des Tieres, das mit den Sinneskräften ausgestattet ist, sich nicht zur Stufe der Pflanze erniedrigt und daß die Wirklichkeit der Pflanze, die die Kraft des Wachstums ist, nicht zur Wirklichkeit des Minerals herabsteigt.
Kurz, die höhere Wirklichkeit erniedrigt sich nicht und steigt nicht zu niedrigeren Stufen herab; wie könnte es also sein, daß die allumfassende Wirklichkeit Gottes, die über alle Beschreibungen und Einschränkungen geheiligt ist, ungeachtet ihrer absoluten Reinheit und Heiligkeit, sich in die Formen der Wirklichkeiten der Geschöpfe auflöse, die die Quelle der Unvollkommenheiten sind? Dies ist bloße Einbildung, die man nicht begreifen kann.
Jenes heilige Wesen ist vielmehr der Inbegriff der göttlichen Vollkommenheiten, und alle Geschöpfe werden durch die Gnade des Ihm entströmenden Glanzes bevorzugt und erhalten die Lichtesfülle, die Vollkommenheit und die Herrlichkeit Seines Königreiches; in gleicher Weise erhalten alle irdischen Geschöpfe die Gnade des Lichtes der Sonnenstrahlen, aber die Sonne erniedrigt sich nicht und steigt nicht zu den begünstigten Wirklichkeiten der irdischen Wesen herab.
Jetzt nach Tisch und in Anbetracht der späten Stunde ist keine Zeit, mehr darüber zu sagen.
Es gibt nur vier anerkannte Wege zur Einsicht, das heißt, die Wirklichkeit der Dinge wird durch diese vier Methoden verstanden.
Die erste Methode liegt in den Sinnen, das heißt, alles, was Auge, Ohr, Geschmack, Geruch und Tastgefühl wahrnehmen, wird durch diese Methode erkannt. Zur Zeit wird diese Methode von allen europäischen Gelehrten als die vollkommenste betrachtet. Sie sagen, das hauptsächliche Verfahren, Erkenntnis zu gewinnen, erfolge mittels der Sinne; sie halten es für das beste, obwohl es unvollkommen ist, denn es läßt Fehler zu. Zum Beispiel ist der wichtigste Sinn die Kraft des Gesichts. Das Auge sieht die Luftspiegelung als Wasser an und hält im Spiegel erscheinende Bilder für wirklich und existierend; große Körper erscheinen in der Entfernung klein, und ein sich schnell im Kreise drehender Punkt sieht wie ein Kreis aus. Das Auge glaubt, die Erde stehe still, und sieht die Sonne in Bewegung und täuscht sich in vielen ähnlichen Fällen. Wir können uns deshalb nicht darauf verlassen.
Die zweite Methode ist die des Verstandes; sie wurde von den alten Philosophen, den Säulen der Weisheit, angewandt und ist der Weg zum Verständnis. Mit dem Verstand wiesen sie Dinge nach und hielten sich streng an logische Beweise; alle ihre Argumente waren Verstandesbeweise. Trotzdem wichen sie weit voneinander ab, und ihre Ansichten widersprachen sich. Sie änderten sogar ihre Meinungen, das heißt, zwanzig Jahre lang belegten sie mit logischen Beweisen das Vorhandensein einer Sache, um es dann, ebenfalls mit logischen Beweisen, zu widerrufen. Selbst Plato hat anfänglich die Unbeweglichkeit der Erde und die Bewegung der Sonne folgerichtig nachgewiesen; später bezeugte er mit konsequenter Beweisführung, daß die Sonne der ruhende Mittelpunkt ist und die Erde sich bewegt. Und noch später verbreitete sich die ptolemäische Lehre, und Platos Idee wurde völlig vergessen, bis sie schließlich ein neuer Beobachter wieder ins Leben rief. So standen alle Mathematiker in Widerspruch, obwohl sie sich auf Verstandesbeweise verließen. Auf diese Weise bewiesen sie zu einer bestimmten Zeit ein Problem mit logischen Argumenten, um es später mit Beweisen der gleichen Art zu widerrufen. So hielt ein Philosoph eine Zeitlang eine Theorie mit starken Argumenten und Beweisen standhaft aufrecht, bis er sie später zurückzog und mit Verstandesbeweisen widerlegte. Es ist darum offenkundig, daß die Methode des Verstandes nicht vollkommen ist; denn die Widersprüche der alten Philosophen, der Mangel an Beständigkeit und der Wechsel ihrer Ansichten beweisen dies. Denn wenn sie vollkommen wäre, müßten alle in ihren Ideen eins sein und in ihren Meinungen übereinstimmen.
Die dritte Methode des Verstehens liegt in der Tradition, das heißt in der Überlieferung durch den Wortlaut der Heiligen Schriften; denn man sagt: So und so sprach Gott im Alten und Neuen Testament. Aber auch diese Methode ist nicht vollkommen, weil die Überlieferungen durch den Verstand erfaßt werden. Da der Verstand selber dem Irrtum unterworfen ist, wie könnte man da sagen, daß er sich beider Auslegung der Bedeutung der Überlieferungen nicht irre, wo es doch möglich ist, daß er Fehler macht, und Gewißheit nicht erreicht werden kann. Dies ist die Methode der kirchlichen Führer; was sie aus dem Text der Bücher verstehen und begreifen, ist das, was ihr Verstand aus dem Wortlaut erfaßt, nicht aber unbedingt die Wahrheit. Denn der Verstand gleicht einer Waage, und die Bedeutung, die im Text der heiligen Bücher enthalten ist, gleicht dem Gewogenen. Wenn die Waage ungenau ist, wie kann das Gewicht festgestellt werden?
Denn wisse, alles, was in den Händen der Menschen liegt, und alles, was sie glauben, ist dem Irrtum unterworfen. Wenn wir etwas beweisen oder widerlegen wollen und der Beweis durch das Zeugnis unserer Sinne erbracht wird, so ist diese Methode, wie wohl klar geworden ist, nicht vollkommen; dasselbe gilt für verstandesmäßige Beweise, und sie sind auch dann nicht vollkommen, wenn sie aus der Überlieferung kommen. Somit gibt es in den Händen der Menschen keinen Maßstab, auf den sie sich verlassen können.
Aber die Gnade des Heiligen Geistes verleiht die wahre Methode der Erkenntnis, die unfehlbar ist und nicht angezweifelt werden kann. Sie kommt durch die Hilfe des Heiligen Geistes, der dem Menschen erscheint, und ist die einzige Stufe, auf der Gewißheit erlangt werden kann.
Frage: Jene Menschen, die sich durch gute Taten und umfassende Güte auszeichnen, die lobenswerte Charaktereigenschaften besitzen, die allen Geschöpfen Liebe und Wohlwollen erweisen, die sich der Armen annehmen und für den allgemeinen Frieden arbeiten - brauchen auch sie noch die göttlichen Lehren, von denen sie ja glauben, unabhängig zu sein? Was ist die Stufe dieser Menschen?
Antwort: Wisse, daß solche Taten, solche Bemühungen und Worte vorbildlich und anerkennenswert sind und der Menschheit zur Ehre gereichen. Aber diese Taten allein genügen nicht; sie sind wie ein Körper von größter Lieblichkeit, aber ohne Geist. Nein, das, was die Ursache des ewigen Lebens ist, der unvergänglichen Ehre, der vollkommenen Erleuchtung, der wahren Erlösung und des Glücks, ist zuallererst die Erkenntnis Gottes. Es ist bekannt, daß die Erkenntnis Gottes über jeder anderen Erkenntnis steht und die größte Zierde der menschlichen Welt ist. Denn in der bestehenden Kenntnis der Wirklichkeit der Dinge liegt materieller Vorteil, und durch sie macht die äußere Zivilisation Fortschritte; aber die Erkenntnis Gottes ist die Ursache geistigen Fortschritts und der Anziehung, und durch sie wird Erkenntnis der Wahrheit, Erhebung der Menschheit, göttliche Zivilisation, Makellosigkeit der Tugend und Erleuchtung erlangt.
An zweiter Stelle kommt die Liebe Gottes, deren Licht in der Lampe der Herzen jener leuchtet, die Gott erkannt haben; ihre glänzenden Strahlen erhellen den Horizont und geben dem Menschen das Leben des Königreichs. Die Frucht des menschlichen Daseins ist in Wahrheit die Liebe Gottes, denn diese Liebe ist der Geist des Lebens und die ewige Gnade. Bestände die Liebe Gottes nicht, wäre die abhängige Welt in Dunkel gehüllt; bestände die Liebe Gottes nicht, wären die Herzen der Menschen tot und der Lebensgefühle beraubt; bestände die Liebe Gottes nicht, wäre die geistige Verbindung verloren; bestände die Liebe Gottes nicht, würden Ost und West sich nicht wie zwei Liebende umarmen; bestände die Liebe Gottes nicht, würde das Licht der Einheit die Menschheit nicht erleuchten; bestände die Liebe Gottes nicht, würden Spaltung und Uneinigkeit nicht in Brüderlichkeit verwandelt; bestände die Liebe Gottes nicht, würde Gleichgültigkeit nicht in Zuneigung enden; bestände die Liebe Gottes nicht, würde der Fremde nicht zum Freunde werden. Die Liebe der menschlichen Welt leuchtet aus der Liebe Gottes hervor und erscheint durch die Gnade und Güte Gottes.
Es ist klar, daß die Wirklichkeit der Menschheit verschiedengeartet ist, daß Meinungen auseinandergehen und Gesinnungen sich unterscheiden; und dieser Unterschied der Meinungen und Gedanken, der Denkfähigkeit und Gesinnung unter den verschiedenen Menschen entspringt unerläßlicher Notwendigkeit; denn die Unterschiede in den Stufen des Daseins der Geschöpfe sind ein Erfordernis des Daseins, das sich in unendlich vielen Formen entfaltet. Darum brauchen wir eine umfassende Kraft, die die Gesinnungen, Meinungen und Gedanken aller beherrschen kann und derzufolge diese Spaltungen keinen Einfluß mehr haben und jeder einzelne unter den Einfluß der Einheit der Welt der Menschheit gebracht werden kann. Es ist klar und offensichtlich, daß diese größte Macht in der menschlichen Welt die Liebe Gottes ist. Sie bringt die verschiedenen Gruppen unter den Schutz des Zeltes der Liebe und schenkt den gegnerischen und feindlichen Völkern und Familien die größte Liebe und Eintracht.
Sieh, wie viele Nationen, Rassen, Familien und Stämme nach dem Erscheinen Christi durch die Macht der Liebe Gottes unter den Schutz des Wortes Gottes gekommen sind: Die Spaltungen und Uneinigkeiten von tausend Jahren wurden völlig überwunden und aufgehoben. Die Gedanken an Rasse und Vaterland verschwanden ganz, die Einheit der Seelen und Leben entstand, und alle wurden wirkliche, geistige Christen.¹
¹ Gemeint ist die erste Zeit des Christentums; vergl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3
Die dritte Tugend der Menschheit ist der gute Wille, der die Grundlage guter Taten ist. Manche Philosophen haben der Absicht den Vorzug vor der Tat gegeben, denn der gute Wille ist reines Licht; er ist geläutert und erhaben über die Unreinheiten der selbstsucht, der Feindseligkeit und des Betruges. Nun mag es sein, daß jemand eine Tat begeht, die dem Anschein nach rechtschaffen, tatsächlich aber von Habsucht diktiert ist. Zum Beispiel zieht ein Metzger ein Schaf groß und behütet es; aber diese rechtliche Tat ist durch den Wunsch, Geld zu verdienen, bestimmt, und der Zweck dieser Pflege ist das Schlachten des armen Schafes. Wie viele gerechte Taten werden von Habsucht diktiert! Aber der gute Wille ist über solche Unreinheiten geheiligt.
Kurz, wenn sich zur Erkenntnis Gottes die Liebe Gottes gesellt, sowie Anziehung, Begeisterung und guter Wille, dann ist eine rechtschaffene Tat vollkommen und vollständig. Sonst aber ist eine gute Tat, so anerkennenswert sie auch sein mag, doch unvollkommen, wenn sie nicht von der Erkenntnis Gottes, der Liebe Gottes und einer lauteren Absicht unterstützt wird. Zum Beispiel muß das Dasein des Menschen alle Vollkommenheiten besitzen, um vollendet zu sein. Das Sehen ist außerordentlich wertvoll und kostbar, aber es muß durch das Gehör unterstützt werden; das Hören ist sehr hochgeschätzt, aber es muß von der Kraft der Sprache Hilfe haben; die Gabe der Sprache ist überaus willkommen, aber sie muß von der Kraft des Verstandes unterstützt werden, und so fort. Das gleiche gilt von den anderen Kräften, Organen und Gliedern des Menschen; erst wenn alle diese Kräfte, diese Sinne, diese Organe und diese Teile vorhanden sind, ist er vollkommen.
Nun stoßen wir gegenwärtig auf Menschen in der Welt, die wahrhaftig das allgemeine Wohl wünschen und sich mit allen ihren Kräften dem Schutz der Unterdrückten und der Hilfe für die Armen widmen; sie sind voll Begeisterung für den Frieden und das allgemeine Wohlergehen. Obwohl sie von dieser Warte aus vollkommen sein mögen, so sind sie, wenn ihnen die Erkenntnis und Liebe Gottes fehlt, doch unvollkommen.
Der Arzt Galenus schrieb in seinem Buch, in dem er die Abhandlung Platos über den Staat¹ kommentiert, daß die grundlegenden Prinzipien der Religion einen großen Einfluß auf die vollkommene Zivilisation haben, weil "die Masse des Volkes den Zusammenhang erklärender Worte nicht verstehen kann; so braucht es symbolische Worte, die Belohnung und Strafe in der anderen Welt in Aussicht stellen; und das, was die Wahrheit dieser Behauptung beweist," so sagt er, "ist, daß wir heute ein Volk, genannt die Christen, sehen, die an Belohnung und Bestrafung glauben; und diese Sekte legt wundervolle Taten an den Tag, die denen gleichen, die ein wahrer Philosoph vollbringt. So sehen wir alle deutlich, daß sie den Tod nicht fürchten und daß sie nichts erwarten und wollen als Gerechtigkeit und Unparteilichkeit; sie werden als wahre Philosophen angesehen."
¹ Vergl. Ibn Abí Usaibiá, "Uyún al-anbá fí tabaqát al-attibá". Kairo, 1332, Band 1, Seiten 76-77. (s. Wilhelm Nestle, "Die Krisis des Christentums" Stuttgart,1947, 5. 73.)
Nun bedenke, wie groß die Aufrichtigkeit, die Begeisterung, die geistige Haltung, die Verpflichtung zu freundschaftlicher Gesinnung und die guten Taten der Anhänger Christi gewesen sein mußten, daß Galenus, der Arzt und Philosoph, obwohl er selbst kein Christ war, doch Zeugnis über den guten Charakter und die Vollkommenheiten dieser Menschen ablegte, wobei er so weit ging, sie wahre Philosophen zu nennen. Diese Vorzüge und Tugenden wurden nicht nur durch gute Taten erlangt, denn wenn Tugend nur eine Sache des Erlangens und Weitergebens des Guten wäre, warum preisen wir dann nicht diese Lampe, die angezündet ist und das Haus erleuchtet, was zweifellos eine Wohltat ist? Die Sonne ist für alle Geschöpfe auf der Erde der Anlaß, zu wachsen, und durch ihre Wärme und ihr Licht schenkt sie Entwicklung und Entfaltung. Gibt es eine größere Wohltat als diese? Trotzdem ist diese Gabe, da sie nicht dem guten Willen und der Liebe und Erkenntnis Gottes entspringt, unvollkommen.
Wenn dagegen ein Mensch einem anderen einen Becher Wasser reicht, so ist ihm dieser erkenntlich und dankt ihm. Ohne nachzudenken würde man sagen: Diese Sonne, die der Welt Licht gibt, diese höchste Gnade, die in ihr offenbar ist, sollte verehrt und gepriesen werden; warum sollten wir der Sonne für ihre Gabe nicht dankbar und erkenntlich sein, wenn wir einen Menschen loben, der eine einfache Tat der Freundlichkeit vollbringt? Wenn wir aber nach der Wahrheit forschen, sehen wir, daß diese unscheinbare Freundlichkeit jenes Menschen auf bewußt existierenden Gefühlen beruht; darum ist sie des Lobes wert. Dagegen sind das Licht und die Wärme der Sonne nicht auf Gefühle und Bewußtheit zurückzuführen, weshalb sie nicht des Lobes und Preises wert sind und keine Erkenntlichkeit oder Dankbarkeit verdienen.
Ebenso ist der Mensch, der eine gute Tat vollbringt, wohl lobenswert, wenn sie aber nicht der Liebe und Erkenntnis Gottes entspringt, ist sie unvollkommen. Überdies wirst du feststellen, wenn du vorurteilslos nachdenkst, daß diese guten Taten anderer Menschen, die Gott nicht kennen, grundsätzlich auch durch die Lehren Gottes veranlaßt sind; das heißt, daß die früheren Propheten die Menschen dazu brachten, solche Taten zu vollbringen, ihnen deren Vorteile erklärten und ihre segensreichen Auswirkungen darlegten; diese Lehren haben sich dann unter den Menschen verbreitet, nacheinander einen um den anderen erreicht und ihre Herzen zu diesen Vollkommenheiten hingezogen. Als die Menschen sahen, daß solche Taten als wertvoll erklärt und zur Ursache von Freude und Glück für die Menschheit wurden, richteten sie sich danach.
Darum kommen auch diese Taten aus den Lehren Gottes. Aber man braucht gerechtes Verhalten, um das zu sehen, keine Auseinandersetzung und Wortstreiterei. Gelobt sei Gott! Du warst in Persien und hast gesehen, wie die Perser durch den heiligen Odem Bahá'u'lláhs wohlwollend zu anderen Menschen geworden sind. Wenn sie früher mit jemand einer anderen Rasse zusammenkamen, belästigten sie ihn und waren mit äußerster Feindschaft, mit Haß und Übelwollen erfüllt; sie gingen so weit, mit Schmutz nach ihm zu werfen. Sie verbrannten das Evangelium und das Alte Testament, und wenn ihre Hände durch Berührung dieser Bücher verunreinigt wurden, wuschen sie sie. Jetzt aber sprechen und singen die meisten von ihnen in ihren Versammlungen und Zusammenkünften, wenn sich die Gelegenheit bietet, aus dem Inhalt dieser zwei Bücher und erläutern ihre auserlesenen Lehren. Sie erzeigen ihren Feinden Gastfreundschaft. Diese blutdürstigen Wölfe wurden so zahm wie Gazellen auf den Ebenen der Liebe Gottes. Du hast ihre Sitten und Gebräuche gesehen und hast sie von der Lebensart der früheren Perser erzählen hören. Diese Wandlung der Sitten, diese Vervollkommnung des Benehmens und der Worte, sind sie anders möglich denn durch die Liebe Gottes? Nein, im Namen Gottes! Wenn wir mit Hilfe der Wissenschaft und Erkenntnis diese Sitten und Gebräuche einführen wollten, würde es sicherlich tausend Jahre brauchen, und dann hätten sie noch nicht die Massen durchdrungen.
Aber jetzt wurden sie dank der Liebe Gottes mit größter Leichtigkeit erreicht.
So seid ermahnt, o ihr, die ihr Einsicht besitzt!